Veröffentlicht am 2012-08-26 In Schönstatt im Herausgehen

Irgendwo da draußen …

ARGENTINIEN, Pilar Santillán. Ich dachte, ich würde nicht mehr auf diesen Wegen gehen … Unwahrscheinlich starke, ja unglaubliche Erfahrungen habe ich in meiner Zeit als Studentin bei den Misiones gehabt, doch seitdem waren ein paar Jahre gegangen. Mit meinen 29 Jahren hatte ich dies als „abgeschlossenen Lebensabschnitt“ verstanden, und diese Wochen der ungeteilten Hingabe an notleidende Nächste und Gott waren Geschichte. Und genau an diesem Punkt bekam ich noch einmal die Möglichkeit, diese eingeschlafene Berufung zu beleben, und zwar dank Dale Tu Mano, auf Deutsch: Gib ihnen deine Hand. Ich wusste nicht wirklich viel von dieser Gruppe, nur, dass dahinter gute Freunde von mir standen mit einem festen Willen: Die Ausbildung einer indigenen Gemeinschaft in La Merced, etwa sieben Kilometer von Santa Victoria Este in der Provinz Salta, im Grenzgebiet von Bolivien und Paraguay, zu sichern.

Ohne Fragen und ohne Antworten stieg ich am 28. Juli mittags in einen Langstreckenbus, zusammen mit den anderen Mitgliedern der Gruppe aus Buenos Aires. Um vier Uhr morgens stiegen dann 12 weitere Mitglieder aus Tucumán ein, mit denen zusammen wir ein Team von 34 Personen bildeten, die eine Woche lang auf Misiones gehen wollten in einem Ort, von dem wohl die meisten Leser noch nie etwas gehört haben.

Staub bist du

In Santa Victoria Este bekommt das Wort aus der Bibel: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst“ eine sehr reale Bedeutung, eine wortwörtliche. Uns erwartete ein Dorf in der Dämmerung mit nicht asphaltierten Straßen, wo ein stetiger, starker Wind Staubwolken vor sich hintreibt, die in jede Ritze eindringen, wo das einzige Grün auf einem Fußballplatz zu finden ist, den jemand tagtäglich bewässert, wo die Schweine auf der Suche nach Fressen um die Ecke streichen und wo es Krebse gibt, obwohl gar kein Meer da ist …

Hier, in diesem grauen Dorf, entdeckte ich, dass das Leben sich auch in der Stille, der Ruhe, dem langsamen Rhythmus verbergen kann. Und dass man unter dieser dicken Staubschicht Geschichten und ferne Wirklichkeiten entdeckt, die eigene Gnaden haben und Wort und Musik werden … Auf unseren Wegen begegneten wir einem Krankenhausdirektor, der alle fachärztlichen Behandlungen zugleich durchführt und einem Priester aus Buenos Aires, der sein Leben und sein Herz einer kleinen Gemeinde von Gläubigen schenkt, einer spanischen Nonne und einer aus Peru, die Jugendliche auf die Firmung vorbereiten, einem jungen Geigenspieler, der nach Gehör spielt und der Stolz des Dorfes ist, einem Radiosprecher, der das Leben in den Häusern belebt …

Die Chorote

Am ersten Tag der Misiones ging es nach La Merced, der Heimat der Chorote. Ein noch abgelegeneres, noch einsameres Dorf voller Heldengeschichten. Eine Bevölkerung, die im Jahr 2010 ans Stromnetz angeschlossen wurde und auch erst seitdem fließendes Wasser kennt, eine Bevölkerung, die Jahre des Vergessens und der Gleichgültigkeit überlebt hat. Nach einer Stunde Fußweg durch weichen Staub lag – für die meisten von uns das erste Mal – dieser Ort vor uns, von dem so viel gesprochen worden war. Ärmliche Hütten, barfüßige Kinder, die in einer uns unverständlichen Sprache redeten, Gehege mit Ziegen und Kühen, und im Herzen von La Merced die Schule Nr. 4171, auf der 143 Chorote-Kinder – und einige Criollos – ihre Grundschulausbildung machen. Die weiterführende Schule ist in Santa Victoria Este.

