Veröffentlicht am 2014-05-27 In Franziskus - Initiativen und Gesten

Franziskus in Bethlehem: Eines Tages fallen die Mauern

HEILIGES LAND, org. Es war eine Geste, die alle überraschte, die Papst Franziskus vom Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde zur Geburts-Basilika in Bethlehem begleiteten, und nicht wenig. Als sein Wagen an der Mauer, die Palästina und Israel trennt, vorbeifuhr, bat er, anzuhalten und stieg aus. Der Halt war nicht vorgesehen; die Journalisten, die den Tross begleiteten, berichteten voller Staunen, dass er einfach ausgestiegen sei und mehrere Minuten still im Gebet an dieser hohen Betonmauer verweilte, ganz in der Nähe eines Wachtturms, auf dem ein israelischer Soldat Patrouille hatte. Franziskus berührte die Mauer mit der Hand und der Stirn… und fast glaubte man, sie müsse einstürzen. Jetzt.

„Eine starke Geste schweigender und betender Ablehnung! Eine Stille und ein Gebet, das mehr sagt als tausend Reden gegen diese Mauer, die den Ort der Geburt Jesu von dem seiner Auferstehung trennt“, so ein Kommentar von José M. Vidal, Redakteur von Religión Digital, Spanien.

“Eingehüllt in die Mystik der Geburtsstadt Jesu geht Papst Franziskus vom Wort zur Geste über in seinem Einsatz für eine Wiederbelebung des Friedensprozesses im Nahen Osten. Er hat sich entschieden, sich ganz hineinzugeben, und in einem überraschenden diplomatischen Zug von globaler Wirkung die Präsidenten Israels und Palästinas eingeladen, sich mit ihm im Vatikan einzufinden und für das Ende dieses ewigen Konfliktes zu beten, der diese Region im Griff hält“, so Vidal weiter. Und die Welt steht für einen Moment still und staunt.

Vor der Mauer aus Stein und den Mauern des Hasses

„Franziskus enthüllte sein geistliches Vermittlungsangebot nach der Heiligen Messe, die er neben der Geburtskirche gefeiert hat, während die Teilnehmer noch die andere historische Geste betrachteten: auf seinem Weg zum Krippenplatz hatte er gebeten, das Papamobil anzuhalten und war ausgestiegen, um vor dieser riesigen, hässlichen Betonmauer zu beten, die Israel und das Westjordanland teilt“, so Martín Rodríguez Yebra , Kolumnist der argentinischen Zeitung La Nación, die der Pilgerreise von Papst Franziskus mit mehreren Artikeln täglich folgte.

Die Präsidenten Shimon Peres und Mahmoud Abbas ließen fast unmittelbar anschließend mitteilen, dass sie die Einladung angenommen hatten. Und es wird bereits ein Datum genannt: 6. Juni. Weniger als zwei Wochen. Ein Datum, das zu einem Meilenstein in der Geschichte des Friedens werden kann. Ein Datum, das von jetzt an dem solidarischen Bündnis mit Franziskus eine Richtung geben kann: Er setzt sich mit seiner ganzen Kraft ein für den Frieden im Nahen Osten. Solidarisches Bündnis mit ihm: uns seinen Wunsch zu eigen machen und unseren kleinen Beitrag dazu geben – in mutigen Gesten des Friedens und der Barmherzigkeit, des Mutes und der Solidarität mit den Menschen, die unter Ungerechtigkeit, Lügen und Machtspielen leiden. Egal wo.

Die Leser von schoenstatt.org und das Solidarische Bündnis waren da

Gut zwei Wochen vor der historischen Wallfahrt von Papst Franziskus ins Heilige Land, pilgerte Claudia Echenique aus Buenos Aires,  aus dem Team von schoenstatt.org, mit ihrer Mutter und einer Gruppe argentinischer Pilger ins Heilige Land. Mit dabei hatte sie ein gutes Dutzend Kärtchen mit dem Symbol des solidarischen Bündnisses, das das Team von schoenstatt.org am 31. Mai 2013 als Fundament seines Dienstes am internationalen Leben der Schönstattfamilie untereinander und mit Papst Franziskus geschlossen hat. Wenn Pater Kentenich selbst nach seiner Rückkehr aus dem Exil am Ende des II. Vatikanischen Konzils seine Bewegung aufruft zum Liebesbündnis mit den Bischöfen, wie viel mehr dann mit dem Bischof von Rom, mit Papst Franziskus.

