Schönstatt-Bewegung
31. Mai 1949 - 31. Mai 1999
50. Jubiläum des Dritten Meilensteines der Geschichte Schönstatts
Serie: der Schritt über die Schwelle



4. Reizwort "Lieblingsbeschäftigung"

von M. Nurit Stosiek

In den ersten drei Artikeln dieser Serie ging es darum, einen großen Rahmen für den "dritten Meilenstein" zu spannen: Der erste Artikel vermittelte eine Annäherung an das Ereignis. Der zweite Artikel stellte dar, daß die Botschaft Schönstatts von Anfang an brisant war und Pater Kentenich schon längst vor dem 31. Mai 1949 große Wagnisse einging, um diese neue Initiative in die kirchliche Öffentlichkeit zu tragen. Der dritte Artikel betrachtete den 3. Meilenstein im Kontext der anderen Meilensteine in der Schönstattgeschichte.

Die nun folgenden Artikel werden sich mit den wesentlichen Inhalten von Pater Kentenichs Antwortschreiben auf den Visitationsbericht befassen.

Rufen wir uns in Erinnerung, wie es zu diesem Antwortschreiben kam: Eigentlich ist der Visitationsbericht recht gut ausgefallen, der Weihbischof hat nur einige Dinge kritisch angemerkt, die in seinen Augen eher nebensächlich sind. Pater Kentenich jedoch sieht gerade in diesen "Nebensächlichkeiten" wesentliche Punkte zum Verständnis Schönstatts. Die Fragen um Schönstatt wiederum betrachtet er als Symbol für die pädagogische Problematik des ganzen Abendlandes, als "Spiegel" der abendländischen Existenz- und Lebensfragen und seiner Lösungsversuche.

Deshalb beginnt Pater Kentenich in Uruguay den ersten Teil eines weitangelegten Antwortschreibens. In diesem Schreiben greift er aus dem Bericht des Visitators folgende Diskussionspunkte auf: Gehorsam; Schönstatt sowie jeder einzelne eine Lieblingsbeschäftigung Gottes; Kindlichkeit.

Wir werden in den folgenden Artikeln diese Diskussionspunkte unter einer spezifischen Fragestellung betrachten: Was können wir als Schönstattfamilie heute tun, um diese prophetische Botschaft unseres Gründers zunächst im eigenen Raum zu verwirklichen und damit auch für breitere Kreise in Kirche und Gesellschaft Modell zu sein?

Es geht deshalb nicht einfach darum, die Inhalte des Antwortschreibens zu schildern. Es geht um mehr: Um die Verankerung dieses Inhalts im eigenen Leben, um Schritte, diese Anliegen Pater Kentenichs zu verwirklichen.

In dieser und der nächsten Folge richten wir unseren Blick zunächst auf das
Reizwort "Lieblingsbeschäftigung"

In einem seiner Lieder singt Reinhard Mey: "Du bist mein Ein und Alles, immer, so wie ein Teil von mir. Du bist mein Trost, mein Mut, mein Leben, ich komme heim zu dir ... All meine Hoffnung, all meine Pläne, mein Ein und Alles bist du."

Wenn jemand uns das sagt und es uns spüren läßt, und wenn wir diese Person sehr mögen, dann leben wir als Menschen auf. Der Mensch muß "im Mittelpunkt seiner Lebenssphäre und nicht an einer Peripherie stehen, wo man ihn ignorieren würde; vor allem muß er erwählt und bestätigt werden, statt daß man ihn übergeht und verläßt," beschreibt Erikson seine langjährige therapeutische Erfahrung. Wer sich wirklich als "Ein und Alles" eines anderen erlebt, der fühlt sich erwählt und bestätigt. In einer gesunden Beziehung hat diese Erfahrung eine Rückwirkung: So wie ich dem anderen sein "Ein und Alles" bin, wird auch er für mich mein "Ein und Alles". So wächst eine tiefe Beziehung, in der beide Partner ihren Wert erleben. Das Selbstwertgefühl, das daraus wächst, unterscheidet sich typisch von einem durch Leistung "erarbeiteten" Selbstwertgefühl: Wer seinen Wert an der eigenen Leistung festmacht, sinkt angesichts fremder Vorzüge und eigener Grenzen entweder umso schneller in Minderwertigkeitsgefühle, oder er versucht seinen Selbstwert zu retten durch Hochmut und Stolz.

