Veröffentlicht am 2016-10-04 In Franziskus - Botschaft, Kirche - Franziskus - Bewegungen

Ein Weg der Aufnahme, Begleitung, Unterscheidung und Eingliederung in die kirchliche Gemeinschaft

AICA / Redaktion schoenstatt.org •

Für die Pastoral der Hoffnung, das große Projekt der Familienbewegung Paraguays mit Geschiedenen in neuer Verbindung ist es ein Fest: das Schreiben von Papst Franziskus als Antwort auf das Dokument argentinischer Bischöfe zur pastoralen Anwendung des 8. Kapitels von Amoris laetitia. Während einige „konservative“ (früher sich selbst „papsttreu“ nennende) katholische Nachrichtenportale in ihrer Berichterstattung dazu einen Eiertanz vollführen, kommentiert Pater Antonio Cosp voller Freude: Ich habe den Eindruck, dass der Beitrag der argentinischen Bischöfe einer der ersten ist, in dem Amoris Laetitia ins Konkrete übersetzt wird. Viele Theologen haben sich dazu geäußert, doch dieses Dokument kommt von einer großen Gruppe von Bischöfen. Im Grunde geht es um die Gabe der Regierung, die Gott den Päpsten verliehen hat, so wie es in seiner Zeit Johannes Paul II. tat, als er erklärte, die wiederverheirateten Geschiedenen seien NICHT exkommuniziert. Ich freue  mich sehr, dass wir in unserer großartigen Tagung anlässlich von 10 Jahren „Pastoral del Hoffnung“ am 27. August das Thema in gleicher Weise angegangen haben. Es sind mehrere, die von einer Neugründung der Papstoral der Hoffnung (PH) an diesem Tag gesprochen haben. Man muss Schritte gehen. Mich würde es sehr freuen, wenn viele Paare aus unserer Pastoral der Hoffnung sich einen Beichtvater suchen und eingehend mit ihm sprechen würden. Wer macht den ersten Schritt?
Es werden ihnen viele danken, die aus der Ferne voller Sehnsucht dem Thema der Pastoral der Hoffnung folgen…“

Hirtensorge, Hirtenliebe

Die Hirtensorge drängt uns, »aufzubrechen, um den Fernstehenden zu begegnen und, wenn man ihnen einmal begegnet ist, einen Weg der Annahme, der Begleitung, der Unterscheidung und der Eingliederung in die kirchliche Gemeinschaft zu beginnen«. Um diese Prämisse dreht sich das Schreiben, das Papst Franziskus an die Bischöfe der Seelsorgeregion Buenos Aires gesandt hat – es ist an ihren Delegaten Bischof Sergío Alfredo Fenoy gerichtet –, als Antwort auf das Dokument »Criterios básicos para la aplicación del capítulo VIII de Amoris laetitia« [»Grundlegende Kriterien für die Anwendung des achten Kapitels des Apostolischen Schreibens Amoris laetita«].

Der Papst hat seine Anerkennung für den von den Bischöfen erarbeiteten Text zum Ausdruck gebracht und hervorgehoben, dass er in seiner Gesamtheit den Sinn des achten Kapitels des Apostolischen Schreibens aufzeigt – wo es darum geht, »die Zerbrechlichkeit zu begleiten, zu unterscheiden und einzugliedern«, – und klargestellt, dass es »keine anderen Auslegungen gibt«. Das Dokument der Bischöfe, so sicherte der Papst zu, »wird sehr gut tun«, vor allem aufgrund der »Hirtensorge«, die das gesamte Dokument durchzieht. Der von den Hirten der Kirche in Argentinien erarbeitete Text ist »wirklich vorbildlich für die Begleitung der Priester«, erklärte der Papst und betonte, wie notwendig die Nähe »des Bischofs zu seinem Klerus und des Klerus zum Bischof« ist. Denn, so hat er geschrieben, »der ›nächste‹ Nächste des Bischofs ist der Priester, und das Gebot, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, beginnt für uns Bischöfe genau hier: bei unseren Priestern«. Natürlich ist die Hirtensorge – verstanden als ständiges Bestreben, die Fernstehenden zu suchen – mühevoll. Es handelt sich um eine Seelsorge »in unmittelbar physischem Kontakt«, die nicht reduziert werden darf auf »programmatische, organisatorische oder rechtliche Vermittlungstätigkeiten, wenngleich diese notwendig sind«. Von den vier genannten »pastoralen Haltungen« – »annehmen, begleiten, unterscheiden und eingliedern« –, ist Franziskus zufolge die Unterscheidung das, was am wenigsten praktiziert wird.

