Veröffentlicht am 2013-02-24 In Allgemein

Benedikt XVI tritt zurück – ein Papst des schönen und freien Lebens

CHILE, P. Joaquín Alliende Luco. “In den letzten Jahren weniger Professor als Hirte aller, unterbrach er niemanden mehr. Er ließ die anderen lange reden. Sein Schweigen in den Bischofssynoden war schon sprichwörtlich …“

 

 

 

Es war auf jenem Petersplatz, an jenem von schweren Wolken verdunkelten Abend, sagte der Philosoph Rocco Butiglione, unmittelbar nachdem der chilenische Kardinal Medina den Namen des neuen Papstes, Benedikt XVI., verkündet hatte: „Er musste es sein. Er kennt das das Denken und die Kultur von heute wie kaum ein zweiter.“ Und jetzt hat dieser theologische Papst, Mozartinterpret, schüchtern, bairisch, unermüdlicher Verteidiger einer integralen Gewissensfreiheit, sein Amt aufgegeben.

Johannes Paul II. in Agonie. Eine riesige Menge Jugendlicher im Gebet. Joseph Ratzinger beobachtet sie von der Höhe des Apostolischen Palais. Bei ihm ein anderer Deutscher, Kardinal Cordes, der beim Anblick der Anhänglichkeit dieser Jugendlichen an den Nachfolger Petri sinniert: „Armer nächster Papst! Was muss der tun, um würdiger Nachfolger dieses Johannes Paul II. zu werden?“ Langsam und bedächtig antwortet der heutige Benedikt XVI.: „Er muss ganz einfach er selbst sein.“ In einer lauten und schrillen Welt der „Zivilisation der Show“ (Vargas Llosa) hat die Vorsehung uns als Papst einen enzyklopädischen Theologen mit profilierter eigener Vision gegeben. Einen stillen, verschwiegenen Priester. Einen unheilbar Gütigen. Einen mit frohen Augen, die auch verschmitzt sein können.

Weniger Professor und mehr Hirte

Als ich ihn vor mehreren Jahrzehnten näher kennenlernte, empfand auch ich die Bewunderung, die in seiner Umgebung entsteht. Doch ehrlich gesagt ärgerte mich, dass seine bisweilen sehr schnelle Intelligenz ihn dazu brachte, den Redner zu unterbrechen und ihn mit einigen Worten ergänzte, bevor dieser die Chance gehabt hätte, sie selbst zu sagen. In den letzten Jahren unterbrach Benedikt XVI., weniger Professor und mehr Hirte, niemanden mehr. Er ließ die anderen lange reden. Sein Schweigen in den Bischofssynoden war schon sprichwörtlich…“ Immer hatte der andere den Vorrang. Der brasilianische Jesuit França Miranda beschrieb diese Haltung als “die eines Lernenden”. Bei Gelegenheit der Besprechung eines schwierigen Themas mit verschiedenen Experten sagte der Papst auf Französisch: „Haben wir doch die Demut, anzuerkennen, dass keiner von uns die Antwort auf diese Frage hat. Vielleicht hat die Kirche sie in fünfzig Jahren…“ Kaum vorzustellen, dass diesen weisen Bescheidenen, der sich zugleich seines Lehramtes bewusst war, ein britischer Journalist „deutscher Schäferhund“ nannte …

Ein Davor und ein Danach

Die Kulturhistoriker zeichnen das II. Vatikanische Konzil als Angel eines Davor und eines Danach in der Selbstauffassung der Katholischen Kirche und ihrer Präsenz in den Gesellschaften der Welt. Zwei Päpste charakterisieren die Einberufung und die Entfaltung des Ereignisses: Johannes XIII. und Paul VI. Zwei gewichtige Akteure in eben diesem Konzil, Johannes Paul II. und Benedikt XVI. , haben danach das Ruder im stürmischen Wellengang der heiklen und bewegten Steuerung zur Stunde der Anwendung des II. Vatikanum im täglichen Leben der Kirche übernommen. Jahrzehntelang erlebte man den Pendelschlag von Reaktion und Gegenreaktion. In vielem war das unausweichlich. Die langfristigen Früchte werden das Positive der Balance auf lange Sicht zeigen. Das ganz Neue im Dauernden und Unverzichtbaren auszudrücken, braucht mehr als eine Generation. Auf dieser Strecke befanden sich die beiden visionären glaubenspädagogischen Päpste. Der lebendige Gott hat sie uns gegeben.

Wer Christus einlässt, verliert nichts

Joseph Ratzinger hat am eigenen Leib und in seiner unmittelbaren Familie die schmachvolle moralische Gewalt Hitlers erlebt. Aus diesem Erleben entstanden tiefe Sensibilitäten seines Geistes, philosophische Perspektiven und die Erfahrung der Notwendigkeit Jesu Christi in der Geschichte, um zur höchsten inneren Freiheit und geschwisterlichen Solidarität in den Völkern und zwischen den Völkern zu kommen. Er schrieb 1995: „Eine Freiheit, deren einziges Argument in der Möglichkeit der Bedürfnisbefriedigung bestände, wäre keine menschliche Freiheit und verbliebe auf den Bereich des Animalischen beschränkt. Die Freiheit braucht eine gemeinsame Zielrichtung, die wir als Stärkung der Menschenrechte definieren könnten.“

Dieser Humanist säkularer Haltung öffnet das beginnende Millennium und er tut es gut. Den Kern seiner Botschaft formuliert er in seiner ersten Ansprache als Papst: „Wer Christus einlässt, verliert nichts, absolut nichts, von dem, was das Leben schön, frei und groß macht… Nur in dieser Freundschaft öffnen sich wirklich die großen Potentiale des menschlichen Seins. Mit dieser Freundschaft erfahren wir, was schön ist und was uns befreit.“ Und er schließt, mit müder Stimme, aber überzeugend durch zeugnishafte Authentizität: „Christus nimmt nichts und gibt alles. Wer sich ihm gibt, erhält hundertfach.“ Am 11. Februar hat Benedikt XVI. im Verzicht auf sein Amt der Kirche eine weitere Gabe seiner selbst geschenkt, denn “Christus nimmt nichts, gar nichts. Er gibt alles. Er macht das Leben schön, frei und groß.“

Veröffentlicht in El Mercurio de Santiago, Dienstag, 12. Februar 2013. Publiziert und übersetzt mit Erlaubnis des Herausgebers. Übersetzung: mda, schoenstatt.org


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