Veröffentlicht am 2012-07-10 In Schönstätter

Erntedank im Juni – Feier des Goldenen Priesterweihejubiläums von Pater Tilmann Beller in Óbudavár

UNGARN, P. Elmar Busse. „Noch schnell ein Fliegengitterrollo am Dachfenster!“ Im Nachbarzimmer surrt ein Akkuschrauber. Überall emsige Geschäftigkeit. Die ungarischen Familien haben allen Ehrgeiz investiert, um rechtzeitig zum großen Fest den vorläufig letzten Abschnitt ihres Tagungshauses fertig zu stellen. Mit 104 Betten und etlichen Matratzen, verteilt auf mehrere Häuser, gehört das ungarische Schönstatt-Zentrum in Óbudavár im europäischen Vergleich zu den größeren Schönstatt-Zentren. Dazu als Touristenattraktion: der 9km entfernte Balaton, den man von der luftigen Terrasse zwischen den Häusern aus sehen kann. Dann kommt der große Tag: Am Hochfest Johannes des Täufers, 24. Juni, hatte die ungarische Schönstatt-Bewegung alle eingeladen, um das Goldene Priesterjubiläum von Pater Tilmann Beller zu feiern. Eine Woche danach feierte er es mit Schönstättern aus Österreich und Deutschland in München.

Ca. 150 Familien sind angereist, dazu ungefähr 50 Jugendliche. Während die meisten Gäste unter den schattigen Bäumen rund um das Heiligtum einen Platz finden, lässt es sich Pater Beller nicht nehmen, von einem sonnigen Platz aus einen Vortrag zu halten. Alle besorgt-liebevollen Versuche von Ehepaar Gódány, den Mitgründern der Schönstatt-Bewegung in Ungarn, ihren lieben Tilmann atya (= Vater) dazu zu bewegen, in den Schatten des Vorzeltes zu kommen, scheitern am hartnäckigen Widerstand des „Festgegenstandes“. Sicher erinnert sich dieser an den Gründer Schönstatts, der am 16. Juli 1967 anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Gründung des Familienwerkes im KZ Dachau bei ähnlich heißen Temperaturen auf den Fundamenten der Häftlingsbaracke seine Ansprache hielt. – Wenn Treue zum Gründer, dann auch in solchen Details! In seinem Vortrag, den er teils auf Ungarisch hält, betont Pater Beller die Grundzüge der Ehespiritualität Pater Kentenichs. Aus den von ihm postulierten seelischen  Grundbedürfnissen des Menschen – nämlich  Bindung, Selbstwerterhöhung,  Orientierung, Selbstbestimmung sowie Offenheit für Transzendenz – widmete sich Pater Beller vor allem der Selbstwerterhöhung.

Bin mehr in deinen Augen wert als ohne mich die ganze Welt

Pater Beller zitiert aus der Credo-Meditation, die Pater Kentenich als Häftling in Dachau verfasst hatte:

Wir sind so arm und schwach und bloß;
du machst erhaben uns und groß
zu des verklärten Herren Glied,
der als das Haupt zu dir uns zieht.

Du, Gott, erhöhest unser Sein,
ziehst in die Seel‘ als Tempel ein,
wo mit dem Sohn und Heiligen Geist
du dich als Dauergast erweist!

So sind wir über alle Welt
ins Göttliche hineingestellt,
sind mehr in deinen Augen wert
als ohne uns die ganze Erd‘.

Die Werke jeglicher Kultur
sind wie ein kleines Stäubchen nur,
gemessen an der Herrlichkeit,
die deine Liebe uns verleiht.

aus der Werkzeugsmesse in der Gebetssammlung Himmelwärts

Die Betonung der Pflege des Selbstwertgefühls wird verständlich auf dem Hintergrund der kommunistischen Vergangenheit Ungarns. In dieser Diktatur wurde dem Einzelnen immer wieder seine Kleinheit und Unbedeutendheit gegenüber einer sich allmächtig und allwissend aufführenden Partei vor Augen geführt. In dieser gesellschaftlichen Deformation des Menschen wirkte die Botschaft eines Josef Kentenich „Du bist unendlich wertvoll“ als befreiende und frohmachende Botschaft. Im kirchlichen Ritus der Eheschließung versprechen die Ehepaare nicht nur, dass sie sich lieben wollen, sondern auch, dass sie sich achten und ehren wollen. Das ist die große Herausforderung für jedes Paar, angesichts des Erlebnisses der eigenen Grenzen und Schwächen sowie der des Partners, eine Binnenkultur der Achtung und Ehrfurcht aufzubauen und zu pflegen. So wird der Mensch immun gegen die Entwertungstendenzen, die in der nachkommunistischen Ära nicht weniger, aber andersartig geworden sind.

Demütig-selbstbewusst

Nach dem Vortrag meinte ein Paar zu mir: „Ja, das war in jeder Tagung das Thema: gegenseitige Wertschätzung, emporbildendes Verstehen! Und das in endlos vielen Variationen.“ Und man merkt es den ungarischen Familien auch an. Das sind demütig-selbstbewusste Ehepaare, die sich an ihrem Sosein freuen, und es nicht nötig haben, andere herabzusetzen, um selber gut dazustehen. Pater Beller bittet die Anwesenden, doch einmal Bilanz zu ziehen: Was hat mir Schönstatt im Laufe der Jahre gebracht? und er bittet sie, ihm das anonym und schriftlich zu geben. Nachdenkliche Gesichter sieht man da, und meistens sind es die Frauen, die die geistig-seelische Ernte ihres ehelichen Liebesbündnisweges zu Papier bringen. Und dann stehen alle Schlange. Jedes Paar möchte noch einmal persönlich mit dem geistlichen Vater reden, dem es so viel verdankt. Nach drei Stunden hat auch der letzte seine eigene Begegnung mit Pater Beller gehabt, der jedem noch ein Wort für die Zukunft mit auf den Weg gibt.

