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 published: 2006-09-15

"Botschafter der Liebe" - P. Josef Kentenich und die Enzyklika von Papst Benedikt XVI "Deus caritas est"

Zusammengestellt für die Gedenkfeier zum Todestag von P. Josef Kentenich

 

 

 

Das eine Wort Liebe und die vielen Formen der Liebe. Gott ist schlechthin Liebe.

Enzyklika Deus Caritas est, Nr. 2

Die Liebe Gottes zu uns ist eine Grundfrage des Lebens und wirft entscheidende Fragen danach auf, wer Gott ist und wer wir selber sind. Zunächst aber steht uns diesbezüglich ein sprachliches Problem im Weg. Das Wort "Liebe" ist heute zu einem der meist gebrauchten und auch missbrauchten Wörter geworden, mit dem wir völlig verschiedene Bedeutungen verbinden. Auch wenn das Thema dieses Rundschreibens sich auf die Frage nach dem Verständnis und der Praxis der Liebe gemäß der Heiligen Schrift und der Überlieferung der Kirche konzentriert, können wir doch nicht einfach von dem absehen, was dieses Wort in den verschiedenen Kulturen und im gegenwärtigen Sprachgebrauch aussagt.

Erinnern wir uns zunächst an die Bedeutungsvielfalt des Wortes "Liebe": Wir sprechen von Vaterlandsliebe, von Liebe zum Beruf, von Liebe unter Freunden, von der Liebe zur Arbeit, von der Liebe zwischen den Eltern und ihren Kindern, zwischen Geschwistern und Verwandten, von der Liebe zum Nächsten und von der Liebe zu Gott. In dieser ganzen Bedeutungsvielfalt erscheint aber doch die Liebe zwischen Mann und Frau, in der Leib und Seele untrennbar zusammenspielen und dem Menschen eine Verheißung des Glücks aufgeht, die unwiderstehlich scheint, als der Urtypus von Liebe schlechthin, neben dem auf den ersten Blick alle anderen Arten von Liebe verblassen. Da steht die Frage auf: Gehören alle diese Formen von Liebe doch letztlich in irgendeiner Weise zusammen, und ist Liebe doch — in aller Verschiedenheit ihrer Erscheinungen — eigentlich eins, oder aber gebrauchen wir nur ein und dasselbe Wort für ganz verschiedene Wirklichkeiten?

P. Josef Kentenich, Predigten in Milwaukee 2. Juni 1963 (Bd. 8, S.16-17)

Und wenn wir nun nachprüfen, wie die Apostel, wie die Evangelisten nach der Herabkunft des Hl. Geistes den Vatergott geschaut, ach, dann brauchen wir z.B. nur einen Augenblick in die Schule des Hl. Johannes zu gehen. Da hören wir zusammenfassend das große Wort: Deus caritas est, Gott ist schlechthin die Liebe (1 Joh. 4,8.16) – nicht die Gerechtigkeit! Gewiss, er kennt auch Gerechtigkeit, aber sein Wesen ist und bleibt Liebe. Deus caritas est, Gott ist schlechthin die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm (1 Joh 4,16).

Was uns das alles zu sagen hat, andächtige Zuhörer? Da müssen wir uns vorstellen: weshalb hat der liebe Gott die Welt erschaffen? Weshalb hat er mich ins Dasein gerufen? Die große Antwort, die der Heilige Geist uns neu anzündet und entzündet, heißt: Gott hat mich erschaffen, damit er einen Gegenstand hat, den er lieben kann! So stark ist Gott schlechthin die Liebe! Er hat mich erschaffen, damit er mich lieben kann mit unendlicher Liebe; er hat mich erschaffen, damit ich lieben lerne: lieben lerne in ihm und mit ihm und wie er liebt. Das ist der große Sinn meines Lebens. So darf ich mir deswegen den Sinn meines Seins vorstellen: aus der ewigen Liebe, hinein in die ewige Liebe! In einen Liebesstrom hineingezogen, in einen endlosen Liebesstrom hineingezogen, so stehe ich da. Hineingezogen! Und ich darf alle Stationen passieren, die in diesem Liebesstrom zu signalisieren sind. Lieben soll ich lernen, reifen in der Liebe, heranreifen in der Liebe. Alle Formen der Liebe soll ich kennenlernen, soll ich leben lernen, und alle Arten der Liebe in mir entfalten.

