Himmelwärts

Veröffentlicht am 2022-10-18 In Kentenich

Himmelwärts: Wie zum ersten Mal gehört

DEUTSCHLAND, Maria Fischer •

Kein Applaus. Atemanhaltende Stille, in der nicht einmal mehr das Fallen der berühmten Stecknadel zu hören ist. Martin Flesch hatte zu Anfang darum gebeten, in den kurzen Pausen nicht zu applaudieren und auch am Schluss dem persönlichen Eindruck ein paar Sekunden Chance zu geben, in die Tiefe zu gehen. Wäre nicht nötig gewesen. Die bekannten, so oft gebeteten und lieben Verse aus Himmelwärts und die sperrigen, fremden, klingen an diesem Nachmittag wie zum ersten Mal gehört. Der Dialog der arrogant-verzweifelten Zeitenstimmen mit dem verwundet-vertrauenden Josef Kentenich bleibt nicht im historischen Moment. Auf einmal sind Mariupol, Kabul und Teheran darin und das brennende Flüchtlingsheim in Solingen, Missbrauch, Kardinäle und Pandemie und irgendwann kurz nach der Mitte ich, in dieser und meiner Zeit und himmelwärts. —

„Als ich mir im Jahr 2016 die Frage stellte, wie die von Pater Kentenich im Konzentrationslager Dachau entworfenen Himmelwärts-Gebete auf die aktuelle Zeit hin durchlässig und wieder an Aktualität gewinnen können, stand rasch fest, dass ich sie auf dem Boden einer Klangaura im Dialog mit den Zeitenstimmen zu Wort kommen lassen muss“, so Autor und Komponist Dr. Martin Flesch.

Und dieser Dialog trifft, berührt, bewegt. Historisch, biographisch, aktuell, persönlich – so wie jeder persönlich in diesen Dialog hineingehen mag, sagt Martin Flesch am Beginn. Oder wie dieser Dialog auf der Bühne, in diesem Gesamt-Kunstwerk aus Musik, Worten und minimalistischen Gesten einen jeden berührt, der sich berühren lässt. Keine Show mit Licht- und Farbeffekten, nur ein paar Bilder, eine Kerze, und sonst nur Worte und Klang – Harfe, Oboe, Cello, Monochord, Percussion, Gitarre, Stimme – intensiv, berührend, wie nie zuvor gehört.

Himmelwärts

Während die Zeitenstimmen unaufhörlich reden, anklagen, zweifeln…

Während die Zeitenstimmen unaufhörlich reden, anklagen, zweifeln, glauben, relativieren, verneinen und zeitweise dem Nihilismus verhaftet bleiben, stehen die Texte aus Himmelwärts für die existentielle Grundsicherung des Menschen aus einem unerschütterlichen und der Vorsehung verhafteten Glauben, welche die alltäglich einbrechende göttliche Transzendenz als eine unverbrüchliche -Realität wahrnimmt, die trägt, führt, schützt, birgt und letztlich erlöst. Und das mit allen Schattierungen und Zwischentönen. Die an Peter M. Behnckes „Golgotha-Gedichte“ aus dem Jahr 1985 angelehnten Zeitenstimmen sind nicht nur „böse verlorene Welt“; da schwingt Aggressivität und Verbitterung mit, Verwundung, Enttäuschung und Wut, und das aus Sehnsucht, Liebe, Hoffen, die, ge- und zerschlagen, immer wieder aufblitzt. Und in der Stimme Pater Kentenichs, manchmal leise, manchmal mit Fragezeichen darin, schwingen die Wunden und Verwundungen mit, die lange im Hintergrund eingeblendet sind: Uneheliche Geburt, vaterlose Kindheit, Waisenhaus, unentrinnbare Einsamkeit, wahnsinnige Glaubenskämpfe, abgelehnt von seinen Vorgesetzten, verdächtigt, verraten…. Das ist die Geschichte des Josef Kentenich, das ist eine Geschichte mit tausend Namen, die draußen im Foyer in den Schicksalen von Migranten, in den Zeugnissen von Opfern geistlichen Missbrauchs in Büchern geschrieben steht und in Seelen, das ist Haile aus Eritrea und Mirko aus Kasachstan und Leandra aus dem Kinderheim nebenan.

Und das Schlagzeug schlägt hart zu.

Fast nicht auszuhalten in dieser Intensität. Doch davor steht dieses Lied von der Würde des Menschen.

Himmelwärts

Es gibt eine Würde in uns

Es gibt eine Würde in uns,
die gleich einem Lied in dir singt.
Nur durch deine Sehnsucht entdeckt,
die doch nur der Klang in dir weckt.

Ein Lied, ein Leitmotiv, unbeschreiblich ausdrucksstark in den Saal hineingesungen von Susanne Scherer. Wenn die Stimme Josef Kentenichs in seinen in Dachau verfassten Gebeten sagt: „Lass allezeit an uns geschehen, was du hast für uns vorgesehen…“, dann geht das glaubwürdig nur getragen vom Klang dieses Liedes von der Würde in uns.

„Die Himmelwärts-Gebete sind das Ergebnis von Geschichte und einer Geschichte­ der Geschichte des Menschen mit Gott und die Geschichte Josef Kentenichs mit Gott-Vater; sie sind daher kein Selbstzweck, sondern stehen in einem Kontext, der sein eigenes Leben prägte, das Leben der Menschen im Lager in Dachau- aber auch unser Leben heute.

Die Entstehungsgeschichte der Himmelwarts-Gebete zeigt uns, dass es immer eine Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu treffen, die unser Leben tiefgreifend verändern könnten, weil sie sich ganz konkret auf Jesus Christus und gegen Hass- und Kriegsgewalten, aber auch gegen die Maskeraden der aktuellen Zeit ausrichten.

