Veröffentlicht am 2020-07-27 In Kentenich, Kolumne - Ignacio Serrano del Pozo

In dieser Stunde der Bilanz: geeint in Wahrheit und Liebe

Ignacio Serrano del Pozo, Chile •

Es ist noch nicht einmal einen Monat her, dass der umstrittene Artikel erschienen ist, in dem die Historikerin und Theologin Alexandra von Teuffenbach vermeldete, in den vatikanischen Archiven Dokumente gefunden zu haben, die die moralische Integrität Pater Josef Kentenichs kompromittieren. Vielen von uns ist diese Zeit jedoch wie ein volles Jahr, wenn nicht noch mehr, erschienen, gekennzeichnet durch emotionale Erschöpfung und intensive Diskussionen. Wir könnten sogar zugeben, dass wir noch nie so schnell so viele Studien, Dokumente oder Briefe von oder gegen Kentenich gelesen und mit so viel Interesse über den Inhalt bestimmter historischer Episoden nachgedacht hatten, die bis vor kurzem wie Museumsstücke erschienen: die Apostolische Visitation von Stein & Tromp, das Exil in Milwaukee und die Rehabilitierung, die unser Gründer von den römischen Behörden erhalten hat. —     

Nun müssen wir erkennen, dass die von Teuffenbach-Episode neben diesem Aufruhrgefühl auch unsere Schwachstellen als Schönstattfamilie offenbart hat. Es scheint, dass dies gewöhnlich in Krisenzeiten geschieht, dass angesichts der Destabilisierung das Schlimmste zum Vorschein kommt. Ich möchte bei drei dieser Aspekte ansetzen, die behoben werden sollten, gerade im Hinblick auf die Annahme, dass sie eine Last darstellen, die es zu transformieren gilt und so ein Wachstumsfaktor werden können.

Mangelnde Vorbereitung auf eine Prüfung von außen

Erstens glaube ich, dass diese Krise der Anschuldigungen uns gezeigt hat, dass wir nicht auf eine Überprüfung von außen oder auf Forderungen nach transparenter Information vorbereitet waren. Obwohl wir zu Beginn darauf hingewiesen haben, dass alle Dokumente im Rahmen des Seligsprechungsprozesses Pater Kentenichs hinterlegt wurden und dass man deshalb dafür das nihil obstat erhalten hatte, erscheint die Angelegenheit heute komplexer, nicht nur, weil es im Vatikan eine große Menge an bisher unbekannter Dokumentation gibt, sondern – was noch wichtiger ist – weil wir erkannt haben, dass wir in der Bewegung nur fragmentarische Studien zur Geschichte Schönstatts haben, und dass wir keine Art vollständiges Verzeichnis der Werke Kentenichs haben, weder auf Papier noch in digitaler Form.

Die enormen Anstrengungen von Forschern wie Sr. Herta Schlosser, P. Paul Vautier oder kürzlich P. Heinrich Hug, die Texte Pater Kentenichs zu redigieren, haben darin bestanden, Manuskripte für den internen Gebrauch zu erstellen, die für die meisten Schönstätter unzugänglich waren, so dass wir nur wenige veröffentlichte Bücher und einige wenige Textsammlungen mit einführenden Studien für den allgemeinen Gebrauch haben, wie den Kentenich-Reader oder Durchblick in Texten von Herbert King.

Wenn dann noch dazu kommt, dass ein guter Teil der Informationen, mit denen viele von uns umgehen, auch nicht auf  dem Studium dieser Schriften beruht –  sondern eher auf dem, was wir im letzten Vortrag der Marienschwester gehört haben, die den Vater und Gründer gekannt hat, oder auf den Vortrag des Standesleiters, der sich die Mühe gemacht hatte, ein wenig mehr zu studieren, um nicht zu sagen, auf dem, was wir in der getextmarkerten Fotokopie eines alten Einführungshandbuchs gelesen haben -, dann wird die Frage der Fehlinformation mehr als gravierend. In schulischer Hinsicht könnten wir sagen, dass es uns in diesem Test, den von Teuffenbach uns gegeben hat, an Material und an Lernen fehlte. So ist es weder möglich, den Vater und Gründer zu verteidigen, noch können wir seine Botschaft bezeugen. Wenn wir bedenken, dass schon die ersten Christen beschlossen, das Ereignis der Ankunft Jesu Christi schriftlich festzuhalten, „nachdem ich allem von Beginn an sorgfältig nachgegangen bin“, wie Lukas sagt (Lk 1,3).