Alle Formen der Liebe. Mag es sich um kindliche Liebe handeln, mag es sich um mütterliche Liebe handeln, väterliche Liebe handeln, brüderlich-schwesterliche Liebe handeln: dafür bin ich da! Lieben soll ich! So soll ich lieben lernen.

Alle Grade der Liebe soll ich passieren lernen, angefangen von der primitivsten Liebe bis empor zu der ausgereiften Liebe. Wo gibt es heute noch Menschen, wo gibt es ganze Gliederungen von Menschen, die den Sinn ihres Lebens darin finden, in ihrer Liebesfähigkeit auszureifen! Reif werden, reif in der Liebe, das ist der Sinn unseres Lebens!

Als Jesus gefragt wird, worin das größte Gebot besteht, nennt er das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe: nicht zwei getrennte Gebote, sondern eines. In Gott lieben wir den Nächsten, und wenn wir den nächsten lieben, lieben wir Gott. Kann man Liebe gebieten?

Enzyklika Deus Caritas est, aus Nr. 16

Nach all diesen Überlegungen über das Wesen der Liebe und ihre Deutung im biblischen Glauben bleibt eine zweifache Frage in bezug auf unser Verhalten: Können wir Gott überhaupt lieben, den wir doch nicht sehen? Und: kann man Liebe gebieten? Gegen das Doppelgebot der Liebe gibt es den in diesen Fragen anklingenden doppelten Einwand. Keiner hat Gott gesehen — wie sollten wir ihn lieben? Und des weiteren: Liebe kann man nicht befehlen, sie ist doch ein Gefühl, das da ist oder nicht da ist, aber nicht vom Willen geschaffen werden kann. Die Schrift scheint den ersten Einwand zu bestätigen, wenn da steht: "Wenn jemand sagt: 'Ich liebe Gott!', aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht" (1 Joh 4, 20). Aber dieser Text schließt keineswegs die Gottesliebe als etwas Unmögliches aus - im Gegenteil, sie wird im Zusammenhang des eben zitierten Ersten Johannesbriefes ausdrücklich verlangt. Unterstrichen wird die unlösliche Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe. Beide gehören so zusammen, das die Behauptung der Gottesliebe zur Lüge wird, wenn der Mensch sich dem Nächsten verschließt oder gar ihn hasst. Man muss diesen johanneischen Vers vielmehr dahin auslegen, dass die Nächstenliebe ein Weg ist, auch Gott zu begegnen, und dass die Abwendung vom Nächsten auch für Gott blind macht.

Kentenich, Predigten in Milwaukee 29. September 1963

Ja, andächtige Zuhörer, wie sollte eigentlich das Ideal zwischen Gottes- und Menschenliebe praktisch aussehen? Sollte praktisch eine einzige große Zweieinheit sein.

