Stellungnahme - Statement - Opinión
 published: 2006-02-17

DEUS CARITAS EST

Zur ersten Enzyklika Papst Benedikts XVI.. – Professor Dr. Joachim Schmiedl, Schönstatt-Pater

Deus Caritas est. Simbolo del Padre, obra de Mariana Loyato, Buenos Aires

Deus Caritas est. Father Symbol, by Mariana Loyato, Buenos Aires

Deus Caritas est: Vatersymbol, Werk von Mariana Loyato, Buenos Aires

Foto: Volquete de Mariana © 2006

 

Nach der ersten Überraschung, die durch die Wahl des deutschen Kurienkardinals Joseph Ratzinger auf den Papststuhl ausgelöst wurde, stellte sich die Öffentlichkeit schnell auf den neuen Pontifex ein. Seine Bücher, bis dahin in der theologischen Fachwelt geschätzt und kritisch diskutiert, sonst aber wohl eher einem intellektuell interessierten Publikum vorbehalten, entwickelten sich plötzlich zu Bestsellern. Dass in der Hitliste der am meisten verkauften Bücher außer den Harry-Potter-Romanen oder Ratschlägen zum Abnehmen gleich mehrere Werke eines einzigen Autors vertreten waren, war wohl nur durch den "Wir sind Papst"-Effekt zu erklären. Um so mehr wartete die Öffentlichkeit auf die erste Enzyklika Benedikts XVI. Über den Inhalt wurde heftig spekuliert, die angekündigten Termine verstrichen. Am 25. Januar 2006 war es dann endlich soweit. "Deus caritas est" wurde der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die erste Enzyklika eines Pontifikats

Die erste Enzyklika im Pontifikat eines Papstes stellt traditionell so etwas wie eine Regierungserklärung dar. Das lässt sich bei den letzten Päpsten gut aufzeigen. Johannes XXIII. richtete seine erste Enzyklika "Ad Petri Cathedram" vom 29. Juni 1959 noch ausschließlich an Christen, die in Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl standen. Wahrheit, Einheit und Frieden waren die Themen, die er behandelte. Im Einklang mit der von ihm gewünschten Öffnung der katholischen Kirche im Vorfeld des am 25. Januar 1959 angekündigten Konzils sprach er von der Sehnsucht der Menschen, zur Einheit zu gelangen. Eine dreifache Einheit stand ihm vor Augen, nämlich in der Lehre, in der Organisation und in der gemeinsamen Verehrung Gottes. Themen, die in vielen Ansprachen zum Konzil und in der Sozialverkündigung Johannes’ XXIII. eine Rolle spielen sollten, wurden in diesem ersten Schreiben bereits angerissen.

Als Paul VI. im Juni 1963 zum Papst gewählt wurde, stand gerade das Thema der Kirche auf der Tagesordnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. So war es nicht verwunderlich, dass Paul VI. diese Beratungen aufgriff und unterstützte, wie überhaupt seine Ansprachen zu Beginn und am Ende der jeweiligen Konzilsperioden wichtige Anregungen und Zusammenfassungen der anstehenden Diskussionen waren. Um den Dialog ging es ihm in "Ecclesiam Suam", der im Mai 1964 veröffentlichten Enzyklika. Die Kirche sei auf dem Weg zu einem neuen Selbstverständnis und haben den Auftrag zu einer ständigen Erneuerung. Damit stärkte Paul VI. die Kräfte, die sich von einer ausgewogenen Sicht der Kirche und aller ihrer Glieder einen positiven Weg in die Zukunft erhofften. Die Kirche, so Paul VI., könne ihre Sen4 dung am besten in der Form des Dialogs ausüben, und zwar sowohl nach innen wie nach außen. Mit seiner Antrittsenzyklika legte Paul VI. die Grundlinien der späteren Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute und der Erklärung über die Haltung zu den nichtchristlichen Religionen. Die konkrete Umsetzung erfolgte in den Jahren nach dem Konzil über institutionalisierte Dialoge zu Nichtglaubenden und zu anderen Religionen.

