Veröffentlicht am 2018-10-28 In Missbrauch

Zwischen Heiligsprechung und Missbrauchsskandal

Sexueller Missbrauch – und was nun? Elmar Busse, Schönstatt-Pater •

Die in mir aufsteigende Wut und Scham über Kollegen, die in Minuten etwas zerstört hatten, was ich in vielen Stunden über viele Jahre mit den Betroffenen nicht wieder zur Heilung führen konnte, die kenne ich seit 30 Jahren, nicht erst seit dem Fall Cox.“ –

P. Elmar BusseP. Elmar Busse, geboren 1951 in Heiligenstadt, 1980 zum Priester geweiht, Jugend- und Familienseelsorger und seit einigen Jahren Fachbereichsleiter Spiritualität in der Katharina Kasper Akademie der Armen Dienstmägde Jesu Christi in Dernbach. Er hat jahrelang mit Opfern von sexuellem Missbrauch gearbeitet. Ihm ist wie vielen das zeitliche Zusammentreffen der Laisierung eines bekannten Schönstatt-Paters und ehemaligen Bischofs aus der Gründergeneration Chiles aufgrund von Missbrauchsvorwürfen und der strahlenden Heiligsprechung von Menschen wie Oscar Romero, Paul VI. und Katharina Kasper in die Seele gefallen. Wir sprachen mit P. Elmar Busse im Rahmen unserer Redaktionsbeiträge zum Thema Missbrauch, das Schönstatt als und mit der Kirche hart trifft – auch wenn manche bis vor kurzem gemeint hatten, so etwas gebe es in Schönstatt nicht (siehe dazu unseren Beitrag Als Kirche, die wir sind, tragen auch wir die Gnade in zerbrechlichen Gefäßen“). Pater Busse antwortet auf die Frage: „Missbrauch und Laisierung von Francisco José Cox – was nun?“ in Denkanstößen.

Kontrapunkt-Kompositionen

Für den Komponisten Johann Sebastian Bach war die Kontrapunkt-Komposition das Stilgebot schlechthin. Melodien sollten gegeneinander laufen, aber am Ende immer in einer Harmonie enden. Parallel laufende Terzen waren verpönt – zumindest, was die Hauptstimmen betraf. Theoretisch und praktisch haben die Komponisten  Palestrina und Johann Joseph Fux viel zur Popularisierung dieses Kompositionsstils beigetragen. Wenn Gott mit und trotz der Freiheit des Menschen seine Heilsgeschichte komponiert, dann hat er scheinbar auch eine Vorliebe für den Kontrapunkt. Das zeitliche Zusammenfallen von der Laisierung des emeritierten Erzbischofs von La Serena und Schönstatt-Patres Franz Josef Cox am 13.Oktober und die Heiligsprechung der einzigen Deutschen in diesem Jahr, Katharina Kasper, am 14.Oktober sind die Extreme, die verdeutlichen, dass Kirche immer eine Gemeinschaft der Heiligen und der Sünder ist.

Die Kirchenlehrer verwendeten sogar noch einen drastischeren Ausdruck: „Heilige Hure“.

Wir können einerseits als Deutsche stolz sein auf Katharina Kasper. Sie gehört zu uns. Andererseits müssen wir uns als Patres schämen, denn Bischof Cox gehört zu uns.

Heiligsprechung: „Geprüfte Sicherheit“

Was bedeutet Heiligsprechung von Katharina Kasper für mich in dieser Zeit?

Ich nehme mir das Recht weiter auszuholen.

