Schönstatt-Bewegung
31. Mai 1949 - 31. Mai 1999
50. Jubiläum des Dritten Meilensteines der Geschichte Schönstatts
Serie: der Schritt über die Schwelle



5. Eigenlob oder Geheimnis der Kraft?

von M. Nurit Stosiek

Eines der zentralen Themen, die Pater Kentenich in seinem Antwortschreiben auf den Visitationsbericht behandelt, ist die Überzeugung:

Schönstatt / jeder einzelne ist eine Lieblingsbeschäftigung Gottes. Der Visitator hatte diese Wortprägung als ungewohnt, aufreizend und irreführend bezeichnet.

Unser Gründer zeigt daraufhin ausführlich, warum diese Formulierung und die damit verbundene Lebenshaltung so wichtig ist. In der letzten Folge war davon die Rede. Diesmal geht es um die Frage: Wie gelingt es heute, dieses Lebensgefühl zu vermitteln und so das Anliegen des 31. Mai in kleinen Schritten zu verwirklichen?

Betroffenheit im Hörsaal

Eher beiläufig - es geht um kein religiöses Thema - ist in einem Vortrag vor Studenten die Rede vom Gottesbild Pater Kentenichs: Gott ist Vater, der jeden bevorzugt und warm liebt.
Anschließend entsteht eine Diskussion mit ungewöhnlich hoher Beteiligung. Was die Studenten am meisten umtreibt: Wie ist das mit diesem Gottesbild?
"Was Sie da sagen, fasziniert mich. Aber was tut man, wenn man Gott immer anders vermittelt bekommen hat? Und wenn man eigentlich nie richtig erlebt hat, daß man für die Eltern oder sonst wen wichtig ist? Kann man sowas nach Jahren nochmal aufholen?", fragt eine junge Frau. Im Hörsaal ist Betroffenheit spürbar, denn es wird deutlich: Sie spricht von sich. Und sie spricht für viele, die hier sitzen.

Eine solche Frage bekommt anderes Gewicht, wenn sie nicht das Problem einzelner ist, sondern die Ratlosigkeit einer ganzen Generation, ja, einer Gesellschaft wiedergibt.

Kann man, können einzelne, können Menschen überhaupt dieses große Defizit an Erfahrung persönlicher Liebe ersetzen, ausgleichen?

Pater Kentenich antwortet auf diese große Frage nicht theoretisch. Er lebt mit seiner geistlichen Familie die Antwort vor. Im Konzentrationslager Dachau - einem völlig destruktiven Milieu - besingt er diesen Weg im sogenannten "Heimatlied":

Kennst du das Land, so warm und traut, das ewige Liebe sich erbaut:
Wo edle Herzen innig schlagen und opferfreudig sich ertragen;
wo sie - einander bergend - gluten und hin zum Gottesherzen fluten;
wo Liebesströme sprudelnd quillen, den Liebesdurst der Welt zu stillen.
Dies Wunderland ist mir bekannt; es ist im Taborglanz die Sonnenau,
wo unsere Dreimal Wunderbare Frau im Kreise ihrer Lieblingskinder thront
und alle Liebesgaben treulich lohnt ...

Der Schlüssel liegt in der Formulierung, daß in Schönstatt die Gottesmutter im Kreise ihrer

Lieblingskinder

mächtig wirksam ist ("thront"). - In seinem Brief vom 31. Mai 1949 wird Pater Kentenich von der "Eigenart" sprechen, die die Idee der gegenseitigen Lieblingsbeschäftigung von Gott und Mensch dort gefunden hat. Darum geht es hier: Die Art, wie die MTA durch das Liebesbündnis die Erfahrung vermittelt: Ich, eine Lieblingsbeschäftigung Gottes.

