Kommentar
 published: 2006-07-11

Ein Land hat zur Normalität zurückgefunden

Das neue schwarz-rot-goldene Wir-Gefühl und die Liebe zur Heimat. Ein Kommentar von Pater Elmar Busse

 

Banderas alemanes en el auto...

German flags at the cars...

Deutsche Fahne am Auto…

 

… una “novedad” del Mundial

… only seen since the World Championship

… das gibt es erst seit der WM

Fotos: POS Frank © 2006

 
 

KOMMENTAR, P. Elmar Busse. Neulich saß ich auf der Rückbank eines Autos und ließ mich mitnehmen. Das kommt selten vor, denn meistens sitze ich selber vorne links. Wegen der Hitze drehte ich die Fensterscheibe ein wenig herunter. Bald darauf mussten wir tanken. Als der Fahrer ausstieg, meinte er ganz überrascht: "Wo ist die Fahne?" Da durchfuhr es mich siedend heiß. An das Fähnchen, das oben am Fensterrand meiner Tür eingeklemmt war, hatte ich überhaupt nicht gedacht, als ich die Scheibe herunterdrehte.

Der Fahrer vermittelte den Eindruck, dass er diesen Verlust locker verschmerzen konnte, doch mich plagte das schlechte Gewissen. Als ich dann im Einkaufszentrum diese Fähnchen im Sonderangebot sah, kaufte ich ihm einen Ersatz und mir gleich noch eine dazu. Seitdem flattert Schwarz-Rot-Gold auch an meinem Auto.

Die Deutschlandfahne 1985 - dank chilenischer Hartnäckigkeit

Vor Jahren hätte ich mir das bei mir nie vorstellen können. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich 1985 als offizieller Vertreter der Schönstatt-Bewegung der DDR zur Feier des 100. Geburtstages Pater Kentenichs ein Dienstvisum bekam und nach Schönstatt fahren durfte. Da wäre ich doch nie im Traum darauf gekommen, eine DDR-Fahne mitzunehmen. In Schönstatt erfuhr ich dann, dass von allen Delegationen nur die Südafrikaner ähnlich dachten wie ich. Wir konnten uns nicht mit unseren Ländern und den Zuständen dort identifizieren und demzufolge auch nicht das typische Identitätssymbol, die Nationalfahne, mitbringen und tragen. Dass damals bei der Eröffnungsfeier am 11.September 1985 die Deutschlandfahne feierlich auf den großen Pilgerplatz getragen und gehisst wurde, war nur der Hartnäckigkeit eines chilenischen Mitbruders zu verdanken. Die deutschen Planer hatten an dieser Stelle eher Bedenken als Wünsche. Anders wurde das 1990 bei der Fußball-WM in Italien. Als Deutschland Weltmeister wurde, jubelten zumindest viele Fußballfans mit Schwarz-Rot-Gold. Und im Blick auf die baldige Wiedervereinigung am 3.Oktober wurde "Deutschland, einig Vaterland" kräftig (mit-)gesungen. Doch wenn man die Bilder von damals mit denen von heute vergleicht, dann müsste man ein Schneefeld mit ersten zaghaften Krokussen mit einer prallen Sommerwiese vergleichen, auf der es von Farbtupfern nur so wimmelt. Auch die ausländischen Pressekommentare sehen die neue Flaggenbegeisterung von uns Deutschen positiv: "Ein Land hat zur Normalität zurückgefunden." Ähnlich sieht es unser Bundespräsident Horst Köhler.

Die Hand am Pulsschlag der Zeit

Diese Bilder, die uns täglich während der WM begegnen, laden uns ein, einmal tiefer nachzudenken, wie das ist mit Heimat, Patriotismus und den entsprechenden Symbolen. Wer schon vor Jahren in der Schweiz Urlaub machte, wunderte sich vielleicht und lächelte auch darüber, dass viele Schweizer vor ihrem Haus jahrein jahraus ihre Nationalflagge flattern lassen. Das wäre in Deutschland undenkbar gewesen.

Pater Kentenich hat selber ein Leben lang genau beobachtet, denn auch in den sich wandelnden "Seelen- und Zeitenstimmen" sah er den Gott der Geschichte am Werk, der "stückweise seine Idee vom Menschen und von der Gemeinschaft im Laufe der Jahrhunderte entschleiern wollte". Mit dem Problem "Heimat" hat er sich vor allem in seiner letzten großen pädagogischen Tagung, die er vor seiner Verbannung im Oktober 1951 noch in Schönstatt halten durfte, auseinandergesetzt. Zwar hatte er die Zeit des Nationalsozialismus als Gegner und KZ-Häftling durchlitten und durchlebt, doch fand er auch deutliche Worte einen Tag nach Kriegsende, am 9.Mai 1945 in Ennabeuren: "Mit der Dankbarkeit (für das Kriegsende) aber verbindet sich die Wehmut. Um welch fürchterlichen Preis musste dieses Ende erkauft werden! Dieses Leid und diese Wehmut zittern noch lange nach. Wir müssen bekennen: das Volk als Gesamtheit und jeder in seiner Art ist schuldig an dem Unglück, unter dem wir aufseufzen. Wir müssen die Wehmut vertiefen. Sie ist die Grundlage für die Sühne, die gefordert wird… Wo besiegte Völker angefangen haben in sich zu gehen und die Lehre aus dem verlorenen Kriege zu ziehen, wo sich langsam ansteigend die Reform der Familie, der Gesellschaft, des ganzen Volkes angebahnt hat, da war die Grundlage für den endgültigen Frieden geschaffen. Geht unser Volk diesen Weg?"