Wer dagegen seinen Wert erlebt in der großen, aufmerksamen Liebe eines anderen und zu einem anderen, der gewinnt Sicherheit und Freude an den eigenen wie an fremden Vorzügen.

Wir gestehen Menschen zu, daß sie einander zur "Lieblingsbeschäftigung" werden können: Freunde, Ehepartner, Eltern und Kinder. Freilich gibt es da eine Klippe: Die Eifersucht. Die Eifersucht entsteht, wenn wir anderen dieses Glück neiden, weil wir selbst es nicht erleben. Oder, mehr noch: Wenn wir gern die Lieblingsbeschäftigung eines Menschen wären, und er wendet sich an uns vorbei einem anderen zu, beziehungsweise wir argwöhnen, daß er das tut. Die Eifersucht zeigt auf ihre Weise, daß wir ohne diese Erfahrung "Du bist mein Ein und Alles" nicht sein und glücklich werden können.

Pater Kentenich beobachtet die Zeit und nimmt

eine eigenartige Mentalität

wahr: Die Sorge, jemand könnte bevorzugt werden. Den Zug, alle gleich zu behandeln. Die Furcht: Wenn ich mich als Lieblingsbeschäftigung, als bevorzugt geliebt erlebe und das vielleicht sogar zeige, werte ich damit andere ab, bin ich elitär.

Er schaut tiefer: Hinter dieser Mentalität steht nicht Achtung vor der Würde des anderen, nicht der Wunsch, den anderen groß zu sehen. Das ist auch nicht soziales Empfinden, denn Gerechtigkeit liegt nicht darin, allen dasselbe zu geben. Gerechtigkeit ist der feste und beständige Wille, jedem das Seine zu geben, das, was er braucht, um sich individuell zu entfalten. Pater Kentenich nimmt wahr: Hinter dieser Mentalität steht der große Trend zur Entpersönlichung, zur Gleichmacherei aller. Es ist einfacher, wenn sich keiner hervortut und keiner hervorgehoben wird, es gibt nicht so viele Reibungsflächen. Eine Masse ist leichter zu lenken als markante, selbstbewußte Persönlichkeiten.

Gegen diese Entwicklung setzt er immer wieder sehr bewußt und entschieden die Aussage: Der Mensch ist eine Lieblingsbeschäftigung Gottes und soll Gott zu seiner Lieblingsbeschäftigung machen. Schönstatt ist eine Lieblingsbeschäftigung der MTA und die MTA ist unsere Lieblingsbeschäftigung.

Diesen Vorgang der gegenseitigen Lieblingsbeschäftigung nennen wir Liebesbündnis.

Der Visitator kreidet diese Aussage an. Sie sei ungewohnt, aufreizend und irreführend. Man muß es doch nicht so extrem formulieren, meint er.

Pater Kentenich ist anderer Meinung. Rund 50 Seiten seines Antwortschreibens verwendet er, um das eigentliche Problem aufzuzeigen: Wo ein Mensch, eine Gemeinschaft sich nicht erwählt, bevorzugt geliebt erfährt, sondern nur "wie alle anderen", wird nicht die eigentliche Kraft der Persönlichkeit geweckt.

Der eigentliche Schlüssel zur Persönlichkeitsentfaltung

ist die Erfahrung ganz persönlicher Liebe. Die Erfahrung, persönlich geliebt zu sein, gibt dem Menschen einen Innenhalt und die Kraft, von innen her zu leben. Pater Kentenich spricht hier vom Geheimnis der Heiligen: Alle Heiligen haben von dem Augenblick an die Kraft zur Größe gefunden, wo sie sich ganz persönlich von Gott erwählt und geliebt erlebten.

Jemand, der das nicht an einem Menschen oder Gott gegenüber erlebt: Ich bin Lieblingsbeschäftigung, wird mehr und mehr außengelenkt. Er ist viel stärker verbunden mit den Eindrücken von außen als mit seinen inneren Vorgängen.

