Tränen des Petrus

Veröffentlicht am 2022-01-23 In Missbrauch, Themen - Meinungen

Wir können nicht so weitermachen, als sei nichts geschehen. Das Münchner Missbrauchsgutachten

Maria Fischer •

„Und Petrus erinnerte sich an das Wort, das Jesus gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich (Mt 26,34)“ Wie oft müssen da Hähne krähen, damit er endlich zur Besinnung kommt und eingesteht, Fehler gemacht zu haben?, fragt eine gut katholische Freundin, entsetzt, wütend, verstört angesichts des Münchner Missbrauchsgutachtens und der Stellungnahme von Kardinal Ratzinger und nicht nur ihm. —

Wann endlich weint er, wann endlich weint die Kirche bitterlich angesichts des unsäglichen Leids, das Kindern und Erwachsenen angetan wurde, angesichts der Lügen und Vertuschungen, angesichts von gigantischen Bemühungen, den Ruf der Kirche reinzubewahren und darüber Opfer, Wahrheit und Gerechtigkeit zu ignorieren? „Bis 2010 waren die Betroffenen überhaupt nicht im Blick, haben die Anwälte gesagt, sondern immer nur der Schutz der Institution, die Heiligkeit der Kirche. Die „Bilanz des Schreckens“, so der Chefredakteur des Kölner Domradios, „macht fassungslos“.

„Weinen kann Kreise ziehn“

Ich möchte wie Petrus bitterlich weinen und ich wünsche mir, dass wir alle es tun – wir im nächsten Sonntagsgottesdienst, wir im Team von schoenstatt.org, wir in Schönstatt, wir alle. Wenn du weinst, wein nicht allein… haben wir früher in einem neuen geistlichen Lied gesungen. Steck andre an, weinen kann Kreise ziehn.

Das Münchner Gutachten, das Ratzinger, Marx und alle Münchner Bischöfe vor und nach ihnen belastet, ist nicht das erste in Deutschland – denken wir an Köln – und in der Weltkirche, und es wird auch nicht das letzte sein.

Wir können nicht so weitermachen, als sei nichts geschehen. Wir können nicht einfach den nächsten frommen Tweet absetzen, den nächsten lieblichen Sticker mit der MTA und ein paar Blümchen durch die WhatsApp Gruppen schicken, den nächsten netten Spruch zitieren… und weitermachen, als wäre nichts geschehen, als gehe uns das alles nichts an.

Wir können als Kirche und als Christen nicht weiter spitzfindige Unterscheidungen machen, rechtfertigen, Schuld delegieren. Der Jesuit Hans Zollner, Leiter des Safeguarding-Instituts in Rom, sagt im Interview mit katholisch.de über Benedikt: „Er sollte eine einfache, persönliche Erklärung abgeben. Darin könnte er etwa sagen: Ich erinnere mich nicht, an der betreffenden Sitzung teilgenommen zu haben. Wenn ich dabei war, habe ich einen Fehler gemacht und entschuldige mich. Selbst wenn der psychologische Erkenntnisstand damals ein anderer war, hätte ich der Sache mehr Aufmerksamkeit widmen sollen. Das tut mir leid.“

„Mich erschüttert es menschlich, weil ich nicht verstehen kann, warum man immer versucht Recht zu haben oder immer versucht, irgendwie juristisch rauszukommen und sagt, dass man nicht dabei war. Sondern man muss einfach mal sagen, dass wir insgesamt als Kirche versagt haben. Da muss etwas im System verändert werden und daran arbeiten wir“, so der Kölner Sozialpfarrer Meurer im Interview mit dem Domradio.

Missbrauch

Kirche, bist du noch zu retten?

„Vertuscht, versagt, versündigt“, so fasst es eine Sondersendung des Zweiten Deutschen Fernsehens zusammen. Festgestellt wird, dass die Kirche und ihre Spitze insgesamt das Leid der Opfer nicht sehen wollten, in den Opfern eine Gefahr für die Institution sahen, die Opfer – Mädchen und Jungen – nicht wahrgenommen haben.

Der Priester, der ein kleines Mädchen angefasst und für immer an Leib und Seele verwundet hat, darf weiterhin Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandeln. Die Frau, die nach einer verkorksten Ehe die Liebe ihres Lebens gefunden und (standesamtlich) geheiratet hat, darf den Leib und Blut Christi nicht empfangen. Kirche, bist du noch zu retten?

