Veröffentlicht am 2013-09-14 In Franziskus - Initiativen und Gesten

Franziskus bietet die leeren Klöster als Flüchtlingsheime an

VIS/org. “Der Papst kehrte nach Lampedusa zurück. Oder besser gesagt, Lampedusa kehrte zum Papst zurück”, so ein spanischer Journalist. Franziskus hat am frühen Nachmittag des 10. September das Astalli-Zentrum in Rom besucht, ein Heim für Asylanten und Flüchtlinge, das vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst betreut wird. Der Papst kam zur Zeit der Essensausgabe in der Suppenküche und grüßte die Gäste wie die Freiwilligen, die an den Tischen bedienten. Danach ging er in die Kapelle des Zentrums, um einige Minuten zu beten, und dann in die  benachbarte Kirche Il Gesú, wo er mit etwa 500 Personen zusammentraf, die alle zu diesem Zentrum gehören – Mitarbeiter, Freiwillige, Freunde und eben dort lebende Flüchtlinge und Asylanten. Er hörte, bevor er selbst sprach, die Zeugnisse zweier Flüchtlinge, eines Sudanesen und einer Frau aus Syrien. Und dann bot er den Flüchtlingen die leerstehenden und geschlossenen Konvente an. „Wozu dienen geschlossene Konvente? Die Konvente sollen dem Fleisch Christi dienen, und die Flüchtlinge sind das Fleisch Christi.“ Der Heilige Vater  unterstrich, dass es für die ganze Kirche wichtig sei, dass die Aufnahme der Armen und die Förderung der Gerechtigkeit nicht an „Spezialisten“ delegiert werde, sondern das Zentrum der gesamten pastoralen Arbeit sein müsste; diese Verantwortung gelte aber insbesondere den religiösen Instituten, die besser lernen müssten, in den Flüchtlingsströmen die „Zeichen der Zeit“ zu lesen.

Wir veröffentlichen hier in eigener Übersetzung den vollständigen Text der Ansprache des Heiligen Vaters:

 

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Ich begrüße an erster Stelle euch alle, euch Flüchtlinge. Wir haben Adam und Carol gehört. Danke für eure starken Zeugnisse. Jeder von euch, liebe Freunde, bringt mit sich eine Lebensgeschichte, die uns von den Dramen der Kriege, der Konflikte erzählt, die so oft mit der internationalen Politik verbunden sind.

Aber vor allem bringt jeder von euch einen menschlichen und religiösen Reichtum mit, einen  Reichtum, den es anzunehmen und nicht zu fürchten gilt. Viele von euch sind Moslems, gehören anderen Religionen an; ihr kommt aus verschiedenen Ländern, unterschiedlichen Situationen. Wir dürfen keine Angst haben vor den Unterschieden! Die Geschwisterlichkeit lässt uns darin einen Schatz entdecken. Sie sind ein Geschenk für alle! Leben wir die Geschwisterlichkeit!

Rom! Nach Lampedusa und den anderen Anlaufstellen ist für viele unsere Stadt die zweite Etappe. Oft, so haben wir gehört, ist es eine schwierige, mühselige Reise, ja, mitunter auch eine, auf der ihr Gewalt begegnet. Ich denke besonders an die Frauen, an die Mütter, die das aushalten, um für ihre Kinder eine Zukunft zu sichern und die Hoffnung auf ein anderes Leben für sie und ihre Familien. Rom muss die Stadt sein, die erlaubt, einer menschlichen Dimension zu begegnen und anzufangen zu lächeln. Wie oft aber müssen hier wie an anderen Orten Menschen, die in ihrer Aufenthaltserlaubnis “internationalen Schutz” stehen haben, in schwierigsten Verhältnissen leben, manchmal mit entwürdigender Behandlung, und ohne jede Möglichkeit, ein würdiges Leben zu beginnen oder an eine neue Zukunft zu denken!

