PAPST FRANZISKUS – WELTTAG DER ARMEN •
Papst Franziskus hat am 2. Welttag der Armen eindringlich dazu aufgerufen, „den Schrei derer zu hören, die in stürmischen Wassern leben“. Bei der heiligen Messe im Petersdom mahnte er die Kirche und die Gläubigen, sie solle sich nicht so sehr „mit den Stürmen des Augenblicks“ beschäftigen, sondern „Jesus an Bord einladen“ und wie er den Armen die Hand hinstrecken. —
Und das nicht einfach nur aus sozialem Verantwortungsbewusstsein (das auch), sondern aus einer theologischen Notwendigkeit: erst die Begegnung (Kultur der Begegnung) mit Armen, mit Menschen, die bedürftig sind, und die echte Verbundenheit mit ihnen (Bündniskultur), die uns dazu bringt, selbstlos zu dienen und von ihnen zu lernen (Solidarität), bringt uns dazu, uns nicht auf den Sockel der Selbstzufriedenheit zu stellen und so die Tiefe des Glaubens zu verlieren.

Vatican Media
Die Predigt des Papstes in der heiligen Messe am Welttag der Armen, 18. November 2018
„Schauen wir auf drei Dinge, die Jesus im Evangelium tut.
Die wahren Schätze: Gott und der Nächste
Um wohin zu gehen? Hin zu Gott – im Gebet – und hin zu den Bedürftigen – durch seine Liebe. Sie sind die wahren Schätze des Lebens: Gott und der Nächste. Zu Gott aufsteigen und zu den Brüdern und Schwestern hinabsteigen, dies also ist der Weg, den Jesus uns weist. Er bringt uns davon ab, ungestört in den Komfortzonen des Lebens zu grasen und müßig zwischen den kleinen alltäglichen Befriedigungen dahinzuleben. Die Jünger Jesu sind nicht für die vorhersehbare Ruhe eines normalen Lebens geschaffen. Wie ihr Herr befinden sie sich immer auf dem Weg, unbeschwert und bereit, auf den Ruhm des Augenblicks zu verzichten, und darauf bedacht, nicht an vergänglichen Gütern zu hängen. Der Christ weiß, dass seine Heimat woanders ist, er weiß, dass er schon jetzt – wie uns der Apostel Paulus in der zweiten Lesung in Erinnerung ruft – »Mitbürger der Heiligen und Hausgenosse Gottes« (vgl. Eph 2,19) ist. Er ist ein agiler Wanderer auf seinem Lebensweg. Wir leben nicht, um Dinge anzuhäufen, unsere Ehre besteht darin, das zu lassen, was vergeht, um an dem festzuhalten, was bleibt. Bitten wir Gott, dass wir der in der ersten Lesung beschriebenen Kirche ähnlich sein dürfen: immer in Bewegung, erfahren im Loslassen und treu im Dienen (vgl. Apg 28,11-14). Wecke uns, Herr, aus der müßigen Ruhe und der flauen Stille unserer sicheren Häfen. Binde uns los von den Anlegestellen der Selbstbezogenheit, die das Leben mit Ballast anfüllt, befreie uns von der Suche nach unseren Erfolgen. Lehre uns loszulassen, damit wir den Kurs unseres Lebens nach dem deinen ausrichten: hin zu Gott und hin zum Nächsten.
Von den Wellen hin- und hergeworfen
Zweitens: Mitten in der Nacht ermutigt Jesus. Er geht „über das Meer“ zu den Seinen, die von Dunkelheit umgeben sind. In Wirklichkeit war es ein See, aber mit dem Meer, mit der Tiefe seiner unterirdischen Dunkelheit, assoziierte man damals die Kräfte des Bösen. Jesus geht also, mit anderen Worten, hinaus, um den Seinen zu begegnen, indem er die bösen Feinde des Menschen mit Füßen tritt. Das ist die Bedeutung dieses Zeichens: Es geht nicht um eine feierliche Zurschaustellung von Macht, sondern um die an uns ergehende Offenbarung von beruhigender Gewissheit, dass Jesus, Jesus allein, unsere großen Feinde überwindet: den Teufel, die Sünde, den Tod, die Angst. Er sagt heute auch zu uns: »Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!« (V. 27).
Den Glauben im Kontakt mit den Bedürftigen leben
Den Schrei der Armen hören
Jesus hat auf den Schrei des Petrus gehört. Bitten wir um die Gnade, den Schrei derer zu hören, die in stürmischen Wassern leben. Der Schrei der Armen: Es ist der erstickte Schrei von Kindern, die das Licht der Welt nicht erblicken, der Kleinen, die Hunger leiden, der Heranwachsenden, die an das Getöse von Bomben gewöhnt sind statt an das fröhliche Lärmen des Spiels. Es ist der Schrei der alten Menschen, die abgeschoben und allein gelassen wurden. Es ist der Schrei derer, die sich ohne Hilfe an ihrer Seite den Stürmen des Lebens stellen müssen. Es ist der Schrei derjenigen, die fliehen und ihr Zuhause und ihr Heimatland ins Ungewisse hinein verlassen müssen. Es ist der Schrei ganzer Völker, die ihrer eigentlich beachtlichen natürlichen Ressourcen beraubt werden. Es ist der Schrei der vielen Lazarusse, die weinen, während einige reiche Prasser das genießen, was rechtmäßig allen zusteht. Die Ungerechtigkeit ist die perverse Wurzel der Armut. Der Schrei der Armen wird jeden Tag lauter, aber er wird jeden Tag weniger gehört – übertönt vom Lärm einiger weniger Reicher, die immer weniger und immer reicher werden.
Nicht nur denen Gutes tun, die uns mögen
Vor der mit Füßen getretenen Menschenwürde steht man oft mit verschränkten Armen da oder lässt sie angesichts der dunklen Macht des Bösen ohnmächtig sinken. Aber ein Christ kann nicht mit gleichgültig verschränkten oder fatalistisch herabhängenden Armen dastehen, nein. Der Gläubige streckt seine Hand aus, wie Jesus es bei ihm tut. Bei Gott findet der Schrei der Armen Gehör, wie aber sieht es bei uns aus? Haben wir Augen, um zu sehen, Ohren, um zu hören, ausgestreckte Hände, um zu helfen? »Christus selbst [ruft] in den Armen mit lauter Stimme seine Jünger zur Liebe auf« (ebd.). Er fordert uns auf, ihn in denen zu erkennen, die hungrig und durstig, fremd und ihrer Würde beraubt, krank und gefangen sind (vgl. Mt 25,35-36).
Der Herr streckt seine Hand aus; es ist eine freie, ungeschuldete Geste. So macht man das. Wir sind nicht berufen, nur denen Gutes zu tun, die uns mögen. Etwas zu erwidern ist normal, aber Jesus bittet uns, noch weiter zu gehen (vgl. Mt 5,46): denen zu geben, die nichts zurückgeben können, also unentgeltlich zu lieben (vgl. Lk 6,32-36). Schauen wir unseren Alltag an: Tun wir bei all den vielen Dingen etwas Unentgeltliches, etwas für diejenigen, die nichts zurückgeben können? Das ist dann unsere ausgestreckte Hand, unser wahrer Reichtum im Himmel.
Streck deine Hand zu uns aus, Herr, und ergreife uns. Hilf uns, so zu lieben, wie du liebst. Lehre uns, von dem zu lassen, was vergeht, und die Menschen um uns herum zu ermutigen wie auch die Bedürftigen unentgeltlich zu beschenken. Amen.“