Die Akzentuierung einer epischen Geschichte aus Schönstatt

Zweitens hat uns das, was wir erlebt haben, gezeigt, dass Schönstatt immer noch unter dem Gewicht des „Exils“ oder einem bestimmten Exilanten-Syndrom leidet. Aus Gründen, die nicht relevant sind, lebte ich meine Kindheit weit weg von Chile. In dieser Atmosphäre konnte man bei den „Exilanten“ zwei interessante Phänomene beobachten: die Idealisierung des verlassenen Landes in einer Geschichte, die mehr mythisch als wahr ist, und ein übervorsichtiges Sich-Bewegen, damit die Wurzeln und die Vergangenheit nicht entdeckt werden… Die 14 Jahre des Exils, die der Gründer durchlebt hat, haben uns dazu geführt, mehr rückwärts als vorwärts zu blicken, und sie haben uns dazu gedrängt, dies mit dem epischen Tonfall eines Opfers zu tun, dessen Entwicklung in einem fremden Land gebremst wurde. Es ist etwas Ähnliches wie die Klage des hebräischen Volkes, das in Babylon gefangen gehalten wird.

Das ist wichtig zu bedenken, denn ich glaube, dass die Anschuldigungen von Alexandra von Teuffenbach nicht eine Art Verschleierung oder Täuschung seitens der Schönstatt-Patres oder der Marienschwestern ans Licht gebracht haben, wie manche meinen. Das wäre eine absichtliche Vertuschung, von der zumindest ich nicht glauben kann, dass es sie gegeben hat oder gibt.

Andererseits haben ihre Anschuldigungen gezeigt, dass in Schönstatt lange Zeit die epische Geschichte, die sich auf die von Josef Kentenich erlebten Ungerechtigkeiten bezieht, bevorzugt wurde, statt unbequeme und undurchsichtige Wahrheiten zu kennen. So setzte sich bei der Rekonstruktion der Vergangenheit der Kampf eines prophetischen Mannes, der sich dem Unverständnis der vorkonziliaren Kirche stellen musste, stärker durch als die Anklage einer Gruppe von Frauen gegen den Führungsstil des Gründers oder der Inhalt eines vom Heiligen Offizium unterzeichneten Verwaltungsdekrets. Deshalb schmerzt es uns so sehr, wenn jemand anfängt, auf weniger glanzvolle und menschlichere Aspekte unserer Geschichte hinzuweisen.

Misstrauen zwischen den Gemeinschaften

Drittens scheint mir, dass die jüngsten Ereignisse neben mangelnder Vorbereitung und einem Übermaß an Epik eine weitere Schwächen als Familie zu offenbaren begonnen haben, und zwar die vielleicht gravierendste: den Verdacht.

Und hier beziehe ich mich nicht auf die jüngsten Spannungen und Ressentiments zwischen der Gruppe der Radikalen, die einen Kreuzzug zur Rückeroberung von Kentenichs gutem Namen gestartet haben, und der Gruppe der Empörten, die völlige Transparenz egal um welchen Preis fordern.

Ich beziehe mich vielmehr auf den ebenso tiefliegenden wie deutlich wahrnehmbaren Mangel an Kommunikation und Vertrauen zwischen der Gemeinschaft der Marienschwestern und dem Institut der Schönstatt-Patres, zwischen denen, die zum Bund gehören, und denen, die die Institute bilden, zwischen einem elitären Schönstatt und einem einfachen Schönstatt oder zwischen dem deutschen und dem lateinamerikanischen Schönstatt, um vier Spannungen zu nennen, die wir nicht immer richtig zu lösen wussten.

Vielleicht ist es nur ein persönliches Gefühl, aber ich habe das Gefühl, dass alle diese Gruppen sich jetzt gegenseitig als mögliche Verantwortliche für das Geschehene ansehen und versuchen herauszufinden, warum von Teuffenbach uns als Bewegung so aus dem Gleichgewicht bringen konnte.

 

Mit Blick auf die Zukunft sollten wir uns jetzt fragen, welchen Weg wir einschlagen wollen, damit die Krise, die wir erleben, uns nicht zerstört, sondern uns als Schönstattwerk gestärkt daraus hervorgehen lässt. Im Einklang mit dem, was gesagt wurde, und indem ich die Stimmen von Schönstättern aus verschiedenen Kontexten und viel klarer als einer allein das sehen könnte, zusammenfasse, wage ich es, drei Wege vorzuschlagen, die beschritten werden könnten.