Johannes Paul I. starb, bevor er eine Enzyklika veröffentlichen konnte. Geblieben ist sein Lächeln und die theologisch bedeutsame Aussage, dass im christlichen Gottesbild väterliche und mütterliche Züge zu beachten seien. Die erste Enzyklika von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahr 1979 ist vielen noch in Erinnerung. "Redemptor hominis" knüpfte an den ersten Worten des Pontifikats an. Die Tore weit für Christus zu öffnen, dazu diente auch die an alle Menschen guten Willens gerichtete Enzyklika. Aufbauend auf der Christologie bot der Papst eine Darstellung der Erlösung und des erlösten Menschen. Der Weg der Kirche ist der Mensch — diese Grundaussage bestimmte Leben und Wirken des polnischen Papstes in der Erwartung des dritten christlichen Jahrtausends. In vielen Facetten brachte Johannes Paul II. während seines Pontifikats die Wichtigkeit der Personwürde des Menschen in einer globalisierten Gesellschaft und den christlichen Kampf um seine Moralität und Sittlichkeit vor — ob gelegen oder ungelegen.

Der Inhalt der Enzyklika

Und nun die erste Enzyklika Benedikts XVI. Sie trägt ganz die Handschrift Joseph Ratzingers. Die dichte philosophische und theologische Sprache schien den Übersetzern in andere europäische Sprachen Schwierigkeiten bereitet zu haben, womit der Papst selbst die Verzögerung der Publikation erklärte. Zwei Teile enthält die Enzyklika, die mit dem Zitat von 1 Joh 4,16 beginnt. Damit sei, so der Papst, "die Mitte des christlichen Glaubens, das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen und seines Weges" (DC 1) angesprochen. Dieser Mitte geht der Papst im ersten Teil nach. Er erinnert an die sprachliche Bedeutungsvielfalt des Begriffs Liebe, deren Akzente im Griechischen mit den drei Wörtern Eros, Philia und Agape ausgedrückt werden. Der Papst weist die Meinung zurück, als habe das Christentum die erotische Liebe zerstört. Im Gegenteil: Gerade der Eros zeige an, dass Liebe mit dem Göttlichen zu tun habe, aber nicht allein in der Triebhaftigkeit gefunden werden könne. Zum Menschen als Person gehörten eben Geist und Leib. Gegen den Vorwurf der Leibfeindlichkeit des Christentums führt der Papst das Hohelied des Alten Testaments an, in dem die Ekstase der Liebe als Weg "zur Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja zur Findung Gottes" (DC 6) beschrieben wird. Die philosophische und biblische Argumentation ergänzen sich im Denken des Papstes durch die biblischen Bezüge. Daraus ergibt sich eine organische Sicht der Liebe als eine einzige Wirklichkeit in verschiedenen Dimensionen.

Die Neuheit des biblischen Glaubens zeigt sich für Ratzinger im Gottesbild — der eine Gott als Schöpfer, der sein Geschöpf Mensch liebt — und im Menschenbild —diese Liebe ist auch im Menschen wesensmäßig verankert. Vor allem aber in Jesus Christus: "Das eigentlich Neue des Neuen Testaments sind nicht neue Ideen, sondern die Gestalt Christi selbst, der den Gedanken Fleisch und Blut, einen unerhörten Realismus gibt." (DC 12) Dieser Realismus zeigt sich am deutlichsten in der Leibhaftigkeit der Eucharistie. Die "Mystik" des eucharistischen Sakraments führt jedoch nicht nur zur Vereinigung mit Jesus Christus, sondern fordert zur Nächstenliebe heraus. In den Gleichnissen Jesu kommt diese Wechselwirkung klar zum Ausdruck. Wie eine Definition der "Werktagsheiligkeit" lesen sich die Sätze zum Abschluss des ersten Teils der Enzyklika: "Nur meine Bereitschaft, auf den Nächsten zuzugehen, ihm Liebe zu erweisen, macht mich auch fühlsam Gott gegenüber. Nur der Dienst am Nächsten öffnet mir die Augen dafür, was Gott für mich tut und wie er mich liebt." (DC 18)

Der zweite Teil von "Deus caritas est" behandelt das Liebestun der Kirche. Dieses ist Ausdruck der trinitarischen Liebe und Auftrag der Kirche auf allen Ebenen. In einem ausführlichen historischen Rückblick beschreibt der Papst die Entwicklung der Caritas als einen wesentlichen Sektor des kirchlichen Handelns. Am Beispiel des römischen Kaisers Julian Apostata, der das Christentum durch die Institutionalisierung caritativen Handelns unter heidnischem Vorzeichen überwinden wollte, macht der Papst deutlich, "dass die praktizierte Nächstenliebe, die Caritas, ein entscheidendes Kennzeichen der christlichen Gemeinde, der Kirche, war" (DC 24). Für Benedikt XVI. kann sich diese Caritas freilich nicht in individueller Hilfe und Unterstützung erschöpfen, sondern braucht eine gerechte Gesellschaftsordnung. Hier fügt sich die Enzyklika in die kirchliche Soziallehre ein. Der Papst schreibt den Politikern ins Stammbuch, dass die gerechte Ordnung der Gesellschaft und des Staates ein zentraler Auftrag der Politik sei, aber auch, dass in jeder, auch der gerechtesten, Gesellschaft der Dienst der Liebe nötig bleibe. Das heutige soziale Umfeld fordere die humanitäre Hilfe nicht nur heraus, sondern biete auch neue Chancen, etwa durch die Massenkommunikationsmittel und die Zusammenarbeit zwischen staatlichen und kirchlichen Instanzen. Für kirchliches und christliches Liebeshandeln benennt der Papst als konstitutive Elemente, dass es zunächst eine Antwort auf konkrete Not sei, unabhängig von Parteien und Ideologien geleistet werden müsse und kein Mittel zum Proselytismus darstellen dürfe. Träger des caritativen Handelns der Kirche seien dabei zwar Organisationen, doch würden diese ohne den demütigen Dienst Einzelner nicht funktionieren. Die Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe erweise sich dabei auch im Leiden an einem Gott, der "ein Vater ist und uns liebt, auch wenn uns sein Schweigen unverständlich bleibt" (DC 38). Der Papst schließt seine Betrachtungen mit dem Hinweis auf karitative Heilige, angefangen bei Martin von Tours und endend mit Mutter Theresa von Kalkutta, und auf den Liebesdienst Marias, den sie ihrer Cousine Elisabeth geleistet hat.

Einige Beobachtungen

Lässt man die Enzyklika als Ganze auf sich wirken so fallen einige Besonderheiten auf, aus denen die Handschrift des Theologen Joseph Ratzinger zu ersehen ist:

Die Argumentation des Papstes ist das, was man aus schönstättischer Perspektive als gelungene Form von "Geistpflege" bezeichnen könnte. Es wird nicht moralisiert, sondern motiviert. Aus den tiefen Quellen der biblischen und kirchlichen Tradition werden die Leserinnen und Leser ermutigt, den Weg der Caritas zu beschreiten. Dabei tritt der Papst in eine innere Auseinandersetzung mit der gesamten denkerischen Tradition des Abendlandes ein. Das wird deutlich an den von ihm zitierten Autoren, deren Bandbreite eine Neuheit in der Lehrverkündigung der Päpste darstellt. Benedikt XVI. zitiert den philosophischen Gottesleugner Friedrich Nietzsche ebenso wie den Dichter der römischen Liebeskunst Vergil. Die griechischen Philosophen Platon und Aristoteles werden als Gewährsmänner für die Bedeutung der Liebe herangezogen, wie andererseits René Descartes’ einseitige Sichtweise menschlicher Leibhaftigkeit abgelehnt wird. Der Papst kennt keine Berührungsscheu. Er nimmt die kritischen Anfragen der abendländischen Philosophie an den christlichen Glauben auf und beantwortet sie ruhig und sicher. Eine zweite Beobachtung bezieht sich auf die Verwendung der Bibel und der Kirchenväter. Ratzinger gehörte bereits als Konzilsperitus zu denjenigen, die einen breiteren und exegetisch verantworteten Umgang mit den Quellen der christlichen Tradition forderten. In seiner ersten Enzyklika setzt er diese Forderung um, indem er nicht nur einzelne Bibelverse als Steinbruch zitiert, sondern diese immer in den großen Zusammenhang der jeweiligen Schrift oder der theologischen Sicht Jesu stellt. Darin unterscheidet er sich von seinem Vorgänger, der normalerweise in seinen Schreiben eine Motiverzählung aus der Heiligen Schrift als durchgängiges Erklärungsschema für seine Gedanken gewählt hatte.

Eine dritte Beobachtung betrifft die Verwendung der historischen Beispiele. Ein auffallender Unterschied zum Pontifikat Johannes Pauls II. ist bis jetzt die relativ geringe Anzahl an Selig- und Heiligsprechungen. Dass Benedikt XVI. die Durchführung von Seligsprechungsfeiern delegiert hat, konnte den Anschein erwecken, als liege ihm an diesen vorbildlichen Persönlichkeiten nicht so viel wie seinem Vorgänger. Die vorliegende Enzyklika hält in dieser Hinsicht manche Überraschungen bereit. Unter dem Aspekt der Liebe und der Liebestätigkeit greift er die gesamte Geschichte der Kirche auf. Vom Mönchsvater Antonius über Martin von Tours bis zu Mutter Theresa ist alles vertreten, was die caritative Seite der Kirche ausgemacht hat.

Aber auch hier gilt, was P. Kentenich vom hl. Augustinus, dem großen Lehrmeister des gegenwärtigen Papstes, gerne zitiert: "Utamur haereticis ..." — es lohnt sich, Anleihe bei denen zu machen, die dem Christentum kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Dass Benedikt XVI. das caritative Signum der Kirche aus der ablehnenden Haltung des wieder heidnisch gewordenen Julian Apostata (gestorben 363) herleitet, mag überraschen, liegt aber ganz auf der Argumentationslinie des Papstes:

Das Christentum muss sich in innerer Auseinandersetzung mit den Strömungen der Zeit bewähren. Benedikt XVI. ist sich darin sicher einig mit seinem Vorgänger Johannes XXIII., der die Kategorie der "Zeichen der Zeit" in die Erkenntnisquellen des Willens Gottes einführte, und mit der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute "Gaudium et spes", zu dessen grundlegendem Darstellungs- und Interpretationsprinzip das aus der Christlichen Arbeiterjugend entnommene Dreierschema "Sehen — Urteilen — Handeln" avancierte. Schönstätter erkennen darin unschwer die Erkenntniskategorie der "Zeitenstimmen" und das in der "Spurensuche" immer wieder praktizierte und angewandte Viererschema "Beobachten — Vergleichen — Straffen — Anwenden" wieder.

Das Weltgrundgesetz der Liebe

Über diese allgemeinen Beobachtungen hinaus, die den Denkstil des Papstes betreffen, lassen aus der Perspektive der Schönstatt-Bewegung viele Formulierungen und Themen aufmerken.

Auch P. Kentenich geht in seiner Definition des Eros von der griechischen Philosophie aus. In Anlehnung an Platon bestimmt er den Eros als "die liebende Hingabe an eine im Menschen übersteigert und sinnenhaft verkörpert gesehene Idee des Guten und Schönen" (1956). Eros ist dabei nicht identisch mit Sexualität, sondern Kentenich und Benedikt stimmen darin überein, dass gerade die menschliche Liebe einen Durchblick auf die göttliche Liebe ermöglicht. Benedikt XVI.: "Der Mensch wird dann ganz er selbst, wenn Leib und Seele zu innerer Einheit finden; die Herausforderung durch den Eros ist dann bestanden, wenn diese Einung gelungen ist." (DC 5) Bei Kentenich lautet der gleiche Gedanke: "Im Menschen unterscheidet man drei Seins- und Lebensschichten. Im Menschen steckt ein ‚Tier’, ein ‚Engel’ und ein ‚Gotteskind’. Man spricht auch von Leib, Seele und Geist. Diese drei Seinsschichten sind ineinander, nicht getrennt voneinander oder nebeneinander." (1951) Deutlich wie der Papst, in psychologisch einfühlsamer Sprechweise deutet P. Kentenich den inneren Zusammenhang zwischen den drei Formen der Liebe Eros, Philia und Agape in dem Ternar naturhafte, natürliche und übernatürliche Liebe. Dabei entspricht die naturhafte Liebe, charakterisiert als eine "triebhafte Liebe, eine irrationale Liebe, ein Hineingezogensein, das aus den dunklen Gründen des Unterbewusstseins einfach nach oben will" (1951), stärker dem Eros. Die natürliche Liebe kommt für Kentenich stärker aus dem menschlichen Willen, während die übernatürliche Liebe auf der Gotteskindschaft aufbaut. Immer aber gilt für Kentenich die Verbindung aller drei: "Das Ideal der pädagogischen Liebe bleibt immer die organische Verknüpftheit von diesen drei Formen der Liebe." (1951) Eine erste Zusammenfassung erfuhr bei P. Kentenich diese Dreigabelung der Liebe, die in einer entsprechenden Dreigabelung der Triebkraft des Geschlechtlichen überhaupt in Körpertrieb, Seelentrieb und schöpferischem Gestaltungstrieb ihre Entsprechung hat, bereits 1934 in der Formulierung vom "Weltgrundgesetz der Liebe". In Anlehnung an Franz von Sales, den Theologen der Liebe, den Benedikt 8 XVI. nicht zitiert, dessen Grundausrichtung er aber in seiner theologischen Nähe zur Franziskanerschule des 13. Jahrhunderts, besonders bei Bonaventura, aufgreift, formuliert P. Kentenich folgendermaßen: Gott tut alles aus Liebe, durch Liebe und für Liebe. Aus diesem Beweggrund der göttlichen Liebe entsteht eine Bewegung hin zum Menschen und wieder zurück. P. Kentenich wendet diese göttlich-menschliche Liebesbewegung auch an auf innermenschliche Beziehungen, so dass er davon sprechen kann, Gott übertrage etwas von seiner Liebesfähigkeit auf die Menschen und möchte, dass menschliche Liebe in die Gottesliebe hinein geführt werde. Kurz vor seiner Rückkehr nach Schönstatt aus vierzehnjährigem Exil fasste Kentenich diese seine tiefste Einsicht in das Gottesbild so zusammen: "Für uns war allezeit Gott der Vater der Liebe. Darauf weist die starke Betonung des Weltgrundgesetzes hin, das den Familiengeist von Anfang an bestimmt und durchdrungen hat. Wir wissen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, dass der Grund aller Gründe für alles göttliche Wirken letztlich die Liebe ist. Alles, was von ihm ausgeht, geschieht aus Liebe, durch Liebe, für Liebe. Allezeit haben wir es als unsere besondere Sendung aufgefasst, dieses göttliche Weltgrundgesetz zu unserem Lebensund Erziehungsgrundgesetz zu machen. Wir wussten auch, dass wir unter dieser Gottesliebe mitzuverstehen hatten als charakteristisches Merkmal seine barmherzige Liebe. Was für uns aber neu ist, das ist die außergewöhnliche Größe dieser göttlich barmherzigen Liebe. Haben wir bislang stärker uns leiten lassen von dem Gedanken der gerechten Liebe - will heißen: von der Einstellung, dass wir uns diese Liebe durch Handeln und Wandeln, durch Liebesopfer jeglicher Art verdienen müssten -, so halten wir auch heute noch an dieser gläubigen Überzeugung fest, bemühen uns nach wie vor, in besagter Weise dem Himmelsvater Freude zu machen; wo es sich aber um die Bewertung handelt, sind wir auf dem Wege, diese unsere eigene Mitwirkung nicht gar zu wichtig zu nehmen. Wichtig für uns ist nur Gott, der Vater und seine barmherzige Liebe. Letzten Endes liebt er uns nicht einmal so sehr - wie wir schon von Anfang der Familiengeschichte an gelehrt -, weil wir gut und brav gewesen, sondern weil er eben unser Vater ist oder weil er uns seine barmherzige Liebe dann am reichsten zuströmen lässt, wenn wir unsere Grenzen, unsere Schwächen und Armseligkeiten freudig bejahen und als wesentlichsten Titel für die Öffnung seines Herzens und das Durchströmen seiner Liebe innewerden. Auf zwei Titel berufen wir uns deshalb künftig mehr als bisher Gott gegenüber: auf seine unendliche Barmherzigkeit und unsere unergründliche Erbärmlichkeit." (Brief vom 13. Dezember 1965).