Um verständlich zu machen, was ich damit sagen will, zwei Beispiele. Im einen handelt es sich um einen bekannten französischen Philosophen. Er hatte in jungen Jahren ein Verhältnis zu einem Mädchen aus dem Norden, protestantisch. Beide hatten einander gern. Der Franzose liebte das Mädchen leidenschaftlich. Ich hebe das Beispiel deswegen eigens hervor, weil wir ja auch vorher diese Grundlage gewählt haben: natürliche Liebeserlebnisse. Das Mädchen antwortete ihm - es hatte ein wenig Angst, weil die Liebe zu innig, zu stark war -: »Ich liebe dich auch, aber ich liebe den lieben Gott viel mehr als dich.« Verstehen wir, was das besagt? Angst, Menschenliebe könnte nicht in entsprechender Weise in Gottesliebe ausmünden. Was antwortet der Adressat - Bloy ist sein Name - so in einfältiger Weise? »Kannitverstan! Was du da schreibst, kann ich absolut nicht verstehen! Für mich ist die Liebe nie auseinandergerissen. Für mich ist die Liebe - Liebe zu dir, Liebe zum lieben Gott - immer eine absolut geschlossene Einheit. Ich liebe dich - ja, ich liebe dich in Gott« - ich sage das eigens langsam -: »ich liebe dich in Gott, ich liebe dich durch Gott hindurch, oder ich liebe Gott durch dich hindurch, und ich liebe dich Gottes wegen. Mehr noch: Ich liebe dich vollkommen, und ich liebe Gott vollkommen. Ich liebe in dir vollkommen Gott, und ich liebe vollkommen Gott in dir. Diese Zerfaserung zwischen Gottes- und Menschenliebe ist mir absolut unbegreiflich. Machen wir es doch wieder einfach: lieben wir doch einfach! Der liebe Gott hat uns doch wahrhaftig nicht aus dem Nichts hervorgerufen, damit wir uns gegenseitig quälen und peinigen, Angst haben vor der Liebe! Er hat uns erschaffen, dass wir durch die Liebe - echte gegenseitige Liebe - ihn verherrlichen!«

Andächtige Zuhörer, da haben wir ein Beispiel: Menschenliebe - Voraussetzung, ja Krönung echter, tiefer Gottesliebe; Zweieinheit zwischen Gottes- und Menschenliebe. Wo Menschenliebe mangelt, wie schwer mag es da sein, wahre Gottesliebe, tiefe, innige, aufrichtige Gottesliebe in sich innezuwerden! Möglich ist das, aber außer-, außergewöhnlich schwer.

Die Gnade baut auf der Natur auf, und die Natur wird durch die Gnade veredelt. Dieses organische Ineinander von Natur und Gnade war Pater Kentenich ein wichtiges Anliegen. Naturhafte und übernatürliche Liebe gehören für ihn untrennbar zusammen. Er lehrt die Menschen, nicht nur organisch zu denken und zu leben, sondern auch organisch zu lieben. Auch Papst Benedikt legt auf das Ineinander von naturhafter und übernatürlicher Liebe großen Wert, weil Leib und Seele eine Einheit bilden.

Enzyklika Deus Caritas est aus Nr. 5 und Nr. 8

Zweierlei ist bei diesem kurzen Blick auf das Bild des Eros in Geschichte und Gegenwart deutlich geworden. Zum einen, dass Liebe irgendwie mit dem Göttlichen zu tun hat: Sie verheißt Unendlichkeit, Ewigkeit - das Größere und ganz andere gegenüber dem Alltag unseres Daseins. Zugleich aber hat sich gezeigt, dass der Weg dahin nicht einfach in der Übermächtigung durch den Trieb gefunden werden kann. Reinigungen und Reifungen sind nötig, die auch über die Straße des Verzichts führen. Das ist nicht Absage an den Eros, nicht seine "Vergiftung", sondern seine Heilung zu seiner wirklichen Größe hin.

Dies liegt zunächst an der Verfasstheit des Wesens Mensch, das aus Leib und Seele gefügt ist. Der Mensch wird dann ganz er selbst, wenn Leib und Seele zu innerer Einheit finden; die Herausforderung durch den Eros ist dann bestanden, wenn diese Einung gelungen ist. Wenn der Mensch nur Geist sein will und den Leib sozusagen als bloß animalisches Erbe abtun möchte, verlieren Geist und Leib ihre Würde. Und wenn er den Geist leugnet und so die Materie, den Körper, als alleinige Wirklichkeit ansieht, verliert er wiederum seine Größe … Es lieben nicht Geist oder Leib — der Mensch, die Person, liebt als ein einziges und einiges Geschöpf, zu dem beides gehört. Nur in der wirklichen Einswerdung von beidem wird der Mensch ganz er selbst. Nur so kann Liebe — Eros — zu ihrer wahren Größe reifen. (Nr. 5)

