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 published: 2007-05-16

Weniger Staat – Mehr Eltern: was brauchen Kleinstkinder?

Tagung des Familiennetzwerks in Frankfurt

 

Weniger Staat – Mehr Eltern: was brauchen Kleinstkinder? - Tagung des Familiennetzwerks in Frankfurt. Prof. Dr. Richard Bowlby, England, Präsident des Cetre for Child Mental Health (r.), sprach über Bindungsbedürfnisse von Babys und Kleinkindern

 

Prof. Dr.Dr.mult.hc. Theodor Hellbrügge, Gründer und Direktor des Kinderzentrums, München, Prof. für Sozialpädiadrie, stellte Ergebnisse der Elter-Kind-Interaktionsforschung im frühen Kindesalter vor.

 

"Rettet wenigstens die ersten drei Jahre": Anna Wahlgren, Schweden, bekannte Kinderexpertin in Skandinavien

 

Teilnehmer aus Schönstatt im Publikum

 

Prof. Dr. Gordon Neufeld, Klinischer Psychologe und Entwicklungspsychologe, Canada, sprach über Bindung als Hauptprinzip des Universums

 

Eva Herman, Journalistin, Autorin, setzte sich für "die Kraft neuer Weiblichkeit in modernen Gesellschaften" ein

 

Prof. Dr. med. Johannes Pechstein, Kinderarzt und Kinderpsychiater, Uni Mainz (r.) artikulierte die politischen Forderungen des Familiennetzwerkes, (l) Jürgen Liminski, Journalist, moderierte die Tagung

Fotos: Brehm © 2007

 
 
   

DEUTSCHLAND, Claudia Brehm/Renate Martin. Anfang Mai fand in Frankfurt ein von drei- bis vierhundert Teilnehmern besuchte Tagung statt unter dem Thema "Weniger Staat –Mehr Eltern: Was brauchen Kleinstkinder". Die Initiative Familiennetzwerk hatte zu dieser Veranstaltung international bekannte Referenten eingeladen.

Auch die Schönstatt-Familienbewegung war durch einige Teilnehmer vertreten, da vielen Eltern der Bewegung drängende Fragen auf den Nägeln brennen wie z.B.: Wie ist es möglich, die eigenen Kinder vor dem stärker werdenden Zugriff des Staates (durch Krippen oder Ganztagsschulen, wenn diese nicht durch die persönliche Lebenslage notwendig sind) zu schützen? Wie kann man als einzelner gegen sich abzeichnende familienfeindliche Gesetzesentwürfe angehen? Was sagt die Forschung heute über die früheste Kindheit?

Auf viele dieser Fragen gab es bei dieser tagung kompetente Antworten von Ärzten, Psychologen, Bindungsforschern, Eltern und Fachleuten. In halbstündigen Referaten wurden Erkenntnisse meist aus der Hirnforschung, Medizin und Entwicklungspsychologie vorgetragen und kurz andiskutiert.

Aktion Verleumdung

Anna Wahlgren, schwedische Mutter von 9 Kindern, erzählte beeindruckend vom Weg, den die schwedische Familienpolitik genommen hat. Bis zum Krieg sei es keine Frage für schwedische Mütter gewesen, dass sie nach Hause gehörten und sich um die Kinder kümmerten. Nach dem Krieg wurde Schweden zu einem der reichsten Länder Europas und entdeckte Mütter als versteckte Arbeitskräfte. Operation Verleumdung habe seitens der Regierung begonnen: Mütter seien als nutzlose Fossilien abgestempelt und zu Schmarotzern der Nation deklariert worden, die sogar schädlich für ihre eigenen Kinder seien, weil sie nur zu Hause sitzen und verblöden. Die Mütter wurden fast ausnahmslos in die Produktionshallen gejagt. Es zählte nur, wer arbeitete. Krippen, Kitas und Ganztagsschulen seien wie Pilze aus dem Boden geschossen und Eltern und Kinder verbrachten den ganzen Tag getrennt voneinander. Dadurch konnten sie ein Leben in materiellem Überfluss führen, doch die Volkskrankheit Einsamkeit sei gewachsen und gewachsen. Auch die Scheidungsrate sei von Jahr zu Jahr gewachsen, sich selbst überlassene Jugendliche hätten sich vermehrt in Banden zusammen geschlossen. Wachsende Drogen- und Alkoholproblematik habe eine ganze Truppe neuer Beraterberufe für Jugendliche notwendig gemacht und bei der Selbstmordrate unter Kindern habe Schweden in Europa bald den ersten Platz eingenommen.