„Wie viele Gutachten braucht das Land noch, um sich dieser Situation zu stellen?“ Die fast schon flehend vorgetragene Frage des Rechtsanwalts Ulrich Wastl, der mit seiner Kanzlei WSW das Münchner Gutachten verantwortet, ist auf Erfahrung gegründet: Schon das erste – nicht veröffentlichte – Gutachten zu Missbrauch im Erzbistum München und Freising 2010 hat die Kanzlei verantwortet, ein Gutachten in Aachen wurde Ende 2020 vorgestellt, eins in Köln einkassiert, laut Erzbistum aufgrund äußerungsrechtlicher Bedenken. Schon zu Beginn der Pressekonferenz hatte die Rechtsanwältin Marion Westpfahl ihre gutachterliche Tätigkeit mit ihrer eigenen Erstkommunion vor über 50 Jahren in Verbindung gebracht: Vor der Beichte kommt die Gewissenserforschung, und vor der Lossprechung Reue. „Was zehnjährigen Kindern abverlangt wird, muss die Messlatte für die Institution Kirche und ihre führenden Repräsentanten sein“, betonte die Anwältin – so zitiert in katholisch.de

Kirche, bist du noch zu retten?

Ja. Die Menschen, die jetzt fassungslos vor und in der Kirche stehen, suchen klare Zeichen von Verantwortung und Reue.

Ja. Petrus rannte weg und weinte bitterlich. Und dann konnte Jesus ihn zurückholen, und ihm seine Kirche anvertrauen.

Ja. Wegen der vielen kleinen, ungesehenen und oft anonymen Christen, Priester, Eheleute, Jugendliche auf dem ganzen Globus, die in all ihren Grenzen und Sünden leben, was Jesus uns aufgetragen hat: Menschen lieben, Gefangene besuchen, Flüchtlinge aufnehmen, Obdachlose beherbergen, Kindern Geborgenheit geben und Zukunft ermöglichen, Menschen aufrichten, begleiten und in ihrer Würde achten. Wegen all derer, die es nicht verdient haben, mit den Tätern und Vertuschern in einen Topf geworfen zu werden.

Und wenn wir nahe genug an ihnen dran sind, an den kleinen, stillen Christen und Schönstättern, die in die Gefängnisse und in die Elendsviertel, in die Pflegeheime und Krankenhäuser, in die Flüchtlingslager und zu den Obdachlosen gehen, werden wir gerettet und retten die Kirche, für die Jesus Christus geboren, gestorben und auferstanden ist. Aber tun wir um Gottes und der Kirche willen nicht so, als wäre nichts passiert.

Die Tränen des Petrus - El Greco

El Greco: Die Tränen des Petrus. Quelle: Wikimedia

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1 Responses

  1. B.Muth sagt:

    Zunächst herzlichen Dank an Maria Fischer für ihre klaren Worte. Ja, alle habe geschwiegen: der ehemalige Papst, Kardinäle, Bischöfe und Priester Auch Mitglieder der Schönstattbewegung. Zu ihnen gehören nach Angaben des Südwestfunks vom 21.3. 2021 auch zwei Schönstattpriester, die von den sexuellen Übergriffen des Priesters A. aus dem Erzbistum Köln wussten. Angehörige der Schönstattbewegung seien aber nicht betroffen, hieß es weiter.
    Mein Patensohn hatte weniger „Glück“- Er wurde durch einen Priester an seiner Schule sexuell missbraucht. Er landete zunächst in der Psychiatrie, sein jüngerer Bruder tröstete sich wegen des „Verrücken“ mit Drogen. Die Familie, die dem Familienwerk angehört hatte, zerbrach. Der Mutter hätte sicherlich ein Zeichen der Anteilnahme der früher mit der Familie befreundeten Schönstattpriester gut getan. Sie hoffte vergeblich
    Nicht nur Schönstätter schwiegen. Auch ich habe geschwiegen, als ich merkte, dass meine Angaben über sexuelle Übergriffe von den mir informierten Bischöfen nicht weiter verfolgt wurden. Sind nicht viele von uns durch Schweigen schuldig geworden?
    Sollten stattdessen die Schönstätter nicht eigentlich dazu beitragen, die Kirche am „neuen Ufer“ aufzubauen?

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