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 published: 2006-01-24

Unser Vater und seine Entscheidung vom 20. Januar 1942

Predigt am 20. Januar 2006 in der Anbetungskirche - Mons. Dr. Peter Wolf

 

Predica: Mons. Peter Wolf

Sermon: Mons. Peter Wolf

Predigt: Mons. Dr. Peter Wolf

Foto: POS Fischer © 2006

 
   

Liebe Schönstattfamilie,

Manche Daten braucht man nur zu nennen und ein ganzes Volk oder eine ganze Generation wissen, was gemeint ist. Wer heute das Datum des 11. September nennt, kann sich darauf verlassen, dass seine Zuhörer damit das schreckliche Ereignis des Terrorangriffs auf die USA verbinden. Gleichzeitig ist mit diesem Datum der ganze Kontext des modernen islamistischen Terrors und seiner weltweiten Bedrohung angesprochen. Es reicht, das Datum des 11.September zu benennen und ein ganzer Kosmos von Erfahrungen steht im Raum.

Ähnlich ist es mit dem 20. Januar für unsere Schönstattfamilie. Dieses Datum oder auch die Daten des 18. Oktobers und des 31. Mai stehen wie Chiffren für eine ganze Welt von Erfahrungen und Zusammenhängen in der Geschichte unserer Bewegung. Was uns heute Abend zusammenführt ist die Entscheidung und Lebensfülle, die sich mit dem 20. Januar 1942 im Leben unseres Vaters und unserer Schönstattfamilie verbindet. Noch ein Tag zuvor war der 20. Januar ein Tag wie jeder andere im Kalender und im Ablauf eines Jahres. Noch war völlig offen, ob es je einen 20. Januar mit dieser Entscheidung und Bedeutung geben würde, wie wir ihn heute kennen.

Unser Vater und Gründer war damals in der Haft der Gestapo, in der Karmeliterstraße von Koblenz. Die vierwöchige Dunkelhaft im Kellerverlies des Gefängnisses hatte er heil überstanden. Jetzt war die Gefahr im Raum, dass er verlegt würde in das KZ Dachau. Bei einem Verhör am 13. Januar hatte die Gestapo bereits damit gedroht. Am 16. Januar wurde er nach flüchtiger Untersuchung für lagerfähig geschrieben. Das bedeutete höchste Gefahr für ihn und die ganze Bewegung. In Schönstatt war man der Überzeugung, dass man alles tun müsse, um ihn davor zu bewahren. Es gelang, einen Arzt zu gewinnen, Herrn Pater nochmals zu untersuchen und ihn auf Grund seines Lungenleidens als lagerunfähig einzustufen. Ein Formblatt für den Antrag lag bereits auf dem Tisch seiner Zelle. Das schien der beste Weg zu sein. Und es wäre moralisch durchaus gerechtfertig gewesen, so zu handeln. Doch unser Vater will Bedenkzeit. Er ist mit der Frage noch nicht so schnell am Ende. Er ringt, er sucht den Willen Gottes.

Was bewegt diesen Mann in diesen Tagen wirklich? Was geht in seinem Herzen vor, wo sieht er Zeichen, die ihn den Willen Gottes anders verstehen und deuten lassen?

Am 19. Januar hatte unser Vater aus dem Gefängnis an P. Menningen den doch erstaunlichen Satz geschrieben: "Kannst Du Dir vorstellen, dass es mir gar nicht so ‚recht‘ wäre, wenn ich nicht ins Lager käme?" Ihm geht es nicht zuerst darum, seine eigene Haut zu retten und sich in Sicherheit zu bringen. In dieser gefährlichen Situation denkt er an eine ganze Reihe aus der Gemeinschaft, denen er im KZ Dachau nahe sein könnte. "Dort warten viele Bekannte", fügt er an. Freilich auch in Schönstatt gab es viele, die auf ihn warteten und manche, die ihn bestimmt lieber hier am Turmfenster gesehen hätten, als ihn im lebensbedrohenden Dachau zu wissen und um sein Leben fürchten zu müssen.

