Schönstatt-Bewegung
31. Mai 1949 - 31. Mai 1999
50. Jubiläum des Dritten Meilensteines der Geschichte Schönstatts
Serie: der Schritt über die Schwelle



3. Meilensteine

von M. Kornelia Fischer

An einem Dienstag Abend im chilenischen Winter hatte Pater Kentenich, der Gründer der internationalen Schönstattbewegung, begleitet von einer kleinen Gruppe von Schönstätter Marienschwestern, einen mehrseitigen Brief auf den Altar des unfertigen ersten chilenischen Schönstattheiligtums gelegt. Der Brief war der erste Teil eines Schreibens an die Vertreter der Kirche. Pater Kentenich spricht ein paar Worte, läßt den Brief die Nacht über auf dem Altar. Das war das äußere Geschehen des 31. Mai 1949, des "dritten Meilenstein" in der Schönstattgeschichte. Das unscheinbare Geschehen dieses Abends ist ein ungeheures Wagnis und wird Pater Kentenich und seine Gründung an den Rand des Abgrunds bringen.

Was am 18. Oktober 1914 im Heiligtum in Schönstatt begonnen hat, ist - so war Pater Kentenich von Anfang an überzeugt - ein neues Angebot Gottes an seine Kirche; es geht um einen neuen Typ von Christen und christlicher Gemeinschaft. Es geht um mehr als das bloße Überleben kirchlicher Strukturen in einer radikal veränderten Welt; es geht um mehr als eine ratlose Diagnose, daß die Menschen des 20. Jahrhunderts aus dem Gleichgewicht geraten sind. Es geht um ein ganzes System von neuen Kräften und Mitteln, diese heutigen Menschen zu Gott zu führen.

Die Wirksamkeit des neuen Aufbruchs beweist das in Schönstatt gewachsene sprudelnde religiöse Leben. Aber der Ansatz ist neu. Zu neu? Pater Kentenich sieht sich gerufen, der Kirche den neuen Weg anzubieten - nicht nur die Erlaubnis zu erhalten, ihn selbst mit den Schönstättern gehen zu dürfen. Er ist bereit, das Wagnis einzugehen - weil er davon überzeugt ist, daß Gott sein Siegel auf diesen Lebensaufbruch Schönstatt gesetzt hat.

Meilensteine am Weg

"Die alten Römer schrieben auf die Meilensteine an der Heerstraße die drei Buchstaben: P.P.C., pro patria consumor. Ich sterbe fürs Vaterland. Dadurch wurde der Mut der ausziehenden Soldaten gehoben. P.P.C. Diese drei Buchstaben stehen auch an unserem Lebenswege. Unser Leben wollen wir verzehren, unsere ganze Kraft einsetzen für die Rettung unsterblicher Seelen ...", führt der Sodale Alfons Hoffmann bei einer Zusammenkunft in Schönstatt am 4. Juni 1916 aus. Wie er auf das Bild der Meilensteine gekommen ist? Es läßt sich nicht sicher herausfinden. Vielleicht aus dem Geschichtsunterricht. Wahrscheinlicher ist, daß Pater Kentenich diesen Begriff einmal genannt hat, und daß Alfons Hoffmann das Bild dann aufgegriffen hat für seine Rede.

Aufschlußreich ist der Zusammenhang, in dem Pater Kentenich dieses Wort von den Meilensteinen einem größeren Kreis bekannt macht. Er veröffentlicht die Rede des Sodalen Hoffmann drei Jahre später in der Zeitschrift "MTA", und zwar nicht irgendwo, sondern in der in jeder Beziehung spannenden Mainummer des Jahres 1919. In dieser Mainummer geht es um Entscheidendes:
Es geht um die Wiedersehens- und Gedächtnisfeier der aus dem Weltkrieg heimgekehrten Sodalen in Schönstatt: Das, was dort im kleinen Gnadenheiligtum so unscheinbar am 18. Oktober 1914 begonnen hat, ist im Weltkrieg unter ungünstigsten Bedingungen weitergegangen und - soll weitergehen!