Heute sei die schwedische Politik dabei, eine ganz andere Familienpolitik zu forcieren: Schweden habe sich entschieden, Erziehungsgeld an die Eltern auszuzahlen, damit die Eltern selbst entscheiden können, ob sie Kinder in Fremdbetreuung geben oder lieber selbst zu Hause bleiben um die Betreuung und Erziehung zu gewährleisten. Über die Hälfte der Mütter würden sich jetzt entscheiden, zu Hause zu bleiben.

Ich möchte gebraucht werden

Anna Wahlgreen ist überzeugt: Große und kleine Menschen brauchen das Gefühl, gebraucht zu werden, Teil eines größeren Zusammenhangs zu sein, eine Aufgabe zu haben, einen Beitrag leisten zu wollen für andere. "Wir aber haben eine Gesellschaft aufgebaut, die Kinder nicht braucht und ihren Beitrag nicht haben möchte. Die einzige Aufgabe unsere Kinder soll sein: Glückliche Verbraucher zu sein.," klagt sie an.

"Anstatt unsere Kinder in unsere Welt mit ein zu beziehen, besuchen wir sie hin und wieder in ihrer Welt, falls oder wenn wir gerade mal Zeit dazu haben." Wahlgreen beschreibt, wie glücklich das Kleinkind ist, wenn es Mama mithelfen darf in der Küche. Wie wenig es sich interessiert für sein Spielzeug, wenn Papa den Rasen mäht oder Mama die Fenster putzt. Sie plädiert dafür, Kinder zu Hause mehr mit ein zu beziehen in alle Arbeitsabläufe, sie nicht überzubetreuen und "zu Tode zu schonen".

Zusammenfassend postulierte Anna Wahlgreen, dass eine wirkliche Revolution unserer Gesellschaft die Frauen nicht vor die Alternative stellen würde entweder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen oder zu Hause zu bleiben, sondern die Arbeit wieder an die ganze Familie nach Hause zurückzugeben.

Es gibt keine Qualität ohne Quantität

Eva Herrman sprach über den verbreiteten Satz, den Eltern, die beide außer Haus arbeiten gehen oft anführen: "Es kommt auf die Qualität der Beziehung an, nicht auf die Quantität". Sie habe oft darüber nachgedacht, wo hier der Denkfehler liege. In einer Talkshow zusammen mit Christa Meves und einer jungen Unternehmerin mit Kind habe sie dann die Antwort bekommen: Die junge Unternehmerin habe genau diesen Satz angeführt, um zu erklären, warum sie den ganzen Tag in ihrem Unternehmen arbeiten kann und es abends voll auf genüge noch ein zwei gute Stunden mit dem Baby zu verbringen. Christa Meves habe damals versucht, den Blickwinkel einmal auf das Erlebnis des Kindes zu verändern. "Ihr Kind hat sie heute mindestens 20 mal gebraucht während des Tages und sie waren nicht da. Und jetzt soll es sich plötzlich freuen auf seine Mutter, die ihm jetzt die ganze Liebe des Tages überstülpen möchte, die sie jetzt für es übrig hat. Vielleicht hat das Baby gerade gar keine Lust auf Mutter, vielleicht spielt es gerade oder ist böse, weil Mutter nicht da war." Eva Herrmann: "Es gibt keine Qualitätsbeziehung ohne dass Mutter und Kind viel Zeit miteinander verbringen."

