Veröffentlicht am 2019-06-28 In Kentenich, Kolumne - Ignacio Serrano del Pozo

31. Mai – neu gelesen

Ignacio Serrano del Pozo, Chile •

Eine der Schwierigkeiten, auf die Schönstätter in der Regel stoßen, ganz gleich ob neu eingeführt oder mit jahrelanger Schönstatterfahrung, besteht darin, zu verstehen, was genau hinter dem mythischen Datum des 31. Mai steckt. Diese Frage stellt sich jetzt, da wir den 70. Jahrestag dieses Datums gefeiert haben, noch eindringlicher, denn es ist nicht leicht zu wissen, was wir wirklich feiern: einen berühmten Vortrag über Bindungen, der in Bellavista gehalten wurde? einen mythischer Brief an die deutschen Bischöfe, der den Gründer 14 Jahre im Exil kostete? eine Mission der Evangelisierung aus Lateinamerika und seinen Filialheiligtümern? Josef Kentenich fasste diesen Meilenstein mit dem Begriff „in göttlicher Kraft“ zusammen, aber diese Formulierung ist zu kurz, um etwas zu erklären. —

Der 31. Mai als neues Pfingsten

Eine Strategie, die sich bei der Erklärung dieses Meilensteins in der Geschichte Schönstatts bewährt hat, ist der Vergleich dieses Augenblicks mit bestimmten Ereignissen und Bildern der Heilsgeschichte. Unter diesen Bildern befindet sich eines, das am meisten verwendet wird: Der 31. Mai ist ein „neues Pfingsten“. Der dritte Meilenstein würde also keine neue Etappe in der Vertiefung des Liebesbündnisses darstellen, da das Fundamentale bereits mit dem Wachstum in die Blankovollmacht und die Inscriptio, Ausdruck der menschlichen Liebe und der freien Annahme des göttlichen Plans, stattgefunden hatte. Vielmehr scheint es, dass der dritte Meilenstein einen erneuten missionarische Einbruch impliziert. Der 18. Oktober ist der Ursprung: Das Liebesbündnis mit Maria im Heiligtum und der 20. Januar ist die Festigung der Familie um den Vater nach der Erfahrung von Dachau, aber der dritte Meilenstein wäre etwas anderes: Es ist die menschliche Vaterschaft, die Mutterschaft Mariens und die Erfahrung der Gemeinschaft, die jetzt der Kirche und der Welt als heilende und verwandelnde Erfahrung angeboten wird, einer Kirche, die in ihren alten Strukturen und ewigen Wahrheiten stehen geblieben ist, und einer Welt, die vor Gott geflohen zu sein schien.

Es ist wahr, dass Schönstatt von Anfang an einen missionarischen Charakter hatte („Eine größere apostolische Tat könnten wir ohne Zweifel nicht vollbringen, ein kostbareres Erbe unseren Nachfolgern nicht zurücklassen, als wenn wir unsere Herrin und Gebieterin bewegen, hier in besonderer Weise ihren Thron aufzuschlagen, ihre Schätze auszuteilen und Wunder der Gnade zu wirken“, ist 1914 zu hören, und „Im Schatten des Heiligtums werden sich in den nächsten Jahrhunderten in Deutschland, ja darüber hinaus die Schicksale der Kirche wesentlich entscheiden!“, 1929). Der 31. Mai ist jedoch der belebende Moment dieser Aufgabe. So wie die von Johannes Paul II. geförderte Neuevangelisierung nicht neu ist, weil sie etwas Unbekanntes ankündigt, sondern weil sie diese als Aufgabe annimmt, so ist auch diese Mission des 31. Mai inhaltlich nicht neu bezüglich ihres Inhaltes, sondern in dreifacher Hinsicht: in ihrer Begeisterung (angesichts des drohenden „Bazillus des Mechanismus“), in ihren Methoden (aus den Filialheiligtümern) und in ihrem Ausdruck (als Kreuzzug oder Gegenströmung).