„Ich habe das Herz des solidarischen Bündnisses in der Geburtskirche, in der Grotte mit dem Stern von Bethlehem, in der Milchgrotte der Jungfrau Maria und in der Grotte auf den Hirtenfeldern gelassen, wo das MTA-Bild ist“, berichtet Claudia Echenique. „Manchmal habe ich davon Fotos machen können. An anderen Orten musste ich die Kärtchen verstecken, mehrfach geknickt und so klein wie möglich habe ich sie in Ritzen oder zwischen die Steine der Mauern gesteckt.“ Hauptsache, sie sind da. Hauptsache ist, dass nicht nur die Mitarbeiter und Leser von schoenstatt.org (denn für sie wird ja das alles in so vielen Stunden des Übersetzens, Redigieren, Schreibens… gemacht) damit an den heiligen Orten, die Franziskus besuchte, waren, wo er als Pilger und Prophet des Friedens, der Brüderlichkeit und Freundschaft der Kinder des einen Vaters sprach und handelte, sondern dass das solidarische Bündnis mit ihm in an jedem Ort, den er berührte, schon erwartete – in diesen Tagen, die Geschichte geschrieben haben und ganz sicher über den Moment und die Feierlichkeiten hinaus bewegen und bleiben.

Kinder als Symbol und Kriterium der Gesundheit der Familien und der Gesellschaft

Der Heilige Vater hat am Sonntagmorgen Weihnachten gefeiert, mitten im palästinensischen Sommer, auf dem Krippenplatz in Bethlehem. Regens Martin Emge aus dem Institut der Schönstatt-Diözesanpriester, der mit Studenten des Bamberger Priesterseminars im Heiligen Land ist, konnte bei der Heiligen Messe dabei sein. „War beim Papst. Ein starkes Erlebnis von Familie!“, schreibt er. Andere Schönstätter, unter ihnen eine Gruppe von Ehepaaren aus Chile in Begleitung von Pater José María García oder Rektor Egon Zillekens, Haus Marienau, der am Montagabend bei der Segnung des von der chilenischen Künstlerin María Jesús Fernández gestalteten Tabernakels des Magdalazentrums dabei sein sollte,  brachen an diesem Tag ins Heilige Land auf.

Ein wenig anders als am Tag zuvor in Amman war das Klima in Bethlehem, ernster… Der Präsident Palästinas, Mahmoud Abbas, nahm daran teil,  die Freunde Jorge Mario Bergoglios aus Buenos Aires Rabbi Abrahán Skoraka und dem muslimische Geistliche Omar Abboud, dazu zahlreiche Christen aus dem Gazastreifen und aus Galiläa, Gastarbeiter aus Asien, Argentinier, Brasilianer, die ihre Fahnen wehen ließen…

»Das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt« (Lk 2,12).

Welch eine große Gnade, die Eucharistie an dem Ort zu feiern, wo Jesus geboren ist! Ich danke Gott, und ich danke euch, die ihr mich auf dieser meiner Pilgerreise empfangen habt: dem Präsidenten Mahmoud Abbas und den anderen Vertretern des öffentlichen Lebens; dem Patriarchen Fouad Twal, den anderen Bischöfen und den geistlichen Oberen des Heiligen Landes, den Priestern, den guten Franziskanern, den gottgeweihten Personen und allen, die sich dafür einsetzen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe in diesen Gebieten lebendig zu erhalten; den Vertretern der Gläubigen aus Gaza, aus Galiläa und den Migranten aus Asien und Afrika. Danke für Euren Empfang!

