Veröffentlicht am 2013-07-07 In Schönstatt im Herausgehen

Spannungen meistern – Potentiale entdecken

DEUTSCHLAND, fma. „Lieber Gott, ich bitte dich: Gib mir die Weisheit, meinen Chef zu begreifen. Gib mir die Liebe, ihm zu verzeihen. Gib mir die Geduld, seine Taten zu begreifen. Aber lieber Gott, schenk mir keine Kraft. Denn wenn du mir Kraft gibst, hau ich ihm eine rein.“ Diese Spruchkarte mit Babyfoto ist auch eine Art, mit Spannungen umzugehen oder sie abzubauen… Dass es weitaus mehr Möglichkeiten gibt und auch weitaus mehr Spannungsquellen als die klassische „Chef – Mitarbeiter“-Spannung, das erfuhren die Teilnehmer des Jour Fixe für Führungskräfte am 21. Juni in Memhölz von Manuela und Peter Miller, Gründungsmitglieder der IKAF (Internationale Kentenich-Akademie für Führungskräfte), tätig als Unternehmensberater (www.inspiration-miller.de).

Ein zweites Frühstück zu zweit, ein geglücktes Lagerlayout, Zeit für einen Betriebsausflug, ein überraschend gut und schnell geglücktes Spendenprojekt, Durchsetzen der sozialen Dimension von Personalführung, im Betrieb gelassener Ärger, eine Mitfahrgelegenheit, aus der ein begeisterndes Gespräch wurde – die Einstiegsrunde beim Jour Fixe mit dem „Erfolg der Woche“ ist Tradition und bewährtes Element, das die Teilnehmer in ein gemeinsames Klima finden lässt, in dem man offen ist für die Impulse, offen  ist füreinander und offen für die „Was von all dem ist FÜR MICH“-Haltung innerer Freiheit, Grundvoraussetzung für echtes Wachsen und reales Leben.

Ernste und gesunde Kritik üben lernen

Locker, gekonnt und ansprechend vermitteln Manuela und Peter Miller, was Spannungen sind, wie in Spannungen Potentiale und Chancen zum Wachsen liegen und dass Spannungen einfach dazu gehören, weil wir Menschen unterschiedlich denken, fühlen, wahrnehmen, werten und reagieren …

Da gibt es die Spannung zwischen dem, was alle machen und dem, was ich mache: mainstream und my way. Und da spielt das Moment von Kritik üben und Kritik annehmen hinein.

„Erstens, ernste und gesunde Kritik üben lernen im eigenen katholischen Lager. Darin sind wir Katholiken überaus schwach. Darin sind besonders unsere kirchlichen Organe überaus schwach.  Und wenn wir Vorgesetzte werden, dann werden wir sehen, wie wir im Handumdrehen schwach werden im Ertragen von Kritik.“

Sagt Pater Kentenich schon im Jahr 1930. Eine Aussage, die Staunen auf die Gesichter der Anwesenden malt. „Ich dachte, das wäre von Papst Franziskus“, sagt einer. Sein Nachbar nickt.

Sonst sind wir verkalkt bis oben hinaus

Es ist von Pater Kentenich, von dem Pater Kentenich, der seine Bewegung nicht auf Harmonie, sondern auf Spannungen aufgebaut hat. Auf denen, die es sowieso gibt  – und wenn das nicht ausreicht, eben auf welchen, die er bewusst einbaut. Denn: „Wir müssen den ernsten Mut aufbringen, gesunde Kritik an uns selber zu üben. Wenn wir es nicht tun, dann sind wir in  ein paar Jahren verkalkt bis oben hinaus. Und wie schnell sind wir verkalkt! Geben Sie nur Acht! Gerade diejenigen, die stärker zum Konservatismus neigen, haben eine große Gefahr…“. So Kentenich. Eigenständigkeit, Eigeninitiative, kleine Zellen, Andersartigkeit – für Kentenich nicht nur keine Gefahr für das Gemeinwesen, sondern in höchstem Maße fruchtbar. Mit zahlreichen konkreten Beispielen aus Familien- und Betriebsalltag zeigen die Referenten, wie Spannungen Leben wecken und Potentiale freisetzen; warum es wichtig ist, unterschiedliche Typen in Teams zusammen kommen zu lassen, statt Harmonieteams zu bilden …

Und dann die Sache mit der Zahl „6“ auf dem Boden. Da ist ein Betrieb mit einer eher mäßigen Produktionsmenge pro Tag und da sind zwei Schichten. Und da tut sich nichts. Dann malt einer mit Kreide die Zahl 6 auf den Boden, kurz vor dem Schichtwechsel. Sechs Einheiten schafft jede Schicht, tagaus, tagein und ohne Steigerung. Am anderen Morgen, nach der zweiten Schicht, ist die Zahl 6 ausgewischt und an ihrer Stelle prangt eine prächtige 7. Sie haben sieben Einheiten geschafft, die von der zweiten Schicht. Das wäre doch gelacht … Die Kreidezahlen kommen bis auf 10.

Die Seelenfische

„Seelenfische“ hat Pater Kentenich all die unverarbeiteten Erlebnisse und all die heruntergeschluckten Verletzungen genannt. Wie Fische in einem zugefrorenen See verhielten sie sich – und springen unversehens hoch, wenn ein ähnliches Erlebnis auch nur in die Nähe kommt; die folgende Überreaktion versteht weder die Umgebung noch man selbst … An dieser Stelle werden die Gesichter nachdenklich – und zu diesem Thema entsteht im Anschluss an den Vortrag von Ehepaar Miller, denen es glückt, Vorgänge aus der Pädagogik Pater Kentenichs gekonnt auf Personal- und Teamführung anzuwenden, ein reges Gespräch.

Zuerst in der Runde, dann beim Imbiss in kleineren und wechselnden Kreisen geht es aus der persönlichen Erfahrung im Betrieb weiter mit dem Thema Spannungen und ihrem enormen Potential.

Was ärgert uns so an den Mails?

Ein Thema wird recht groß: Mails. Die Spannung zwischen schneller und persönlicher Kommunikation. Wirklich? Ein Gespräch am Tisch kann unpersönlich, ein Kontakt per Mail herzlich und sehr persönlich sein … Oder sind „Mails“  – ihre Fülle, ihre Art, ihr fordernder Charakter, ihre Unsicherheit – nur eine Form, an der sich verschiedene brennende Themen festmachen? Vielleicht ein Thema, an dem weiterzuarbeiten ist – vielleicht ein Thema für das nächste Treffen der IKAF …

Und ganz zum Schluss eine konkrete Erfahrung, die alle herzlich lachen lässt: „Wenn wir zu Hause uns so richtig gestritten haben, dann sind wir in Dialekt übergegangen – und dann war alles schon gleich nicht mehr so tragisch!“

Riesengroße Spannungen als Potential nutzen. Ernste Kritik üben. Sich auf immer neues überraschend Anderes und anders Überraschendes einlassen. Das geht, wo eine nicht diskutierte und nicht in Frage gestellte Solidarität trägt. Dann und nur dann.

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