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Veröffentlicht am 2024-02-15 In Schönstatt erneuern, Themen - Meinungen

Gira il mondo gira. Nostalgische Gedanken eines Siebzigjährigen

César Fernández-Quintanilla, Spanien

1914: Die Luftfahrt steckt noch in den Kinderschuhen; in diesem Jahr findet der erste kommerzielle Flug zwischen Tampa und St. Petersburg, Florida, statt. Der Erste Weltkrieg beginnt. Papst Pius X. ist gestorben, ein Papst, der dafür bekannt war, die Kirche mit starker Hand zu führen in einer Zeit, in der sie mit einer starken Säkularisierung und vielen modernistischen Tendenzen zu kämpfen hatte. In Schönstatt schließt Pater Joseph Kentenich mit einer Gruppe junger Sodalen zum ersten Mal das Liebesbündnis mit Maria. —

Wenn ich versuche, mir das Leben eines 20-jährigen Mädchens zu dieser Zeit vorzustellen, sehe ich ein sepiafarbenes Bild. In ihren langen, düsteren Kleidern geht sie nur selten auf die Straße, es sei denn in Begleitung von Familie oder Freunden. Zu besonderen Anlässen besucht sie einen Ball, auf dem der Foxtrott, ein kürzlich aus Amerika eingeführter Tanz, in Mode ist. Ihr Vater hat gerade einen Ford T gekauft, mit dem er die Familie gelegentlich durch Madrid fährt. Ihr Blick auf das Leben ist fast zwangsläufig auf Heirat und die Sorge um die Familie gerichtet.

1914 Ford T

Ford T, 1915

1969

Zwei Generationen, zwei Weltkriege und mehrere Revolutionen liegen hinter uns: die bolschewistische, die sexuelle (mit dem Mai 68) und die musikalische (mit den Beatles). Der Umweltschutz kommt auf, in den USA wird die Environmental Protection Agency gegründet. Mao Zedong stirbt und China beginnt mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Im November wird die erste Verbindung zwischen der University of California und der Stanford University über ein völlig neues Informationssystem hergestellt (der Ursprung dessen, was wir heute als Internet kennen). Zum ersten Mal landet ein Mensch auf dem Mond (er ist noch nicht wieder auf dem Mond gelandet!) und der Weltraum füllt sich mit kleinen künstlichen Satelliten. In der katholischen Kirche setzt Papst Paul VI. das von Johannes XXIII. initiierte Zweite Vatikanische Konzil fort. Nach dessen Abschluss nahm er die Interpretation und Umsetzung von dessen Mandaten in Angriff und bewegte sich dabei oft auf einem schmalen Grat zwischen den konkurrierenden Erwartungen der verschiedenen Gruppen innerhalb der katholischen Kirche. Die Breite und Tiefe seiner Reformen betreffen alle Bereiche der Kirche und gehen weit über ähnliche Reformpolitiken seiner Vorgänger hinaus. In Madrid wird das erste Schönstatt-Heiligtum eingeweiht, in Pozuelo.

Wenn ich an das Leben eines jungen Mädchens in dieser Zeit denke, wird mir sofort klar, dass es nichts mit dem eines Mädchens vor zwei Generationen zu tun hat. In Jeans oder Minirock geht sie jeden Tag zur Uni und am Wochenende auf Partys, wo sie zu Rockmusik tanzt. Am 18. Oktober bringt ihre Mutter sie in ihrem kleinen Mini Morris zur Segnung eines Heiligtums am Stadtrand von Madrid. Es sind nur wenige Leute da, aber ihre Begeisterung für die Mission ist spürbar. Am Ende der Feier überlässt ihre Mutter ihr den Mini, damit sie mit ihrem Freund eine Spritztour machen kann. Obwohl sich die sexuelle Revolution der 60er Jahre bereits in ihrem Leben bemerkbar macht, pflegen sie weiterhin keusche Beziehungen. Ihre Lebensperspektive zu dieser Zeit ist es, ihr Studium zu beenden, eine Arbeit zu finden, ihren langjährigen Freund zu heiraten und vier Kinder zu bekommen. 