Was lässt diesen Mann im Ernst vermuten und bedenken, dass Gott von ihm wollen könnte, die angebotene Untersuchung auszuschlagen und den Weg nach Dachau anzutreten? Er weiß, dass er nicht einer Ungeschicklichkeit wegen in Haft ist. Es ist ihm klar, dass man ihn im Blick auf sein Werk verhaftet und aus dem Verkehr gezogen hat. Er sitzt als der Gründer in Haft und nicht als Privatmann. Ohne diesen Gedanken werden wir sein Fragen und Suchen nicht verstehen. Deshalb gilt es, genauer darauf zu schauen, wo er damals mit seiner Gründung steht und welchen Prozess des Wachstums seine geistliche Familie gerade durchmacht.

Das Streben der Bewegung und besonders der inneren Kreise ist seit dem Jahr 1939 ganz auf Blankovollmacht und seit 1941 stark auf Inscriptio ausgerichtet. Mit diesem Streben nach einer völligen Bereitschaft für Gottes Führung reagiert unser Vater und Gründer auf die zunehmende Herausforderung der Kirche und kirchlicher Kreise durch den Nationalsozialismus. Nur eine radikale Verankerung in Gott und Gottes Wille kann immun machen gegen die Gefährdung durch ein mehr und mehr kirchenfeindlich agierendes Regime. Es ist für ihn ein Streben, das ganz Gottes Wunsch und Willen entspricht, wie er ihn aus der Zeit abgelesen hat. Und er darf beobachten, dass dieses Bemühen in den Seelen seiner Bewegung Echo gefunden hat. Es ist eine Zeit, wo viele sich entzünden lassen zu einem geistlichen Ringen in diesem Sinn und zu Weihen, die Blankovollmacht und Inscriptio in die Hände der Gottesmutter legen. Es gibt dafür unzählige Zeugnisse von ganzen Kursen und nicht zuletzt von Karl Leisner und seiner Gruppe.

Die Zeit der Gefangenschaft ist für Josef Kentenich eine Antwort, ein Ernstgenommen werden von Seiten des Himmels. Und er will, dass man in dieser Lage nicht beginnt zurückzurudern. In einem der ersten Briefe aus dem Gefängnis in Koblenz nach Abschluss der Bunkerhaft lesen wir: "Wir wollen nicht zu jenen gehören, die im Gebete zwar von der vollen Hingabe viel zu sagen wissen, die aber alle Pferde der Welt zusammenholen, um den Wagen wieder zurückzubringen, wenn Gott anfängt, unser Gebet ernst zu nehmen, und mit uns tut, was er will." Und was er von Paulus schreibt, entspricht offensichtlich auch seinem eigenen Denken: "Paulus hält es für selbstverständlich, dass wir als Glieder Christi ihm auch in seinem Leiden gleichgeschaltet werden und dass das Leid nicht nur Zusammenbruch der menschlichen, sondern auch und vor allem Aufbruch der göttlichen Kräfte und dadurch reiche Fruchtbarkeit unseres Lebens und Wirkens bedeutet."

Solchen Aufbruch göttlicher Kräfte hat unser Vater in der Zeit der Gefangenschaft erfahren und unter den Seinen beobachtet. So deutet er die Kraft, die ihm in der Dunkelhaft zugeflossen ist. So darf er werten, was ihm wie ein Licht aufgeht, wenn er in den folgenden Wochen der Gefangenschaft die Sponsa-Gedanken niederschreibt. Ich habe den Eindruck, dass er manches mal selber darüber staunt, wie ihm die Gedanken zuströmen und die Seiten füllen, die er den Seinen schreibt.

Vor allem sieht er, dass seine Gefangenschaft in seiner Gefolgschaft Leben weckt und neue Kräfte wach werden lässt. Gegen Ende Dezember finden wir Hinweise in seinen Briefen wie z.B. "Bisher hat meine Abwesenheit nur überall Segen gebracht" oder: "Was meine Nähe nicht erreicht hat, schenkt die Ferne in reichem Maße." Da werden für ihn Gottes Fruchtbarkeit und Gottes Möglichkeiten erfahrbar. Für ihn ist es eine Frucht des Strebens nach Ganzhingabe im Sinne von Blankovollmacht und Inscriptio. Er spricht von den "großen Gesetzen des Reiches Gottes", die in der Familie erfahrbar werden. Das alles ist ihm viel wichtiger als die eigene Freiheit.

