Schönstatt-Bewegung
31. Mai 1949 - 31. Mai 1999
50. Jubiläum des Dritten Meilensteines der Geschichte Schönstatts
Serie: der Schritt über die Schwelle



9. Gehorsam - Testfall organischen Lebens

von M. Nurit Stosiek

Der letzte Artikel beschäftigte sich mit der Gehorsamsauffassung Pater Kentenichs: Gehorsam als ein Umgangsstil von Menschen, die sich ihrer Würde bewußt sind und ihr Miteinander immer wieder "durchsichtig" machen auf Gott hin.

Ein "Spezialfall" dieser Durchsichtigmachung zwischenmenschlicher Beziehungen ist das Verhältnis von Führern und Geführten, von Verantwortlichen und "Untergebenen", das auch die Haltung des "blinden Gehorsams" einschließt.
Die Frage, die der Visitator - und nicht nur er - aufwirft: Ist dieses "blinde" Gehorchen menschenwürdig?
In seiner Antwort geht Pater Kentenich darauf ein.

Im InterRegio begegnet einem häufiger der Sinnspruch: Wer in die Fußstapfen anderer tritt, hinterläßt

keine eigenen Spuren

Mit anderen Worten: Menschen, die etwas auf sich halten, treten nicht in die Fußstapfen anderer. Sie gehen eigene Wege.

So einleuchtend diese Philosophie klingt, die Realität ist anders.

Erinnern wir uns an die Fußballweltmeisterschaft, die ja noch nicht allzu weit zurückliegt. Die Trainer bestimmen die Strategie, entscheiden über die Aufstellung der Mannschaft. Die Spieler müssen sich fügen, manchmal sehr schnell noch während des Spiels.

Kaum ein Kenner der Szene würde die Sportler deshalb als unselbständig bezeichnen. Ein Erfolgsteam braucht jemanden, der die Kräfte zur Synergie zusammenführt und gezielt einsetzt.

Gehorsam in diesem weiten Sinn ist in Teams, die mehr wollen als der Durchschnitt, selbstverständlich.

Im letzten Artikel wurden einige Grundeinsichten erarbeitet, die hier nochmals einzublenden sind:

Da ging es um die "Schlüsselwahrheit", daß jeder Mensch seine Würde von Gott empfängt, nicht von Menschen, die ihm gebenenfalls "übergeordnet" sind. Gott gegenüber haben Führer und Geführte dieselbe Abhängigkeit - sie sind Werkzeug in seiner Hand und letztlich ihm verantwortlich.

Dementsprechend hat Autorität für Pater Kentenich eine spezifische Qualität: Gott überträgt auf Menschen etwas von seinen Eigenschaften, seiner Güte, seiner Kraft, seiner Weisheit. Der einzelne muß seinerseits an sich arbeiten, um den anderen, für die er Verantwortung trägt, den "Umgangsstil" Gottes erfahrbar zu machen:

Gott tut alles aus Liebe, er handelt durch Liebe - auch da, wo er streng zugreift - und möchte die Kraft der Liebe im Menschen entfalten. Ähnlich muß jede menschliche Autorität Ehrfurcht haben "vor jedem Menschen, vor jedem Menschenschicksal und vor jeder Menschenart".

Diese Form des Miteinanders baut nicht so sehr auf die Wirkung der Strenge, sondern im wesentlichen auf die Kraft des Einfühlungsvermögens und des Großmutes. Sinn der Autorität ist es, selbstlos fremdem Leben zu dienen, ihm zur Entfaltung zu helfen.

Freilich, auch darauf macht Pater Kentenich aufmerksam: Menschliche Autorität muß zugleich die Größe Gottes spiegeln, Ehrfurcht wecken. "Wo Liebe nicht zum Ideal treibt", wo sich bei einzelnen oder Gemeinschaften die Freude am jeweils Besseren verliert, muß der Autoritätsträger schließlich auch die Gerechtigkeit Gottes repräsentieren, gegebenenfalls auch Strenge üben.