Das kann natürlich sehr falsch verstanden werden: Wir Schönstätter meinen keinesfalls, die besseren Menschen zu sein. Gerade deshalb sind wir so sehr angewiesen auf diese Erfahrung, "Lieblingskinder", eine Lieblingsbeschäftigung Gottes und der Gottesmutter zu sein.
Denn, so Pater Kentenich: "Lieblingskinder" der Gottesmutter sind gerade die, die sich hilflos erleben und doch die Sehnsucht nach Größe in sich tragen. Das sind auch die, die sich in der schweren Sünde befinden - und wer kann von sich sagen, daß ihn das nie treffen wird, fügt Pater Kentenich hinzu. Lieblingskinder sind weiterhin die, die sich zwar von der schweren Sünde abgewandt haben, aber einfach nicht so recht vorwärts kommen.
Die Gottesmutter liebt so, wie Jesus die Menschen liebt. Er hat immer wieder gerade die ins Herz geschlossen, deren Sehnsucht größer war als ihre menschliche Kraft. Da ist Maria Magdalena, da ist Petrus, der seinen Herrn aus Feigheit verleugnet hat: Jesus behandelt ihn nicht hart, reagiert nicht verletzt. Er nimmt ihn auf mit einem gütigen Blick und fragt nur das eine: Liebst du mich?
Lieblingskinder sind schließlich auch die, die in sich die Sehnsucht tragen, doch ganz für Christus und sein Reich zu leben.

Nicht Leistung, nicht natürliche Kraft hat die Menschen um Jesus groß gemacht - das gerade war ja der Punkt, wo sie immer wieder versagten. Er liebt mich grundlos, ohne Vorleistung - diese Erfahrung hat alles in ihnen umgeschichtet, hat sie umgeformt zu Menschen von großem Format, zu Heiligen.

Diesen Grundvorgang in der Atmosphäre Jesu erlebt Pater Kentenich neu an der Art, wie Maria vom Heiligtum aus wirkt: Für die MTA ist nicht die Leistung das Entscheidende, sondern die Sehnsucht und die Liebe. Die Gottesmutter kann nicht widerstehen, wo ihr diese Mitwirkung entgegengebracht wird - lieben zu wollen, so gut es geht, mit allen Schwächen, mit der ganzen Person. Sie gewinnt diese Menschen lieb. Sie beginnt mit ihnen im Liebesbündnis eine Lebensgemeinschaft, in der sich alles verändern kann. Nicht, weil da auf einmal alle Fehler und Schwächen, alle Sünden verschwinden, sondern weil die Liebe wächst. Sie lohnt "alle Liebesgaben treulich", indem sie noch mehr ihre Liebe zeigt ("Offenbarung ihrer Herrlichkeit") und im Gegenüber die Liebe vertieft ("Fruchtbarkeit").

Schönstätter bleiben auch nach dem Bündnisschluß Menschen mit Ecken und Kanten, mit fehllaufenden Emotionen, mit Übermüdung, Überreiztheit, Überforderungen, Menschen, die immer wieder in Sünde fallen.

Was sich durch das Liebesbündnis ändern kann, ist das Lebensgefühl in diesen Schwächeerfahrungen: Nicht Versager, sondern Lieblingskind, weil es auf die Liebe ankommt. Und die kann auch - gerade - in Schwächeerfahrungen wachsen. Daraus ergibt sich die spezifische Berufung des Schönstätters: Lieben als Hauptberuf.

In der MTA begegnet uns der lächelnde Vatergott, faßt Pater Kentenich diese Erfahrung zusammen. Die Gottesmutter läßt uns erleben: Gott ist eine Person, die uns urpersönlich liebt.
Bei den meisten von uns vollzieht sich diese "Neuerfahrung" Gottes ganz leise. Dann kommt einem das Große gar nicht so zum Bewußtsein. Manche sind von Gott aber so geführt worden, daß sie diese Erfahrung sehr intensiv gemacht haben.
Da ist jemand in einem katholischen Milieu aufgewachsen, war von Kind an vertraut mit allen Glaubenswahrheiten. "Aber immer, wenn ich in der Kirche war, dachte ich: Alles das gilt den anderen. Ich kann nicht glauben, daß Gott eine Person ist, daß das alles überhaupt stimmt." Auch ein Theologiestudium änderte nichts an diesem inneren Zustand. "Dann kam ich nach Schönstatt, und jemand hatte mir gesagt: Hier in dieser Kapelle hilft Maria den Menschen, Gott zu begegnen. Und ich habe sie gebeten: Wenn du wirklich da bist, dann zeig mir doch, wer Gott ist." Die folgende Zeit wurde für die Betreffende zu einer persönlichen Erfahrung: Gott liebt mich, er ist mein Vater. Und diese Erfahrung erneuert sich seither durch jede Berührung mit dem Heiligtum.