Es geht in dieser Mainummer auch bereits um die Gründung des Apostolischen Bundes; da ist nämlich ein Brief abgedruckt von Alois Zeppenfeld, einem der Ersten von außerhalb des Studienheimes in Schönstatt, die sich im Ersten Weltkrieg angeschlossen hatten. Dieser Brief enthält das Zeichen zum Sammeln derjenigen, die nach Kriegsende ihrer Entscheidung für Schönstatt treu bleiben wollen. Kurz und bündig: "Wir arbeiten ab heute wieder in Gruppen!"
Und in der Mitte der Mainummer, gerade zwischen diesen beiden Artikeln, steht, von Pater Kentenich zusammengestellt, der erste Teil eines Beitrags über "die fünfjährige Geschichte unserer Organisation". Der zweite Teil dieses Artikels wird - in der darauffolgenden Nummer - den Text der Gründungsurkunde vom 18. Oktober 1914 enthalten, der damit zum erstenmal gedruckt erscheint.
Pater Kentenich hat die Stelle mit den Meilensteinen wohl bewußt aufgenommen, um der jungen Schönstattfamilie eine Wirklichkeit nahezubringen: Es gibt markante, von Gott gewirkte Einschnitte, Kernereignisse, auf die alles Vorhergehende geheimnisvoll hingeordnet ist und die alles Nachfolgende prägen; Ereignisse, hinter die nicht zurückkann, wer weiter mitgehen möchte; Ereignisse, die jeder in seinem persönlichen Leben eigenständig mit- und nachvollziehen muß.

Noch ist in den Reihen der ersten Schönstätter der Gründungstag der Marianischen Kongregation, der 19. April 1914, viel stärker im Bewußtsein als der 18. Oktober. Sie alle haben aber in diesen fünf Kriegsjahren aus der Wirklichkeit des Gnadeneinbruchs im kleinen Heiligtum in Schönstatt gelebt, haben erfahren und erkannt, daß die Gottesmutter ihnen hier eine Heimat und einen Ort tiefgreifender innerer Umformung geschenkt hat, von dem aus sie die Kraft erhalten, als Werkzeuge in ihrer Hand alles einzusetzen - für Schönstatt und füreinander, und dadurch für die Kirche, die Menschen. Sie haben - unter der klaren Inspiration Pater Kentenichs - den 18. Oktober eigenständig mit- und nachvollzogen.

Wie? Nicht primär durch Reflexionen und Resolutionen, sondern:
"Viel können wir zwar zu diesem Zweck noch nicht tun," führt der Sodale Alfons Hoffmann im erwähnten "Meilenstein-Vortrag" aus, "aber was wir tun können, das wollen wir mit ganzer Seele ausführen. Wir können und wollen unsere Pflicht treu erfüllen in apostolischer Absicht, wir können und wollen beten und opfern für die bedrohten Interessen der Weltkirche, wir können und wollen uns gegenseitig ein gutes Beispiel geben und mit Klugheit und Ausdauer im guten Sinn einander beeinflussen ... Alle unsere guten Werke, alle unsere apostolischen Versuche wollen wir unserer himmlischen Mutter im Kapellchen als Gnadenkapital anbieten, damit sie es von da aus benützt zur sittlich-religiösen Erneuerung der Welt. Dadurch wird der apostolische Geist in uns geweckt und genährt. Kommt dann einmal die Zeit und Gelegenheit, so werden wir Größeres tun, das Größte und Beste zum Heile der Seelen."

Alles als Beitrag fürs Gnadenkapital, damit die Gottesmutter vom kleinen Heiligtum in Schönstatt aus einmal die ganze Welt erneuert - das ist die Mentalität im Umkreis des 18. Oktober 1914. Erst runde 50 Jahre später wird es allgemeiner Sprachgebrauch der Schönstattfamilie werden, von Meilensteinen zu sprechen. Pater Kentenich und die Ersten haben jedoch von Anfang an im Bewußtsein eines "Meilensteins" - einer deutlichen Markierung am Weg - gelebt und gehandelt.

Im Rückblick auf die weitere Entwicklung sagt Pater Kentenich, man könne am Wege unserer Familiengeschichte Meilensteine sehen, sichten, signalisieren. Meilensteine - es geht also hier um tiefere Einschnitte in die Familiengeschichte, nicht etwa um das Hängenbleiben an einzelnen kleineren oder größeren Tatsachen, sondern um Meilensteine, die einen tiefen, tiefen Einschnitt bedeuten.

Botschaft der Meilensteine: Ausdruck der Liebe zur Kirche

Die von Sodale Hoffmann erwähnte Inschrift der Meilensteine an den Heerstraßen der Römer ist nach seiner Ansicht eine Aufmunterung für die ausziehenden Soldaten. Sie gab ihrem Einsatz, den sie vielleicht - ja höchstwahrscheinlich - mit dem Leben, ganz sicher aber mit Strapazen und Beschwerden bezahlen mußten, einen Sinn.