Im letzten ist "Liebe" eine einzige Wirklichkeit, aber sie hat verschiedene Dimensionen - es kann jeweils die eine oder andere Seite stärker hervortreten. Wo die beiden Seiten aber ganz auseinanderfallen, entsteht eine Karikatur oder jedenfalls eine Kümmerform von Liebe. Und wir haben auch schon grundsätzlich gesehen, daß der biblische Glaube nicht eine Nebenwelt oder Gegenwelt gegenüber dem menschlichen Urphänomen Liebe aufbaut, sondern den ganzen Menschen annimmt, in seine Suche nach Liebe reinigend eingreift und ihm dabei neue Dimensionen eröffnet. Dieses Neue des biblischen Glaubens zeigt sich vor allem in zwei Punkten, die verdienen, hervorgehoben zu werden: im Gottesbild und im Menschenbild. (Nr. 8)

Kentenich aus Vortrag für Ehepaare in Milwaukee 30. Januar 1961

Sehen Sie, wir suchen eine Frömmigkeit für die Laien in der Welt. Und alle Weltdinge, die wir benutzen dürfen und müssen, sollen für uns ein Weg nach oben werden. Das gilt auch von all dem, was uns als Eheleuten kraft der Ehe gestattet ist. Wir dürfen also sagen, wir wollen heilig werden, nicht obwohl wir Eheleute sind und in der Ehe mancherlei gestattet ist, sondern gerade weil wir Eheleute sind. Das heißt, wir müssen alles, was in der Ehe gestattet ist, benutzen als ein sursum corda. Ich meine, ich sollte das Wort noch einmal wiederholen, das wir schon zweimal gehört haben: Eheliches Leben soll keine "Falle" für unser religiöses Streben sein, sondern soll ein Mittel (dazu) werden. Die Frage ist nur: Wie können wir das benutzen als Weg zur Heiligkeit? Wenn wir an all das denken, was uns als Eheleuten gestattet, ja, zur Pflicht gemacht ist, dann denken wir vor allem an den ehelichen Akt. Das ist nun die Frage: Wie müssen wir den ehelichen Akt setzen, damit er ein Ausdruck und ein Mittel der Heiligkeit wird?

Ich meine, da sollte ich zwei Antworten geben: erstens, als Ausdruck der personalen Würde der beiden Partner, dann zweitens, als ein Mittel zur gegenseitigen seelischen Ergänzung.

Erstens also: Ausdruck der personalen Würde. Hier müssen Sie sich vor Augen halten: nach der Heiligen Schrift sind wir alle Ebenbilder Gottes, und zwar des dreifaltigen Gottes. Verstehen Sie, was das heißt, Ebenbilder des dreifaltigen Gottes? Das ist das große Geheimnis: drei Personen, ein Gott. Und die Eigenart der drei Personen besteht in dem gegenseitigen Geöffnetsein füreinander. Der Vater denkt sich selber. Und das ist der Sohn. Und Vater und Sohn umarmen sich in einem ewigen Liebeskusse. Und das ist der Heilige Geist. Sehen Sie, wie steht jetzt der dreifaltige Gott vor uns? Als eine wesenhafte Gemeinschaft.

Wenn wir Abbilder des dreifaltigen Gottes sein wollen, dann müssen wir nicht nur in uns geschlossene Persönlichkeiten sein, sondern auch geöffnet für das Du. Zum Wesen des Menschen gehört also der Sinn, das Geöffnetsein für Gemeinschaft. Aber das vollkommenste Abbild des dreifaltigen Gottes sind an sich die Eheleute, und zwar im Augenblicke des ehelichen Aktes.

Sehen Sie, da sind zunächst zwei Personen, und die sind so eng miteinander verbunden und so stark, dass die Heilige Schrift sagt: Beide sind ein Fleisch. Aber, zwei Personen sind es. Ich darf deswegen durch all das, was mir in der Ehe gestattet ist, nicht die Persönlichkeitswürde preisgeben.

Aber gehen wir noch ein Stückchen weiter: Abbild des dreifaltigen Gottes! Wenn die Ehe sinngemäß vollzogen wird, ist zu erwarten, daß die Wirkung des gegenseitigen Sichverschenkens das Kind ist. Deswegen: Dreifaltigkeit. Mann und Frau, die als Vater und Mutter das Kind zur Welt bringen - also eine "Dreifaltigkeit".