Auf dem Hintergrund dieser Erfahrungen eines neuen Lebensaufbruches dürfen wir die Frage an P. Menningen vom 19. Januar noch einmal hören: "Kannst Du Dir vorstellen, dass es mir gar nicht so ‚recht‘ wäre, wenn ich nicht ins Lager käme?" Darauf antwortet der Vater am Morgen des 20. Januar mit dem uns vertrauten Wort: "Eben während der heiligen Wandlung kommt mir die Antwort auf die gestern offen gelassene Frage. Unsere Priester sollen ernst machen mit Inscriptio und Bl. V., besonders einige von den Alten. Dann werde ich wieder frei. Die Antwort verstehe bitte aus dem Glauben an die Realität der Übernatur und die Schicksalsverwobenheit der Glieder unserer Familie."

Er ahnt, dass er mit seiner Entscheidung seiner Gefolgschaft viel zumutet. Er bittet, seine Entscheidung zu verstehen und will dabei helfen. Er sieht die Anstrengung der Seinen, die alles versuchen, ihn vor dem Transport nach Dachau zu bewahren. Er weiß, dass sie es gut meinen, wenn sie ihn bewegen wollen, in die Untersuchung einzuwilligen. Doch in ihm ist eine große Klarheit gewachsen, dass Gott es gerade so will. "Hier stehe ich... und kann nicht anders..." schreibt er im zweiten Brief des 20. Januar. Er setzt ganz auf die Realität der Übernatur, auf die Wirklichkeit des Liebesbündnisses. Er verlässt sich auf die nur in der Sicht des Glaubens gewisse Schicksalsverwobenheit der Glieder der Familie. Gerade so aber reißt er seine Familie hinein in ein Christsein, das sich ganz auf den Boden des Glaubens stellt, das die Botschaft des Glaubens als Realität ergreift und lebt. Wie aktuell und notwendig ist es, auch heute so zu glauben.

Wir schauen jetzt im Rückblick auf diesen Tag, da die Entscheidung fiel. Wir haben uns bemüht, die Basis zu verstehen, auf der er sie gefällt hat. Wir entdecken die tiefste Motivation, aus der heraus er anders handelte, als es menschlich zu erwarten gewesen wäre. Vielleicht ist uns auch noch einmal deutlich geworden, wie groß das Wagnis war, das unser Vater an diesem Datum auf sich nahm. Später sprach er darüber z. B. so: "Es waren ein paar furchtbar schwere Tage. Ich habe innerlich gekämpft und gebetet. Gern wollte ich für die Familie alles tun und alles opfern: Freiheit, Ehre, Leben, wenn nur dafür die innere Freiheit der Familie, der Idealismus der Liebe und des Strebens für alle Zeiten gesichert wäre. Was wollte Gott? Ich hatte keine Vision, keinen Traum, auch keine besondere Erleuchtung. Es blieb mir in dem einsamen Kampf nur der schlichte Vorsehungsglaube."

So möchte ich Sie einladen, dass wir in dieser Stunde der "Mutter der Vorsehung" danken. Sie hat unseren Vater geführt und begleitet in allen seinen Schritten. Ihr hat er bis an sein Lebensende gedankt für die Fruchtbarkeit, die Gott mit seiner Entscheidung vom 20. Januar verbunden hat. Von ihr hat er gelernt, sich ganz auf die Realität der Übernatur zu verlassen und in ihrer Schule hat er eine Familie gebaut, die sich ganz aus der Schicksalsverwobenheit untereinander und ihm gegenüber versteht. Seine Entscheidung hat die Schönstattbewegung zu einer Familie werden lassen, die in einer unlöslichen Solidarität mit ihrem Vater lebt. Das ist ein Geschenk, das wir nie verlieren dürfen und das wir am heutigen Tag der ganzen Familie neu erbitten wollen.


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Last Update: 24.01.2006 Mail: Editor /Webmaster
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