Veröffentlicht am 2014-09-10 In Dilexit ecclesiam

Kardinal Marx: „Die Wirklichkeit schaut auf die Menschen am Rand der Gesellschaft“

DEUTSCHLAND, dbk. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hat am 9. September beim St. Michael-Jahresempfang in Berlin dazu aufgerufen, sich in der Gesellschaft verstärkt auf die befreiende Botschaft des Christentums zu verlassen. Die revolutionäre Botschaft des Evangeliums zeige, dass die Menschen eine Familie seien: „Gott ist der Gott aller Menschen. Er hat jedem Menschen seine individuelle Würde gegeben. Darauf müssen wir uns rückbesinnen, wenn wir fragen, was die Kraft des Evangeliums in der Welt von heute ist“, so Kardinal Marx. Der St. Michael-Jahresempfang ist die Einladung des Katholischen Büros für das politische Berlin. Unter den mehr als 700 Gästen waren Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel und zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung und der Deutschen Bischofskonferenz.

Unter dem Leitwort „‘Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee‘ (Papst Franziskus, Evangelii Gaudium) – zur Sendung der Kirche in der Welt“ unterstrich Kardinal Marx in seiner Rede die Verantwortung aller gesellschaftlichen Gruppen für das Leben. Vor allem müsse es in einer Welt, in der das Leben auf unterschiedlichste Weise bedroht sei, darum gehen, diese Welt mit dem Ziel zu verändern, Verantwortung zu übernehmen. Christliche Weltsicht zeichne sich durch das Spannungsgefüge von Aktion und Kontemplation aus: „Wir müssen uns fragen, was wir in der Welt tun, denn es gibt Dinge, die bewahrt werden und solche die verändert werden müssen. Das ist auch eine Einladung an die politisch Verantwortlichen“, so Kardinal Marx.

Befreiung vom falschen Idealismus „über den Wolken“

Mit seinem Wort „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ zeige Papst Franziskus auf, was mit der Geschwisterlichkeit aller Menschen und der Hinwendung zu den Menschen gemeint sei: „Der Papst möchte, dass wir uns dieser Frage ganz konkret stellen und Zeichen setzen, dass eine echte Geschwisterlichkeit Wirklichkeit werden kann. Das bedeutet dann auch, dass wir nicht einfach jeder Meinungsumfrage hinterherlaufen und glauben, der Mainstream sei die Wirklichkeit. Das Kriterium zur Erkenntnis der Wahrheit sind die Armen, die Grenzen, die Wunden, die Schwachen, die Verfolgten, die Enthaupteten.“ Kardinal Marx fügte hinzu: „Diese Menschen sind der Schlüssel zur Wahrnehmung der Wirklichkeit und nicht nur Umfrageergebnisse und Dinge, die wir messen können, im Sinne einer naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Eine solche neue Wahrnehmung befreit vom falschen Idealismus, auch in der Kirche, die nicht in einer ‚splendid isolation‘ über den Wolken thront, sondern eine Kirche ist, die mit dem Evangelium in der Wirklichkeit der Armen und Schwachen lebt und auf das Ganze schaut, um von dort aus zu handeln – in und für die Welt.“ Zu dieser Wirklichkeit zähle auch, dass die Kirche kein Anachronismus sein dürfe, „der neben der Zeit herläuft und auch kein Wiederholer der Zeitströme ist, sondern eine Kraft, die die ganze Gesellschaft an die Wirklichkeit erinnert und auf jene schaut, die schwach sind und am Rand leben.“

Die Armen – Maßstab des Handelns und Schlüssel zur Wahrnehmung der Wirklichkeit

Deshalb werde sich die katholische Kirche auch weiterhin aktiv um Flüchtlinge kümmern, so Kardinal Marx: „Wir werden unseren Beitrag leisten. Die Situation der Menschen im Irak und in Syrien treibt auch die Kirche an. Das gilt auch für die Frage des Waffeneinsatzes.“ Deshalb werde man sich dabei immer an der Situation der Armen orientieren. Dies sei für die Kirche der Maßstab für ihr Handeln und Schüssel zur Wahrnehmung der Wirklichkeit: „Die Kirche darf nicht abstrakte Wahrheiten verkünden, sondern muss immer eine Brücke zur Realität der Menschen suchen.“ Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz betonte mit Blick auf die politischen Debatten um die Sterbehilfe in Deutschland, dass auch bei diesem Thema die „Kirche immer auf der Seite der Schwachen steht. Es kann nur darum gehen zu schauen, wie ein menschenwürdiges Sterben möglich ist, und nicht darum, möglichst viele Wege für ein ‚menschenwürdiges Töten‘ anzubieten“, so Kardinal Marx. Dabei würdigte er den Einsatz der Hospiz- und Palliativarbeit, die unverzichtbar für die Wirklichkeit in der Gesellschaft sei.

Vollständiger Text der Ansprache

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