Stumme Schreie

Veröffentlicht am 2022-09-18 In Kirche - Franziskus - Bewegungen, Projekte

Zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge: „Stumme Schreie“

DEUTSCHLAND, Maria Fischer •

“Die Stimmen von Geflüchteten sollen sprechen, und nichts sonst, begleitet von den Klängen der Harfe. Geflüchtete erfahren nicht nur in ihrem Herkunftsland und auf ihrer Flucht Gewalt und Traumata, sie sind auch im Zielland erheblichen Belastungssituationen ausgesetzt, die psychische Erkrankungen auslösen.“ —

So heißt es im Veranstaltungsprogramm des Evangelischen Bildungszentrums Rudolf-Alexander-Schröder-Haus in Würzburg zur Autorenlesung eines Buches von Dr. Martin Flesch, und weiter:

„Namenloses Leid und „stumme“ Schreie begegnen uns vielfach in Statistiken und Berichtsstilen aus einer weit entfernten Vogelperspektive. In dem Augenblick jedoch, indem diese Leidensgeschichten, Verletzungen, Kämpfe, persönlichen Niederlagen und Bewältigungsversuche eine Stimme und ein Gesicht erhalten, werden sie für uns alle erfahrbar, appellieren an unsere Empathie.“

Genau um diesen Perspektivenwechsel geht es Dr. Martin Flesch mit seinem bereits im September 2021 erschienenen Buch „Stumme Schreie: Seelische Leiden durch Migration. Plädoyer eines Psychiaters“, dessen Lektüre zum kommenden Welttag der Migranten und Flüchtlinge nur empfohlen werden kann – allen Menschen guten Willens, aber besonders Menschen, die Migranten und Flüchtlinge begleiten, als Arbeitskollegen, Nachbarn, Patienten … haben.

Ursachen und Hintergründe der existenziellen Notsituationen der Geflüchteten

CoverWeltweit 80 Millionen Geflüchtete und Migrationssuchende stellen uns nicht nur vor die Bewältigung einer gewaltigen strukturellen Aufgabe. Sie sind auch Nährboden für die Entstehung von seelischen Leiden mit schweren Verlaufsformen bei den Geflüchteten, basierend auf ihren traumatischen Erfahrungen, die sie nicht zuletzt auch im Zielland erleiden. Mit viel Empathie für die Betroffenen analysiert Martin Flesch die Ursachen und Hintergründe der existenziellen Notsituationen der Geflüchteten. Er berichtet von seinen eigenen Erfahrungen im Rahmen seiner mehrjährigen psychiatrischen Versorgung, Behandlung und psychiatrischen Begutachtung von Migranten. Dabei schlägt er auch immer wieder Brücken zu christlich-religiösen und philosophischen Bezugspunkten der Migrationsproblematik. Aus diesen Erfahrungen heraus fordert er eine alternative und dem jeweiligen Einzelfall gerechter werdende Asylpolitik- vor allem aber verleiht er dem Phänomen des Seelischen Leidens bei Geflüchteten eine konkrete Stimme. Eine Konfrontation mit den vielen Facetten seelischen Leidens vor, während und nach einer Flucht.

Stumme Schreie: Abbas, Abdi, Sandin, Waziri…

Martin Flesch widmet sein Buch Dr. Rupert Neudeck (Gründer des Komitee Cap Anamur), dem Missionsärztlichen Institut Würzburg, „Ärzte ohne Grenzen“… und mehr als einem Dutzend von Migranten und Flüchtlingen, von Abbas aus Syrien bis Waziri aus Kamerun. Und so bekommen jene Migranten und Flüchtlinge, die wir aus den Nachrichten nur als „Ströme“ und Probleme kennen, Namen, Herkunft und Geschichte. Und die tut weh.

„In den letzten sechs Jahren habe ich als Psychiater in der akutpsychiatrischen Sprechstunde über 500 Migranten aus über Herkunftsstaaten zugehört.

Viele sind posttraumatisiert, das heißt, sie haben au einer oder mehreren Wegstreckenihrer Fluchtrouten oder aber im Zielland Belastungen von katastrophenartigem Ausmaß erfahren. Viele haben nicht nur ein Trauma, sondern gleich mehrere Traumatisierungen.

Da sind beispielsweise Ahmad aus Afghanistan, dem die Taliban mit einer Tellermine den rechten Unterschenkel abrissen, Abdul aus dem Irak, der Folterspuren aufweist, Ibrima aus Somalia, die mehrfach vergewaltigt wurde, Yussuf aus Syrien, der im Gefängnis gefoltert wurde, Amadou aus dem Iran, der drei Jahre in Isolationshaft saß, Alik aus der Ukraine, der seine Angehörigen im Ukrainekrieg verlor, Amen aus Armenien, der auch in Folterhaft war, Eymag aus Nigeria, der in Libyen gefoltert und versklavt wurde, Abdulmonir aus Afghanistan, dem eine Extremität abgetrennt wurde, und auch Maryan, Marusya, Natali und Hrachia, die es in einem Schlauchboot über das Mittelmeer schafften, deren Angehörige jedoch dabei ertranken…

Stellvertretend für viele ähnliche Schicksale…, wie auch die vielen Kriegswaisen, Kindersoldaten und Missbrauchsopfer.

Ihre Geschichten werden hier sprechen.

Nichts sonst.“

„Um eure Gesichter zu sehen und euch in die Augen zu schauen“

Und sie sprechen, sie verstören, sie tun weh. Und wie immer, wenn wir Geschichten erzählen statt zu theoretisieren, tauchen aus der Tiefe der Erinnerung eigene Geschichten auf… der unbegleitete minderjährige Flüchtling aus Eritrea im Kinderheim, der mit so viel Liebe aufgenommen wurde und immer wieder weg und seine Familie finden wollte, der so leicht zu irritierende Kollege, und ja, die eigenen Großeltern, die eigene Mutter und ihre Geschwister, die Dinge erlebt haben wie die, von denen diese Flüchtlinge erzählen.

Nein, das ist kein Buch für einen entspannten Abend bei einem Gläschen Wein. Das ist ein Buch, das in die Seele fällt.

Bei seinem Besuch bei Flüchtlingen in Lesbos sagte Papst Franziskus: «Ich bin hier, um eure Gesichter zu sehen und euch in die Augen zu schauen. Es sind Augen voller Angst und Erwartung, Augen, die Gewalt und Armut gesehen haben, Augen, gerötet von zu vielen Tränen.» Und deshalb nahm er gleich 50 Flüchtlinge mit nach Rom.

Das Buch von Martin würde ihm gefallen.

Auch, weil der Erlös zu 100% Ärzte ohne Grenzen und dem Missionsärztlichen Institut Würzburg zugutekommen.


Dr. med. Martin Flesch, Mitglied der Schönstatt-Bewegung, ist selbstständiger Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Forensische Psychiatrie in eigener Gutachterpraxis. 2014 gliederte er eine Sozialpsychiatrische Migrationsambulanz seinen Praxisräumen an. Er beschäftigt sich ebenfalls intensiv mit den Folgen von Macht- und Gewissensmissbrauch in verschiedenen Realitäten der Kirche, unter anderem Ordensgemeinschaften und Bewegungen. Dazu ist in diesen Tagen sein Buch: Die Betroffenen: Seelische Leidensräume in der Katholischen Kirche erschienen.

CoverHerausgeber ‏ : ‎ Echter; 1. Edition (6. September 2021)
Taschenbuch ‏ : ‎ 192 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3429056632
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3429056636
In jeder Buchhandlung oder online hier, auch als E-Book

 

 

Welttag der Migranten und Flüchtlinge

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