Veröffentlicht am 2020-07-20 In Kentenich, Kolumne - Cristián León

Die Realität ist immer komplex, veränderlich und widersprüchlich

Von  Cristián León, Chile •

In diesen Tagen haben wir als Ergebnis eines Artikels von und eines Interviews mit der Theologin und Forscherin Alexandra von Teuffenbach eine große Anzahl von Artikeln, Kommentaren und Meinungen in den digitalen Medien der Schönstatt-Bewegung gesehen, doch ich glaube, dass es notwendig ist, sie sorgfältig zu lesen und dabei die reflektierende und kritische Lektüre nicht aus den Augen zu verlieren, da wir aus Gewohnheit bei einigen der Argumente in einen „Präsentismus“ verfallen, das heißt, mit den heutigen Werten etwas beurteilen, was vor mehr als 70 Jahren geschehen ist. —

Der Paulusbrief an Epheser 5,23-25 ist ein Beispiel dafür: „Der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist (…). Die Ehefrau soll sich also in allem ihrem Mann unterordnen, wie die Kirche sich Christus unterordnet“. Aus heutiger Sicht würde Paulus verdammt werden. Ebenso müssen wir bei der Exegese, die wir über Pater Josef Kentenich machen, sehr vorsichtig sein, zumindest mit den verfügbaren Informationen.

„Liebe ohne Wahrheit täuscht, Wahrheit ohne Liebe verletzt.“
P. Joseph Kentenich

Es stimmt, dass Wahrheit wertvoll ist, aber sie wird nur erreicht, wenn wir uns kritisch mit dem heutigen Sinn und der Wertschätzung von vier Konzepten auseinandersetzen, die heute sehr en vogue sind: Transparenz, Präsentismus, Revisionismus und die Generationenfrage, die wir zu einer Norm der universellen Einhaltung und zu einem conditio sine qua non-Kriterium für die Beurteilung aller vergangenen Ereignisse erhoben haben. Daher ist es wichtig zu beachten, dass es notwendig ist, den Begriff des Paradigmas zu verstehen, d.h. eine Bedeutungsmatrix, eine Art und Weise, die Realität einer bestimmten historisch-kulturellen Periode zu verstehen. Zu verstehen, dass P. Joseph Kentenich in einem bestimmten Kontext mit konkreten Personen und unter einem bestimmten Problem etwas gesagt und getan hat, das heißt, mit einem Auslöser und einem Kontext. Daher ist es in mehreren Fällen sehr unwahrscheinlich, dass er heute dasselbe sagen würde. Wenn wir diese Punkte nicht kritisch analysieren, geraten wir in den bereits genannten Präsentismus, eine wahre Geißel und ein hermeneutischer Trugschluss.

Daher ist es auch notwendig zu verstehen, dass die Realität immer komplex, veränderlich und widersprüchlich ist. Wir sollten dies akzeptieren, wenn wir eine Antwort auf die Bedeutung der Verbundenheit der Bewegung mit der Gestalt Pater Kentenichs vorschlagen. Schauen wir diese drei Dimensionen der Realität an:

  1. Die Realität ist komplex

Wenn Schönstatt kein originäres Charisma einbringt, werden wir auf eine bloße Marienfrömmigkeit reduziert.
Es wird oft gesagt, dass wir Schönstätter eine ungesunde Verbundenheit mit der Gestalt des Gründers, Pater Kentenich, hätten. Das war in der Tat die Hauptkritik des bischöflichen Visitators, des damaligen Trierer Weihbischofs Bernhard Stein, als er seinen Bericht über Schönstatt verfasste: gut in seinen lehrmäßigen und asketischen Aspekten, aber schlecht in seinen pädagogischen Aspekten im Hinblick auf eine ungesunde Bindung der Schwestern an die Gestalt Pater Kentenichs. Alles hätte so stehen bleiben können, wenn Pater Kentenich das korrigiert hätte, und fertig. Aber er schrieb einen berühmten Brief, bekannt als Brief vom 31. Mai, in dem er dem Visitator zusammengefasst sagt: „Sie haben nicht verstanden, was Schönstatt ist“, die Bindung an die Zweitursachen (die Geschöpfe) ist zentral und nicht peripher oder marginal, d.h. die Bindung an die Gestalt Pater Kentenichs ist eine der entscheidenden Quellen der Bindung an Schönstatt. Tatsächlich ist es eine der drei Hauptquellen oder Kontaktstellen der Bindung an Schönstatt, als da sind die Gottesmutter, das Heiligtum und Pater Kentenich, aber all dies wird als Mittel verstanden, um zu einer tiefen Begegnung mit Gott, der das Ziel ist, zu gelangen. Wir sollten uns damit aber nicht irren, denn die Häresie bestünde darin, diese drei Berührungspunkte als Ziele und nicht als Wege oder Mittel zu verstehen.