Das alttestamentliche Hohelied erzählt, wie Braut und Bräutigam einander suchen, einander finden, aneinander Gefallen finden. Es ist Symbol der Sehnsucht der Seele nach Gott und der Sehnsucht Gottes nach der von ihm geschaffenen Seele.

Enzyklika Deus Caritas est, aus Nr. 10

Das philosophisch und religionsgeschichtlich Bemerkenswerte an dieser Sicht der Bibel besteht darin, dass wir einerseits sozusagen ein streng metaphysisches Gottesbild vor uns haben: Gott ist der Urquell allen Seins überhaupt; aber dieser schöpferische Ursprung aller Dinge — der Logos, die Urvernunft — ist zugleich ein Liebender mit der ganzen Leidenschaft wirklicher Liebe. Damit ist der Eros aufs Höchste geadelt, aber zugleich so gereinigt, daß er mit der Agape verschmilzt. Von da aus können wir verstehen, daß die Aufnahme des Hohenliedes in den Kanon der Heiligen Schriften sehr früh dahingehend gedeutet wurde, daß diese Liebeslieder im letzten das Verhältnis Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott schildern. Auf diese Weise ist das Hohelied in der jüdischen wie in der christlichen Literatur zu einer Quelle mystischer Erkenntnis und Erfahrung geworden, in der sich das Wesen des biblischen Glaubens ausdrückt: Ja, es gibt Vereinigung des Menschen mit Gott - der Urtraum des Menschen -, aber diese Vereinigung ist nicht Verschmelzen, Untergehen im namenlosen Ozean des Göttlichen, sondern ist Einheit, die Liebe schafft, in der beide - Gott und der Mensch - sie selbst bleiben und doch ganz eins werden: "Wer dem Herrn anhangt, wird ein Geist mit ihm", sagt der heilige Paulus (1 Kor 6, 17).

P. Josef Kentenich aus Maria - Mutter und Erzieherin, 1954, S. 375f.( zit. nach H. King, Durchblick in Texten Bd. 2, S. 248f)

Das Hohelied der Liebe zieht sorgsam und ehrfürchtig den Schleier von dem innigen Liebesverhältnis zwischen Braut und Bräutigam, das heißt, zwischen Gott und begnadeter Seele hinweg. In inniger, in seliger und naiver Unbekümmertheit berichtet es die Liebeszwiesprache, die beide Liebespartner miteinander sprechen. "Du verwundest mein Herz, meine Schwester Braut. Du bezauberst mir das Herz mit jedem deiner Augen" (HL 4,9). So hingerissen ist Gott von der Schönheit der begnadeten Seele, dass ihm solche Liebesgeständnisse mit schlichter Selbstverständlichkeit aus dem göttlichen Munde fließen. Wieder und wieder jubelt er voller Bewunderung und Entzücken ihr zu, wenn er ihr begegnet: "Wie schön bist du, meine Freundin! Wie schön bist du!" (Hl 1,15).

Wie ein irdischer Liebhaber an der Geliebten seines Herzen alles schön und geordnet findet, so auch hier. Bald sind es die Schuhe und die Art des Ganges, die das Wohlgefallen des göttlichen Bräutigams hervorrufen. Voller Seligkeit sprudeln die Worte aus seinem Munde: "Wie schön sind deine Schritte in leinen Schuhen, Tochter des Königs!" (Hl 7,2). Bald bezaubern ihn ihre Augen und die Haare ihres Nackens. "Du hast mein Herz verwundet ... mit einem Haare deines Nackens" (Hl 4,9). Ein anderes Mal verschlägt ihm der Liebreiz und die Schönheit ihrer Lippen den Atem: "Anmut ist ausgegossen über deine Lippen. Deshalb hat Gott dich gesegnet in Ewigkeit" (Ps 45,3).