Danke an alle, die wie dieses Zentrum und andere kirchliche, öffentliche und private Dienste sich darum kümmern, diese Menschen mit einem Projekt wie diesem aufzunehmen. Dank an Pater Giovanni und die Brüder; an euch, Arbeiter, Freiwillige, Wohltäter, die ihr nicht nur etwas von eurer Zeit gebt, sondern denen es darum geht, in Verbindung zu kommen mit den Asylbewerbern und Flüchtlingen, die ihr als Personen anerkennt und für die ihr konkrete Antworten auf ihre Bedürfnisse sucht. Haltet die Hoffnung immer lebendig! Helft, das Vertrauen wiederzugewinnen! Zeigt, dass sich mit Gastfreundschaft und Geschwisterlichkeit ein Fenster zur Zukunft öffnen lässt; mehr als ein Fenster, eine Tür, und dass es eine Zukunft gibt!

Und es ist wunderbar, dass es bei der Arbeit für die Flüchtlinge zusammen mit den Jesuiten Männer und Frauen, Christen und auch Nichtgläubige und Angehörige anderer Religionen gibt, verbunden im Einsatz für das Gemeinwohl, das für uns Christen Ausdruck der Liebe des Vaters in Jesus Christus ist.

Ignatius von Loyola wollte, dass es in dem Haus, in dem  er in Rom lebte, einen Ort für die Ärmsten gebe; Pater Arrupe gründete 1981 den Jesuiten-Flüchtlingsdienst und er wollte, dass dessen römischer Sitz in diesem Gebäude mitten im Herzen der Stadt sei. Ich denke jetzt an jenen geistlichen Abschied von Pater Arrupe in Thailand, gerade in einem Flüchtlingszentrum …

Dienen, begleiten, verteidigen: diese drei Worte sind das Arbeitsprogramm der Jesuiten und ihrer Mitarbeiter.

Dienen. Was heißt das? Dienen heißt, der Person, die kommt, mit Sorgfalt einen Platz geben; es bedeutet, vor dem niederzuknien, der Not leidet und ihm die Hand zu reichen, ohne Berechnungen, ohne Angst, mit Zärtlichkeit und Verstehen, so wie Jesus sich niedergekniet hat, um den Aposteln die Füße zu waschen. Dienen bedeutet, an der Seite der Bedürftigsten zu arbeiten, mit ihnen in erster Linie menschliche Beziehungen aufzubauen, Beziehungen der Nähe, Bindungen der Solidarität.

Solidarität, dieses Wort macht der entwickelten Welt Angst. Man bemüht sich, es nicht auszusprechen. Solidarität scheint fast ein Schimpfwort zu sein. Aber es ist unser Wort! Dienen bedeutet, die Fragen der Gerechtigkeit, der Hoffnung, zu erkennen und zu sammeln und gemeinsam Wege zu suchen, konkrete Schritte der Befreiung.

Die Armen sind bevorzugte Lehrer der Gotteserkenntnis; ihre Schwäche und Einfachheit bringt unsere Egoismen, unsere falschen Sicherheiten, unsere Selbstzufriedenheiten zum Vorschein und führen uns zur Erfahrung der Nähe und Zärtlichkeit Gottes, um in unserem eigenen Leben seine Liebe, die Barmherzigkeit des Vaters zu erfahren, des Vaters, der mit Feingefühl und geduldigem Vertrauen für uns sorgt, für uns alle.

Von diesem Ort der Gastfreundschaft, der Begegnung und des Dienstes, soll eine Frage für alle, für alle, die hier in der Diözese Rom leben, entstehen: Beuge ich mich über den, der in Problemen steckt, oder habe ich Angst, mir die Hände schmutzig zu machen? Bin ich in mir selbst verschlossen, in meinen eigenen Angelegenheiten, oder weiß ich anderen zu dienen, die Hilfe brauchen? Diene ich mir selbst, oder weiß ich zu dienen wie Christus, der gekommen ist, bis zur Hingabe seines Lebens zu dienen? Schaue ich in die Augen derer, die Gerechtigkeit suchen, oder schaue ich weg? Damit ich ihnen nicht in die Augen schauen muss?

