Veröffentlicht am 2013-09-25 In Franziskus - Botschaft

Missionarische Goldkörner aus dem großen Interview von Papst Franziskus – eine Auswahl im Zeichen der Botschaft 2014

Diese Kirche, mit der wir denken und fühlen sollen, ist das Haus aller – keine kleine Kapelle, die nur ein Grüppchen ausgewählter Personen aufnehmen kann. Wir dürfen die Universalkirche nicht auf ein schützendes Nest unserer Mittelmäßigkeit reduzieren. Und die Kirche ist Mutter. Die Kirche ist fruchtbar, und das muss sie sein. Schau, wenn ich negative Verhaltensweisen von Dienern der Kirche oder von Ordensmännern oder -frauen bemerke, ist das Erste, was mir in den Sinn kommt: ›eingefleischter Junggeselle!‹ oder ›alte Jungfer!‹ Sie sind weder Väter noch Mütter. Sie sind nicht imstande gewesen, Leben weiterzugeben. Wenn ich hingegen die Biografien der Salesianer-Missionare lese, die nach Patagonien gegangen sind, lese ich Geschichten von Leben, von Fruchtbarkeit.

Die Kirche ist das Volk Gottes auf dem Weg der Geschichte – mit seinen Freuden und Leiden. Fühlen mit der Kirche bedeutet für mich, in dieser Kirche zu sein. Und das Ganze der Gläubigen ist unfehlbar im Glauben. Es zeigt diese Unfehlbarkeit im Glauben durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes Gottes auf dem Weg. So verstehe ich heute das Sentire cum ecclesia, von dem der heilige Ignatius spricht. Wenn der Dialog der Gläubigen mit dem Bischof und dem Papst auf diesem Weg geht und loyal ist, dann hat er den Beistand des Heiligen Geistes. Es ist also kein Fühlen, das sich auf die Theologen bezieht.
Es ist wie bei Maria: Wenn man wissen will, wer sie ist, fragt man die Theologen. Wenn man wissen will, wie man sie liebt, muss man das Volk fragen. Ihrerseits liebte Maria Jesus mit dem Herzen des Volkes – wie wir im Magnificat lesen. Man muss also nicht denken, dass das Verständnis des Sentire cum ecclesia nur an das Fühlen mit dem hierarchischen Teil der Kirche gebunden sei.

Die jungen Kirchen entwickeln eine Synthese aus Glauben, Kultur und Leben auf dem Weg. Sie ist anders als die entwickelte Synthese der älteren Kirchen. Für mich ist das Verhältnis zwischen den älteren Kirchen und den jüngeren ähnlich dem Verhältnis von Jüngeren und Älteren in einer Gesellschaft: Sie bauen die Zukunft – die Einen mit ihrer Kraft, die Anderen mit ihrer Weisheit. Sie gehen selbstverständlich immer Risiken ein. Die jüngeren Kirchen halten sich für selbständig und autonom, die älteren wollen den jüngeren ihre kulturellen Modelle aufdrücken. Die Zukunft baut man aber miteinander.

Ich sehe ganz klar, dass das, was die Kirche heute braucht, die Fähigkeit ist, Wunden zu heilen und die Herzen der Menschen zu wärmen – Nähe und Verbundenheit. Ich sehe die Kirche wie ein Feldlazarett nach einer Schlacht. Man muss einen Schwerverwundeten nicht nach Cholesterin oder nach hohem Zucker fragen. Man muss die Wunden heilen. Dann können wir von allem anderen sprechen. Die Wunden heilen, die Wunden heilen … Man muss ganz unten anfangen.

Wie behandeln wir das Volk Gottes? Ich träume von einer Kirche als Mutter und als Hirtin. Die Diener der Kirche müssen barmherzig sein, sich der Menschen annehmen, sie begleiten – wie der gute Samariter, der seinen Nächsten wäscht, reinigt, aufhebt. Das ist pures Evangelium. Gott ist größer als die Sünde. Die organisatorischen und strukturellen Reformen sind sekundär, sie kommen danach. Die erste Reform muss die der Einstellung sein. Die Diener des Evangeliums müssen in der Lage sein, die Herzen der Menschen zu erwärmen, in der Nacht mit ihnen zu gehen. Sie müssen ein Gespräch führen und in die Nacht hinabsteigen können, in ihr Dunkel, ohne sich zu verlieren. Das Volk Gottes will Hirten und nicht Funktionäre oder Staatskleriker. Die Bischöfe speziell müssen Menschen sein, die geduldig die Schritte Gottes mit seinem Volk unterstützen können, so dass niemand zurückbleibt. Sie müssen die Herde auch begleiten können, die weiß, wie man neue Wege geht.

Statt nur eine Kirche zu sein, die mit offenen Türen aufnimmt und empfängt, versuchen wir, eine Kirche zu sein, die neue Wege findet, die fähig ist, aus sich heraus und zu denen zu gehen, die nicht zu ihr kommen, die ganz weggegangen oder die gleichgültig sind. Die Gründe, die jemanden dazu gebracht haben, von der Kirche wegzugehen – wenn man sie gut versteht und wertet – können auch zur Rückkehr führen. Es braucht Mut und Kühnheit.

Wenn der Christ restaurativ ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ›Sicherheit‹ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärtsgewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen. Ich habe eine dogmatische Sicherheit: Gott ist im Leben jeder Person. Gott ist im Leben jedes Menschen. Auch wenn das Leben eines Menschen eine Katastrophe war, wenn es von Lastern zerstört ist, von Drogen oder anderen Dingen: Gott ist in seinem Leben. Man kann und muss ihn in jedem menschlichen Leben suchen. Auch wenn das Leben einer Person ein Land voller Dornen und Unkraut ist, so ist doch immer ein Platz, auf dem der gute Same wachsen kann. Man muss auf Gott vertrauen.

Es gibt de facto die Versuchung, Gott in der Vergangenheit zu suchen oder in den Zukunftsmöglichkeiten. Gott ist gewiss in der Vergangenheit, denn man findet ihn in den Abdrücken, die er hinterlassen hat. Er ist auch in der Zukunft, als Versprechen. Aber der – sagen wir – konkrete Gott ist heute. Daher hilft das Jammern nie, nie, um Gott zu finden. Die Klage darüber, wie barbarisch die Welt heute sei, will manchmal nur verstecken, dass man in der Kirche den Wunsch nach einer rein bewahrenden Ordnung, nach Verteidigung hat. Nein – Gott begegnet man im Heute.

Die christliche Hoffnung ist kein Geist und sie täuscht nicht. Sie ist eine theologale Tugend und definitiv ein Geschenk Gottes, das nicht auf einen reinen Optimismus reduziert werden kann. Gott enttäuscht die Hoffnung nicht, er kann sich nicht selbst verleugnen. Gott ist ganz Versprechen.

 

16 Zeitschriften der Jesuiten veröffentlichten am 19. September ein langes Interview mit Papst Franziskus, durchgeführt von dem italienischen Jesuiten Antonio Spadaro S.J., Chefredakteur der La Civiltà Cattolica. Der Text umfasst einen Dialog von über sechs Stunden, der in drei Begegnungen am 19., 23. und 29. August stattfand.

Vollständiger Text in „Stimmen der Zeit“. Das Interview erscheint in Buchform im Herder-Verlag (2.10.)

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