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 published: 2004-03-31

Beziehungsreich

Material zur Vorbereitung auf den Europäischen Familienkongress

P. Elmar Busse

1. Blick ins Leben

Vor etlichen Monaten strahlte das österreichische Fernsehen eine Sendung aus mit dem Titel: "Sind Kinder Luxus?" Inzwischen ist diese Sendung auch von anderen Programmen gesendet worden. Zur Vorbereitung dieser Sendung kam das Reporterteam zu einer Schönstatt-Familie mit 10 Kindern, interviewte die Eltern und die Kinder, filmte das Morgengebet, eine Geburtstagsfeier und viele Alltagssituationen. In der tatsächlich ausgestrahlten Sendung fehlten alle religiösen Bezüge. Trotzdem kam viel von dem Klima, das in dieser Familie herrschte, rüber.

Eine Familie mit 5 Kindern, die erstmals zu einer Schönstatt-Familientagung angereist war, meinte: "Hier fallen wir mit unseren Kindern gar nicht auf."

Bei aller Ehrfurcht und bei allem Mitleiden mit Ehepaaren, die keine Kinder bekommen können oder nur mit Mühe eines oder zwei – Kinderreichtum ist Beziehungsreichtum und deshalb ein Segen. Bei einer 4-köpfigen Familie gibt es 6 mögliche Beziehungen, bei einer 8-köpfigen 28, bei einer 12-köpfigen 66. Wer Freude an Mathematik hat, kann die Zahl der möglichen Beziehungen ausrechnen nach der Formel n mal (n-1) :2= , wobei "n" die Zahl der Familienmitglieder darstellt. Da gibt es Gruppenbildung, Lieblingsbrüder und –schwestern, da gibt es das ständig wechselnde Spiel von Nähe und Distanz. Da wird – sozusagen nebenbei – täglich trainiert, worauf es im Zusammenleben ankommt:

  • teilen und die eigenen Schätze verteidigen,
  • sich durchsetzen und Kompromisse schließen,
  • sich streiten und versöhnen,
  • Mitverantwortung für die jüngeren Geschwister übernehmen und von den älteren Hilfe erbitten,
  • geben und nehmen,
  • sich öffnen und Geheimnisse bewahren,
  • Versprochenes halten und sich auf andere verlassen können,
  • sich einfühlen und sich trösten lassen,
  • rivalisieren und kooperieren,
  • die eigenen Talente entfalten und sich an den Erfolgen der anderen freuen können,
  • verlieren und gewinnen.

Durch den Beziehungsreichtum entsteht einfach ein vielfältiger Trainingsraum für das, was die Psychologen und Soziologen heute "Sozialkompetenz" nennen.

Wir wissen es von anderen Fähigkeiten: Was nicht trainiert wird, klappt nicht mehr so gut. Ein Musiker meinte einmal: "Wenn ich einen Tag nicht übe, merke ich es, wenn ich eine Woche nicht übe, merkt’s der Dirigent, wenn ich einen Monat nicht übe, merkt’s das Publikum. Ähnliches hören wir von Sportlern, wenn es um Kondition geht.

Wo kann ein Kind, das allein mit den Eltern aufwächst, den Umgang mit Seinesgleichen trainieren? Vielleicht noch für 3 Stunden im Kindergarten.

Wenn dann noch eine introvertierte Veranlagung dazu kommt, dann ist der höchstwahrscheinliche Weg zum Einzelgänger vorgezeichnet.

2. Blick in die Bibel:

Im Epheser- und Korinther-Brief wird die innige Gemeinschaft der Christen untereinander mit dem Bild vom "Leib Christi" beschrieben:

"Ich, der ich um des Herrn willen im Gefängnis bin, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe, und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält. Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist. (Eph 4,2-4)

Im 1.Korintherbrief heißt es:

Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: so ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt. Auch der Leib besteht nicht nur aus einem Glied, sondern aus vielen Gliedern. Wenn der Fuß sagt: Ich bin keine Hand, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört er doch zum Leib. Und wenn das Ohr sagt: Ich bin kein Auge, ich gehöre nicht zum Leib!, so gehört es doch zum Leib. Wenn der ganze Leib nur Auge wäre, wo bliebe dann das Gehör? Wenn er nur Gehör wäre, wo bliebe dann der Geruchssinn? Nun aber hat Gott jedes einzelne Glied so in den Leib eingefügt, wie

es seiner Absicht entsprach. Wären alle zusammen nur ein Glied, wo bliebe dann der Leib? So aber gibt es viele Glieder und doch nur einen Leib. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich bin nicht auf dich angewiesen. Der Kopf kann nicht zu den Füßen sagen: Ich brauche euch

nicht. Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich.

…. Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle anderen mit ihm. Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm. (1 Kor 12,12-27)

Das Bild vom Leib Christi macht deutlich, wie wichtig für eine intensive Gemeinschaft die gegenseitige Wertschätzung, eine ausgesprochene Ergänzungsbereitschaft, die intensive Kommunikation, das gute Zusammenspiel ist.

Dieses Anliegen finden wir auch sehr schön ausgedrückt in den Abschiedsreden Jesu am Abend vor seinem Leiden:

"Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich." (Joh 17,20-23)

3. Blick auf uns

"Die Schönstätter, das sind doch die mit den hohen Telefonrechnungen!", meinte neulich jemand, der schon an verschiedenen Veranstaltungen teilgenommen hatte, die Schönstätter in seiner Pfarrei durchgeführt hatten. Und er hat damit nicht ganz unrecht. Es gibt Menschen, die sammeln Briefmarken, viele Schönstätter sammeln Menschen und ihre Adressen. Neulich schimpfte mal jemand: "Ich hätte auf meinem Handy lieber 10 Klingeltöne weniger zur Auswahl, dafür aber noch 50 Speicherplätze mehr für Telefonnummern." Eine Rentnerin erzählte mir ganz begeistert, welche intensive Kontaktpflege jetzt per e-mail möglich wäre, gerade auch mit Schönstättern aus Übersee, die sie auf internationalen Kongressen kennengelernt hatte. Als ich mich etwas erstaunt und anerkennend darüber äußerte, dass sie dieses neue Medium nutzt, meinte sie verschmitzt: "Ja, am Anfang gab es schon viele Berührungsängste und viel Frust, aber mein Enkel war für mich immer wieder der rettende Engel. Mit viel Geduld hat er mir die Handhabung des PC’s immer wieder erklärt. Jetzt fühle ich mich sicher. Ich vergesse höchstens mal, eine gewünschte Datei anzuhängen und habe dann die mail schon versendet, bevor ich es merke. Aber das passiert Jüngeren auch.Für mich war wirklich das stärkste Motiv, mich immer wieder drüberzutrauen, die Möglichkeit der Kontaktpflege, zumal ich in den Beinen immer unsicherer werde und mir das Reisen schwer fällt."

Es gibt Untersuchungen über das Kontaktverhalten der Menschen. Menschen mit schweren seelischen Störungen haben oft nur eine oder zwei Bezugspersonen, seelisch Gesunde haben ca. 20 bis 30 Personen, mit denen sie regelmäßig mehr als nur Höflichkeitsfloskeln austauschen, dazu kommen noch ca. 50 Personen, die zum weiteren Bekanntenkreis gehören, die wenigstens einmal jährlich kontaktiert werden. Berufsbedingt haben Lehrer, Ärzte, Verkäuferinnen, Journalisten und Politiker einen großen Bekanntenkreis, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass sie viele Freunde hätten.

Es fällt mir auf, dass viele Schönstätter eine Menge Zeit und Energie in ihr Beziehungsnetzwerk investieren, die weit über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt.

Ich arbeite seit kurzem in einer neuen Diözese. Da interessiert mich natürlich auch, wie die einzelnen Familien zu Schönstatt gekommen sind. Bei vielen war wenigstens ein Partner schon in einer Schönstatt-Jugendgliederung. Und dann werden immer wieder zwei Faktoren genannt:

"Das, was bei den Schönstatt-Veranstaltungen gesagt wurde, das war so praktisch und lebensnah. Damit konnten wir etwas anfangen."

"Da hat sich wirklich jemand für uns interessiert, uns immer wieder eingeladen, ohne sauer zu sein, wenn wir nicht kamen. Und dann waren da noch die Telefonate nach den Veranstaltungen mit den Fragen, wie es uns gegangen ist, was für Themen uns interessieren würden u.s.w."

Wollen wir es auf den Punkt bringen, dann können wir sagen: Franziskaner sind arm, Jesuiten gescheit, Schönstätter sind kontaktfreudig und beziehungstark.

4. Blick auf den Gründer Schönstatts:

Pater Kentenich erwähnt des öfteren, dass er als Jugendlicher sehr einsam war und sich unverstanden fühlte. "Zweifellos gibt es viele Menschen, deren Entwicklungsjahre ähnlich gekennzeichnet sind. Ich glaube aber, bei sachgemäßer Prüfung feststellen zu dürfen, das Grad, Umfang und Dauer – gemessen an zugänglichen Vergleichen – außergewöhnliche Maße angenommen hat." Erst nach der Priesterweihe entwickelte sich seine Beziehungsfähigkeit derart, dass die Schüler und Studenten genau dieses Angebot an seelischer Nähe besonders schätzten. Im Rückblick meinte Pater Kentenich einmal:

"Als Typ des modernen Menschen durfte ich dessen geistige Not reichlich auskosten. Es ist die Not einer mechanistischen Geistigkeit, die Idee vom Leben (Idealismus), die die Person vom personalen Gegenüber (Individualismus) und das Übernatürliche von der natürlichen Ordnung trennt… Nach Abschluss der Studien tauchte der Geist kraft der neuen Aufgabe als Lehrer und Erzieher tief in das Leben hinein. Dem Psychologen dürfte es selbstverständlich erscheinen, dass meine außergewöhnliche starke transzendentale Grundeinstellung durch diese Verbindung mit dem Leben in all seinen Verzweigungen anfing, ein Gegengewicht zu finden, und dass durch Vermählung zwischen Idee und Leben oder durch organische Denk- und Lebensweise nicht nur eine volle Gesundung des eigenen Seelenlebens erreicht wurde, sondern auch die eigentliche Lebensaufgabe – Überwindung der mechanistischen Denk- und Lebensweise."

Seine persönliche Heilungsgeschichte eröffnet ihm einen neuen Zugang dazu, wie man heute Erlösung neu buchstabieren kann.

In der "Werktagsheiligkeit" definiert er Heiligkeit als die Fähigkeit, zu Gott, den Menschen, zu sich selbst, zur Arbeit und zu Orten und Ideen intensive Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Der Originaltext lautet: "Werktagsheiligkeit ist die gottgefällige Harmonie zwischen affektbetonter Gott-, Werk- und Menschengebundenheit in allen Lagen des Lebens." Das Wort "affektbetont" hatte damals einen anderen Klang. Es beschrieb nicht eine unkontrollierte Explosion des Gefühlslebens mit darauf folgenden unbeherrschten Handlungen, so wie wir heute dieses Wort verwenden, sondern meinte nur, dass das Gefühlsleben in die Beziehung integriert sein sollte. Dass wir um der inneren Freiheit willen immer wieder Dinge, eigene Vorstellungen, ja auch Menschen loslassen müssen und verzichten lernen müssen, gehört für Pater Kentenich wesentlich zu seiner Bindungslehre. Aus manchen Gesprächen über das Thema weiß ich, wie leicht sich hier Missverständnisse einschleichen können. Deshalb noch einmal ein Originaltext aus der Werktagsheiligkeit:

"Der Heiland hat uns diese göttliche Bedürfnislosigkeit durch sein Leben veranschaulicht und dadurch den Weg gewiesen, wie wir zunächst innerlich unabhängig von den Dingen sein sollen, sodann aber auch unter Umständen uns äußerlich davon lösen können. Unter heroischer Dinggebundenheit verstehen wir darum den gottgefälligen Verzicht auf die Geschöpfe nach dem Vorbild des Gottmenschen – des armen, demütigen und gekreuzigten Heilandes – oder den Geist der Gelübde, d.h. die innere Unabhängigkeit von ungeordneter Anhänglichkeit an Hab und Gut, an Ehre und Ansehen, und an sinnliche Genüsse. Ist diese Unabhängigkeit echt, so muss sie sich auch bei Gelegenheit in äußeren Taten bewähren."