Manchmal ist für uns das eigene Leben und der Umgang miteinander, auch der Einsatz für Schönstatt so mühsam, weil wir zu wenig in dieser Grunderfahrung einwurzeln. Der Verfasser des Kolosserbriefs beschreibt sie so:
"Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld. Ertragt euch gegenseitig ... Vor allem aber liebt einander ..." (Kol 3, 12 ff).

Das Darum zeigt die Logik der Liebe: Vor allem müssen wir selbst davon durchdrungen sein, von Gott geliebt, auserwählt zu sein - dann fließt daraus auch ein entsprechendes Verhältnis und Verhalten im Miteinander. Nicht umsonst fordert unser Gründer uns immer wieder auf, lebenslang den

Erbarmungen Gottes
in unserem persönlichen Leben

und der Schönstattgeschichte nachzutasten. Liebe braucht diese ständige Rückversicherung in authentischen Zeichen. Schönstätter sind nicht Menschen, die über allen Glaubenskrisen stehen. Vielmehr ist das Liebesbündnis eine Hilfe, mit solchen Verunsicherungen umzugehen.

Da ist eine junge Frau, die schon länger im Liebesbündnis lebt. Sie hat gerade einen Tag, wo sie seelisch so richtig im "Loch" sitzt und gar nicht mehr hochkommt. Zum guten Schluß wird ihr auch noch mitten in der Stadt ihr Fahrrad gestohlen. Das ist zuviel für ihr Gottesverhältnis. "Diesmal war ich so am Boden, daß ich nicht mal die Kraft zum 'Hände aufhalten' hatte - das heißt ich hatte das verzweifelte Gefühl, daß mir auch mein Vertrauen abhanden kommt. Vertrauen in meine Liebenswertigkeit, Vertrauen in Gottes Dasein. Und dann hab ich erlebt, wie mein Gott sich ganz liebevoll darüber hinwegsetzt und mir sein 'Ich liebe dich' buchstäblich vor Augen stellt." Die junge Frau ging für eine Besorgung einen Weg, den sie sonst nie geht - "und da stand mein Fahrrad ... Was in dem Augenblick in mir vorgegegangen ist, ... ist schwer zu beschreiben - vielleicht so, daß ich das verlorene Stück Vertrauen wiedergefunden habe, mehr noch, daß ich wiedergefunden worden bin, gesucht und umworben von Dem, der mir auf diesem Weg sagen will:

'Du bist kostbar in meinen Augen.'

Die Barmherzigkeiten Gottes, die persönlichen Zärtlichkeiten Gottes im eigenen Leben wahrnehmen, auskosten - das gehört zum Grundbestand des Lebens aus dem Liebesbündnis. Dabei nehmen diese Liebeserweise durchaus menschliche Züge an - Gott berührt uns durch Ereignisse, durch Menschen, die uns gut sind, durch Dinge, durch Erfahrungen ...

Mit der Zeit kann ein neues Selbstverhältnis wachsen: Ich bin jemandem unendlich kostbar! Es führt zu diesem neuen Miteinander, von dem vorhin im Kolosserbrief die Rede war.

Im "Heimatlied" beschreibt unser Gründer das seelische Milieu, das von Menschen ausgeht, die sich selbst immer neu geliebt erleben: Das Proletarische, Berechnende im Umgang verliert sich, eine gewisse Feinfühligkeit entfaltet sich: "edle Herzen", die "innig schlagen" - herzliche, warme, ursprüngliche Zuwendung zueinander, Freude an den (Un-)Möglichkeiten einzelner Typen, oder doch der Wunsch, den Menschen zu lieben, auch wenn seine Art nervig ist.

"... und opferfreudig sich ertragen" - ohne das geht es nicht. Pater Kentenich verweist gelegentlich auf Petrus und Paulus: Beide waren voll des Heiligen Geistes - und was hatten sie noch an Auseinandersetzungen und Mißverständnissen! Wer sich selbst als bevorzugt geliebt erlebt, kann in diesem Punkt etwas großzügiger sein - Opferfreude ist Großzügigkeit im Lieben, die der Heilige Geist schenkt.