»Für dringend notwendig«, sagte er, »erachte ich die Ausbildung zur persönlichen und gemeinschaftlichen Unterscheidung in unseren Seminaren und Presbyterien«. Abschließend hat der Papst daran erinnert, dass Amoris laetitia »Frucht der Arbeit und des Gebets der ganzen Kirche war, durch die Vermittlung von zwei Synoden und des Papstes.« Daher hat er eine ganzheitliche Katechese über das Apostolische Schreiben empfohlen, die »das Wachstum, die Festigung und die Heiligkeit der Familie gewiss unterstützen wird«.

Das Dokument der argentinischen Bischöfe, das auf das achte Kapitel des Apostolischen Schreibens ausgerichtet ist, erinnert daran, dass »man nicht von einer ›Erlaubnis‹ zum Empfang der Sakramente sprechen sollte, sondern von einem Unterscheidungsprozess, der von einem Hirten begleitet wird«. Dieser Prozess muss »persönlich und pastoral« sein. Denn die Begleitung ist eine Übung der »via caritatis«, eine Einladung, dem Weg Jesu nachzufolgen.

Es handelt sich um einen Weg, schreiben die Bischöfe, der die Hirtensorge des Priesters erfordert, der »den Büßer annimmt, ihm aufmerksam zuhört und ihm das mütterliche Gesicht der Kirche zeigt, während er seinen aufrichtigen Willen und seinen guten Vorsatz annimmt, das ganze Leben in das Licht des Evangeliums zu stellen und die Nächstenliebe zu üben«. Dieser Weg, mahnen die Bischöfe, endet nicht unbedingt bei den Sakramenten, sondern kann auch auf andere Formen größerer Eingliederung in das Leben der Kirche ausgerichtet sein: mehr Anwesenheit in der Gemeinschaft, die Teilnahme an Gebets- oder Reflexionsgruppen, das Engagement in verschiedenen kirchlichen Diensten.

»Wenn die konkreten Umstände eines Paares dies ermöglichen, besonders dann, wenn beide Partner Christen mit einem Glaubensweg sind«, so liest man in dem Dokument, »kann man ihnen vorschlagen, verbindlich in Enthaltsamkeit zu leben«. Amoris laetitia »weiß um die Schwierigkeiten dieser Option und lässt die Möglichkeit offen, das Sakrament der Versöhnung zu empfangen, wenn man diesen Vorsatz bricht«.

In anderen, schwierigeren Umständen und wenn man »keine Ehenichtigkeitserklärung bekommen konnte« – so hebt der Text hervor – »kann die erwähnte Option nicht real durchführbar sein«. Dennoch ist es möglich, trotzdem einen »Weg der Unterscheidung« zurückzulegen. Und »wenn man zu der Erkenntnis gelangt, dass in einem konkreten Fall Grenzen vorhanden sind, die die Verantwortung und die Schuldhaftigkeit abschwächen – besonders wenn eine Person in Betracht zieht, dass sie eine weitere Verfehlung begehen würde, indem sie den Kindern der neuen Verbindung Schaden zufügt –, öffnet Amoris laetitia die Möglichkeit des Zugangs zu den Sakramenten der Versöhnung und der Eucharistie«. Das wiederum macht die Person bereit, weiter zu reifen und mit der Kraft der Gnade zu wachsen.

Das Dokument hebt hervor, dass vermieden werden muss, diese Möglichkeit als »unbegrenzten Zugang zu den Sakramenten« zu verstehen oder so »als würde jegliche Situation ihn rechtfertigen«. Vielmehr wird eine Unterscheidung vorgeschlagen, die »jeden Fall angemessen von anderen unterscheidet«. Besondere Aufmerksamkeit verlangen einige Situationen, etwa eine neue Verbindung nach einer kurz zurückliegenden Scheidung oder wenn jemand mehrmals seinen familiären Pflichten nicht nachgekommen ist oder »eine Art Rechtfertigung oder Zurschaustellung der eigenen Situation vornimmt, so als sei sie Teil des christlichen Ideals«. In diesen schwierigeren Fällen müssen die Priester die Personen geduldig begleiten und nach einem Weg der Eingliederung suchen. Es ist wichtig, so liest man in dem Text, »die Personen darauf auszurichten, sich mit dem eigenen Gewissen vor Gott zu stellen, und dazu ist die Erforschung des Gewissens hilfreich«, auf die das Apostolische Schreiben verweist, besonders wenn es um das Verhalten gegenüber den Kindern oder gegenüber dem verlassenen Ehepartner geht. Wenn »nicht wiedergutgemachtes Unrecht« vorhanden ist, »ist der Empfang der Sakramente besonders skandalös«.