Deutschland verliert die Weiblichkeit

Engagiert meinte Frau Herrman: Es seien nicht die demographischen Erwägungen, die ihr Angst machten, wenn Frauen sich gegen Kinder entscheiden. Was ihr Angst mache sei, dass damit bald die weiblichen Gefühle aussterben. Schwangerschaft und Geburt lösten in Frauen viele neue Gefühle aus, bewirkten Weiblichkeit. "Wenn immer mehr Frauen sich gegen Kinder entscheiden, sterben auch die weiblichen Gefühle wie trösten, helfen, fördern, usw. mit der Zeit aus." Wenn Frauen sich persönlich gegen Kinder entscheiden, "muss ich das akzeptieren", aber wenn es der Staat aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten erzwingt, dann müssten Frauen aufstehen.

In den Diskussionen hieße es immer: Kinder dürfen kein Hindernis für die Karriere der Frau sein (so stünde es übrigens auch in den Wahlprogrammen aller Parteien), aber leider stehe nirgends geschrieben, dass die Karriere der Frau für das Wachstum des Kindes auch kein Hindernis sein dürfe.

Früh gestresste Kinder

Professor Sir Bolwby, Sohn des englischen Pioniers in der Bindungsforschung machte die Wichtigkeit der Mutter-Kind-Bindung in den ersten Jahren noch einmal vom medizinischen Gesichtspunkt her deutlich: In der Forschung sei festgestellt worden, dass Babys, um sozial kompetente Menschen zu werden, viel Zuwendung brauchten. Die Gehirnforschung habe heraus gefunden, dass zwischen 6 und 30 Monaten vor allem die rechte Gehirnhälfte ausgebildet würde, also der Bereich der Intuition, der Emotionen, der Bindungsfähigkeit, der Empathie. Vor allem in dieser Zeit entwickle der Mensch seine Fähigkeit sich in den anderen hinein versetzen zu können, Mitgefühl zu haben. Ab 33 Monaten ungefähr verlangsame sich die Entwicklung dieser rechten Gehirnhälfte, die linke Gehirnhälfte übernehme nun: hier geht es mehr um die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten wie Sprache, Erinnerung, Voraussicht.

Bolwby berichtete von weiteren wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen hinsichtlich der emotionalen Entwicklung beim Kleinkind: Trennungsschmerz löse beim Kleinkind Stress aus. Das könne inzwischen nachgewiesen werden durch einen erhöhten Cortisolspiegel, das Hormon, das bei Stress ausgeschüttet wird. Normalerweise habe jeder Mensch morgens einen hohen Cortisolspiegel, der über den Tag kontinuierlich abnehme. Bei Babys, die abgegeben werden, und die diese Trennung nun verarbeiten müssten, bliebe der Cortisolspiegel - durch einen Speicheltest heute leicht nachzuweisen – dauerhaft hoch. Wenn das Gehirn sich nun an diesen dauernd hochbleibenden Spiegel gewöhnt, nähme dadurch die Steuerungsfähigkeit der Emotionen des Kind immer mehr ab. Kurz könne man das so ausdrücken: Mama weg – Gehirn meldet: Gefahr, Angst (Cortisolspiegel bleibt hoch) - Antwort auf Angst ist entweder Kampf oder Flucht. Beide Möglichkeiten sind dem Baby verwehrt. Um mit der Situation zurecht zu kommen könne es nur versuchen seine normale Gefühlswelt zu dämpfen. Nachgewiesen sei inzwischen, dass dieser Prozess in der frühen Kindheit Auswirkungen auf die emotionale und kognitive Entwicklung habe. Durch Stresshormone würden Wachstumshormone gehemmt.

Zur Familie gibt es keine Alternative

Die bei der Tagung anwesenden Fachleute waren sich hinsichtlich eventuell notwendiger Fremdbetreuung einig. Allen voran Steve Biddulph, in Deutschland als Buchautor bekannt, brachte es zum Ausdruck: Am ehesten erträgt es ein Kind, wenn es weg von der Mutter ist, stundenweise (nicht ganztags) bei einer Person zu sein, die von Geburt an eine Beziehung zu ihm hat (Großeltern, Nachbarin, ...) und ihm viel Aufmerksamkeit zukommen lässt.

