Kontaktlinse

Veröffentlicht am 2024-04-18 In Kentenich

Die Kontaktlinsen und der Oberhausen-Moment

DEUTSCHLAND, P. Elmar Busse •

Am 12. April 2024 waren es 130 Jahre her, dass die junge Alleinerziehende Katharina Kentenich ihren achtjährigen Josef ins Waisenhaus nach Oberhausen bringen musste; das familiäre Netz, das sie und ihr Kind bis dahin gehalten hatte, war überlastet. Katharina arbeitete als Haushaltshilfe in Köln und konnte ihr Kind nicht dorthin mitnehmen. Pfarrer Sawels vermittelte die Aufnahme Josefs in das Waisenhaus der Arenberger Dominikanerinnen in Oberhausen. Katharina Kentenich war sich bewusst, dass dies ein traumatischer Schritt für ihren Sohn war. In mütterlicher Sorge weihte sie ihn der Gottesmutter, indem sie ihre Kommunionkette an die Marienstatue in der Kapelle des Vincenzhauses hängte. In diesem Haus verbrachte Josef Kentenich fünf Jahre, bis er nach Ehrenbreitstein ins Internat der Pallottiner umzog. —

Am 12. April sprach Pater Elmar Busse bei einer Gedenkveranstaltung in Oberhausen zu diesem Ereignis und seiner nachhaltigen Bedeutung. Wir geben seine Ansprache in leicht gekürzter Form wieder.

Vom Selbstexperiment zum Angebot für viele

Der 1913 in Kiel geborene Heinrich Wöhlk war stark weitsichtig. Mehr als acht Dioptrien hatten die dicken Gläser seiner Brille. Sie war aber nicht nur dick, sondern auch sehr schwer, denn in den 1920er Jahren gab es noch keine leichten Kunststoffgläser. Aber nicht nur deshalb hasste er sie: „Schon als Zehnjähriger trug ich eine dicke Nickelbrille, die sehr hässlich war“, erinnerte er sich einmal. Später, im Berufsleben, hätten sich seine Werte weiter verschlechtert, so dass die Brille noch dicker „und immer hässlicher“ geworden sei. Ohne Sehhilfe konnte Wöhlk aber vor allem Gegenstände in der Nähe nur verschwommen wahrnehmen – Schwimmen und andere Sportarten waren für ihn schon als Kind nur schwer möglich. Als gelernter Feinmechaniker tüftelte er zu Hause. Zwar gab es schon in den 30er Jahren Linsen, aber nach wenigen Minuten taten die Augen so weh, dass die Linsen wieder herausgenommen werden mussten. Außerdem gab es damals noch keine berührungslose, exakte Vermessung der Augenoberfläche. Wie konnte man also die Linsenform der exakten Augenform anpassen? Heinrich Wöhlk hatte eine Idee: Er rollte hauchdünne Wachsplättchen aus und legte sie auf den Augapfel. Dann erwärmte er die Augen mit einer Wärmelampe, das Wachs wurde weich und passte sich der Augenform an. Um es schnell aushärten zu lassen, tauchte er seinen Kopf sofort in eiskaltes Wasser. Die Wachsplättchen wurden sofort hart und er hatte einen Abdruck. Allerdings zerbrachen sie beim Herausnehmen oft, so dass Wöhlk die mühsame Prozedur mehrmals wiederholen musste, um brauchbare Modelle zu erhalten. Schließlich hatte er gute Abdrücke und stellte seine ersten eigenen Kontaktlinsen her, die allerdings noch genauso aussahen wie die bis dahin bekannten.

Wöhlk verwendete für seine Kontaktlinsen Plexiglas. Seine Linsen waren zwar besser als die bisherigen, aber auch sie konnten nicht lange auf dem Auge getragen werden. Um dieses Problem zu lösen, kam Heinrich Wöhlk 1946 auf die Idee, den mittleren Teil, der auf der Iris sitzt, herauszuschneiden. Denn nur dieser Teil war notwendig, um das Sehen zu verbessern. Aber würde eine so viel kleinere Linse auf dem Auge halten? Wöhlk schliff die Ränder dieser kleinen Linse sorgfältig ab, rundete sie ab, setzte sie ins Auge und wusste sofort: Das war die entscheidende Idee. Diese Linse mit einem Durchmesser von nur zwölf Millimetern konnte er stundenlang tragen und gut sehen. Klein, wie sie war, bewegte sie sich frei mit der Tränenflüssigkeit auf dem Auge, und das Auge wurde gut mit Sauerstoff versorgt.

Mehr als zehn Jahre hatte Heinrich Wöhlk an dieser Erfindung gearbeitet und getüftelt. Endlich konnte er zum Beispiel Sport treiben wie jeder andere auch. 1949 eröffnete er in Kiel sein erstes Geschäft. 1974 brachte er die erste weiche Kontaktlinse auf den Markt.

Was der 12. April 1894 für Joseph Kentenich bedeutete

Kapelle am Vinzenhaus in Oberhausen

Kapelle am Vinzenhaus in Oberhausen – Quelle: Wikimedia, Foto: Edgar El

Die Geschichte von Heinrich Wöhlk kann uns verdeutlichen, was der 12. April 1894 für das weitere Leben des damals achteinhalbjährigen Joseph Kentenich bedeutete.