In der Geschichte gibt es viele spezifische oder besondere Wege, sich dem göttlichen Phänomen oder Gott zu nähern. Dies wird Charisma genannt, und jede Spiritualität hat einen Gründer, der diese Spiritualität in exemplarischer Art und Weise verkörpert und deshalb ein Gründer ist. Die Benediktiner haben den heiligen Benedikt, die Franziskaner haben den heiligen Franziskus, die Dominikaner haben den heiligen Dominikus, die Pallottiner haben den heiligen Vinzenz Pallotti. Oftmals erklären die Namen dieser Bewegungen in sich selbst ihre Zugehörigkeit zum Gründer. Wir nennen uns selbst nicht die Kentenichianer.Manchmal stellen einige ein gewisses Übermaß in der Bindung der Schönstätter an Pater Kentenich fest, und das mag stimmen, aber es ist grundlegend in der Pädagogik der Schönstatt-Bindungen, dass diese Beziehung hergestellt wird, da Pater Kentenich das gesamte theoretische und praktische Substrat dessen, was unsere Spiritualität ist, beiträgt.
In diesem Sinne möchte ich das Recht auf unsere charismatische Existenz bekräftigen, über die wir Rechenschaft ablegen müssen. Unser Charisma ist grundlegend für das Wohl der Kirche. Wenn Schönstatt kein originäres Charisma einbringt, werden wir auf eine bloße Marienfrömmigkeit reduziert. Heute, im Jahr 2020, sollen die Menschen im Allgemeinen und der Priester im Besonderen Orte der Begegnung mit Gott sein.

Es ist auch wahr, dass nur wenige spirituelle Gründungen ohne die Heiligkeit ihres Gründers überleben. Es ist wie ein Garantiesiegel für die Heiligkeit ihrer Ziele und ihres Charismas. Wenn der Beitrag und das Wissen Pater Josef Kentenichs schwächer wird, verkümmert Schönstatt zu einer simplen Bewegung der Marienverehrung, und ich denke, es stimmt, dass sich in der Bewegung heute einiges in dieser Richtung entwickelt hat, und das kann in dem Maße zunehmen, als diejenigen sterben, die Pater Kentenich gekannt haben, und dann diejenigen, die noch die gekannt haben, die Pater Kentenich gekannt haben… Wenn Sie mich fragen, ist das schwächste Glied dieser drei Quellen oder Kontaktstellen heute gerade die Verbundenheit mit Pater Kentenich. Und das ist auch eine enorme Gefahr für die Erhaltung des spezifischen Charismas der Bewegung.

  1. Die Realität verändert sich

Deshalb ist es wichtig, bei der Lektüre des Textes von Pater Kentenich den Anlass und den Kontext zu verstehen, in dem er gesagt wurde. Das bedeutet, seine Schriften und Aussagen reflektiert und kritisch zu lesen.
Dies hat mit der prophetischen Berufung Pater Kentenichs zu tun. Wir haben oft den Fehler gemacht, die Botschaft Pater Kentenichs unkritisch, einseitig und aus dem Zusammenhang gerissen aufzunehmen. Das heißt, manchmal haben wir den Fehler gemacht, dass wir das, was er zu einer bestimmten Gemeinschaft oder Person und in einer bestimmten Situation gesagt hat, zu einer universell zu befolgenden Norm – wie Kant sagen würde – erhoben zu haben und diese eine konkrete Botschaft unseres Gründers kristallin, statisch und sogar dogmatisch zu machen, was den ursprünglichen Sinn der Botschaft verzerrt.

Das geht so weit, dass der Vater unter den heutigen Bedingungen wahrscheinlich einige andere Dinge oder auf eine andere Art und Weise sagen würde. Deshalb ist es wichtig, bei der Lektüre des Textes von Pater Kentenich den Anlass und den Kontext zu verstehen, in dem er gesagt wurde. Das bedeutet, seine Schriften und Aussagen reflektiert und kritisch zu lesen. Das heißt, es ist notwendig, immer wieder neu eine umfassende und gründliche Lektüre, eine Exegese oder Hermeneutik seiner Worte vorzunehmen. Und das ist der Schlüssel zur korrekten Bewahrung seines Vermächtnisses, was sehr viel ist. Wenn Pater Kentenich heilig gesprochen wird, ist es zudem sehr wahrscheinlich, dass er wegen seines Beitrags zu einer neuen Ekklesiologie auch zum Kirchenlehrer ernannt werden könnte. Das zwingt dazu, sich noch mehr um sein Erbe zu kümmern.