Wie müsste eine gute Kinderkrippe beschaffen sein?

Biddulp: Eine Krippe, wenn es eine gute Krippe wäre, - aber sie würde immer nur ein Ersatz bleiben - müsste folgendes leisten:

  • Personalschlüssel 1 zu 3. Eine Person für drei Kinder verschiedenen Alters: eines auf dem Schoß, eines um ihre Beine, eines, das sich schon freier bewegen kann und mit anderen spielen kann. Dabei müsste es sich ständig um die selbe Bezugsperson handeln. "Dienstplanmäßiger" Wechsel verunsichere und stresse Kinder zu sehr.
  • Die Zeit in der Krippe müsste zeitlich begrenzt sein, auf keinen Fall einen ganzen Tag und die Eingewöhnungsphase müsste über Monate gehen in ganz kleinen zeitlichen Steigerungen.
  • Eine solche Form der Krippe sei sehr teuer. Warum unterstütze der Staat die Familie nicht direkt, sondern über die Schaffung alternativer Institutionen. Die direkte Unterstützung der Familie wäre billiger und qualitativ besser.

Natürlich bliebe immer noch die Tatsache bestehen, dass manche Kinder besser in Krippen aufgehoben wären, weil sie Eltern haben, die ihnen keinerlei Aufmerksamkeit zukommen lassen (können), die weder für eine gute körperliche, geschweige denn eine gesunde seelisch Entwicklung Sorge tragen könnten. Es sei aber nicht richtig, auf Grund solcher Mangelsituationen, für die natürlich staatlicherseits Hilfsangebote geschaffen werden müssten, zu verschweigen, dass im Regelfall Erziehung in der Familie der Entwicklung eines Kindes förderlicher ist, als Betreuung in Kinderkrippen.

"Wir haben unsere Kinder nicht geboren, damit andere sie großziehen und seien diese anderen noch so lieb"

Prof. Dr. med. Johannes Pechsten, Kinderarzt und Kinderpsychiater, führend in der Forschung zur frühkindlichen Entwicklung brachte es auf den Punkt: "Wir haben unsere Kinder nicht geboren, damit andere sie großziehen und seien diese anderen noch so lieb".

Pechstein forderte: Anstatt viel Geld in die Neuschaffung Tausender von Krippenplätzen zu investieren, für die es nicht mal ein einheitliches und ausgereiftes Konzept gäbe, (wie Krippen beschaffen sein müssten um halbwegs den Kindern gerecht zu werden, sei ja nie in der Diskussion, es gehe ja nur darum, dass es mehr Krippenplätze geben soll), sei das Geld besser investiert in:

  • einen familiengerechten Lastenausgleich und die Anerkennung der häuslichen Erziehungsarbeit woraus rentenfähige Leistungen für Mütter erstehen
  • differenzierte Mütterakademien zu einer qualitativ guten und schnellen Wiedereingliederung in den Beruf nach den Jahren, die die Mutter bewusst zu Hause bei den Kindern verbringt
  • Schluss mit der Panikmache, dass Mütter später sowieso nie mehr in ihren Beruf hinein kommen könnten.
  • Die Schaffung einer allgemein verbreiteten Volksmeinung, dass Kinder klasse sind und Familien alle Unterstützung bekommen, um nach ihrer inneren Stimme und Regungen entscheiden zu können
  • Sanierung der heute schon bestehenden Krippen.

Familiennetzwerk

Das Familiennetzwerk ist ein Zusammenschluss von Eltern, Pädagogen, Juristen, Familiengemeinschaften usw., und bietet genau das Forum, nach dem viele heute Ausschau halten: hier wird informiert, Initiativen angestoßen und Austauschforen geboten, die dem einzelnen erlauben, mit seinen geringen Kräften einen Multiplikationsprozess zu erreichen, der von den Politikern gehört wird und der vielleicht manch ungute Entwicklung stoppen oder wenigstens mildern kann.

Wer sich weiter informieren oder mitmachen möchte, kann die Website der Initiative besuchen: www.familie-ist-zukunft.de und einen kostenlosen Info Newsletter bestellen.
 

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