1969

Morris Mini, 1969

2024

Zwei weitere Generationen sind vergangen, diesmal in (sehr relativem) Frieden. Die Globalisierung und die Entwicklung von Transport und Kommunikation haben die Welt kleiner gemacht. Wir befinden uns mitten in einem digitalen Umbruch, der Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft verändert. Künstliche Intelligenz eröffnet die Möglichkeit für noch tiefgreifendere Veränderungen. China ist zum Weltmarktführer aufgestiegen. Der globale Wandel stellt uns vor Herausforderungen, denen wir nicht gewachsen sind. Die Gesellschaft entfernt sich immer mehr von transzendenten Werten, von der Kirche, vom Glauben. Die katholische Kirche wandelt weiter auf den Spuren des Zweiten Vatikanischen Konzils. Papst Franziskus befindet sich mit seinen Reformen der römischen Kurie, mit seinen Gesten des Willkommens und des Dialogs mit Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen und Lebensformen und mit seinen persönlichen Stellungnahmen zu einigen komplexen und kontroversen Themen erneut auf diesem schmalen Grat zwischen den widersprüchlichen Erwartungen verschiedener Gruppen.

Die Schönstattfamilie ist gewachsen, in Madrid wurde ein zweites Heiligtum gebaut. Aber Schönstatt ist immer noch eine kleine Bewegung mit wenig Einfluss auf die Kirche und die spanische Gesellschaft.

Die junge Frau in meiner Geschichte mag die Musik von Taylor Swift, aber sie hört immer noch gerne die Musik der 60er und 70er Jahre (und tanzt dazu, wenn es sein muss). Sie hat es endlich geschafft, ihre Eltern dazu zu bringen, ihr einen Fiat 500 zu kaufen, damit sie zur Uni fahren und die Wochenenden mit ihrem Freund verbringen kann. Die sexuelle Revolution hat ihre Auswirkungen vertieft, mit neuen Varianten wie der Gender-Ideologie. Obwohl sie gelegentlich zum Heiligtum in Serrano geht, um die Gottesmutter zu besuchen, nimmt sie nicht an apostolischen Aktivitäten teil. In ihrem Lebenskonzept ist die berufliche Entwicklung in den Vordergrund gerückt, Ehe und Familie stehen an zweiter oder dritter Stelle.

2024

2024

Die notwendigen Anpassungen vornehmen

Wie ein Lied aus meiner Zeit zu sagen pflegte: „Gira il mondo gira…“ (Die Welt dreht und dreht sich)… Und anscheinend dreht sie sich immer schneller. Ich würde jedoch so weit gehen zu sagen, dass die entscheidenden Veränderungen in den 1960er und 1970er Jahren tiefgreifender waren als die in den 55 Jahren danach. Wenn das Mädchen von 1914 kryogenisch eingefroren worden und 1969 aufgewacht wäre, hätte sie eine völlig andere, unverständliche und unüberschaubare Welt vorgefunden. Das Mädchen aus den 70er Jahren hingegen, das heute aufwacht, würde immer noch dieselben Jeans und dasselbe T-Shirt tragen, sich an der Musik von Taylor Swift erfreuen und am liebsten ihren eigenen „Fitito“ fahren. Es hätte nur Mühe, mit Mobiltelefonen, dem Internet und den sozialen Medien mitzuhalten.

In diesem Sinne denke ich, dass die beeindruckenden technologischen Fortschritte der letzten Zeit nicht von sozialen, kulturellen und religiösen Veränderungen gleichen Ausmaßes begleitet wurden. Die großen Veränderungsprozesse, die in den 1960er Jahren ihren Anfang nahmen, haben sich fortgesetzt, neue Formen angenommen und sich an neue Realitäten angepasst. Aber die großen Anpassungen, die für diesen Epochenwechsel notwendig sind, stehen noch aus.

Innerhalb Schönstatts wird diese Aufgabe des Wandels aus verschiedenen Gründen noch dringlicher.

Zweifellos war es ein großes Privileg, die faszinierenden Ereignisse der 60er und 70er Jahre aus der ersten Reihe mitzuerleben. Aber jetzt ist nicht die Zeit für Nostalgie. Es ist an der Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen.

Schoenstatt Santuario Original

Original: Spanisch. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

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