Eindrücke von außen: Da ist morgens beim Aufwachen schon das Radio, da sind die Musikprogramme, die man auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkaufen hört. Da sind die Gespräche im Bus, die man aufschnappt, die Schlagzeilen in den Zeitschriften: "Neue Geständnisse im Schneider-Prozess", "Steffi verläßt die Kirche".

Da sind die Medien, die gewissermaßen als "Tapete" benutzt werden: Das Fernsehen läuft, auch wenn man gar nicht hinschaut, die Musik dudelt, auch wenn man gar nicht hinhört. "Weil er im Inneren keine eigene quellende Fülle des Lebens mehr besitzt, sucht er sich im Äußeren eine bunte Menge der Dinge zusammenzustellen", schreibt Pater Kentenich später im Exil. In seinem Antwortschreiben auf den Visitationsbericht sagt er bei einer ähnlichen Beobachtung: Heilung bringt hier das "Geheimnis der Heiligen". Wer eine große Liebe erlebt, hat im eigenen Innern diese quellende Lebensfülle, der braucht nicht ständig den "Kick" von außen.

Eine weitere Beobachtung: Ein Besuch auf einem kleinen Dorf, wo die Welt noch in Ordnung scheint: Die Tochter eines der Bauern ist eine freundliche junge Frau. "Sie ist religiös", sagt die Mutter, "geht jeden Sonntag in die Kirche. Aber sie lebt mit ihrem Freund zusammen, und da können wir nichts ändern. Sie sagt, das ist heute eben so." -

Es wächst ein Mensch heran, bei dem die verschiedenen Welten - Glaube und Leben - unverbunden nebeneinander stehen, sagt Pater Kentenich. Ein Mensch, der das, was alle tun, richtig findet, weil es eben alle tun.

Und wieder fügt er hinzu: Wandel bringt hier das "Geheimnis der Heiligen". Wer sich von Gott geliebt erfährt, sucht

ein stimmiges Leben,

ein Leben, das mit den Wünschen Gottes übereinstimmt - auch wenn alle anderen anders denken und leben.

Dieser außengeleitete Mensch, sagt Pater Kentenich in seinem Antwortschreiben weiter, nimmt nichts mehr ganz ernst, auch nicht die religiösen Wahrheiten. So weiß er zwar , daß Gott im Sakrament gegenwärtig ist - aber er glaubt eigentlich nicht daran, auch wenn er zur Kommunion geht. Er sucht das religiöse Erlebnis, aber es läuft an ihm ab, ohne in die Tiefe zu gehen. Was hier hilft, ist das "Geheimnis der Heiligen". Denn Liebe macht sehend für die tieferen Wahrheiten.

Da ist auch eine gewisse Sensationslust bis hinein ins Religiöse: Gefragt sind Erscheinungen, Prophezeiungen, Wunder - nicht umsonst sind entsprechende "Enthüllungen" Bestseller auf dem Büchermarkt. Pater Kentenich stellt die Frage: Steht dahinter wirklich ein religiöses Anliegen, oder ist es vielmehr der Erlebnishunger? Und auch hier wieder der Hinweis: Dieser Erlebnishunger findet Antwort im Geheimnis der Heiligen, denn es ist ein tiefes Erlebnis: Ich bin die Lieblingsbeschäftigung dessen, den ich liebe.

Pater Kentenich faßt in seinem Antwortschreiben viele, viele Einzelbeobachtungen zusammen. Er schildert den Menschen, bei dem diese Kraft einer ganz persönlichen Liebe nicht geweckt wurde. Zusammenfassend stellt unser Gründer fest: Bei diesem Menschen erstirbt die gesunde Initiative der Persönlichkeit. Es ist ihm zu anstrengend, seinen Weg zu gehen, sobald dieser Weg von dem abweicht, was alle anderen tun und wollen. - Eine Beobachtung, die sich heute vielfach machen läßt. Eine junge Frau antwortete auf die Bemerkung: Sie könnten viel mehr aus sich machen, wenn Sie den Mut hätten, Sie selbst zu sein, auch wenn es den anderen nicht gefällt: "Ich glaub, das ist mir zu mühsam auf Dauer."