Die große Familie konnte Mutter und Kind nicht mehr ernähren; die Mutter – eine ungelernte Frau – musste sich in Köln eine Arbeit als Hausgehilfin suchen.

Ihr geistlicher Begleiter, Pfarrer Sawels, vermittelte die Aufnahme Josephs in das Waisenhaus der Arenberger Dominikanerinnen in Oberhausen.

Über diesen dramatischen Tag hat Pater Kentenich nie in der Ich-Form gesprochen; erst nach seinem Tod wurde die von ihm immer wieder verwendete Anekdote als versteckte Selbstaussage entschlüsselt. Lassen wir den O-Ton auf uns wirken:

Vor mehreren Jahren sah ich in einer Waisenhauskapelle eine Muttergottesstatue mit einer vergoldeten Kette und einem Kreuz um den Hals. Kette und Kreuz war das Kommunionandenken einer Mutter, die infolge widriger Familienverhältnisse gezwungen war, ihr einziges Kind im Waisenhause unterzubringen. Sie selbst konnte ihrem Kinde nicht mehr Mutter sein Was soll sie nun in ihrer Herzensangst und Besorgnis tun? Sie geht hin, nimmt ihr einziges wertvolles Andenken aus der Kinderzeit – ihr Kommunionandenken – und hängt es der Muttergottes um den Hals mit der inständigen Bitte: Erziehe du mein Kind! Sei du ihm ganz Mutter! Erfülle du für mich die Mutterpflichten! Heute ist dieses Kind ein eifriger Priester und wirkt segensreich zur Ehre Gottes und seiner himmlischen Mutter.“
[Vortrag vom 3.5.1914 in: F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens, S.184]

Da darf ich Ihnen zunächst einmal sagen: Sie hat mich persönlich geformt und gestaltet von meinem 9. Lebensjahre an. Ich mag das sonst nicht gerne sagen, aber ich glaube, hier im Zusammenhang darf ich das flüchtig erklären. Wenn ich zurückschaue, darf ich sagen, ich kenne keinen Menschen, der einen tiefergehenden Einfluss auf meine Entwicklung ausgeübt hat. Millionen Menschen zerbrechen daran, wenn sie so auf sich selbst gestellt sind, wie ich das gewesen. Ich musste vollständig innerseelisch allein aufwachsen, weil eine Welt in mir geboren werden musste, die später weitergetragen und weitergeleitet werden sollte. Hätte meine Seele Fühlung gehabt mit der damaligen Kultur, wäre ich irgendeinmal persönlich gebunden gewesen, dann könnte ich heute nicht so ganz bestimmt sagen, dass meine Erziehung lediglich ein Werk der Gottesmutter war, ohne jeden tiefergehenden menschlichen Einfluss. Ich weiß, dass ich damit viel sage. – Aber Sie dürfen nicht glauben, das wären Phrasen, um irgendetwas Liebenswertes von der Gottesmutter zu erklären. Ich weiß aber auch, dass die Gottesmutter mir ihre fürbittende Allmacht und ihr mütterliches Herz in einzigartiger Weise zur Verfügung gestellt hat, das haben Sie ja auch erlebt und haben es historisch nachprüfen können: Von dem Moment, wie sie sich niedergelassen in diesem Heiligtum, da hat sie mir für das Werk, das ich schaffen durfte, ihre Macht und ihr mütterliches Herz zur Verfügung gestellt, und sie ist es, die mir Sie auch als Mitarbeiter geschenkt.“
[Predigt vom 11. August 1935]

In einem Kommentar zu der Studie von Pater Menningen aus dem Jahr 1955 schreibt er:

(Ich habe nicht das Recht), „meine eigene Seelengeschichte als ein persönliches Geheimnis zu betrachten und zu behandeln, sondern mir obliegt die Pflicht, sie als Gemeingut der Familie aufzufassen. Der Grund liegt darin, dass die ganze Familiengeschichte nachweisbar eine Erweiterung und Wiederholung der eigenen Seelengeschichte ist. Ich hoffe, rechtzeitig Gelegen­heit zu bekommen, diese Pflicht zu erfüllen.“

Und weiter:

Die Studie (vom Pater Menningen) erwähnt eine Marienweihe, „die in das Leben des Neunjährigen hineingriff und sich im Laufe der Jahre ausgewirkt haben soll. Ich möchte noch nicht den Schleier von diesem Ereignisse wegziehen. Wenn man es eine Marienweihe nennt, so muss man beifügen, es sei eine solche mit eigenartiger Prägung gewesen. Spätere Historiker werden leicht feststellen, dass tatsächlich darinnen das ganze Schönstattwerk bereits keimhaft grundgelegt worden ist.“

Schließlich noch ein dritter Abschnitt:

Als Typ des modernen Menschen durfte ich dessen geistige Not reichlich auskosten. Es ist die Not einer mechanistischen Geistigkeit, die die Idee vom Leben (Ideali­smus), die die Person vom personalen Gegenüber (Individualismus) und das Über­natürliche von der natürlichen Ordnung trennt (Supernaturalismus). Die Seele wurde während dieser Jahre einigermaßen in Gleichgewicht gehalten durch eine persön­liche, tiefe Marienliebe. Die während dieser Zeit gemachten erlebnismäßigen Erfah­rungen ließen mich später die Sätze formulieren: Die Gottesmutter ist schlechthin der Schnittpunkt zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Natur und Übernatur… Sie ist die Waage der Welt. Will heißen, sie hält durch ihr Sein und ihre Sendung die Welt im Gleichgewicht.