5. Blick auf unsere Gestaltungsmöglichkeiten:

Wir nehmen uns Zeit und halten Beziehungsinventur: D.h. wir nehmen ein Blatt Papier, schreiben in die Mitte "Ich" und dann malen wir unser aktuelles Beziehungsnetz: die Nächsten, die Nahestehenden, die Bekannten. Wir können das auch biographisch-historisch aufmalen: Welche Bezugspersonen waren in welchem Alter für mich bedeutsam?

Manchmal werden wir auch feststellen, dass Werteverwandtschaft größere Nähe ermöglicht als Blutsverwandtschaft.

Wir analysieren den letzten Monat und fragen uns: Wie viel Zeit haben wir uns als Ehepaar füreinander gegönnt? Passt das so? Sehnt sich einer von uns nach mehr Nähe und Exklusivität? Was ist – bei aller Belastung durch den Beruf und die Kinder - realistisch möglich? Wir gönnen uns auch gemeinsame Zeit zum persönlichen laut gesprochenen Gebet.

Bei welchen gemeinsamen Tätigkeiten entwickeln wir das intensivste Wir-Gefühl?

Welche Strategien haben wir für "Steppenzeiten", wenn trotz gutem Willen bei einem von uns die Seele ausgedörrt ist und intensive Gefühle nicht möglich sind?

Wir entrümpeln immer wieder unseren Kalender von den angewachsenen Verpflichtungen und treten notfalls aus manchen Vereinen aus oder reduzieren unsere Termine.

Wir fragen uns: Wer ist uns grundsätzlich sehr wichtig, den wir in letzter Zeit aber vernachlässigt haben? Wann können wir ihn anrufen, besuchen oder ihm einen Brief schreiben – nicht nur eine SMS?

Kleine Geschenke erhalten Freundschaften. Haben wir neben obligatorischen Pralinenschachteln und Weinflaschen einen Vorrat an originellen kleine Geschenken, auf den wir spontan zugreifen können?

Können wir – nicht nur in akuten Notsituationen – Gebetspatenschaften übernehmen? D.h. mal eine Woche oder einen Monat für jemanden beten, oder an einem bestimmten Wochentag für eine bestimmte Personengruppe, oder wir stellen ein Foto im Hausheiligtum auf, oder wir legen eine Namensliste ins Hausheiligtum und gehen immer mal wieder diese Namen durch und empfehlen diese Menschen dem Schutz der Gottesmutter.

Wir widmen bestimmte Beiträge zum Gnadenkapital für bestimmte "Sorgenkinder".

Wir werden mutiger, Hilfe und Unterstützung, die uns grundsätzlich angeboten wurde, auch in Anspruch zu nehmen.

Bei aller Freude über unser intensives Beziehungsnetz gönnen wir uns hin und wieder Zeiten, in denen wir mit uns ganz allein sind, und halten das aus.

6. eine Bitte zum Schluss:

Bitte sammeln Sie Ihre Beobachtungen und experimentieren Sie in Ihrer Familie! Das tut allen in Ihrer Familie gut. Zusätzlich können Sie Ihre guten Erfahrungen auf dem Familienkongress anderen mitteilen. Von den ersten Jüngern hieß es, dass sie alles miteinander teilten. Für ein Dach über dem Kopf, für Essen und Kleidung können die meisten selber sorgen. Aber in der pluralistischen Gesellschaft fehlen häufig Orientierungsmöglichkeiten, fehlen praktische Erfahrungen, wie heute (Selbst-)Erziehung auf lange Sicht gelingen kann. Orientierung und Anregung – diese Form der Nächstenliebe wird den Kongress prägen.



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