Aber auch das ist solange nicht problematisch, als der Autoritätsträger menschlich einsichtig und qualifiziert seine Macht gebraucht.

Die "Klippe"

entsteht da, wo sich die jeweilige Autorität menschlich unverständlich, vielleicht sogar unvernünftig verhält, da, wo sich die naturhaften Empfindungen sträuben und die eigene Einsicht andere Wege gehen möchte.

An dieser Stelle wird das wirksam, was die Aszese den blinden Gehorsam nennt.

Pater Kentenich spricht auch vom ,vollkommenen" Gehorsam, um das Wort ,blind" von der Aura des Negativen zu befreien. Blinder Gehorsam ist nämlich keineswegs ,blind" im landläufigen Sinn. Es geht ganz im Gegenteil darum, menschliche Autorität konsequent durchsichtig zu machen auf den darin wirkenden Gott.

Durchsichtigmachung zeigt sich schon in der positiven Voreinstellung, daß sich mit rechtmäßiger Autorität normalerweise auch ein entsprechender Beistand des Heiligen Geistes verbindet.

Das bedeutet gerade nicht, die Mitverantwortung auszuschalten - auch dadurch kann der Heilige Geist ja seinen Beistand schenken wollen. Die eigene Würde verlangt, daß die einzelnen mitdenken und gegebenenfalls den Autoritätsträger darauf aufmerksam machen, wo sie eine wichtige Entscheidung für weniger zweckmäßig oder gar falsch halten.

Die Kraft und Reife der Persönlichkeit zeigt sich darin, daß dies nicht hintenherum bei allen möglichen Leuten geschieht, sondern der jeweiligen Autorität gegenüber "ins Antlitz offen", ansonsten aber nicht.

Wenn der betreffende Autoritätsträger diesen Einwand nicht berücksichtigt, besteht Durchsichtigmachung darin, daß der einzelne sozusagen seine natürliche Sicht und Vernünftigkeit "abblendet" aus dem Bewußtsein: Eventuelle Folgen habe nicht ich Gott und meinem Gewissen gegenüber zu verantworten, sondern der Autoritätsträger - soweit es eine rechtmäßige Autorität ist.

"Und ohne Verbitterung und Trübung des gegenseitigen Verhältnisses geht er seines Weges weiter. Das hindert ihn aber nicht, wenn er später selbständig in derselben Sache entscheiden darf, den Fall zu lösen und zu behandeln, wie er es vor Gott für recht hält."

Der kritische Punkt in diesem Vorgang ist das "Abblenden" natürlicher Einsicht, die Bereitschaft, die Entscheidungskompetenz des anderen zu akzeptieren auch da, wo man selbst andere Handlungsweisen besser fände.

Und die Eigenverantwortung?

Wird hier nicht die Kompetenz einer Autorität religiös 'aufgeladen' und die Kompetenz derer, die zu gehorchen haben, mißachtet?

Pater Kentenich geht Fragen dieser Art aus dem größeren Ganzen des Vorsehungsglaubens an. Vorsehungsglaube, wie er in Schönstatt geübt wird, hält konsequent daran fest, daß Gott immer 'ganz da' ist, daß ihm die Führung nie entgleitet, daß er auch keineswegs zwischendrin das Interesse an kleinen Vorgängen verliert. Kurz: Dieser Gott sorgt für das Kleinste und das Größte.

Wie aber ist es dann zu erklären, daß Gott es immer wieder zuläßt, daß Menschen, denen er Anteil gibt an seiner Autorität, Fehler machen? Wie leicht könnte er durch rechtzeitiges Eingreifen Schlimmes verhindern. Wer die Kirchengeschichte auf sich wirken läßt, der kann nach dieser Richtung eine Fülle von Fragen an Gott richten.

Die Antwort - soweit ein solches Geheimnis überhaupt Antworten freigibt - liegt in der grenzenlosen Ehrfurcht Gottes vor menschlicher Eigenkompetenz: Eher läßt Gott zu, daß ein Autoritätsträger verschlungene Wege geht, als daß er da, wo Fehler vorkommen, einspringt und damit die Freiheit von Zweitursachen außer Kraft setzt. Oft wartet er lange bis er durch andere Fügungen eingreift.