Das in Bethlehem geborene Jesuskind ist das Zeichen, das Gott denen gegeben hat, die das Heil erwarteten, und es bleibt für immer das Zeichen der Zärtlichkeit Gottes und seiner Gegenwart in der Welt. Der Engel sagt zu den Hirten: »Das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden…«

Auch heute sind die Kinder ein Zeichen. Ein Zeichen der Hoffnung, ein Zeichen des Lebens, aber auch ein „diagnostisches“ Zeichen, um den Gesundheitszustand einer Familie, einer Gesellschaft, der ganzen Welt zu erkennen. Wenn die Kinder angenommen, geliebt, behütet und beschützt werden, ist die Familie gesund, wird die Gesellschaft besser und ist die Welt menschlicher. Denken wir an das Werk, welches das Institut Effetà Paolo VI für taubstumme palästinensische Kinder entfaltet: Es ist ein konkretes Zeichen der Güte Gottes. Es ist ein konkretes Zeichen, dass die Gesellschaft besser wird.

Gott wiederholt heute auch für uns Männer und Frauen des 21. Jahrhunderts: »Das soll euch als Zeichen dienen«, sucht das Kind…

Das Kind von Bethlehem ist zart wie alle Neugeborenen. Es kann nicht sprechen, und doch ist es das Wort, das Fleisch geworden und gekommen ist, um das Herz und das Leben der Menschen zu verändern. Jenes Kind ist wie alle Kinder schwach und bedarf der Hilfe und des Schutzes. Auch heute haben es die Kinder nötig, angenommen und geschützt zu werden – vom Mutterschoß an.

Leider gibt es in dieser Welt, welche die raffiniertesten Technologien entwickelt hat, noch viele Kinder, die unter unmenschlichen Bedingungen an den Peripherien der großen Städte oder in ländlichen Gebieten am Rande der Gesellschaft leben. Viele Kinder werden noch heute ausgebeutet, misshandelt, versklavt, sind Opfer von Gewalt und gesetzeswidrigem Handel. Zu viele Kinder sind heute aus der Heimat vertrieben und auf der Flucht, manchmal in den Meeren untergegangen, besonders in den Fluten des Mittelmeers. Für all das schämen wir uns heute vor Gott – vor Gott, der ein Kind geworden ist.

Und wir fragen uns: Wer sind wir vor dem Kind Jesus? Wer sind wir vor den Kindern von heute? Sind wir wie Maria und Josef, die Jesus aufnehmen und sich mit mütterlicher und väterlicher Liebe um ihn kümmern? Oder sind wir wie Herodes, der ihn beseitigen will? Sind wir wie die Hirten, die eilends gehen, die niederknien, um ihn anzubeten, und ihre bescheidenen Gaben darbringen? Oder sind wir gleichgültig? Sind wir etwa Phrasendrescher oder Frömmler, Menschen, welche die Bilder der armen Kinder zu Gewinnzwecken ausnutzen? Sind wir fähig, bei ihnen zu sein, „Zeit zu verlieren“ mit ihnen? Verstehen wir es, ihnen zuzuhören, sie zu behüten, für sie und mit ihnen zu beten? Oder vernachlässigen wir sie, um uns mit unseren Geschäften zu befassen?

»Das soll uns als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden…« Vielleicht weint jenes Kind; weint, weil es Hunger hat, weil es friert, weil es in den Armen liegen möchte… Auch heute weinen die Kinder, sie weinen viel, und ihr Weinen fragt uns an. In einer Welt, die täglich tonnenweise Nahrungsmittel und Medikamente wegwirft, gibt es Kinder, die vor Hunger oder aufgrund von Krankheiten, die leicht zu heilen wären, vergeblich weinen. In einer Zeit, die den Schutz der Minderjährigen proklamiert, werden Waffen gehandelt, die in den Händen von Kinder-Soldaten landen; werden Produkte gehandelt, die von kleinen Sklavenarbeitern verpackt sind. Ihr Weinen ist unterdrückt: Das Weinen dieser Kinder ist unterdrückt! Sie müssen kämpfen, müssen arbeiten, sie dürfen nicht weinen! Doch um sie weinen die Mütter, Rahel von heute: Sie beweinen ihre Kinder und wollen sich nicht trösten lassen (vgl. Mt 2,18).