Für Menschen mit charismatischer Ausstrahlung ist es doppelt wichtig, die Ehrfurcht vor der Persönlichkeit und Freiheit des anderen zu pflegen, denn die Begeisterten schenken den charismatischen Führern ein Vertrauen und eine Hingabe, die sie gleichzeitig schutzlos macht.
Wenn Sie auf die Unter- oder Rückseite Ihrer Kaffeemaschine oder Mikrowelle blicken, dann finden Sie das GS-Siegel. Das GS-Zeichen ist ein nach deutschem Recht gesetzlich geregeltes Gütesiegel für „Geprüfte Sicherheit“. Dieses Prüfzeichen ist weltweit anerkannt. Als Hersteller zeigen Sie damit Ihren Kunden, dass Sie Ihr Produkt freiwillig einem Produkt- und Sicherheitstest durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle unterzogen haben. Viele Hersteller sind inzwischen vom GS- auf das CE-Siegel der EU umgestiegen, das noch umfassender auch die Sicherheit von Spielzeug, medizinischen Geräten und anderer Produkte zertifiziert.
Ein ähnliches Prüfsiegel ist die Heiligsprechung. Die römische „Qualitätssicherungsbehörde“ bestätigt: „Wenn du dich in der Nachfolge Christi an den Äußerungen und am Verhalten Katharina Kaspers orientierst, wird das nicht gefährlich für dich – ganz im Gegenteil: Du wirst angeregt ein besserer Mensch und Christ zu werden.“

Was so selbstverständlich klingt, ist es nicht. Denn auf dem Gebiet der Religion und Spiritualität  gibt es viele Scharlatane, Gurus und Verführer, denen es gelingt, begeisterte Anhänger hinter sich zu bringen mit teils verheerenden Folgen. Denken wir nur an die religiös motivierten Selbstmordattentäter, an die Aum-Sekte, deren Mitglieder am 20.März 1995 den Giftgasanschlag in der Tokioter U-Bahn verübten, oder an den kollektiven Selbstmord der Branch-Davidian-Sekte in Texas 1993 mit 86 Toten. Auch das Doppelleben des Gründers der Legionäre Christi, Marcial Maciel können wir in diese Problematik einordnen.

Das strukturell Gefährliche an den Botschaften solcher Menschen mit charismatischer Ausstrahlung ist, dass sie sich der vernünftigen Argumentation entziehen. Mögen die Wahnvorstellungen und Endzeitphantasien noch so abstrus erscheinen, die hörigen Anhänger lassen sich anstecken von diesen Wahnvorstellungen und lassen sich verführen.

Für Menschen mit charismatischer Ausstrahlung ist es doppelt wichtig, die Ehrfurcht vor der Persönlichkeit und Freiheit des anderen zu pflegen, denn die Begeisterten schenken den charismatischen Führern ein Vertrauen und eine Hingabe, die sie gleichzeitig schutzlos macht. Die Versuchung zum Missbrauch ist naheliegend.

Brandschutzregeln beachten

Pater Kentenich hatte an sich in seinen Gemeinschaften „Brandschutzregeln“ verankert. Die wichtigste davon lautete: „Innerlich unbefangen – äußerlich unberührt“. D.h. Seelsorger sollten – was körperliche Nähe betrifft – nicht über die landesüblichen Begrüßungs- und Höflichkeitsformen hinaus gehen.

An diese Regel hatte sich Erzbischof Cox trotz mehrfacher Ermahnung nicht gehalten. Nachdem die ersten Rückmeldungen in dieser Richtung die Leitung der Schönstatt-Patres vor gut 20 Jahren erreichte, hatte sie aus Präventionsgründen Pater Cox aus der Seelsorge heraus geholt und Verwaltungsaufgaben zugewiesen. Das war damals eine rein präventive Maßnahme. Da lagen noch keine Anklagen vor, so wie das heute der Fall ist.