3. Die Realität ist widersprüchlich

Schönstatt hat in der Tat eine patrozentrische Spiritualität ist, was offensichtlich bedeutet, dass sie nicht auf Pater Kentenich ausgerichtet ist, sondern auf Gott, den Vater, und Pater Kentenich spricht unzählig oft über den Vater; wenn allerdings in Schönstatt über den Vater gesprochen wird, geht es manchmal um Pater Kentenich („der Vater“), oder Gottvater („der Vater“), was eine gewisse Verwirrung erzeugt, die im Deutschen und Spanischen nicht ganz parallel ist: padre und Padre, Pater und Vater, aber das ist schon eine semantische Auseinandersetzung. Das Hauptbuch der Spiritualität Schönstatts heißt „Himmelwärts“, wird in Spanisch aber „Vaterwärts“ betitelt („Hacia el Padre“), und das bezieht sich natürlich auf Gott Vater. Marienverehrung gibt es deshalb, weil Maria das vollkommene Modell der Nachfolge des Vaters und Christi für die Menschheit darstellt. Auch hier ist Maria als Zweitursache der Weg oder Pfad, dem man folgen sollte. Die Inkarnation in konkreten Personen (Zweitursachen) ist Matrix und Modell in der Schönstatt-Pädagogik.

Schließlich muss man sagen, dass P. Joseph Kentenich, wie er selbst erklärte, ein Metaphysiker war. Der Mensch braucht Schönheit und auch Symbolik. Es reicht nicht aus, über Metaphysik nachzudenken. Man will Metaphysik in sichtbaren Formen sehen und hören. Nun, das ist Symbolik, und Symbolik fällt mit Schönheit zusammen. Wenn eine Sache existiert, muss sie schön sein. Gott hat also den Menschen erschaffen. Und Er (Gott) war, metaphysisch gesprochen, verpflichtet, ihn schön zu erschaffen, denn Schönheit ist die Norm. Wenn ich etwas Schönes sehe, eine Landschaft oder eine schöne Musik höre oder eine schöne Person sehe, sehe ich das Prinzip. Dieses Prinzip der Inkarnation in der sichtbaren Welt ist der Schlüssel, um uns in die unsichtbare Welt zu projizieren. Deshalb muss das ganze Bemühen Pater Kentenichs, dass der neue Mensch, um vom Übernatürlichen durchdrungen zu werden, notwendigerweise in einer neuen, affektiven und effektiven Weise mit der Schöpfung verbunden sein muss. Und das beinhaltet Menschen in einer neuen Gemeinschaft und diese ganz besondere Art der organischen Bindung.

Es ist ein Zeichen der göttlichen Vorsehung, dass Maria am 31. Mai 2020 zur Königin der Mission gekrönt wurde, und dass dies alles einen Monat später hervorbrach.

 

Cristián León González, 16.07.2020

Cristián León (1969) gehört der Bewegung seit 1991 an. Derzeit ist er Mitglied des 2. Kurses des Männerbundes. Er hat einen Abschluss in Architektur und Ästhetik von der PUC und einen Master und Doktor in Kunstgeschichte von der UPO in Sevilla.


Offizielle Stellungnahmen: www.schoenstatt.com

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2 Responses

  1. Barth Hedwig sagt:

    Wir, eine Fam Gruppe der Liga in der Diöz. Rottenburg-Stgt. glauben, daß diese Anschuldigung jetzt gekommen sind, damit der Prozess wieder in Gang kommt und klare Aussagen auch von der Kirche kommen. Leider ist durch den Mißbrauch in der Kirche die Glaubwürdigkeit stark beeinträchtigt. Es wird schwierig werden und vielleicht geschieht hier das notwendige Wunder. Die Frage P. Kentenich an P. Menningen gilt nun uns allen: Gehst Du mit?
    Hedwig und Manfred Barth

  2. Marlies Fuchs sagt:

    die Gottesmutter wurde am 31. Mai 2020 zur Königin der Sendung gekrönt
    und am 2. Juli 2020 -Fest Mariä Heimsuchung- erschienen die Anschuldigungen…
    Das gibt mir sehr zu denken.

    Marlies Fuchs

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