"Wo sie einander bergend gluten" - dieser Opferwille nimmt der Liebe nicht die natürliche Glut und Wärme, sondern vertieft sie: Man fühlt sich ineinander geborgen, gesichert - gerade weil da dieser Opferwille ist, der den anderen nicht allein läßt, wenn er belastend wird.

"Und hin zum Gottesherzen fluten" - die menschliche Liebe sucht immer wieder Kraftzufuhr in dieser Grunderfahrung: Gott, der Gottesmutter bin ich Lieblingsbeschäftigung - auch in Zeiten der Einsamkeit, des Mißverstandenseins, in der Nacht menschlicher Liebe.

Dieses Idealbild ist ideal, das heißt auch: Es wird nie völlig erreicht. Und doch gibt es immer wieder Erfahrungen, die zeigen: Gerade die Gemeinschaft von Menschen, die sich im Liebesbündnis angenommen wissen, hat

wirkliche Ausstrahlung.

Eine junge Frau aus Südafrika, Mischling, hat schwere Erfahrungen der Diskriminierung hinter sich. Aber sie strahlt beständig Freude und Optimismus aus, eine innere Selbstachtung, die auffallend ist. Sie hat erstaunlich viel erreicht - Studium, dann Arbeit an der Universität - und ist dabei gelöst und heiter. Das Gespräch kommt auf die Frage: "Wie können Sie mit den vielen Entwürdigungen leben?" - Ihre Antwort, kurz und ohne Wenn und Aber: "Ich bin ein Kind Gottes! Er liebt mich sehr!" - Nachher erzählt sie, diese Überzeugung ist nicht "von selbst" in ihr gewachsen. "Ich habe in der Schönstattfamilie erlebt, wer ich bin, und die Art, wie die Menschen dort mit mir als Mischling umgingen, war für mich eine Botschaft ohne Worte: Gott liebt mich sehr."

Stellen wir in diese Überlegungen nochmals die Situation im Hörsaal hinein: Die Frage der Studentin: "Kann man sowas (fehlende Erfahrung persönlicher Liebe) nach Jahren nochmal aufholen?" Nehmen wir hinein die Beobachtung, daß es hier nicht um eine oder zwei Menschen geht, die nach dieser Richtung zu wenig Annahme erlebt haben: Es sind Tausende, und es werden immer mehr.

Dafür, sagt Pater Kentenich, ist Schönstatt entstanden. Dafür hat der Heilige Geist Schönstatt zu einem Ort besonderer Charismen gemacht. Pater Kentenich bezeichnet als die beiden besonderen Geistesgaben in Schönstatt den Glauben an den persönlichen Vatergott, der jeden urpersönlich führt und liebt, und "das große Geheimnis des Liebesbündnisses mit der lieben Gottesmutter".

Beide Geistesgaben werden geschenkt im Heiligtum, beide zielen auf das eine: Den Menschen dieser Zeit neu erfahrbar zu machen, wo ihr Liebesdurst Antwort findet, und sie so neu zurückzuführen zum Gott der ewigen Liebe. Ob wir nicht im kommenden Heilig-Geist-Jahr nach dieser Richtung besondere "Charismen" erwarten dürfen?

Lieblingskind, Lieblingsbeschäftigung Gottes, der MTA - das ist kein Wort fürs Marketing, sondern eine Innenerfahrung, und zwar in der tiefsten Form: Ein persönliches Geheimnis zwischen Gott und dem einzelnen. Wo aber Menschen sich davon ergreifen lassen, wo Menschen, die davon ergriffen sind, ihren Glauben miteinander leben, entstehen Räume, in denen die vielen erfahren dürfen, was heute immer weniger erfahrbar wird: Angenommen, erwählt, geliebt zu sein von der unendlichen Liebe - erfahrbar durch Menschen.

Diese heiligen Räume, das Heiligtum, die Gottesmutter und das Miteinander der "edlen Herzen" wollte Pater Kentenich in seinem Schritt vom 31. Mai 1949 der Kirche anbieten. Je mehr wir aus diesem Geheimnis unserer Berufung leben, es auch in unser Miteinander ausstrahlen lassen, um so mehr werden wir zu einem Zeugnis - für diese junge Studentin, für viele, für möglichst viele.




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Schoenstatt Internet Redaktion
Letzte Aktualisierung: 07.06.99, 21:33
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