Pater Kentenich ist diese Wahrheit von der "Lieblingsbeschäftigung" für den Menschen heute so wichtig, daß er sie im Liebesbündnis zur Grundlage Schönstatts macht:

Man kann das Liebesbündnis als religiöse Neuprägung herkömmlicher Marienweihen sehen. Man kann es als eine Form der Übereignung an Gott sehen. Aber um

das eigentlich Neue, die eigentliche Kraft des Liebesbündnisses

wahrzunehmen, muß man es in seiner besonderen Prägung für den Menschen heute betrachten:
Pater Kentenich entdeckt das Liebesbündnis als "Kernformel" zur Lösung der großen Krisen des Menschen heute.
Ein Mensch, der sich umfassend von Gott geliebt erfährt, fängt an, sich ganzheitlich zu entfalten. Umfassend bedeutet beides: die natürliche und die religiöse Erfahrung. Das Liebesbündnis ist ein urpersönlicher Weg der Gottesmutter mit jedem einzelnen. Es umschließt natürliche und übernatürliche Erlebnisse, die die Erfahrung vertiefen: Da ist jemand, der mich mit großem Interesse anschaut, der mich liebt, so wie ich bin, und der mich braucht, so wie ich bin.

"Ich bin Lieblingsschöpfung Gottes" ist eine ganz persönliche Innenerfahrung zwischen Gott und dem einzelnen, die keine Abwertung der anderen bewirkt: Gott liebt und führt jeden Menschen mit einer bevorzugenden Liebe.

Wir erfahren das Liebesbündnis als Weg, auf dem sogar scheinbar Unwertiges als für Gott liebenswert erlebt wird. Eine Frau schreibt: "Ich bin sehr klein von Gestalt, und das führte seit meiner Kindheit zu immer größer werdenden Minderwertigkeitskomplexen. Durch Schönstatt wurde das geheilt. Ich lernte dort, daß Gott das Kleine besonders liebt, und mein Selbstwertgefühl nahm mehr und mehr zu."

Pater Kentenich wollte

diesen Weg, dieses Lebensgefühl der Kirche anbieten

als Lösung der großen Fragen: Der Mensch einer großen Liebe lebt von seinem Innenbezug, er braucht nicht ständig die Stimulation von außen, ein solcher Mensch verbindet mit der Zeit alles mit seiner großen Liebe und wird dadurch "stimmig". Er braucht keine Sensationen, weil er eine Faszination ganz anderer Art erlebt: Da ist einer, der mich bevorzugt liebt und den ich bevorzugt liebe.

Was Pater Kentenich in seinem Antwortschreiben auf den Visitationsbericht verteidigt, hat er vorher oft und oft der Schönstattfamilie einzuprägen versucht. So regt er in Zusammenhang mit der Oktoberwoche 1947 jeden einzelnen Schönstätter an, im eigenen Leben Spuren zu suchen, die diese Erfahrung vermitteln: Ich eine Lieblingsbeschäftigung Gottes, der Gottesmutter.

"Ich forsche nach, wo habe ich, meine Formation, im Laufe der verflossenen Jahre die Liebe der Gottesmutter besonders erfahren? Wo hat sie sich als dreimal wunderbare Mutter erwiesen?" (12.10.1947).

Wo habe ich erlebt, daß Gott mich auch in kleinen Dingen verwöhnt?

Wo erfahre ich, daß Gott mir manches schenkt - Dinge, Fähigkeiten, Vorzüge, günstige Lebensverhältnisse, liebe Menschen -, was andere nicht haben?

Gab es vielleicht auch schwere Erfahrungen, die ich nachträglich als sorgfältige Führung Gottes erlebe?

Sie sind eingeladen, diesen Fragen persönlich nachzugehen.

In der nächsten Folge dieser Serie werden wir uns dann fragen: Wie können wir als Schönstätter, wie kann jeder einzelne noch mehr das Lebensgefühl vertiefen: Ich bin eine Lieblingsbeschäftigung Gottes. Wie können in diesem Punkt den 31. Mai leben, konkreter: Wie können wir anderen dieses Lebensgefühl vermitteln und damit eine "Liebesbewegung" von unseren Heiligtümern aus in Gang bringen?




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Letzte Aktualisierung: 07.06.99, 21:33
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