Wie erklärt sich solche ekstatische Verhaltensweise des göttlichen Bräutigams? Augen, Haare, Lippen, Schuhe und Gang, die hier in ihrer äußeren sinnenhaften Formvollendung angesprochen und aufgerufen werden, wollen offenbar als Symbol für die Schönheit der begnadeten Seele aufgefasst werden. Trotzdem bleibt uns Gott unverständlich. Wie kann er, der Unerschaffene, der Unendliche, die Urschönheit - so möchten wir fragen - sich so in uns förmlich verlieben? Das verstehen wir nur, wenn wir festhalten: Gott liebt in unserer Seelschönheit sein eigene Schönheit. Sein Herz wird von uns – ja, von uns, die wir uns so schwach, hilflos, sündig und befleckt fühlen – in ähnlicher Weise fortgerissen wie von sich selbst

Das ist eine überaus beglückende, aber wenig bekannte und geschätzte Wahrheit. Weil die Welt der Gnade uns fremd geworden ist, haben wir auch keine Ahnung von der ganzen Größe und unaussprechlichen Unüberwindlichkeit der göttlichen Liebe zu uns.

Wenn zwei Menschen sich lieben, wollen sie möglichst viel Zeit miteinander verbringen, in Gedanken und im Tun beieinander sein. Liebe bedeutet Gleichklang der Herzen. Wo Herzen im Gleichklang schlagen, wächst Gemeinschaft, wird Einheit. Wie sehr die Liebe eine vereinende und verähnlichende Kraft ist, das betonen Papst Benedikt und Pater Kentenich. Das selbe wollen und das selbe ablehnen, das ist Liebe.

Enzyklika Deus Caritas est aus Nr. 17

Darüber hinaus wird in diesem Prozess der Begegnung auch klar, dass Liebe nicht bloß Gefühl ist. Gefühle kommen und gehen. Das Gefühl kann eine großartige Initialzündung sein, aber das Ganze der Liebe ist es nicht. Wir haben anfangs von dem Prozess der Reinigungen und Reifungen gesprochen, durch die Eros ganz er selbst, Liebe im Vollsinn des Wortes wird. Zur Reife der Liebe gehört es, dass sie alle Kräfte des Menschseins einbezieht, den Menschen sozusagen in seiner Ganzheit integriert. Die Begegnung mit den sichtbaren Erscheinungen der Liebe Gottes kann in uns das Gefühl der Freude wecken, das aus der Erfahrung des Geliebtseins kommt. Aber sie ruft auch unseren Willen und unseren Verstand auf den Plan. Die Erkenntnis des lebendigen Gottes ist Weg zur Liebe, und das Ja unseres Willens zu seinem Willen einigt Verstand, Wille und Gefühl zum ganzheitlichen Akt der Liebe. Dies ist freilich ein Vorgang, der fortwährend unterwegs bleibt: Liebe ist niemals "fertig" und vollendet; sie wandelt sich im Lauf des Lebens, reift und bleibt sich gerade dadurch treu. Idem velle atque idem nolle - dasselbe wollen und dasselbe abweisen - das haben die Alten als eigentlichen Inhalt der Liebe definiert: das Einander-ähnlich-Werden, das zur Gemeinsamkeit des Wollens und des Denkens führt. Die Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch besteht eben darin, dass diese Willensgemeinschaft in der Gemeinschaft des Denkens und Fühlens wächst und so unser Wollen und Gottes Wille immer mehr ineinanderfallen: der Wille Gottes nicht mehr ein Fremdwille ist für mich, den mir Gebote von außen auferlegen, sondern mein eigener Wille aus der Erfahrung heraus, dass in der Tat Gott mir innerlicher ist als ich mir selbst. Dann wächst Hingabe an Gott. Dann wird Gott unser Glück (vgl. Ps 73 [72], 23-28).

P. Josef Kentenich aus Marianische Erziehung 1934, aus 157-161 (zit. nach H. King, Ein Durchblick in Texten, Bd. 2, 167):

Ich habe hinweisen dürfen, dass die Gebundenheit - ein anderes Wort dafür die Liebe, das schlichte Gernhaben -, dass die Liebe eine doppelte Kraft hat: eine vereinigende und eine ver-ähnlichende Kraft. Es sind nur andere Ausdrücke für Lebensübertragung. Am besten studieren Sie die Dinge am praktischen Leben. Hier ist nur wissenschaftlich ausgedrückt, was als Urphänomen im Leben liegt.