»Das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden…« Das in Bethlehem geborene Jesuskind, jedes Kind, das in jedem Teil der Welt geboren wird und heranwächst, ist ein diagnostisches Zeichen, das uns erlaubt, den Gesundheitszustand unserer Familie, unserer Gemeinschaft, unserer Nation zu überprüfen. Aus dieser klaren und aufrichtigen Diagnose kann ein neuer Lebensstil hervorgehen, wo die Beziehungen nicht mehr durch Konflikt, Unterdrückung und Konsumismus bestimmt sind, sondern Beziehungen der Brüderlichkeit, der Vergebung und der Versöhnung, des Teilens und der Liebe sind.“

Der Heilige Vater schloss seine Ansprache mit einem Gebet an Maria, einem Gebet, das Eingang finden könnte in die täglichen Gebete in den Schönstattgemeinschaften und den Hausheiligtümern:

O Maria, Mutter Jesu,
die du ihn aufgenommen hast, lehre uns aufnehmen;
die du ihn angebetet hast, lehre uns anbeten;
die du ihm nachgefolgt bist, lehre uns nachfolgen. Amen.

Lasst niemals zu, dass die Vergangenheit euer Leben bestimmt.

“Jetzt spricht er Spanisch”, sagt überrascht eine der Journalistinnen von schoenstatt.org., die versucht, gleichzeitig der Übertragung der Begegnung von Papst Franziskus mit den Kindern im Flüchtlingslager und den Kommentaren aus der Weltpresse zu folgen.

„Das Jesuskind und die behinderten Kinder heute. Franziskus verbindet fast immer das Göttliche und das Menschliche. Und heute hat er es wieder getan, indem er zunächst die Geburtsgrotte von Bethlehem besucht hat und direkt danach das Flüchtlingslager Deheisheh, um vor allem die Kinder dort zu besuchen. Das Fleisch des Jesuskindes heute“, heißt es im Kommentar von José M. Vidal, von Religión Digital, Spanien. Organisches Denken, Lieben, Leben.

„Ich grüße euch alle”, sagt der Papst in seiner spanischen Muttersprache. „Ich sehe, dass ihr viele Dinge auf dem Herzen habt. Möge der gute Gott euch alles geben, was ihr euch wünscht.“ Aufmerksam lauscht er dem langen, leidenschaftlichen Zeugnis eines Jungen. „ch danke euch für die Lieder; sie sind sehr schön! Ihr singt sehr gut.

Und ich danke für deine Worte, die du im Namen aller gesprochen hast. Ich danke für das Geschenk, es ist sehr bedeutungsvoll! Ich habe gelesen, was ihr auf den Blättern geschrieben habt; was in Englisch geschrieben war, habe ich verstanden, und der Pater hat mir übersetzt, was in Arabisch geschrieben war. Ich begreife, was ihr mir sagt, und die Botschaft, die ihr mir übergebt.

Lasst niemals zu, dass die Vergangenheit euer Leben bestimmt. Blickt immer nach vorn. Arbeitet und ringt darum, zu erhalten, was ihr erstrebt. Doch eines sollt ihr wissen: dass man Gewalt nicht mit Gewalt besiegt! Gewalt besiegt man mit Frieden! Mit Frieden, mit Arbeit, mit der Würde, die Heimat voranzubringen! Vielen Dank, dass ihr mich empfangen habt! Ich bitte Gott, dass er euch segnen möge! Und euch bitte ich, für mich zu beten! Vielen Dank! „

“Lasst niemals zu, dass die Vergangenheit euer Leben bestimmt“, sagt Franziskus. Claudia Echenique: „Was für ein starker Satz… für jeden Menschen, für jeden von uns.“

Original: Spanisch. Übersetzung: Maria Fischer, schoenstatt.org

Alle Texte und Videos der Pilgerreise ins Heilige Land

http://w2.vatican.va/content/francesco/de/travels/2014/outside/documents/papa-francesco-terra-santa-2014.html

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