In dieser Selbsteinschätzung Pater Kentenichs über die Marienweihe des fast Neunjährigen haben wir die Legitimation für unser heutiges Zusammensein.

Vom „Sicherheitsabstand“ zur geistig-seelischen Nähe

Schauen wir nach diesem Gedankengang in die Apostelgeschichte.

Dort haben wir vom Rat des Gamaliel gehört:

„Darum rate ich euch jetzt: Lasst ab von diesen Menschen und gebt sie frei; denn wenn dieser Plan oder dieses Werk von Menschen ist, so wird es vernichtet werden; wenn es aber von Gott ist, so könnt ihr es nicht vernichten, sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen“(Apg 5,28f).

Wir können in der Verzweiflungstat und im Vertrauensakt der Mutter Kentenich und im Mittun ihres Sohnes ein Wirken Gottes sehen. Aus dieser eigenen Erfahrung erklärt sich auch die Sicherheit, mit der der spätere Pater Kentenich das Liebesbündnis mit der voll erlösten und ganz heilen Maria gegenüber kirchlichen Verantwortungsträgern verteidigte. Es ist Kentenichs ureigenste Erfahrung. Aus dem einsamen Kind und Jugendlichen, der keine Nähe anbieten und annehmen konnte – man denke nur an das Foto mit seiner Mutter, auf dem er nicht neben ihr saß, sondern einen „Sicherheitsabstand“ hielt -, wurde der Seelsorger, der ein überdurchschnittliches Maß an Einfühlungsvermögen aufbrachte, so dass eine seelisch-geistige Nähe entstand, die er 1935 so beschrieb:

„Ich weiß nicht, ob es in der Gegenwart noch eine zweite Gemeinschaft gibt, deren Hauptträger in ihrem Schicksal so unmittelbar verknüpft sind mit dem Schicksal des Leiters der Familie, wie die unsere. Und was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht trennen… Können Sie darum verstehen, dass ich all das, was Sie heute als Dankeshymnen hinausgesungen, vor allem von einer schlichten Treue, dass ich all Ihre Worte mit einer inneren Rührung annehme, sie aber zurückleite an die Adresse, für die sie von Anfang an bestimmt waren; ich denke dann an sie, an unsere liebe Dreimal Wunderbare Mutter.“

Was wir in den kirchlichen Transformationsprozess einbringen können

Heinrich Wöhlk hat das Leiden an seiner extremen Weitsichtigkeit kreativ werden und durch schmerzliche Selbsterfahrung eine Lösung finden lassen, die vielen Brillenträgern zugute kam.

Pater Kentenich hat in der Erfahrung, dass die Gottesmutter ihn von seiner Kontaktarmut und Einsamkeit befreit und geheilt hat, eine Lösung gefunden, die er dann vielen anbieten konnte. Denn was er von 1904 bis 1910 als persönliches Problem in extremer Weise durchlitten hatte, damit war er später in der Seelsorge in vielfältiger Weise konfrontiert: Viele Menschen litten unter Kontaktarmut und Einsamkeit.

Wenn wir heute auf den 12.4.1894 zurückblicken, darf uns dankbares Staunen erfüllen. Was ist aus diesem schmerzlichen und dramatischen Moment geworden!

Zugleich wird uns neu bewusst, was wir als Botschaft und Angebot in den gegenwärtigen Transformationsprozess unserer Kirche einzubringen haben.

Die Beziehungsfähigkeit des Menschen auf der zwischenmenschlichen Ebene zu fördern, damit die Menschen wieder mehr fähig werden, eine lebendige Beziehung zum unsichtbaren Gott zu entwickeln und zu pflegen.

Bei Beerdigungen von Schönstättern ist immer wieder zu beobachten, dass viele Menschen ihnen die letzte Ehre erweisen. Wir können das als ein Indiz dafür nehmen, dass das typische Schönstatt-Charisma, in den Beziehungsreichtum zu investieren, also seelisch-geistige Nähe anzunehmen und anzubieten, nicht nur eine Absichtserklärung oder ein Appell an die Verantwortlichen in der Kirche ist, sondern Wirklichkeit. Es ist möglich!

Vom 12.4.1894 ging ein Dominoeffekt aus – weltweit. Aus dem Selbstversuch und der später reflektierten Erfahrung des kleinen Josef wurde ein Angebot für viele.

Was ist mein Oberhausen-Moment?

Schlagworte: , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert