Interview
 published: 2006-07-11

Ein neues Wir-Gefühl und der Glaube, auch ein fernes Ziel erreichen zu können

Die Hand am Pulsschlag der Zeit: Fußball-WM

 

 

 

 

 

 

 
 

INTERVIEW. "Gefühlt ist die WM vorbei. Am Morgen danach tut es noch weh, wir sind traurig und tief enttäuscht. Aber da ist noch etwas anderes: Stolz, Freude über einzigartige dreieinhalb Wochen und Dankbarkeit. Jürgen Klinsmann schenkte uns offensiven, attraktiven Fußball, ein neues Wir-Gefühl und den Glauben, dass man auch ein fernes Ziel erreichen kann." So ein Kommentar von Sebastian Göllner in der ARD am Tag nach dem Halbfinale Deutschland gegen Italien. Schon vor dem Sieg im Spiel um den dritten Platz feierten Hunderttausende weiter, feierten den "Weltmeister der Herzen". Erlebnis statt Ergebnis. Erstaunlich, wie schnell ein Wort Strömung werden kann. Es ist etwas passiert in diesen Wochen in Deutschland.

Schönstatt soll, so Pater Kentenich, leben mit der Hand am Pulsschlag der Zeit. PressOffice Schönstatt sprach mit Pater Elmar Busse über die Fußball-WM.

Haben Sie die WM miterlebt? Mitgefiebert? Oder eher egal?

Auch wenn ich sonst nicht die aktuelle Tabelle der Bundesliga im Kopf habe - bei einer Weltmeisterschaft interessiere ich mich für die Spiele und fiebere natürlich mit unserer Mannschaft mit.

Manche Spiele der deutschen Mannschaft habe ich am Autoradio mitverfolgt, andere am Fernsehen - dann aber selten allein.

Was war für Sie das schönste Erlebnis der WM?

Das Viertelfinalspiel Deutschland gegen Argentinien: Dass Jens Lehmann die Elfmeter gehalten hat. Die Geste der Ermutigung von Oliver Kahn gegenüber Jens vor dem 11er-Schießen.. Und auch die Umarmung von Angela Merkel und Franz Beckenbauer nach dem Sieg.

War da noch etwas andres als offensiver, attraktiver Fußball? Was hat diese WM mit Deutschland gemacht?

Erstens: Deutschland hat im Blick auf seine nationalen Identitätssymbole zur Normalität zurückgefunden nach über 60 Jahren. Wir dürfen nicht nur Bayern, Schwaben oder Thüringer sein, sondern auch Deutsche.

Patriotismus als erlaubter Baustein einer persönlichen Identität und einer gesunden Selbstliebe wird nicht mehr als gefährlich oder überholt abgetan, sondern wird zum mainstream. Damit ist auch rechtsradikalen Kreisen, die aus der Tabuisierung des Wertes Heimat in der breiten Öffentlichkeit für sich Kapital schlugen, indem sie diese tief im Menschen verwurzelte Sehnsucht aufgriffen und in einer penetranten, unerlösten Form diesen Wert vergötzten, der Boden entzogen. Nur wer groß von sich denken und fühlen kann, hält es aus und freut sich darüber, wenn andere groß sind oder größer werden. Deutschland wurde in der Welt bewundert, gefürchtet (denken wir an die geheime Konsultation von Historikern durch die englische Regierung vor den 4+2 Verhandlungen vor der Wiedervereinigung), aber nicht geliebt. Wer sich nicht geliebt glaubt, tappt immer wieder in die Eifersuchtsfalle.

Zweitens: Die Welt zu Gast bei Freunden - was mit dem Weltjugendtag 2005 begonnen hat, wurde jetzt bei der WM weitergepflegt. Das schafft einen Mentalitätswandel - zumindest in der öffentlichen Meinung.