Wenn Pater Kentenich im Zusammenhang mit vier wesentlichen Ereignissen der Schönstattgeschichte - der Gründung am 18. Oktober 1914, seiner freiwilligen Entscheidung für das Konzentrationslager am 20. Januar 1942, seinem Schritt über die Schwelle am 31. Mai 1949 und seiner Heimkehr aus der kirchlich verfügten Verbannung am 22. Oktober bzw. 24. Dezember 1965 - von vier "Meilensteinen" spricht, so klingt diese Sinngebung mit. Nicht aus irgendeiner Laune heraus setzt er alles in Bewegung, um die Botschaft von Schönstatt zu verbreiten: Er tut es für die Gottesmutter und ihre Sendung für die Kirche heute und im dritten Jahrtausend. Und setzt nicht nur alles in Bewegung, setzt auch alles ein. Nach dem 18. Oktober seine ganze Zeit und Kraft; nach dem 20. Januar 1942 seine äußere Freiheit und sein Leben; nach dem 31. Mai sein Werk und seine persönliche Ehre; nach der Heimkehr aus dem Exil ganz bewußt erneut sich selbst und seine ganze Gründung in ungebrochener Liebe zur Kirche. Er reist nach dem Ersten Weltkrieg quer durch Deutschland, um Schönstatt aufzubauen - und wagt tastende und kühne Annäherungen an kirchliche Verantwortungsträger, um Schönstatt weiteren Kreisen als Hilfe anzubieten (vgl. Folge 2).

Schönstatt, so sagt er, ist eine neue Form der Kirche, die Antwort gibt auf die Bedürfnisse der neuen Zeit, von der wir glauben, berufen zu sein, sie vor- und in die ganze Kirche hineinzulieben und zu -leben. Es geht ihm um die Kirche, um Schönstatts Aufgabe für die Kirche. Diese Aufgabe, die Schönstatt von Anfang an mit großem sittlichen Ernst und lastendem Verantwortungsbewußtsein zu lösen versuchte, umschreibt er ganz einfach: Schönstatt wollte den reinrassigen Katholizismus unverfälscht, werbefähig und wegweisend in die neue Zeit hineinretten helfen.

Was sich in Schönstatt bewährt hat, soll als Modell der Kirche angeboten werden. Das bedeutet - an jedem Meilenstein - einen riskanten und schwerwiegenden Einsatz. Pater Kentenich wagt ihn im Bündnis mit Maria.
Der Einsatz am ersten Meilenstein ist radikal: Alles für Schönstatt. Das Aufbauen des Modells wird zum Preis, der gezahlt wird. Am zweiten Meilenstein setzt Pater Kentenich sein Leben, am dritten sein Lebenswerk aufs Spiel. Am vierten Meilenstein schließlich wird das immer noch und wieder neu angebotene Modell - Schönstatt - erneut zum Einsatz gegeben: Schönstatt verpflichtet sich selbst - mit dem Gründer und im Bündnis mit Maria - die Liebe zur Kirche für alle Zeit zum Herzstück des apostolischen Seins und Wirkens zu machen.

Auf den Meilensteinen der alten römischen Heerstraßen steht eine weitere Inschrift. Sie ist auf jedem anders und gibt die Entfernung - in Meilen - von Rom an. Jeder von ihnen gibt also an, wie weit es von Rom - und nach Rom - ist. Die Meilensteine verwiesen von ihrem je originellen Standort aus immer auf das Zentrum, von dem alles ausging und zu dem alles zurückführte.

So auch die vier Meilensteine der Schönstattgeschichte. Jeder von ihnen verweist - mit anderen Angaben - auf das Zentrum, auf Ursprung und Zielpunkt: Schönstatt, das Heiligtum, das Liebesbündnis mit der Gottesmutter. Jeder Meilenstein gibt eine andere Form der Ausfaltung dieser Ur-Botschaft an. Jeder Meilenstein gibt gleichzeitig - mit unterschiedlicher Akzentsetzung - die Wegrichtung an: nach Rom, ins Zentrum der Kirche - für die Kirche. Jeder Meilenstein ist Ausdruck der Liebe zur Kirche.

Wenn Gott spricht

Ein Akt, wie er nur ganz selten gesetzt wird, etwa wenn ein bedeutsames Ereignis bevorsteht, weil Kampf auf Leben und Tod beginnt, oder wenn eine bereits tobende Schlacht einen Höhepunkt erreicht hat und alles zur Entscheidung drängt, so beschreibt Pater Kentenich den Risikocharakter des äußerlich so unauffälligen Tuns am 31. Mai 1949 (vgl. Folge 1).