Gott will durch freitätige Zweitursachen wirken, mit ihren Fähigkeiten und Schwächen.

Wenn Gott es sich leistet, die Kompetenz seiner Werkzeuge ernst zu nehmen bis hinein in Fehlentscheidungen, und dann zeigt, daß er auch "auf krummen Linien gerade schreiben" kann, dann steht auch "blinder Gehorsam" in einem anderen Licht: Dann ist es nicht Schwäche, sondern Kraft, die Autorität des anderen auszuhalten und zu achten selbst da, wo man persönlich es anders machen würde.

Die Ausgewogenheit in der Gehorsamsauffassung Pater Kentenichs zeigt sich darin, daß er hinzufügt: Der einzelne, der die Lage anders sieht als der Autoritätsträger, braucht selbstverständlich seine Meinung nicht wider besseres Wissen umdrehen. Und bekommt er selbst entsprechende Autorität, wird er so entscheiden, wie er es für richtig hält.

Hier gelingt beides: Die Würde jedes einzelnen wird ernst genommen, ernst genommen wird aber auch die Achtung vor der Autorität, die Gott selbst ja auch praktiziert. Zugleich ist dieser Stil des Gehorsams ein Schutz vor eigener Fehleinschätzung. "Manchmal kann ja tatsächlich auch der Autoritätsträger recht haben und ich selbst mich irren", sagte eine Schriftstellerin vor kurzem in einem Forum des Katholikentages.

In gewissem Sinn, schreibt Pater Kentenich in der "Epistula", ist der katholische Gehorsam immer blind. Denn "blind" meint eben den Prozeß des Durchsichtigmachens, und der entfaltet dann seine ganze Kraft, wenn menschliche Durchsicht ihre Möglichkeiten erschöpft hat.

Der eigentliche Testfall

organischen Lebens ist dieser blinde Gehorsam. Wer aus der Haltung lebt: Solange ich es vertreten kann, gehorche ich - zum Beispiel der rechtmäßigen kirchlichen Autorität -, der bleibt, genau genommen, immer noch auf der naturhaft-natürlichen Ebene und übt nicht die Durchsichtigmachung im vollen, im gläubigen Sinn.

Gabriel Marcel schreibt einmal im Blick auf die Achtung der Menschenwürde: Wie ernsthaft ein Mensch die Würde anderer achtet - auch die Würde von verehrungswürdigen, großen Menschen -, das kann man am sichersten daran ablesen, wie er sich zu den Schwächsten der Gesellschaft verhält: zu Kindern, alten Leuten und Armen. Wer sie achtet, der tut das nicht mehr aufgrund natürlicher Qualitäten. Der sieht hindurch auf das Heilige, den Heiligen, der noch in den wehrlosesten Menschen aufleuchtet. Deshalb sagt Marcel: Wo ein Mensch solche Menschen in ihrer äußersten Hilflosigkeit und Schwäche achtet, da wird er auch mit anderen, würdigeren Menschen menschenwürdig umgehen, sie nicht nur wegen ihrer äußeren Qualitäten achten.

Ähnlich ist es auch beim Gehorsam: Die Ernsthaftigkeit und Größe katholischen Gehorsams zeigt sich da, wo es menschlich gesehen an die Grenze geht. Gerade an diesen Stellen kann das Göttliche, kann eine andere Kraft durchbrechen.

Aus dieser Sicht heraus zitiert Pater Kentenich in seinem Antwortschreiben Franz von Sales, der in Anlehnung an Spr 21,28 schreibt: "Der wahrhaft Gehorsame bleibt Sieger in allen Schwierigkeiten, in die er durch den Gehorsam geführt wird."

Was Pater Kentenich 1949 geschrieben hat, das hat er bald darauf in langen Jahren seines Exils gelebt. Er hat die Nagelprobe des "blinden Gehorsams" bestanden und gezeigt, daß die Persönlichkeit dadurch nicht schwächer, sondern stärker, weil heiliger wird.