Koordination eines Dokumentations- und Studienzentrums über Kentenich

An erster Stelle etwas Praktisches: Es wäre gut, wenn das Genralpräsidium einen Prozess der Öffnung des gesamten Kentenich-Werkes koordinieren könnte. Es scheint mir, dass eine Art Dokumentations- und Studienzentrum über Josef Kentenich mit einer virtuellen Bibliothek, in der alle Gemeinschaften zusammenarbeiten, ein sehr willkommener Beitrag wäre. Hier konnten wir das komplette Werk des Vaters und Gründers in deutscher Sprache, also im Original, (später mit Übersetzungen in andere Sprachen) und mit Vorworten und Erläuterungen, die von einem multidisziplinären Team von Wissenschaftlern erstellt wurden, online abrufen. Auf diese Weise wüsste die ganze Familie, dass das Werk jedem zur Verfügung steht, der es konsultieren möchte. In dieser Richtung können wir nur die Öffnung des Archivs der Marienschwestern nach der Entscheidung ihrer Generaloberin feiern, sowie das Bemühen von Pater Juan Pablo Catoggio, als Vertreter des Generalpräsidiums Schönstatts, Schlüsseltexte mit ihren jeweiligen Einführungen herauszubringen.

Die Schwäche unserer Geschichte annehmen

Zweitens etwas Spirituelleres: Es scheint grundlegend zu sein, das ganze Hell-Dunkel der Biographie Pater Kentenichs anzunehmen, was viele wiederholt gefordert haben. Aber nicht nur seine ganze Geschichte, sondern auch die der ganzen Familie. Nichts ist gesünder, als unsere Schmach und unsere Grenzen anzunehmen. Jede Familiengeschichte hat Aspekte, auf die wir nicht stolz sind, und es gibt Namen, die wir gerne auslöschen würden, aber das kann und sollte nicht getan werden. Das ist unsere Geschichte, auf der Gott Großes aufgebaut hat, indem er sich der schwachen Schultern konkreter Männer und Frauen bedient, wo die Existenz eines jeden Einzelnen einen Sinn bekommt. Erinnern wir uns, dass sogar die Genealogie Jesu, auf die sich die Synoptiker beziehen, den Namen einer Prostituierten aus Jericho (Rahab) oder eines Polytheisten wie Terah, Abrahams Vater, enthält.

Einigkeit in Wahrheit und Liebe

Drittens, und vielleicht am wichtigsten, aber auch am schwierigsten ist, dass wir als Familie vereint bleiben müssen, ohne den Streitigkeiten und Intrigen Raum zu geben, die durch so viele Differenzen entstehen. Ich verstehe, dass es viel berechtigtes Misstrauen gibt,und manches davon ist der Vater und Gründer selbst schuld,  der jeder Gemeinschaft das Erstgeburtsrecht zugesprochen und gesagt hat, sie sein seine liebste oder wenn er könnte, würde er ihr angehört haben wollen…

In der gegenwärtigen Stunde müssen wir diese Phase überwinden, mit Gebet und Gnadenkapital; die Jahre sind vergangen, wir sind gewachsen, und jetzt braucht uns unser „gemeinsamer Vater“ vereint.

Er ist beschuldigt worden und benötigt die gemeinsame Unterstützung aller seiner geistlichen Söhne und Töchter. Im Übrigen war das seine priesterliche Bitte vor 110 Jahren: „Verleihe, o mein Gott, dass alle Geister in der Wahrheit und alle Herzen in der Liebe sich einigen.“

 

Ignacio Serrano del Pozo

25 . Juli 2020

Original: Spanisch, 26. 07.2020. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

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1 Responses

  1. Grandjean, Marianne sagt:

    Der Artikel gefällt mir sehr!
    Er zeigt unsere Schwachstellen – bei allem Respekt voreinander.
    Ich wünsche mir, dass wir gemäß dem Wunsch unseres H. P. Kentenichs es angehen: diesen Weg in der Spannung zwischen Wahrheit und Liebe. Nie aufgeben, nach Wahrheit zu streben – in voller Liebe zueinander.
    Unser Himmel!

    M. Grandjean

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