Die Änderung einer gesellschaftlichen Idee braucht Jahrzehnte

Die in mir aufsteigende Wut und Scham über Kollegen, die in Minuten etwas zerstört hatten, was ich in vielen Stunden über viele Jahre mit den Betroffenen nicht wieder zur Heilung führen konnte, die kenne ich seit 30 Jahren, nicht erst seit dem Fall Cox.
Eine Maßnahme, aus heutiger Sicht viel zu kurz gegriffen, nicht hart und nicht transparent genug und nicht angemessen kommuniziert, auch zum Schutz möglicher weiterer Opfer. Doch weder in Chile noch in Deutschland war das Thema sexueller Missbrauch an Minderjährigen zu dieser Zeit so bewusst und so reflektiert wie heute, auch und gerade dank des Aufschreis von Opfern und von Menschen, die Opfer  und Opferschutz (Prävention), Null-Toleranz und Transparenz in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen (und kirchlichen) Diskurses gestellt haben, in dem jahrzehntelang stattdessen der Schutz des guten Rufes von gesellschaftlichen Einrichtungen oder der Kirche gestanden hat. Oder wie in den Dieselskandalen lange: Markenschutz first. Eine Einstellung, die auch 2018 noch nicht überall überwunden ist, etwa bei der Veröffentlichung (oder eben Nicht-Veröffentlichung) der Stellungnahmen der Schönstatt-Patres zum Fall Cox in einigen Ländern, „um den guten Ruf Schönstatts nicht zu schädigen“.

Man beachte das damalige gesellschaftliche Klima in Deutschland, in der die Leitung diesen präventiven Schritt vollzog:

Die Grünen haben sich 1980 in ihrem ersten Grundsatzprogramm für eine weitgehende Legalisierung einvernehmlicher sexueller Beziehungen von Erwachsenen mit Kindern und Schutzbefohlenen ausgesprochen. „Einvernehmlich“ spielte damals eine große Rolle, gibt es de facto aber nicht. Wie sollen Kinder sich denn wehren? Auch die grünen Landesverbände Rheinland-Pfalz, Bremen, Hamburg und Berlin vertraten in den frühen achtziger Jahren die Forderung einiger Homosexuellengruppen und Pädophilenvereinigungen, die Paragraphen 174 und 176 des Strafgesetzbuchs aufzuheben. Ein Sinneswandel trat den Parteienforschern zufolge erst nach 1985 ein. Unter dem Einfluss von Feministinnen wie Alice Schwarzer sowie der Distanzierung Homosexueller von der Pädophilenszene traten die Beschlüsse in den Hintergrund. Formell aufgehoben wurde die Forderung nach Legalisierung von Pädophilie allerdings erst 1993 während des Zusammenschlusses der Grünen mit dem ostdeutschen Bündnis 90. Die damalige FDP-Jugendorganisation Deutsche Junge Demokraten hatte 1980 ebenfalls für die Entkriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern oder Schutzbefohlenen votiert.

Solche theoretischen Entgleisungen hatte es in kirchlichen Kreisen nie gegeben.

Aber dass in einem solchen Klima sexuelle Übergriffe bagatellisiert worden sind – und zwar von vielen Gruppen – das müssen wir uns heute, angesichts der gewachsenen Sensibilität und der veränderten Paradigmen, wieder ganz bewusst ins Gedächtnis rufen.
Aber dass in einem solchen Klima sexuelle Übergriffe bagatellisiert worden sind – und zwar von vielen Gruppen – das müssen wir uns heute, angesichts der gewachsenen Sensibilität und der veränderten Paradigmen, wieder ganz bewusst ins Gedächtnis rufen.

Symptomatisch für die Bagatellisierung im damaligen Klima ist die Untätigkeit des hessischen Kultusministeriums und der Staatsanwaltschaft Darmstadt, als 1999 die ersten Vorwürfe gegen den damaligen Schulleiter der Odenwaldschule, Gerold Becker, ruchbar wurden. Auch die Presse griff den Skandal damals nicht auf.

Auch das ist Kirche: Menschen, die sich um Missbrauchsopfer kümmern

Seelsorger, die sich schon seit Jahren um Missbrauchsopfer kümmern und um die Langwierigkeit von Heilungsprozessen bestens Bescheid wissen, sind auch wieder Menschen der Kirche.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie damals in Wien eine über 70jährige nach einigen Jahren Begleitung meinte: „Dass ich überhaupt je wieder einem Priester vertrauen kann – ich wundere mich über mich selber.“

Die in mir aufsteigende Wut und Scham über Kollegen, die in Minuten etwas zerstört hatten, was ich in vielen Stunden über viele Jahre mit den Betroffenen nicht wieder zur Heilung führen konnte, die kenne ich seit 30 Jahren, nicht erst seit dem Fall Cox.