Es waren eine Reihe von Ereignissen vorausgegangen, die äußerlich zum Geschehen des 31. Mai 1949 führten. Nach seiner Rückkehr aus Dachau lebte in Pater Kentenich die unerschütterliche Überzeugung: Gott hat sein Siegel auf Schönstatt gesetzt. Gott hat das Angebot vom 20. Januar angenommen. In allem, was in Dachau und in der Schönstattfamilie außerhalb des Lagers im Anschluß daran gewachsen war, hat er eine eindeutige Antwort gegeben auf den 18. Oktober. Seine Antwort heißt: Dieses kleine Heiligtum ist von entscheidender Bedeutung für die Menschen in aller Welt und für die Sendung der Kirche auf ihrem Weg in eine neue, radikal veränderte Zeit.
Pater Kentenich kündet Aufbruch - und das in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als es in Deutschland um Trümmer, Hunger, Besatzung, Grundgesetz und Währungsreform geht. Als gäbe es nichts anderes und nichts Wichtigeres, kündet er den einen Doppelschritt: Hinaus in alle Welt und hinein in die Kirche! Hinaus in die Welt, um die Botschaft von Schönstatt überall hinzutragen, der Gottesmutter Heiligtümer in allen Ländern und in Menschenherzen aus allen Völkern zu bereiten. Hinein in die Kirche, um Schönstatt der kirchlichen Öffentlichkeit anzubieten; Schönstatt - diesen neuen Typ von Christen und christlicher Gemeinschaft, diese neue Art des Denkens, Lebens und Liebens und diese universelle, neue Art des Laienapostolates, die auf Verantwortung und Kompetenz der einzelnen im konkreten Lebenskreis aufbaut.

Für beides öffnen sich 1947 entscheidende Türen: Für die "Internationalisierung" Schönstatts die Möglichkeit für Pater Kentenich, einen vatikanischen Paß zu erhalten. Für den Schritt hinein in die Kirche die Veröffentlichung der Konstitution "Provida mater" über die Säkularinstitute. Durch sie erhielt eine religiöse Lebensform, die in Schönstatt seit Jahrzehnten erprobt worden war, einen kirchlich-rechtlichen Rahmen.

Auf seinen Weltreisen besuchte er das erste originalgetreue Filialheiligtum in Uruguay und regte zum Bau weiterer Filialheiligtümer an, wohin immer er kam: in Südafrika, Brasilien, Argentinien, Chile. Der Gottesmutter von Schönstatt Wirkmöglichkeiten geben in jedem Land, ihrer Sendung einen weltweiten Radius geben - das war der eine Schritt.

Und der andere: die innerkirchliche Auseinandersetzung mit Schönstatt voranbringen. Pater Kentenich wollte nicht, daß Schönstatt geduldet, gutgeheißen, wegen der soliden und fruchtbaren Arbeit seiner Mitglieder geschätzt - und darüber hinaus ignoriert würde. Er wünschte eine kritische Diskussion, Studium, Aufmerksamkeit. Er wollte Schönstatt und die Sendung, die er persönlich von Gott erhalten zu haben überzeugt war, in den Mittelpunkt der kirchlichen Öffentlichkeit stellen - nicht aus persönlichem Geltungsdrang, sondern in der Verfügbarkeit des von Gott in Dienst genommenen Werkzeugs. Es geht um das Schicksal der Kirche. Da darf der Mensch nicht aus falscher Bescheidenheit schweigen, der von Gott zum Reden gerufen wird.

Die Weltkrise spitzt sich zu, schreibt er in seinem Brief vom 31. Mai 1949. Wer Menschen im Wellen- und Wogendrang kämpfen sieht und einen Rettungsgürtel hat, ist verpflichtet, ihn großzügig anzubieten ... Wer an einer Arche hat mitbauen dürfen, muß sie für alle offenhalten, die von Gott zum Eintritt berufen sind.

Er möchte Schönstatt in die Diskussion bringen - und veröffentlicht auch aus diesem Grund bereits 1945 die in Dachau entstandene Gebetssammlung "Himmelwärts" über den Kreis der Schönstattfamilie hinaus. Es kommen kritische Anfragen, immer wieder; er sieht darin ein positives Signal, bittet am 16. Oktober 1948 um die Entsendung einer Studienkommission und - nachdem Schönstatt aufgrund eines kritischen Gutachtens Thema von ernsten Beratungen der deutschen Bischofskonferenz geworden war - beim Bischof von Trier um die Entsendung eines Vertrauensmannes; im Februar 1949 erfolgt dann jedoch eine bischöfliche Visitation (vergleiche. Folge 1), der unmittelbare Anlaß für das Ereignis des 31. Mai 1949. Die Entscheidung dazu traf Pater Kentenich im Gebet, einer nächtlichen Anbetung im ersten originalgetreuen Filialheiligtum der Mater ter admirabilis.
Auf jedem Meilenstein steht, wofür der Einsatz gilt. Auf jedem steht der Hinweis auf das Heiligtum.




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Letzte Aktualisierung: 07.06.99, 21:33
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