Drittens: Die Kanalisierung (der Mensch und vor allem der Mann muss kämpfen dürfen - aber dann nach klaren Fairnisregeln auf begrenztem Areal) und Entdramatisierung (wir "müssen" nicht Weltmeister werden und können trotzdem feiern) der Aggression führt zu einer neuen Welle der Gewaltlosigkeit. Die Tabuisierung der Aggression in evangelischen Pfarrhäusern hatte damals bei den jugendlichen Opfern dieses Erziehungsstils zu RAF-Terroristen geführt, die - war einmal der Damm gebrochen -, vor nichts mehr Halt machten und keine Ehrfurcht vor dem Leben der Anderen hatten.

Der feministische Pazifismus, der nur kooperative Spiele wollte, förderte, und wenn schon Kampfspiele, dann am besten mit einem Unentschieden als Ergebnis gerade noch tolerierte, war blind gegenüber der menschlichen Natur, zu deren männlicher Variante die Aggression wesentlich dazugehört. Klinsmann und seinem Team ist es gelungen, eine Gratwanderung aufzuzeigen, dass man seine Aggressivität voll ausleben kann - im klaren Rahmen der Regeln, ohne in (dauernder) Feindschaft zu erstarren, weil alles "nur" ein Spiel ist (ohne vor den handfesten kommerziellen Interessen die Augen zu verschließen).

Ich musste immer wieder an die sonntäglichen Kriegsspiele in den paraguayischen Reduktionen denken, mit denen die Jesuiten auf dieses urmenschliche Energiepotential Rücksicht nahmen und den Indios ein friedliches Miteinander ermöglichten.

Was denken Sie, was bleibt nach der WM - ohne Titel?

Bei allem Staunen und bei aller Freude über die friedliche Partykultur quer durch Deutschland gibt es in meinem Innern das ferne Donnergrollen über das Phänomen Massenmenschentum, das Pater Kentenich in den 30er Jahren beobachtet und studiert hat und ganz extrem als Häftling im KZ selber erlitten hat. Wer sich einmal den sekundengenauen Regieplan eines Vorprogramms im Stadion hat erklären lassen, der erschrickt, wie berechenbar auch Emotionen zu steuern sind. "Keine Gewalt" - dieses Spruchband der Demonstranten von 1989 in Leipzig und anderswo und die dahinter stehende Mentalität hat noch einmal ermutigende Renaissance erlebt. Dank geschulter Polizeikräfte sind Unruhestifter und gewaltbereite Fans schnell isoliert oder sogar in Gewahrsam genommen worden. Diese Intoleranz gegen Gewalt hat verhindert, dass der Funke überspringen und epidemische Ausmaße annehmen konnte. Was an Hintergrundarbeit dafür notwendig war, kann nur erahnen, wer im Innenministerium beschäftigt ist.

Entdecken Sie eine Botschaft Gottes in dem, was in den letzten Wochen los war?

>Sport wie Musik sind gemeinschaftsstiftende und sprachgrenzenüberschreitende Kulturgüter, in die viel investiert werden sollte. Sportler wie Musiker lernen auf dem Weg zur Perfektion jede Menge anderer sozialer Fähigkeiten, Durchhaltevermögen, Selbstüberwindung, Teamgeist, Disziplin, Verlieren können, Niederlagen überwinden, Konfliktfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Leistungswille. Der Mensch wächst erst an seiner Grenze über sich hinaus. Gott hat den Menschen so geschaffen, dass er auf Gott hin unterwegs ist. Alles, was der Mensch unternimmt, um über sich hinauszuwachsen, ist ein guter Schritt auf Gott hin.

So manche Form der geistig-seelischen Selbstsabotage und Selbstblockade scheint einfach weggeweht wie Nebelschwaden, die vom Wind zerissen und von der Sonne aufgeleckt werden. Es ist ein gesünderes Klima, was herrscht. Zu behaupten, Gott hat sich unseres Volkes erneut erbarmt, wie er das 1989 getan hat, klingt zwar sehr mutig, aber ich möchte es doch so stehen lassen.


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