In dieser Linie ist der dritte Meilenstein weniger eine spezifische Botschaft als eine „missionarische Neuausssendung“, die in der Reife Schönstatts stattfindet, denn in Schönstatt und in Pater Kentenich waren die Krise und das Heilmittel für die Übel der Zeit vorgezeichnet gewesen. Diese Sendung wird nicht durch die Größe der Werkzeuge begründet, sondern gerade durch ihre Hilflosigkeit und durch ihre Offenheit für die Kraft des Heiligen Geistes, der durch das Charisma des Gründers handelt. Der Vergleich dieses dritten Meilensteins mit einem neuen Pfingsten wird ebenfalls verstärkt, da er ursprünglich im Coenaculum-Heiligtum von Bellavista stattfand. Ein bemerkenswertes Beispiel für diesen Vergleich findet sich in der „Empfehlung der Evangelisierung“ von Pater Hernán Alessandri.

 

Der 31. Mai und das Geheimnis der Inkarnation

Wenn wir eine christliche Parallele nutzen wollen, könnte man den 31. Mai durchaus als eine Übernahme des Geheimnisses der Inkarnation verstehen.
Eine zweite Formulierung, die zum Verständnis des 31. Mai verwendet wird, ist das „organische Denken und Leben“. Dieser ebenso kurze wie kryptische Ausdruck bedeutet, dass dieser Meilenstein eine mutige Option für die Schöpfung enthält: die Rettung des aufgrund von Ideologien und Rationalismus eingeschlafenen religiösen Instinktes des Menschen, die Wiederherstellung naturhafter und natürlicher Bindungen, die als gefährlich oder sündhaft versenkt worden waren, und eine Rückkehr in die Welt als Heimat und Gestaltungsort. Aus dieser Perspektive würde der 31. Mai die Wertschätzung des Natürlichen als Weg zum Göttlichen bedeuten, indem er ein „mechanistisches Christentum“, bloße Rituale oder reine Ideen als fremd, falsch und schädlich ablehnt. In diesem Sinne, wenn wir eine christliche Parallele nutzen wollen, könnte der 31. Mai durchaus alsÜbernahme des Geheimnisses der Inkarnation verstanden werden. Tatsächlich bedeutet die Inkarnation, dass die christliche Religion weder ein Aufstieg zum Logos im Sinne der griechischen Philosophie ist, noch eine Reihe von Bräuchen wie in römischen Religionen, sondern das Herabsteigen eines Gottes, der alles Menschliche (außer Sünde) annimmt und den Menschen und die Schöpfung zum Weg macht, zu Ihm zurückzukehren.

Der gleiche Begriff der „heilbringenden Sendung des Westens“, mit dem Kentenich in den 1960er Jahre den 31. Mai verstanden hat, bezieht sich genau auf den „inkarnierenden Charakter des Christentums“ (um den Ausdruck von Pater Rafael Fernández zu verwenden), den Schönstatt annehmen will: harmonische Einheit zwischen Natur und Gnade, zwischen der Erstursache (Gott) und den Zweitursachen (Geschöpfen), zwischen Glaube und Leben. Es ist wahr, dass dieser Vergleich zwischen dem 31. Mai und der Inkarnation nicht üblich ist, aber es ist ist angebracht, sich auf den Gedanken eines der großen Gelehrten Pater Kentenichs zu berufen, der uns etwas zum Nachdenken gibt. Herbert King sprach vom Skandal der Konkretheit, die Schönstatt gerade wegen dieses Elements des „Geschmacks nach Erde“ unserer Spiritualität mit der Betonung physischer Orte, naturhafter Liebe, weiblicher Mutterschaft und kindlicher Naivität hat.