Das ist Vorsehungsglaube in letzter Konsequenz: Wenn der Weg, den ich gehe, von Gott gewollt ist, dann wird Gott auch Möglichkeiten zeigen, die Sendung zu verwirklichen, ohne widerrechtlich gegen die kirchliche Autorität zu handeln. Und Gott hat Wege gezeigt, in einer Weise, daß dadurch seine Größe und Macht beeindruckend ans Licht trat. Nicht umsonst sprechen wir von der Heimkehr Pater Kentenichs am 24.12.1965 als einem "Wunder der Heiligen Nacht".

An einer deutschen Universität studierten mehrere Schönstätter katholische Theologie. Der Professor für Kirchengeschichte ließ in den Vorlesungen immer wieder öffentlich durchblicken, daß er "den Schönstättern" und ihren Auffassungen gegenüber viele Vorbehalte habe.

In Zusammenhang mit Luthers Schritt aus der katholischen Kirche heraus sagte eben dieser Professor in einer Vorlesung: "Luther wollte die Kirche erneuern und hat sich in Widerspruch zu ihr gestellt. Er hat seinen Gehorsam irgendwann aufgekündigt. Ich kenne einen Mann, der in einer ähnlichen Situation unerschütterlich gehorsam geblieben ist und schließlich von der Kirche angenommen wurde. Ein solcher Weg ist mehr als menschliche Größe - da muß Gott dahinter stehen. Ich spreche vom Gründer der Schönstattbewegung, Pater Kentenich."

Einige Jahre später kam es nochmals zu einer Begegnung mit diesem Professor. Er sagte spontan: "Meine Einstellung zu Schönstatt kennen Sie. Aber der Gehorsam Pater Kentenichs zwingt mich immer neu in die Knie. Was hätten Luther und andere Große für die Kirche wirken können, wenn sie diesen Weg gegangen wären!"

Gehorsam war für Pater Kentenich ernstgenommener Vorsehungsglaube. Er lebte ihn nicht aus Schwäche, sondern aus Verantwortung.

1957 beschrieb er seine Einschätzung der langen Prüfungszeit, die ihm die Kirche auferlegte:

"Der 'Prophet' tritt in Gegensatz zum Bestehenden; darin liegt der eigentliche Grund seines Auftretens ... Er kann die Kirche erneuern, aber er kann sie auch spalten. Der Gegensatz kann zum Widerspruch werden ... Der Gegensatz wird zum Widerspruch, wenn er sich aus dem Zusammenhang, in dem die Gegensätze sich halten, löst und isoliert ... Dadurch, daß der Prophet eine Wahrheit herauslöst und absolut setzt, wird er zum Häretiker, der dann die Kirche nicht erneuert, sondern spaltet. Der Häretiker ist also nichts anderes als ein verfehlter Prophet.

Wenn aber der Gegensatz nicht zum Widerspruch wird, dann wird er fruchtbar: Er wird in die Kirche aufgenommen ... Gerade weil er die Kirche liebt, läßt sich der wahre Prophet weder aus ihr herausdrängen noch sich verleiten, seinen Auftrag zu verleugnen."

Gehorsam - den Gegensatz aushalten, nicht aussteigen, Gott wirken lassen. Das war Pater Kentenichs Grundhaltung in seinem Exil.

Die Kirche von innen her erneuern kann nur, wer "drinnen" ist, wer auch menschliche Schwächen aushält und sie bei allem als seine Kirche liebt, als Kirche Gottes, in der Gott über alle Menschlichkeiten den Sieg davonträgt.

Könnte nicht gerade die Gehorsamsauffassung Pater Kentenichs ein Weg sein, um manche Fragen auch um die kirchlichen Autoritäten heute konstruktiv anzugehen? Ist es nicht gerade uns als Schönstättern aufgegeben, als "kleine Propheten" Tag für Tag diese Haltung zu leben?




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Letzte Aktualisierung: 07.06.99, 21:33
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