Mitentwickler, Geschichtenerzähler, kreative Weitermacher

Nach einer kurzen Erholungspause feiern alle die heilige Messe. Vizeprovinzial Pater Stefan Strecker, der Rektor der Münchner Patresfiliale, Pater Elmar Busse, Benediktinerpater Richard aus der nahe gelegenen Abtei Tihany, der den Sommer über bei den Familientagungen die Messen zelebriert, und der Diakon János Vértesaljai aus der Bewegung stehen unter dem Zelt der Altarinsel, Chor und Instrumentalgruppe dahinter. Die Zahl der Gläubigen hat gegenüber dem Vormittag noch zugenommen.

In seiner Predigt zieht Pater Busse Parallelen zwischen Steve Jobs und Pater Beller. Im Apple-Konzern ist man beim i-Phone dazu übergegangen, den Quellcode öffentlich zugänglich zu machen. Dadurch haben Tausende von begeisterten i-Phone-Benutzern angefangen, kleine Zusatzprogramme zu programmieren, so genannte Apps (von applications), um aus dem Handy ein Multifunktionsgerät zu machen. Aus zufriedenen Kunden wurden so Mitentwickler.

Ähnlich hat Pater Beller darauf geachtet, dass er nicht zufriedene und anspruchsvolle Konsumenten um sich sammelt, sondern Mitentwickler und Apostel, die ihre guten Erfahrungen mit Schönstatt offenherzig und großzügig weitergeben. Es ist für einen Gast aus dem Ausland schon faszinierend, welche apostolische Dynamik die junge ungarische Schönstatt-Bewegung entwickelt.

Im zweiten Punkt verglich Pater Busse den Kommunikationsstil, wie er in der „OASIS“ [= ungarische Schönstatt-Quartalsschrift mit Auflage von 1000 Exemplaren] gepflegt wird, mit den Erzählungen der Chassidim. Im osteuropäischen Judentum hatte sich im 18./19.Jh eine Wirklichkeit herausgebildet, die religionsgeschichtlich einmalig ist. In vielen Religionen brechen immer wieder mystische Strömungen auf, die aber normalerweise an die ehelose Lebensform gekoppelt sind. Am bekanntesten sind in Europa die „tanzenden Derwische“ oder auch Sufis aus der islamischen Mystik. Der verheiratete Rabbi, der mit seiner Lebenserfahrung den Menschen seiner Stadt praktische Hilfen gibt, um das Leben aus dem Glauben heraus zu bewältigen, ist etwas Besonderes. Und es zeichnet die kleinen Anekdoten, in denen die Lebensweisheit verpackt ist, aus, dass sie ohne den erhobenen Zeigefinger auskommen. Ähnlich wie die Chassidím in der Vergangenheit im Judentum bahnt sich mit der Schönstatt-Familienbewegung eine eheliche/familiäre Lebenskultur an, die in kleinen Anekdoten Lebenskunst aus christlichem Glauben weitergibt.

Im dritten Punkt seiner Predigt wies Pater Busse auf das psychologische Gesetz hin, dass aus Opfern oft Täter werden. D.h. Menschen, die in ihrer Kindheit Opfer waren, bleiben in diesem Muster verfangen, aber ändern die Rollen. Das gilt nicht nur für Einzelschicksale, sondern auch für Institutionen. So liegt die Vermutung nahe, dass die Schönstatt-Bewegung, die 14 Jahre lang unter dem Heiligen Offizium gelitten hatte und mit dem Verdacht mangelnder Rechtgläubigkeit konfrontiert war, solche Tendenzen in den eigenen Reihen entwickelt. Und je weniger jemand Erfolg im Apostolat hat, desto größer ist die Versuchung, gegenüber anderen Aposteln Heiliges Offizium zu spielen und deren Gründertreue in Frage zu stellen. Dabei wird oft übersehen, dass die Treue zu den Methoden des Gründers anspruchsvoller ist als die Treue zu seinen Ergebnissen. – Doch von all dem ist in der ungarischen Schönstatt-Bewegung nichts zu spüren.

Die Gründergeneration vertraut der Jugend und hält es für selbstverständlich, dass dann, wenn das Lebensgefühl einer neuen Generation sich mit der Spiritualität Schönstatts verbindet, auch neue Ausdrucksformen entstehen. Diese Intuition des Predigers wird sowohl von den Älteren wie den Jüngeren später leidenschaftlich bestätigt.

Wo Saaten aufgehen

Nach der Messe bleibt noch Raum für Austausch bei Kaffee und Kuchen. Und dann geht der Tag des Goldenen Priesterjubiläums über in den Start der jährlichen Tagung von dem ersten und zweiten Familienbundeskurs. Bis zum Ende der Ferien wird Woche für Woche (insgesamt 11 Wochen) eine neue Gruppe von Familien an diesem modernen Gnadenort sich Orientierung und Lebenshilfe holen. Die Saat, die der einsame Sämann vor 29 Jahren in Ungarn gesät hat, ist aufgegangen und hat vielfältige Frucht gebracht. Ein neuer Wachstumsring sind die internationalen Familientagungen, auf denen die Vorträge und Erfahrungsaustauschrunden sowie die Gottesdienste auf Englisch bzw. Deutsch gehalten werden.

Schönstatt in  Ungarn:  www.schoenstatt.hu

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