Heimatliebe als Grundlage einer gesunden Selbstliebe

Es gehörte in der geistig-seelischen Landschaft von 1951 schon Mut, die Pflege der Heimatliebe als dringliches seelsorgliches Teilziel darzustellen. Und er definiert Heimatliebe so:

"Heimatliebe ist die Grundform einer gesunden, naturhaften, organischen Selbstliebe, die einer Entwicklung fähig und bedürftig ist." (S.199)

Und er führt weiter aus: "Das Wesen der Heimatliebe im psychologischen Sinn besteht darin, dass ich meine Umgebung aufnehme in das Ich … Weil nun mit dieser Erweiterung meines Ich durch die Hingabe an die Person, durch Aufnehmen der Personen und Sachen in mein Ich ein Stück Geborgenheit und Sicherheit verbunden ist, deshalb hat der Psychologe die Heimat definiert als einen Ort, wo ich Geborgenheit finde und biete."

Für Pater Kentenich war die Heimatliebe eine wichtige Wurzel für seelische Gesundheit, aber er betrachtete sie in Beziehung zu allen anderen natürlichen und übernatürlichen Bindungen, die der Mensch pflegen muss, will er ein vitaler, innerlich freier, aufnahmefähiger und treuer Mensch werden und bleiben. Wir haben Jahrzehnte hinter uns, in denen das Thema Heimat vielfach tabuisiert worden ist. Das hatte die verheerende Folge, dass sich rechtsradikale Gruppen dieses Themas und dieses Wertes bemächtigten. Diese nationalistischen Töne führten zu weiteren Berührungsängsten der demokratischen Kräfte gegenüber diesem Thema. Nun hat die WM wie ein Katalysator einen Mentalitätsumschwung herbeigeführt, so dass quer durch alle Generationen und sozialen Schichten die Freude und Begeisterung über Deutschland zur neuen Selbstverständlichkeit geworden ist. Wenn aus dem "Ja, aber" ein frohes "Ja" geworden ist, das gleichzeitig die Leistungen der anderen Mannschaften und Nationalitäten würdigen kann, dann sind wir auf einem guten Weg. Pater Kentenich spricht ja davon, dass die Heimatliebe entwicklungsbedürftig ist. Wie kann diese Entwicklung aussehen und gefördert werden?

Heimatliebe auch nach der WM

Schauen wir zunächst auf die Kentenich’sche Definition von Heimat: "Heimat ist der Ort, an den der liebe Gott uns aus der Ewigkeit in diese Zeitlichkeit entlassen; ist aber auch der Ort, von dem aus wir aus dieser Zeitlichkeit geistig in die Ewigkeit zurückkehren." (S.179) Eine Krankenschwester erzählte mir neulich: "Ich hatte einen todkranken Patienten aus den neuen Bundesländern. Er war nicht gläubig und hatte furchtbare Angst vor dem Sterben. Er wollte nicht ins Nichts fallen. So hatte er sich einige Male, als er noch bei Bewusstsein war, ausgedrückt. Als er dann ins Koma fiel, hatte ich wieder Dienst. Ich nahm seine Hand und sprach ihn an, auch wenn er sich mir gegenüber nicht verständlich machen konnte. Ich sagte ihm: "Sie fallen nicht ins Nichts. Es gibt jemanden, der Sie erwartet und mit offenen Armen empfängt." Der Patient atmete ruhiger und konnte dann ruhig heimgehen zum himmlischen Vater."

Auch wenn wir hier auf Erden keine bleibende Stätte haben, sondern diese Erde und unser Leben ein Pilgerweg ist, so dürfen wir uns doch an bestimmten Orten wohl fühlen, uns zu Hause fühlen, uns geborgen fühlen.

Auch nach der Weltmeisterschaft eine unverkrampfte, selbstverständliche Freude an der Heimat: das wäre ein echter Gewinn. Auch wenn die symbolischen Ausdrücke dafür nicht mehr so ekstatisch sind wie im Fußballfieber, ein bisschen Freude daran, ein Deutscher zu sein, darf doch bleiben – weil Heimatliebe zum Menschsein dazugehört.


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Last Update: 11.07.2006 Mail: Editor /Webmaster
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