Veröffentlicht am 2016-06-19 In Themen - Meinungen

Geistliche Väterlichkeit

P. Pedro Kühlcke, Seelsorger im Jugendgefängnis, Paraguay •

Vor einiger Zeit hat Pepito es endlich geschafft, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen: „Ich war elf, als meine Eltern sich haben scheiden lassen. Mein Papa ist Alkoholiker, er hat meine Mama geschlagen und misshandelt, bis sie es eines Tages nicht mehr ausgehalten hat. Ich hab mich entschieden, bei ihm zu leben, denn ich wusste, dass er mir keine Grenzen setzen würde. Ich habe mit Zigaretten und Alkohol angefangen, danach kamen die Drogen. Ich hab vor seinen Augen Drogen genommen, er hat nie etwas gesagt – meistens war er viel zu besoffen, um irgendetwas mitzukriegen. Er war nie ein Vorbild für mich. Irgendwann bin ich auf der Straße gelandet, mit echt schlechten Kameraden, und ich habe angefangen zu stehlen für die Drogen – bis ich schließlich hier im Knast gelandet bin. Mein Leben hat doch überhaupt keinen Sinn, ich bin für niemanden irgendwie wichtig…“

Geschichten wie diese gibt es viele, zu viele, im Jugendgefängnis von Itauguá. Die meisten der Häftlinge sind – egal, welche Straftaten sie begangen haben – Opfer von Armut, häuslicher Gewalt, Verwahrlosung und fast immer einer dysfunktionalen Vaterschaft oder, noch schlimmer, deren kompletter Abwesenheit.

J. war Kind einer alleinerziehenden Mutter, einer Hausangestellten, die auf ihren Arbeitsstellen ihr Kind nie bei sich haben durfte. Sein Vater hat ihn nie anerkannt und sich auch nie um ihn gekümmert. Bis er acht Jahre alt war, war J. ein „Oma memby”, ein Kind, das bei den Großeltern lebte. Danach konnten die Großeltern sich aber nicht mehr kümmern. Seine Mutter schickte ihn mit allem Herzeleid schließlich in ein Kinderheim. Mehrere Male ist er ausgerissen, weil er das strenge Regime und die fehlende Freiheit nicht aushielt, doch die Polizei brachte ihn jedes Mal zurück.

Bis hierhin könnte das eine der vielen Geschichten sein, die ich täglich im Gefängnis höre. J. könnte schlecht geendet haben, doch es kam ganz anders. Er, der niemals menschliche Väterlichkeit erlebt hatte, wurde ein geistlicher Vater für viele Menschen, ein Gründer, ein Prophet. Die Zeitschrift, die wir in Händen haben, diese Internetseite gäbe es ohne ihn, ohne Josef Kentenich, nicht.

Manche von uns hatten das Glück, einen guten Vater zu haben, andere hatten es nicht. Doch alle sind wir aufgerufen, unsere persönliche Geschichte durchsichtig zu machen und eine kindliche Beziehung zur Gottesmutter und zum Vatergott reifen zu lassen und der Welt unsere geistliche Väterlichkeit und Mütterlichkeit zu schenken, Spiegel dessen, was Gott am meisten zu eigen ist. Nur so werden viele andere Menschen ihre emotionalen Verwundungen überwinden und sich tief in einen Gott verwurzeln können, der vor allem ein barmherziger Vater ist.

13335732_639137439573027_3030790772858659445_nEs ist nicht einfach, diese geistliche Väterlichkeit zu leben, denn sie fordert viel. Pater Kentenich erinnert daran, dass die in Gott verwurzelte Väterlichkeit sich am Guten Hirten, der Selbstzeichnung Jesu, orientieren muss: Der Gute Hirte gibt sein Leben für die Schafe. Er steht nicht mit verschränkten Armen herum… Es reicht ihm auch nicht, den Ertrinkenden von fern einen Rettungsring zuzuwerfen, sondern er stürzt sich selbst in die Fluten, riskiert sein Leben um die zu retten, die er retten muss.

Was können wir aus unserer schönstättischen Spiritualität beitragen? Letzten Endes, so Pater Kentenich, gehe es darum, den Bindungsorganismus sorgfältig zu pflegen, vor allem aus dem Blickwinkel der organischen Kindlichkeit, einer Kindlichkeit, die bis ins Unterbewusste greife und dort sozusagen Wunder der Wandlung wirken kann.

Nach einem langen Gespräch, in dem Pepito entdeckte, dass Gott ein Vater ist, wie er selbst ihn nie erlebt hatte, machte er selbst nach Tränen, Umarmungen und großer Erleichterung eine Zusammenfassung: „Jetzt verstehe ich, dass Gott erlaubt hat, dass ich ins Gefängnis musste, damit ich entdecken könnte, dass er mich lieb hat, dass er einen wunderbaren Traum von meinem Leben hat und dass ich mein Leben ändern und diesen Traum verwirklichen kann. Eines Tages möchte ich ein guter Ehemann sein und der beste Papa der Welt für meine Kinder, damit sie niemals durch das durchmüssen, was ich erlitten habe.“

 

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