Begleiten. In den letzten Jahren hat das Astalli-Zentrum einen Weg beschritten. Am Anfang bot es Dienste der ersten Gastfreundschaft: eine Suppenküche, ein Bett, juristische Hilfe… Danach lernte es, die Menschen auf der Suche nach Arbeit und Eingliederung in die Gesellschaft zu begleiten. Und später kamen kulturelle Aktivitäten dazu zur Entwicklung einer Kultur der Gastfreundschaft, einer Kultur der Begegnung und der Solidarität ausgehend vom Schutz der Menschenrechte. Gastfreundschaft allein reicht nicht. Es reicht nicht, ein Butterbrot zu geben, wenn es nicht begleitet ist von der Möglichkeit zu lernen, auf eigenen Füßen zu stehen. Nächstenliebe, die die Armen so lässt wie sie sind, reicht nicht. Wahre Barmherzigkeit, jene, die Gott schenkt und uns lehrt, erbittet Gerechtigkeit, bittet, dass der Arme seinen Weg findet heraus aus der Armut! Bittet – und bittet uns als Kirche, uns als Stadt Rom, uns als Institutionen -, bittet, dass niemand mehr eine Suppenküche braucht, eine zeitweilige Unterkunft, rechtliche Unterstützung um sein ureigenes Recht auf Leben und Arbeit anerkannt zu bekommen, ganz Mensch, ganz Persönlichkeit zu sein!

Adam sagte: “Wir Flüchtlinge haben die Pflicht, alles uns mögliche zu tun, um in Italien integriert zu sein.” Und das ist ein Recht: die Integration! Und Carol sagte: „Die Syrer in Europa fühlen die große Verantwortung, keine Last zu sein, wir wollen aktiver Teil einer neuen Gesellschaft sein.“ Auch das ist ein Recht! Diese Verantwortung ist die ethische Grundlage, die Kraft, um gemeinsam zu bauen. Und ich frage mich: Begleiten wir diesen Weg?

Verteidigen. Dienen, Begleiten heißt auch Verteidigen, heißt, Partei ergreifen für die Schwächsten. Wie oft erheben wir die Stimme, um unsere Rechte zu verteidigen, aber wie oft sind wir gleichgültig gegenüber den Rechten der anderen! Wie oft können oder wollen wir nicht denen Gehör verschaffen, die wie Sie gelitten haben und leiden; denen, deren Rechte mit Füßen getreten werden, die Gewalt erlitten haben, denen man selbst das Recht auf Recht genommen hat!

Für die ganze Kirche ist es wichtig, dass die Aufnahme des Armen und die Förderung der Gerechtigkeit nicht nur an „Spezialisten“ delegiert werden, sondern dass sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit der gesamten Pastoral rückt, der Ausbildung der werdenden Priester und Ordensleute, des normalen Engagements der Pfarreien, der Bewegungen und kirchlichen Gruppen.

Insbesondere – und das ist jetzt wichtig und ich sage es aus dem Herzen -, insbesondere möchte ich die religiösen Institute einladen, ernsthaft und verantwortungsvoll dieses Zeichen der Zeit zu lesen. Der Herr ruft uns, mit mehr Mut und Hochherzigkeit die Gastfreundschaft in den Gemeinschaften, in den Niederlassungen, in den leeren Konventen zu lesen…

Liebe Ordensmänner und Ordensfrauen, die leeren Konvente dienen der Kirche nicht, um sie in Hotels zu verwandeln und Geld damit zu verdienen. Die leeren Konvente gehören euch nicht, sie sind für das Fleisch Christi, die Flüchtlinge. Der Herr ruft dazu auf, mit mehr Mut und Großzügigkeit die Aufnahme der Armen in den Gemeinden, in den Häusern, in den leeren Konventen, anzugehen. Dies ist sicherlich nicht einfach, es benötigt Kriterien, Verantwortung, aber auch Mut.

Wir tun viel, aber vielleicht sind wir gerufen, mehr zu tun, aufzunehmen und entschieden zu teilen, was die Vorsehung uns zum Dienen gegeben hat. Die Versuchung der spirituellen Weltlichkeit überwinden, um den normalen Menschen nahe zu sein, vor allem den Letzten… Wir brauchen solidarische Gemeinschaften, die die Liebe konkret und real leben!

Jeden Tag stellen sich hier und in anderen Zentren vor allem junge Menschen in eine lange Reihe für eine warme Mahlzeit. Diese Menschen erinnern uns an die Leiden und Dramen der Menschheit.

Aber diese Reihe sagt uns auch, dass etwas zu tun, jetzt, möglich ist.

Es reicht an die Tür zu klopfen und zu sagen: ‚Ich bin da. Womit kann ich helfen?‘

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