Veröffentlicht am 2014-04-19 In Franziskus - Initiativen und Gesten

Wer bin ich vor meinem Herrn?

ROM, mda. Es ist einer dieser Momente, in denen man vor Freude erschaudert, in denen man gleichzeitig jubeln, weinen, lachen und beten möchte. Es ist genau zwei Stunden und 34 Minuten nach dem Beginn der Palmsonntagsliturgie auf dem Petersplatz; die Kommentatoren von Radio Vatikan haben sich bereits mit dem üblichen „Laudetur Jesus Christus“ verabschiedet, die letzten Minuten der Liveübertragung werden von klassischer Musik untermalt. Auf dem Platz beginnen die Leute, einen Platz nahe der Absperrungen zu suchen, denn man weiß: Auch wenn es schon spät ist und Franziskus vorhin beim Begrüßen der einzelnen Kardinäle kurz auf die Uhr geschaut hat, wird er noch mit dem Papamobil über den Platz fahren … Jetzt steigt er in das bereitstehende Papamobil, die Jugendlichen aus Brasilien grüßen ihn mit Winken und Rufen … und dann geht alles ganz schnell. Franziskus steigt behende wieder aus dem Papamobil aus und eilt geradezu auf die Jugendlichen zu, die in diesem Moment zu einer einzigen Freudenwelle werden. Auf einmal ist WJT Rio 2013 auf dem Petersplatz.

Sie hatten es nicht erwartet, das merkt man. Sie hüpfen vor Freude. Und er genießt es … Lächelnd grüßt er, lässt mit offenbar allen  bei den brasilianischen Jugendlichen vorhandenen Smartphones Selfies mit sich machen. Er hat Zeit, Interesse, ist ganz Vater, Verbündeter, der Freude hat an der Freude, die ihn umgibt. Mitten auf dem Petersplatz sagt ein Schüler einer spanischen Schule zu einem Kameraden: „Es stimmt, was sie alle sagen. Er liebt uns wirklich.“

„Selig, die arm sind im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“

Papst Franziskus hatte am Morgen die Feier der Heiligen Woche auf dem Petersplatz mit der Palmprozession und der Liturgie vom Leiden und Sterben des Herrn eröffnet.

Die Feier begann mit der Segnung der Palm- und Olivenzweige am Obelisken; von dort führte dann eine lange, feierliche Palmprozession zum Eingang des Petersdoms. Viele Jugendliche aus Rom und anderen Diözesen nahmen daran teil im Rahmen des XXIX. Weltjugendtages, dessen Motto in diesem Jahr war: „Selig, die arm sind im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“.

In einem feierlichen Moment überreichte die Delegation aus Brasilien das Weltjugendtagskreuz und die Marienikone an eine Gruppe polnischer Jugendlicher, die beide Symbole nach Krakau, dem Ort des nächsten Weltjugendtags, bringen, der dort im Sommer 2016 in Gegenwart des Papstes stattfindet.

Nach der spontanen Begegnung mit den Jugendlichen besteigt Franziskus wieder das Papamobil, um über den Petersplatz und einen großen Teil der an diesem sonnigen Sonntag dicht gefüllten Vía della Conciliazione zu fahren. Er trinkt Mate, den einige argentinische Pilger ihm reichen – das ist schon fast ein Ritual -, grüßt, segnet, umarmt… und als wenn er nicht schon genug gegeben hätte, dreht er noch eine zweite Runde über den Platz. „Wer bin ich? Wer bin ich vor meinem Herrn? Wer bin ich vor Jesus, der festlich in Jerusalem einzieht? Bin ich fähig, meine Freude auszudrücken, ihn zu loben?“, hat er in seiner improvisierten Predigt gesagt. Die Leute auf dem Petersplatz sind fähig, ihre Freude auszudrücken – in Jubel, Applaus, Fotos, Tränen, Rennen, Hüpfen, Beten…

Wer bin ich vor Franziskus?

„Es wird uns gut tun, wenn wir uns nur eine Frage stellen: Wer bin ich? Wer bin ich vor meinem Herrn? Wer bin ich vor Jesus, der festlich in Jerusalem einzieht? Bin ich fähig, meine Freude auszudrücken, ihn zu loben? Oder gehe ich auf Distanz? Wer bin ich vor dem leidenden Jesus?“ Worte der Predigt, die beim langsamen Verlassen des Petersplatzes, als sicher ist, dass er wirklich nicht mehr da ist, noch im Herzen klingen … Und wie von selbst kommt, schon unter den Kolonnaden, mit einem Blick zurück auf den Petersplatz, eine Frage hoch: „Wer bin ich vor meinem Heiligen Vater Franziskus?  Einer von denen, die für ihn beten, sicher, die ihm Beifall klatschen. Aber das reicht nicht. Solidarisches Bündnis mit Franziskus. Sein Verbündeter sein. Meine Augen, meinen Mund, meine Hände, meine solidarischen Projekte, mein solidarisches Haus auf den Straßen von Asunción, mein Herz, mich selber ganz und gar.