Die Entscheidung Josef Kentenichs sieht in Dachau dem Grauen ins Gesicht. Sie sucht Christus und findet im Lager das Antlitz der Verzweiflung, der Lebensverneinung, der Ironie, des Spottes und des Hohns, letztlich aber hat Christus den längeren Atem“, so Martin Flesch.

„Auch wir, wir Menschen der Gegenwart, die ja die Zeitenstimmen erst prägen, haben täglich neu die Möglichkeit, die Spiritualität des Augenblicks zu nutzen, täglich neu mutige Entscheidungen zu treffen. Auch unsere Zeit ist randvoll van Lagerbildungen, Abhängigkeiten, Zynismus, dualistischen Grabenkämpfen und Unmenschlichkeit; wir erfahren ein Zeitalter des Narzissmus.“

Doch es gibt eine Würde in uns… das Lied vom wahren Selbst, von dem in uns allen wirkenden göttlichen Kern, unzerstörbar. Es gibt eine Würde ins uns… eine Würde, die durch Einsamkeit hindurchträgt in dieses den „Prolog“ schließende Lied, das in der Schule Pater Kentenichs so viele vielleicht täglich beten: Was ich trage und ertrage… schenk ich dir als Liebesgabe…

Haben wir das schon einmal begleitet von Harfe, Cello und Oboe gebetet?

Himmelwärts

Du lässt mich ja nie allein

Aufbruch, Widerspruch, Durchbruch – fast atemlos bewegt das Oratorium in diesen drei Teilen durch Geschichte und Biographie (nicht nur) von Josef Kentenich. Wo Menschen die Erde zum Himmel erklärten und eine Hölle daraus machten – schenkst du, Gott, mir Licht, gibst mir Kraft, formst mich ganz nach deinem Bild…

Und dein Heiligtum, so das Lied, ist unser Nazareth, in dem die Christussonne wärmend steht. Das klingt so ungemein schön. Und fordernd: Lass, Mutter, Christus heller in uns scheinen… Nicht für uns, für diese halbdunkle Welt.

Diese Stimme von „Himmelwärts“ ist nicht nur sanft und lieblich. In die „Stille, in der nichts geschieht“, schlägt das „Gotteswort“, wie ein „Hammer, der zerschlägt“, wie ein „Schwert“. Und als Antwort auf die „milden Schläge, die erst nach Jahren wehtun“ geht es nicht zur Erholung, sondern „bringen wir es“, das Gotteswort, „froh der Welt“.

Fast verstörend auf dem Hintergrund der Bombardierung ziviler Ziele in der Ukraine genau in dieser Stunde die „Zeitenstimme“ von der weißen Taube Friede, die sich auf dem Dach des 21. Jahrhunderts niederlässt… wo doch kein Friede ist. „In schweren Nöten hast du mein Beten … erhört; hast all die Meinen, die sich dir einen… geführt. Und voll Vertrauen… Er wird mich leiten durch Dunkelheiten…“ Auch mitten in der Angst des Menschen vor dem Menschen, der für Macht und Besitz über Leichen geht…Mitten in den Verwundungen an Seele und Glauben. „Wir wollen selbstlos deinem Werke dienen…“. Jetzt, genau jetzt.

Kommt das Wort „himmelwärts“ im Himmelwärts vor?

Kommt das Wort „himmelwärts“ im Himmelwärts vor? Ja. Aber so wie an diesem Nachmittag im österlichen Epilog des Oratoriums habe ich das noch nie gehört.

Welt und Menschenherz wollen himmelwärts wir in allen Weisen mit zum Vater reißen…

Und die Zeit wird still. Spricht die Worte aus Himmelwärts nach, zögernd, leise, bestimmt. Christus hat den längeren Atem. Welt und Menschenherz wollen himmelwärts wir in allen Weisen mit zum Vater reißen… Wirklich reißen.

Es dauert mehr als die am Anfang von Martin Flesch erbetenen wenigen Sekunden, bis der Applaus einsetzt.

Himmelwärts

Rosen

Am Schluss stehen Rosen für die Instrumentalisten, die Sängerin, die Sprecher, die Technik, die Unterstützer bei Werbung und Public Relation. Steht der Dank von Prof. Söder vom Josef-Kentenich-Institut, zu dessen 50jährigem Bestehen das Oratorium entstanden ist.

Ein Wort von Martin Flesch aus der Einleitung klingt nach: „Wir hören heute allen Ecken und Enden die Frage: Wie soll die Zukunft der Kirche aussehen?

Sollten wir da nicht eher die Frage diskutieren, wie soll eigentlich der Mensch de Zukunft aussehen, der Kirche prägt und in ihr Heimat sucht?

Eher devot, aufopferungsvoll bis zur Selbstverleugnung, verhärtet und nach einem unerfüllbaren Ideal strebend, dabei jedoch instabil, leer und depressiv- oder aber eher introspektiv, selbstverantwortet, empathisch, barmherzig und verwundbar, jedoch hoffnungsgetragen? Die Zeitenstimmen zeigen dabei leicht auf, wie schwer es ist bleibt, den jesuanischen Weg in aller Konsequenz zu gehen.“

Schwer. Brutal schwer wie die harten Schläge der Percussion. Aber dahinein klingen die Harfen-, Oboen- Monochord-, Gitarren- und Cellotöne und das Lied vom wahren Selbst. Es gibt eine Würde in uns…

Welt und Menschenherz wollen himmelwärts wir in allen Weisen mit zum Vater reißen.

Himmelwärts

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