Es gibt aber auch Zeichen der Hoffnung: Vor einigen Jahren habe ich ein Frau wieder in die Kirche aufgenommen, die von ihrem Vater und ihrem älteren Bruder sexuell missbraucht worden war. Die einzige ihr damals mögliche Reaktion war, dass sie mit 14 Jahren aus der Kirche ausgetreten war, weil der Vater in der Pfarrei ein angesehener und engagierter Katholik war. Natürlich kann von Heilung noch nicht gesprochen werden, und der Kontakt mit dem Vater und dem Bruder ist auf Eis gelegt, aber mit der Kirche hat sich diese inzwischen erwachsene Frau wieder versöhnt.

Die Kirche von Licht und Schatten

Die Heiligsprechung am 14. Oktober nicht nur von Katharina Kasper (*1820 +1998), sondern auch von Papst Paul VI. (*1897 +1978), Erzbischof Oscar Romero (*1917 +1980) und weiteren vier Katholiken weist darauf hin, dass es in der Kirche zu allen Zeiten Sünder und Heilige gegeben hat. Der hl. Vinzenz von Paul z.B. war ein Zeitgenosse des machthungrigen und intriganten Kardinals Richelieus.

Wenn wir nun auf Katharina Kasper, ihr Verhalten und ihre Texte schauen, dann fällt auf, dass sie nicht im damals üblichen  Lagerdenken ihrer Umgebung gefangen war. Um jeden Leidenden, egal ob katholisch, evangelisch, jüdisch oder atheistisch, sollten sich die Schwestern kümmern. – Nebenbei: Es gibt keine Weltreligion, die so konsequent die Nächstenliebe zum Gradmesser für die Echtheit der Gottesliebe macht wie das Christentum. „Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dieses Jesuswort ist sicher das wirkmächtigste Wort zur Vermenschlichung der Welt.

Ein Zweites: Katharina, die selber nur acht Jahre die Volksschule besucht hatte, legte großen Wert auf die Aus- und Weiterbildung ihrer Schwestern. Selbständige, initiativfreudige und innerlich freie Persönlichkeiten wollte sie heranbilden. Bei ihr finden wir keine Anzeichen einer Demutserziehung mit dem Holzhammer, die nur seelische Krüppel hervorbringt, was es zur damaligen Zeit durchaus in Orden zu beklagen gab.

Dass die „Qualitätssicherungsbehörde“ Vatikan diesem originellen Weg der Christusnachfolge das Unbedenklichkeitssiegel, ja mehr noch den Vorbildcharakter verleiht, tut gut in dieser Phase der Vertrauenskrise der Kirche.

Als Kirche, die wir sind, tragen auch wir die Gnade in zerbrechlichen Gefäßen

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1 Responses

  1. Wolfgang Fischer sagt:

    Das eigentliche Problem ist das Vertuschen der Verantwortlichen. Pädophile Menschen müssen eine Tätigkeit ausüben, wo sexuelle Gewalt weniger möglich ist. Pädophile Priester dürfen nicht versetzt werden in eine andere Pfarrei, wo wieder Ministranten Opfer sexueller Gewalt werden können. Im deutschen Sprachraum ist meines Wissens kein Bischof, Generalvikar oder Personalchef zurückgetreten. Es hilft auch wenig, pädophile Bischöfe in den Vatikan zu versetzen. Wenn ein kath. Priester in Deutschland heiratet, verliert er seine Pensionsansprüche. Das geschieht bei einem Beamten erst dann, wenn er zwei Jahre eine Gefängnisstrafe abzusitzen hatte. Ein pädophiler Priester kommt meist mit einer Bewährungsstrafe unter zwei Jahren davon. Einem pädophil verurteilten Priester geht es juristisch und finanziell besser als einem Priester, der geheiratet hat. Das ist etwas ganz unmöglich Ungerechtes!

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