Daher heißt es in dem Dokument, dass es »angebracht sein kann, dass ein eventueller Empfang der Sakramente in diskreter Form stattfindet, vor allem dann, wenn Konfliktsituationen vorherzusehen sind«. Gleichzeitig jedoch darf es nicht versäumt werden, die Gemeinschaft zu begleiten, damit sie »im Geist des Verständnisses und der Annahme wächst, ohne dass dadurch Verwirrung hergestellt wird in der Lehre der Kirche über die unauflösliche Ehe«. In diesem Zusammenhang rufen die Bischöfe in Erinnerung: »Die Gemeinschaft ist Werkzeug der Barmherzigkeit, die ›unverdient, bedingungslos und unentgeltlich‹ ist.« Vor allem bekräftigen sie noch einmal, dass die Unterscheidung »sich nicht verschließt, weil sie dynamisch ist und stets offen bleiben muss für neue Wachstumsschritte und neue Entscheidungen, die es gestatten, das Ideal in ganzer Fülle zu verwirklichen«.

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Weil der Text des Dokumentes der Bischöfe von Buenos Aires, das auch von Bischöfen Spaniens übernommen wurde, bisher nicht in vollständiger Übersetzung vorliegt, hier eine eigene Arbeitsübersetzung:

Grundsätzliche Kriterien für die Anwendung des 8. Kapitels von Amoris Laetitia

Sehr geehrte Priester!

Mit Freude haben wir das Apostolische Schreiben Amoris laetitia erhalten, das uns vor allem dazu aufruft, die Liebe der Ehegatten wachsen zu lassen und die Jugendlichen zu motivieren, sich für Ehe und Familie zu entscheiden. Das sind die großen Fragen, die nie vernachlässigt werden oder von anderen Themen in den Schatten gestellt werden dürfen. Franziskus hat mehrere Türen in der Familienpastoral geöffnet, und wir sind gerufen, diese Zeit der Barmherzigkeit zu nutzen, um als pilgernde Kirche den Reichtum anzunehmen, den uns das Apostolische Schreiben in seinen verschiedenen Kapiteln gibt.

Hier befassen wir uns nur mit dem 8. Kapitel, da es hier um „Richtlinien des Bischofs“ (300) zur Unterscheidung bezüglich des möglichen Zugangs zu den Sakramenten für einige „wiederverheiratete Geschiedene“. Wir halten es als Bischöfe der gleichen Pastoralregion für angebracht, uns in einigen Mindestkriterien zu einigen. Wir bieten diese an unbeschadet der Autorität, die jeder Bischof in seiner Diözese hat, diese zu präzisieren, zu ergänzen oder zu kommentieren.

1) Erstens erinnern wir daran, dass es nicht angebracht ist, von „Erlaubnis“ zum Zugang zu den Sakramenten zu sprechen, sondern von einem Prozess der Unterscheidung, begleitet von einem Priester. Das ist eine „persönliche und pastorale“ Unterscheidung (300).

2) Auf diesem Weg muss der Priester die Erstverkündigung betonen, das Kerygma, das die persönliche Begegnung mit Jesus Christus anregt oder erneuert (vgl. 58).

3) Die pastorale Begleitung ist eine Ausübung des „Weges der Liebe“. Es ist eine Einladung, dem  „Weg Jesu: (dem) Weg der Barmherzigkeit und der Eingliederung“ (296) zu folgen. Dieser Weg erfordert die Hirtenliebe des Priesters, der den Büßenden begleitet, ihm aufmerksam zuhört und ihm das mütterliche Gesicht der Kirche zeigt, zugleich seine rechte Gesinnung und gute Absicht anerkennt, sein Leben ganz in das Licht des Evangeliums und der Nächstenliebe zu stellen (vgl. 306).

4) Dieser Weg endet nicht zwangsläufig in den Sakramenten, sondern man kann sich auf andere Wege konzentrieren, sie mehr in das Leben der Kirche einzugliedern: eine stärkere Präsenz in der Gemeinde, die Teilnahme an Gebets- und Reflexionsgruppen, das Engagement in verschiedenen kirchlichen Diensten usw.  (vgl. 299).