Im päpstlichen Rundschreiben ist derselbe Gedanke im Blick auf die Nächstenliebe wie folgt formuliert: "Die Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch besteht eben darin, dass diese Willensgemeinschaft in der Gemeinschaft des Denkens und Fühlens wächst und so unser Wollen und Gottes Wille immer mehr ineinanderfallen" (DC 17). Das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe ist "nicht mehr ‚Gebot’ von außen her, das uns Unmögliches vorschreibt, sondern geschenkte Erfahrung der Liebe von innen her, die ihrem Wesen nach sich weiter mitteilen muss. Liebe wächst durch Liebe. Sie ist ‚göttlich’, weil sie von Gott kommt und uns mit Gott eint" (DC 18).

Die Enzyklika "Deus caritas est" aus der Feder von Papst Benedikt XVI. und das Denken des Gründers der Schönstatt-Bewegung treffen sich somit an einer ganz zentralen Stelle. Die wirklich theo-logische Mitte sehen beide in der Liebesbewegung zwischen Gott und Mensch. Gottes- und Nächstenliebe, individuelles und gemeinschaftliches Handeln ergänzen sich: "Alles Handeln der Kirche ist Ausdruck einer Liebe, die das ganzheitliche Wohl des Menschen anstrebt" (DC 19). Bei P. Kentenich heißt das: "Es gibt eine affektive und eine effektive Liebe" (1934). Liebe ist nicht nur ein gefühlsmäßiges Empfinden, sondern sie drängt zum Tun: Caritas Christi urget nos — Die Liebe Christi drängt uns (2 Kor 5,14).

Vorabveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors und Redaktionsleiters aus: Regnum – Schönstatt International, Reflexion und Dialog, 1, 2007.

ISSN 03413322. Regnum erscheint vierteljährlich im Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt.


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