Zur vereinigenden Kraft werde ich hinzufügen: eine organisch, nicht mechanisch vereinigende Kraft; denn das ist die Häresie der heutigen Zeit und auch die Häresie derer, die sich in Menschen vernarren und nicht zu Gott gezogen werden. Wie tief ist diese vereinigende Kraft beim Menschen! Es ist ein starkes Ineinander, kein Gegeneinander: Ich in dir und du in mir und wir beide ineinander. So zeigt uns das Leben die Akte der Liebe. So stark ist dieses Ineinander, dass wir von einem Identitätsbewusstsein sprechen dürfen: Ich in dir und du in mir und wir beide ineinander. Wenn Sie das auf Gott anwenden, werden Sie sehr viel von der Dogmatik besser verstehen. Was sollen und dürfen wir jetzt schon, vor allem aber in der visio beata? Wir dürfen am Leben Gottes teilnehmen. Ich in dir und du in mir! Und was Sie in der Dogmatik sehen, geht alles nach den psychologischen Gesetzen der Liebe vor sich. Darum die Dinge im praktischen Alltagsleben sehen!

Aber da ist nicht nur die vereinigende, sondern auch die verähnlichende Kraft: idem velle et idem nolle, Gleichklang der Herzen, der Neigungen. Das haben schon die alten Philosophen gesehen. Das geht so weit, dass man in der äußersten Form, ohne es zu wollen, der geliebten Person bis zum Letzten ähnlich wird. Das ist Lebensmitteilung.

Liebe werden

P. Josef Kentenich, Silvesteransprache in Schönstatt 31.12.1965 (in Propheta locutus est Bd. II, S. 270f)

Wir glauben berufen zu sein, das Herz dieser Kirche zu sein. Welcher Kirche? Der kommenden Kirche. Das Herz! Ja, was heißt das, das Herz? Das heißt: Die alles überwindende, tiefgründige Liebesmacht zu sein. Eine Liebesmacht, die die Kirche erobert, die die Kirche anfüllt mit dem Heroismus der Liebe. Liebesmacht – das ist unsere Sendung!

Was das bedeutet? Was müssen wir innerlich entzündet sein und mehr und mehr entzündet werden von einem Feuerbrand der Liebe! Wie müssen wir uns bemühen, Glied um Glied, Gliederung und Gliederung miteinander zu verbinden durch das Band der Liebe! (Das) Liebesbündnis mit der lieben Gottesmutter will sich und muß sich in unsern Reihen letzten Endes mehr und mehr auswirken als Liebesbündnis mit dem dreifaltigen Gott, als Liebesbündnis untereinander, als Liebesbündnis mit allen Gliedern und Gliederungen der Kirche, aber auch als Liebesbündnis mit allen Menschen der ganzen Welt! Das Herz - die Liebe, die Liebesmacht der Kirche.

Wir denken unwillkürlich in dem Zusammenhang an das schöne Ideal der Kleinen heiligen Theresia. Was wollte sie werden?: Die Liebe im Raum und Rahmen der Kirche. Das ist genau unsere Sendung. Die große Macht der Liebe, die müssen wir künden, die müssen wir leben, die müssen wir verwirklichen, ob es sich jetzt um Kindesliebe, Vaterliebe, schwesterliche Liebe, Bruderliebe oder - das dürfen wir nicht vergessen - ob es sich auch handelt um Feindesliebe.

Nicht wahr, da hören Sie herausklingen so viele Bestimmungen der Konstitution de Ecclesia, so viele andere Bestimmungen - ich mag sie nicht im einzelnen anführen -, Bestimmungen die die Väter getroffen und die vom Heiligen Stuhle approbiert worden sind. Denken Sie nur einmal an alles, was dorten bestimmt wurde über die Freiheit, Freiheit in der Kirche. Das alles, um Platz zu machen für die Allmacht der Liebe! Liebe ist letzten Endes die größte Großmacht, das soll d i e Macht in unserer Hand, d i e Macht in der gesamten Familie werden!

Gedenkfeier am Vorabend des 15. September

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