Als die jungen Leute von Dale Tu Mano diesen Ort vor gut fünf Jahren kennen lernten, spürten sie genau das, was man wahrnimmt, wenn man mit den Lehrern und der Rektorin dieser Schule spricht: hier entscheidet sich, was “Vaterland” ist, hier bekommt das Wort “Beruf als Berufung” eine unglaubliche Macht, und wer hier von Bedürfnissen spricht, redet vom Elementarsten, von einer Mahlzeit am Tag und vom Schulbesuch dieser Kinder, die auf den Boden schauen, wenn man sie nach ihrem Namen fragt und die im fünften Schuljahr richtig sprechen lernen …

Die Hand reichen

Und was passiert nach dem siebten Schuljahr, wenn sie die Grundschule verlassen? All die unendliche Anstrengung für den Grundschulabschluss? Ist die weiterführende Schule ein Privileg für wenige? Diese Fragen kommen, wenn man so viel Mühe und so viel Liebe wahrnimmt, auch wenn man nur eine Woche lang da ist. Es sind diese Fragen, die Dale Tu Mano weitermachen lassen: die Bildung und Förderung dieser Kinder sichern, Fahrräder besorgen für ihren Schulweg nach Santa Victoria Este, damit sie weiterlernen, Schulsachen kaufen, Familienbewusstsein stärken und die Integration der Indigenas und der Leute aus der „Stadt“ auf den Weg bringen ….

Die Idee ist so konkret und die Ergebnisse so sichtbar (dieses Jahr haben die ersten vier von Dale Tu Mano unterstützten Kinder den Schulabschluss geschafft!), dass die endlosen Wege unter brennender Sonne, die Dusche für 15 und dieser Staub, der alles, aber auch alles bedeckt, eine andere Dimension bekommen und in den Hintergrund treten.

Uns blieb eine lange Fahrt zurück nach Hause, nach Tucumán und Buenos Aires. Ich denke an Doyeun und Jin, die koreanischen Misioneros, die aus New York gekommen waren, und mir wird immer klarer, wie viel ich in dieser Woche gelernt und reich ich beschenkt worden bin. Und dass es nicht auf die Entfernung ankommt, wenn es gilt, jemandem die Hand zu reichen.

Misión 2012 – Vom 28. Juli bis 5. August

Teilnehmer Gerardo Angarami, P. Facundo Bernabei, Santiago Castagnino, Patricio Castagnino, Lucas Chiappe, Patricia Clement, Josefina Deane, Clara Dondo, Joaquín Elizalde, Santiago Fleming, Lucila Fleming, Federico Fracchia, Doyeun Kim, Jin Kim, Gloria Lago, Alejandro Matheu, Daniel Matheu, Marina Samaria, Lucía Santillán, María Santillán, Pilar Santillán, Sofía Saravia, Agustina Ahado, Rodolfo Alurralde, Constanza Cáceres, Guilllermo Cáceres, P. Tomás Dell’Oca, Sol Frías Silva, Fernando Gómez Omil, Martín Novillo, Gerardo Peña, Gonzalo Romero, Paula Simón, Sonia Stagnetto.

Angebote für Jugendliche (Sekundarschule Santa Victoria Este): Sketchs und Gruppengespräche über den Wert des Lernens und Süchte;
Angebote für Kinder: Spiele für die Kinder von La Merced.
Angebote für Lehrer: Gespräche über ihre Erfahrungen und den Wert von Teamarbeit

Angebote für Eltern: Sketche und Gespräche über Erziehung und Hilfe für ihre Kinder

Allgemeine Angebote: Besuch in den Häusern, im Krankenhaus und beim Radio

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