Der 31. Mai im Zeichen des Kreuzes

So interessant diese beiden Bilder auch sind, so scheint es mir, dass man den 31. Mai auch in enger Verbindung mit dem Geheimnis des Kreuzes lesen könnte. So interessant diese beiden Bilder auch sind, so scheint es mir, dass man den 31. Mai auch in enger Verbindung mit dem Geheimnis des Kreuzes lesen könnte. Es stimmt, dass dieses Bild fundamental mit dem 20. Januar verknüpft ist, denn dieser Meilenstein stellt das Opfer des Vaters und Gründers dar, der mit seiner Annahme von Dachau die innere Freiheit der Schönstattfamilie zu erkaufen. Diese Interpretation sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide Meilensteine in einem Kontinuum verbunden sind und dass, wenn in dem einen die Hingabe für die Freiheit seiner Kinder war, sie im anderen aus Liebe zur Mutter Kirche erfolgte. „Ich denke an den Todessprung, den ich 1942 zu machen gewagt habe, und ich bin mir bewusst, dass er diesmal wiederholt wird.“ Tatsächlich ist es schwierig zu wissen, welches Opfer größer war, denn wenn Pater Kentenich im KZ sein Leben aufs Spiel setzte, riskierte er im Heiligtum von Bellavista seine eigene Arbeit setzte seine Ehre aufs Spiel, freiwillig: „Nimm hin das Kind, dem du geschenkt das Leben,
dem ich die ganze Liebeskraft durft‘ geben;
ich leg‘ es froh in deine Hand zurück,
sein kommendes Geschick, sein Lebensglück. “

Wenn man den Vortrag vom 31. Mai in Chile liest, ebenso wie die Epistola Perlonga auf dem Altar, und wenn man dabei die Radikalität der Hingabe seines Verfassers nicht versteht, kann man auch nicht verstehen, warum Kentenich sich weigert, einfach als „Wegweiser auf der Straße“ betrachtet zu werden, oder warum er sich tatsächlich an die Stelle Gottes selbst setzen kann, als sein Vertreter und sein Transparent. Was der 31. Mai zeigt, ist nicht nur, dass Geschöpfe Mittel, Ausdruck und Weg sind, um Gott zu erreichen, oder dass die göttliche Liebe in menschlichen Beziehungen konkretisiert wird: Offenbart wird, dass sich im Opfer eines menschlichen Vaters und einer menschlichen Mutter, die ihre Zeit und ihr Ansehen für die ihren verlieren, sowie in der Erfahrung, den anderen bis zum Äußersten im Herzen eingeschrieben zu tragen, das wahre Gesicht Gottes und seine Handlungsweise konkret mit Händen zu greifen ist.

Ohne diese Erfahrung des entscheidenden Opfers wären die Haltung und die Worte des Gründers hochmütig, stolz und dickköpfig, „Persönlichkeitskult“, wie seine Kritiker und Ankläger dargelegt hatten. Das Wort „sacrificium“, Opfer bedeutet, die Dinge heilig zu machen (sacrum facere). Wenn dieses Opfer herausgenommen wird, wird die Autorität heidnisch und werden die Bindungen aufgelöst, und anstatt für die Göttlichkeit transparent zu sein, verdunkeln sie seine Anwesenheit. Der Beweis dafür, dass der 31. Mai ein Kreuz ist, war sein hoher Preis: 14 Jahre schmerzhaftes und machtloses Exil, das wie 14 Stationen des Kreuzweges diesen Meilenstein schlossen.

Die Freude dieser Feiertage, die über so lange Zeit eingeschlossene Missionskraft die uns anregen, herauszugehen, dürfen uns nicht vergessen lassen, dass der 31. Mai auch ein Kreuz-Zug ist, denn er bedeutet, das Kreuz einer göttlichen Fruchtbarkeit anzunehmen, die nicht sehr friedlich und wenig erfolgreich ist, in Zeiten, die von misstrauischen Bindungen und hinterfragter Vaterschaft geprägt sind…. Ohne die Gnade der Heiligtümer und eine reiche Pädagogik zu nennen, fällt mir nichts ein, was Schönstatt der Kirche und der Welt mehr geben könnte.

Original: Spanisch. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

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