5) Wenn die konkreten Umstände eines Paares es möglich machen, besonders wenn beide Christen auf dem Weg des Glaubens sind, kann man vorschlagen, das Bestreben nach einem Leben in Enthaltsamkeit auf sich zu nehmen. Amoris Laetitia leugnet die Schwierigkeiten dieser Option nicht (vgl. anm. 329) und lässt die Möglichkeit offen, das Sakrament der Versöhnung zu empfangen, wenn man diesen Vorsatz nicht gehalten hat (vgl. Anm. 364 nach der Lehre des heiligen Johannes Paul II. im Schreiben an Kardinal W. Baum vom 22 03. 1996).

6) In anderen komplexeren Fällen und wenn eine Annulierung nicht erreicht werden kann, kann die erwähnte Option undurchführbar sein. Nichtsdestotrotz ist ein Weg der Unterscheidung möglich. Wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass in einem konkreten Fall Einschränkungen vorhanden sind, die Verantwortlichkeit und Schuldhaftigkeit mildern (vgl. 301-302), besonders wenn eine Person der Auffassung ist, eine neue und größere Schuld auf sich zu laden durch Schädigung der Kinder aus der neuen Verbindung, dann eröffnet Amoris Laetitia die Möglichkeit des Zugangs zu den Sakramenten der Versöhnung und der Eucharistie (vgl. Anmerkungen 336 und 351). Diese wiederum disponieren die Person, mit der Kraft der Gnade weiter zu wachsen und zu reifen.

7) Jedoch muss vermieden werden, diese Möglichkeit als uneingeschränkten Zugang zu den Sakramenten zu verstehen oder als ob jedwede Situation diesen rechtfertigen würde. Was vorgeschlagen wird, ist eine Unterscheidung, die jeden einzelnen Fall angemessen unterscheidet. Besondere Sorgfalt ist etwa angebracht bei einer „neuen Verbindung, die kurz nach einer Scheidung eingegangen wird“ oder der „Situation von jemandem, der wiederholt seinen familiären Verpflichtungen gegenüber versagt hat“ (298). Auch dann, wenn die eigene Situation entschuldigt oder zur Schau gestellt wird, „als sei sie Teil des christlichen Ideals“ (297). in diesen schwierigeren Fällen, müssen die Hirten besonders geduldig begleiten und einen Weg der Integration suchen (vgl. 297, 299).

8) Immer ist es wichtig, die Menschen dahingehend zu orientieren, sich mit ihrem Gewissen vor Gott zu stellen, und dafür ist die „Gewissenserforschung“, die Amoris Laetitia 300 vorschlägt, nützlich, insbesondere wo sie sich darauf bezieht, wie sich die Ehepartner den Kindern und dem früheren Ehepartner gegenüber verhalten haben. Wo es ungelöstes Unrecht gibt, ist der Zugang zu den Sakramenten besonders skandalös.

9) Es kann angemessen sein, dass ein möglicher Zugang zu den Sakramenten diskret gehandhabt wird, vor allem wenn noch Konfliktsituationen vorherrschen. Doch zugleich darf nicht unterlassen werden, die Gemeinschaft so zu begleiten, dass sie im Geist des Verständnisses und der Akzeptanz wächst, ohne dass dies zu Verwirrung über die Lehre der Kirche zur Unauflöslichkeit der Ehe führt. Die Gemeinschaft ist Werkzeug der Barmherzigkeit, die „unverdient, bedingungslos und gegenleistungsfrei“ ist (297).

10) Die Unterscheidung hört nicht auf, weil sie „dynamisch ist und  immer offen bleiben muss für neue Phasen des Wachstums und für neue Entscheidungen, die erlauben, das Ideal auf vollkommenere Weise zu verwirklichen“ (303), gemäß dem Gesetz der Gradualität (295) und im Vertrauen auf die Kraft der Gnade.

Wir sind vor allem Hirten. Darum wollen wir uns diese Worte des Papstes zu Eigen machen: „Ich lade die Hirten ein, liebevoll und gelassen zuzuhören, mit dem aufrichtigen Wunsch, mitten in das Drama der Menschen einzutreten und ihren Gesichtspunkt zu verstehen, um ihnen zu helfen, besser zu leben und ihren eigenen Ort in der Kirche zu erkennen“ (312).

In Liebe in Christus.

Die Bischöfe der Region (Buenos Aires)

  1. September 2016

 

Original: Spanisch. Übersetzung Abschnitt „Hirtensorge“: Osservatore Romano. Redaktioneller Teil und Arbeitsübersetzung: Maria Fischer, schoenstatt.org

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