Bewahre ihn, beschütze ihn, benütze ihn als dein Gut und dein Eigentum für die Kirche, die sich erneuert, und gib uns die Gnade, uns mit ihr zu erneuern …

Vollständiger Text der Predigt von Papst Franziskus

„Diese Woche beginnt mit der festlichen Prozession mit den Olivenzweigen: Das ganze Volk empfängt Jesus. Die Kinder, die Jugendlichen singen und loben Jesus.

Aber diese Woche setzt sich fort im Geheimnis des Todes Jesu und seiner Auferstehung. Wir haben die Passion des Herrn gehört: Es wird uns gut tun, wenn wir uns nur eine Frage stellen: Wer bin ich? Wer bin ich vor meinem Herrn? Wer bin ich vor Jesus, der festlich in Jerusalem einzieht? Bin ich fähig, meine Freude auszudrücken, ihn zu loben? Oder gehe ich auf Distanz? Wer bin ich vor dem leidenden Jesus?

Wir haben viele Namen gehört – viele Namen. Die Gruppe der führenden Persönlichkeiten, einige Priester, einige Pharisäer, einige Gesetzeslehrer, die entschieden hatten, ihn zu töten. Sie warteten auf die Gelegenheit, ihn zu fassen. Bin ich wie einer von ihnen?

Auch noch einen anderen Namen haben wir gehört: Judas. Dreißig Silberlinge. Bin ich wie Judas? Weitere Namen haben wir gehört: die Jünger, die nichts verstanden, die einschliefen, während der Herr litt. Ist mein Leben eingeschlafen? Oder bin ich wie die Jünger, die nicht begriffen, was es bedeutet, Jesus zu verraten; wie jener andere Jünger, der alles durch das Schwert lösen wollte: Bin ich wie sie? Bin ich wie Judas, der Liebe heuchelt und den Meister küsst, um ihn auszuliefern, ihn zu verraten? Bin ich – ein Verräter? Bin ich wie jene Vorsteher, die in Eile zu Gericht sitzen und falsche Zeugen suchen: Bin ich wie sie? Und wenn ich so etwas tue – falls ich es tue –, glaube ich, dass ich damit das Volk rette?

Bin ich wie Pilatus? Wenn ich sehe, dass die Situation schwierig ist, wasche ich mir dann die Hände, weiß ich dann meine Verantwortung nicht zu übernehmen und lasse Menschen verurteilen oder verurteile sie selber?

Bin ich wie jene Menschenmenge, die nicht genau wusste, ob sie sich in einer religiösen Versammlung, in einem Gericht oder in einem Zirkus befand, und Barabbas wählt? Für sie ist es gleich: Es war unterhaltsamer, Jesus zu demütigen.

Bin ich wie die Soldaten, die den Herrn schlagen, ihn bespucken, ihn beleidigen, sich mit der Demütigung des Herrn amüsieren?

Bin ich wie Simon von Zyrene, der müde von der Arbeit kam, aber den guten Willen hatte, dem Herrn zu helfen, das Kreuz zu tragen?

Bin ich wie die, welche am Kreuz vorbeikamen und sich über Jesus lustig machten: „Er war doch so mutig! Er steige vom Kreuz herab, dann werden wir ihm glauben!“ Sich über Jesus lustig machen…

Bin ich wie jene mutigen Frauen und wie die Mutter Jesu, die dort waren und schweigend litten?

Bin ich wie Josef, der heimliche Jünger, der den Leib Jesu liebevoll trägt, um ihn zu begraben?

Bin ich wie die beiden Marien, die am Eingang des Grabes verharren, weinend und betend?

Bin ich wie diese Anführer, die am folgenden Tag zu Pilatus gehen, um zu sagen: „Schau, der hat gesagt, er werde auferstehen. Dass nur nicht noch ein Betrug geschieht!“; und die das Leben blockieren, das Grab zusperren, um die Lehre zu verteidigen, damit das Leben nicht herauskommt?

Wo ist mein Herz? Welchem dieser Menschen gleiche ich? Möge diese Frage uns die ganze Woche hindurch begleiten.“

Video

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert