Zum Weiterdenken - Considerations - Para reflexionar
 published: 2005-06-17

Zweifelnd glauben

Impulse zum Schriftwort: "Ich glaube Herr - hilf meinem Unglauben" von Pater Elmar Busse

 
 

Fotos: © 2005

Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einem ca. 40jährigen Mann. Sein Vater war gestorben, als er 16 war. Und seitdem hat sein Glaube einen Knacks. So drückte er sich aus.

Eine Mutter, die eines ihrer Kinder beim Verkehrsunfall verloren hatte, offenbarte mir: Das ist das Schreckliche: Bisher glaubte ich immer, meine Kinder stehen unter einem besonderen Schutz, weil ich sie täglich Gott und der Gottesmutter anempfehle. Doch nun hat er mir eines genommen. Ich habe Angst vor ihm. Was kommt noch alles auf mich zu?

Eine Frau – so um die 50 – hat ihren jüngeren Bruder durch Krebs verloren. Er war der, der zu Hause bei den alten Eltern lebte und sich um sie kümmerte. Nun kommt sie nicht darüber hinweg und zweifelt an Gottes Liebe.

3 Schicksale, mit denen ich in letzter Zeit konfrontiert worden bin. Und alle drei Christen gehören nicht zu der Sorte von Getauften,

  • die leichtfertig ihren Glauben über Bord geworfen haben, weil er einfach lästig ist. Solche gibt es auch, denen der Glaube abhanden kommt, und sie merken gar nicht, dass ihnen etwas fehlt.
  • Oder sie distanzieren sich vom Glauben, weil sie ihn für etwas Überholtes, ewig Gestriges halten.
  • Oder sie haben nie richtig hineingefunden in den Glauben, sondern nur ein paar äußerliche Rituale in ihrer Kindheit mit vollzogen und dann in der Jugend über Bord geworfen, wie man das mit Kinderkleidung macht, aus der man rausgewachsen ist.

Die drei Menschen, von denen ich Ihnen eben erzählte, wollen glauben. Das ist der große Unterschied zu den gerade skizzierten Entwicklungen zum Unglauben. Aber dieser Wille stößt auf ein Hindernis. Und dieses Hindernis ist das Leid, mit denen sich diese Menschen abplagen. Es ist auf den ersten Blick unvereinbar mit der Aussage, dass Gott die Liebe ist. "Das kannst Du doch nicht zulassen, wenn Du allmächtig bist!"

"Das kannst Du doch nicht zulassen, wenn Du die Liebe bist!"

Und so hat sich der Zweifel entweder an der Allmacht oder an der Liebe oder an beidem im Herzen und im Hirn eingenistet. Wie gut können Menschen in einer solchen Situation den leidenden Vater verstehen, der Jesus bittet:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

In diesem verzweifelten Schrei des Vaters steckt aber auch der verborgene Schlüssel zur Bearbeitung und Verarbeitung dieser innerseelischen Barriere. Er bleibt nicht einfach bei der Analyse seiner Seele stehen. Er drückt nicht nur den Mangel seines Glaubens aus. Er umfängt seine seelische Wirklichkeit noch einmal mit einem Akt der Sehnsucht: Hilf meinem Unglauben! Damit wird der Unglaube noch einmal als Not umschrieben, aus der der Vater allein nicht herausfindet. Und er ist so demütig, das auch öffentlich anzuerkennen.

Das ist nicht selbstverständlich. Vor kurzem bat mich eine Frau, doch mal mit ihrem Mann zu sprechen. Er hatte eine Reihe beruflicher Misserfolge erlitten und war nun mit seinem Selbstbewusstsein total am Ende. Als selbständiger Unternehmer war er aber darauf angewiesen, Initiative zu entwickeln, damit nicht alles den Bach runterlief. Doch mein Telefonat mit ihm war nur kurz: "Da muss ich allein mit fertig werden." – war seine schroffe Antwort. Er konnte oder wollte keine Hilfe in Anspruch nehmen. Er war von Kindheit an ein Einzelkämpfer gewesen, hatte wenig Unterstützung von seinen Eltern bekommen, die sich auch sehr schwer taten, einander ihre Seelen zu öffnen. So wuchsen alle Kinder im Klima einer gewissen Distanziertheit auf, ohne zu erleben, wie befreiend ein ehrlicher Austausch sein kann, der in einem Klima des emporbildenden Verstehens geführt wird. Er glaubte nicht, dass solche Gespräche etwas bringen. So musste ich meine Ohnmacht als Seelsorger anerkennen und ihn in Ruhe lassen. Ich kann nur aus der Ferne für ihn beten, dass ein seelisches Wandlungswunder passiert und er sich öffnen lernt.

Nicht immer ist es so extrem, aber die Tendenz ist doch erschreckend hoch. Menschen kapseln sich in der Not in sich ein und machen sich das Leben noch schwerer als es ohnehin schon ist.

In Gabun gibt es das Sprichwort:

Der Mensch ist keine Kokosnuss – er ist nicht rundherum abgekapselt.

Es wäre schön, wenn diese Wahrheit über den Menschen so tief in jedem Menschenherzen verankert wäre, dass auch dann, wenn ein Mensch im Gefängnis seines eigenen Schmerzes sitzt, er an die Existenz von Türen glaubt, die sich nur von innen öffnen lassen, aber die sich öffnen lassen. Sie sind nicht verschlossen. Nur in der Hölle hat diese Ich-Verschlossenheit absoluten Charakter.

Nun ist es ja so, dass Schicksalsschläge den Menschen ein Übermaß an Leid zumuten. Das geht weit über die alltäglichen Sorgen und Nöte, über den alltäglichen stress und Ärger hinaus. Und weil man selber so überrascht ist, wie die Seele auf diese Extremsituation auch extrem reagiert, kann man sich nicht vorstellen, dass ein Anderer einen verstehen kann. Alle Tröstungs- und Ermutigungsversuche von Anderen prallen ab, weil man sich nicht genügend ernst genommen erlebt in der Tiefe seines Schmerzes. Es ist das Erfolgsgeheimnis von Selbsthilfegruppen, dass Menschen zueinander finden, die ein ähnliches oder gleiches Problem zu bewältigen haben. Keiner kann dem Anderen absprechen, dass er nicht wüsste, wovon man redet, denn alle haben ja das gleiche Problem. Und so kann der, der als erster aus dem Kreislauf des Selbstmitleids und der Verzweiflung ausgebrochen ist, für die Anderen zum Pfadfinder werden. Ihm "müssen" die Anderen glauben, dass es einen Weg aus dem Dunkel ins Licht gibt, weil er ja glaubwürdig vermitteln konnte, dass er auch in diesem Dunkel war.

Da ich den Gründer Schönstatts, Pater Kentenich, nie persönlich kennen gelernt hatte, konnte ich mir anhand seiner Schriften nie erklären, warum er ein so erfolgreicher und fruchtbarer Seelsorger war. Er selber hat in seinen späten Lebensjahren das Geheimnis gelüftet: Seine Glaubenskrisen während seiner Studienjahre haben ihn die Nöte des modernen Menschen selber durchleiden und durchleben lassen. Deshalb konnte er sich so gut einfühlen. Weil er also selber den Weg aus dem Dunkel ins Licht gefunden hatte, konnte er für Andere zum Pfadfinder werden. In einer Tagung für Seelsorger 1931 sprach er von der Kunst des erleuchteten Aufschließens der Seele, über die Kunst des weckenden und befreienden Zuhörens, von der Kunst, das Gute heraus zu hören. Ein kurzes Originalzitat:

"Es ist etwas überaus Geheimnisvolles, dass Menschen Menschen überhaupt verstehen können, dass sich Menschen an Menschen in edler Weise binden können, dass Menschen innerseelische Strömungen hinüberfließen lassen können in andere Menschen und wie ein Mensch unbewusst andere Menschen erwärmen kann." ("Ethos und Ideal in der Erziehung", S.290)

Was hat diese Wirklichkeitsbeschreibung nun mit unserem Thema zu tun? Wenn der Zweifel – ausgelöst durch großes Leid – zur Barriere für den Glauben wird, und wenn die Wurzel des Zweifels die Ichverschließung und Ichabkapselung ist, dann muss ich das Problem an dieser Wurzel anpacken. Es bringt also nicht viel, über Gott und seine Unbegreiflichkeit mit den Leidenden zu philosophieren. Die Unfruchtbarkeit solcher Gespräche wird uns im Buch Ijob sehr deutlich vor Augen gestellt. Wenn es mir als geistlichen Begleiter gelingt, in aller Ehrfurcht und Einfühlung den Menschen wieder aufzuschließen, dann kann er wieder Beziehungen pflegen. Damit ist auch sein Instrumentarium wieder intakt, um mit Gott in Beziehung zu kommen.

Was oft als Unglaube beschrieben wird, ist ja nicht die theoretische Bezweiflung seiner Existenz, sondern die Unfähigkeit, mit dem Herzen darauf zu reagieren, dass es diesen Gott gibt, und dass er mit mir eine Liebesgeschichte leben will.

Ich scheue mich, da irgendwelche Prognosen zu geben. Es gibt Trauernde, die nach 6 bis 8 Wochen wieder zurückgefunden haben ins Leben und in den Glauben. Es gibt Jugendliche, die brauchten 2 bis 3 Jahre, um sich wirklich zu öffnen. Ich kenne Rentnerinnen, die immer tiefer in das Misstrauen reingerutscht sind und erst nach Jahrzehnten in geduldiger Kleinarbeit die Widerstandsnester des Misstrauens, der Bitterkeit und des Grolls aus ihrer Seele herausgewaschen haben und dann auch wieder an einen liebenden Gott glauben konnten.

Das ist also die eine Seite des Zweifels und seiner Überwindung: Ich suche Menschen, gegenüber denen ich mich öffnen kann und finde heraus aus meiner Ich-Verschließung und Ich-Verkapselung. Ein Problem, das sich zunächst als Problem zwischen mir uns Gott darstellt, wird als innerseelisches Problem der Beziehungsunfähigkeit erkannt und auf der zwischenmenschlichen Ebene behandelt und gelöst. Dann ergibt sich der Glaube, also die lebendige Beziehung zwischen mir uns Gott fast wie von selbst.

Trotzdem gibt es auch die andere Seite: An was für einen Gott glaube ich? Welche Gottesbilder spuken in der Seele und im Kopf herum und machen mir das Glaubenkönnen schwer?

Auch da möchte ich wieder auf eine Erfahrung zurückgreifen, die Pater Kentenich als Häftling im KZ Dachau gemacht hat. Das KZ war ja ein Ort, an dem viele Menschen den Glauben verloren haben. Und auch danach hat die Konfrontation mit dieser Grausamkeit, diesem Leid, diesem Unrecht, dieser Unmenschlichkeit dazu geführt, dass Menschen nicht mehr an einen Gott glauben konnten, der "alles so herrlich regieret" (Gotteslob, 258/2)

Eine letzte Bastion des Positiven

Halten wir zunächst einmal fest: Wenn ich in einer solchen Situation den Glauben an Gott ablege, dann ändert sich aber an der zu bewältigen Situation zunächst erst einmal gar nichts. Sie bleibt auch danach gleich schwer zu bewältigen. Vielleicht schafft das trotzige Sich-Abwenden von Gott momentan eine gewisse Befriedigung, so wie ein kleines Kind schon einmal schimpft, "Böse Mama!", wenn die Mama ihm die Fingernägel schneidet. Also egal ob jetzt mit Gott oder ohne ihn – wie gelingt es mir, in der Situation nicht zu zerbrechen oder total zu resignieren, sich also aufzugeben? Es muss im Herzen eine letzte Bastion des Positiven und des Menschlichen bleiben, in die ich mich zurückziehen kann, wenn das Unrecht um mich herum himmelhoch gewachsen ist.

Pater Kentenich entwickelt im KZ Dachau das Bild von Gottes gütigen Vaterhänden in einem eisernen Handschuh. Der eiserne Handschuh ist die tatsächlich beobachtete raue, grausame Wirklichkeit. Aber dahinter oder darinnen glaubt er an die gütige Vaterhand. Glaubenkönnen wird hier also nicht reduziert auf die reine Reaktion auf eine wohltuende Wirklichkeit, sondern Glaube wächst hinein in eine Entscheidung: Ich will glauben. Ich will glauben an einen guten, liebenden Gott, auch wenn die beobachtete Wirklichkeit dem widerspricht. Ich glaube hinein ins Dunkel. Ich ergreife bewusst Partei für Gott. Ich pflege also eine positive Voreingestelltheit ihm gegenüber, die nichts mehr mit objektiv distanzierter Wirklichkeitsinterpretation zu tun hat. In der geistlichen Begleitung fällt mir auf, dass Christen, die über einen längeren Zeitraum täglich bewusst die schönen Erlebnisse eines Tages noch einmal in dankbarer Erinnerung mit Gott in Verbindung gebracht haben, dass diese Christen sich leichter tun, ins Dunkel hinein zu glauben. Denn die schönen Erlebnisse waren ja genau so wirklich wie jetzt die schweren. Es kommt nur darauf an, sich daran zu erinnern. Wir tun also gut daran, in der Tiefe unseres Herzens die schönen Erlebnisse zu speichern und sie als Geschenke aus Gottes Liebe in Empfang zu nehmen und als solche zu bewahren. Das schützt uns zwar nicht davor, dass Schweres uns zunächst aus der Bahn werfen kann, aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns schneller wieder fangen, wächst.

Durchbruch zum Ja

Erst an diesem Punkt unserer Meditation wage ich einen Punkt anzusprechen, der bei den meisten den entscheidenden Durchbruch zum Ja zu Wirklichkeit bewirkt: Das ist die Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge. Wir glauben daran, dass seit Christi Kreuzestod Leid einen Sinn bekommt, wenn wir uns mit ihm verbinden und dem Vater unser Leid aufopfern für das heil der Welt. Warum das so ist, ja, warum das so sein muss, bleibt weiterhin in Gottes unerforschlichem Ratschluss verborgen. Aber dass es so ist, kann uns helfen, diesen Weg der Leidbewältigung zu wählen und erfolgreich zu gehen. Franz von Sales hat diese gläubige Interpretation von Kreuz und Leid in einem seiner Seelsorgsbriefe so beschrieben.

"Wenn alle Engel, alle Genies der Welt studiert hätten, was wohl in dieser oder jener Lage nütze, dieses Opfer oder jenes Leiden, diese Versuchung oder jener schmerzhafte Verlust, also was das alles nützen sollte, sie hätten nicht finden können, was für Dich passender gewesen wäre, als was Dich getroffen hat.

So hat es Gottes ewige Weisheit von Urbeginn an gesonnen, um Dir dieses Kreuz aus seinem Herzen als kostbarstes Geschenk zu geben. Er hat es, ehe er es Dir schickte, mit seinem allwissenden Auge betrachtet, mit seinem göttlichen Verstande durchdacht, mit seiner weisen Gerechtigkeit geprüft und mit seinem liebenden Erbarmen durchwärmt. Er hat es mit seinen beiden Händen gewogen, ob es nicht um einen Millimeter zu groß oder ein Milligramm zu schwer sei. Dann hat er es gesegnet, mit seinem heiligen Namen, mit seiner Gnade gesalbt und mit seinem Troste durchhaucht und noch einmal auf Dich und Deinen Mut geblickt, ob beides - Kreuzesschwere und der eigene Mut - wirklich sich harmonisieren lassen.

So kommt es nun gerade aus dem Himmel zu Dir als ein Ruf Gottes und als ein Geschenk seiner erbarmenden Liebe, damit Du ganz Du selber werdest und in Gott Deine Erfüllung findest."

Ein anspruchsvoller Text. Ein Text, der oftmals auf spontane Ablehnung stößt, aber je mehr sich Leidgeprüfte auf diesen Text einlassen, desto mehr wird er zum Schlüssel der Leidbewältigung.

Liebe Hörerinnen, liebe Hörer

Zweifelnd glauben – wenn wir den Glauben begreifen als etwas höchst Lebendiges, wenn er mehr ist als das Für-wahr-halten von bestimmten Glaubensaussagen, dann müssen wir einfach damit rechnen, dass es in der Frage der Glaubenssicherheit ein Auf und Ab gibt. Dann sind Zweifel nicht etwas, dass es in dem System nicht geben darf, sondern dann gehören sie zu jeder Liebesgeschichte Gottes mit uns Menschen dazu. Gott spielt mit uns zeitlebens ein Such- und-Find-Spiel, weil er weiß, dass Finden seliger macht als Haben. Wenn die Zweifel überwunden sind, dann schenkt er uns seine Nähe auf innigere Weise als vorher. Ijob konnte nach seinem langen Ringen sagen: Bisher kannte ich Gott nur vom Hörensagen. Jetzt aber bin ich ihm begegnet. (Ijob 42,5) Das Wissen um die Möglichkeit des Zweifels macht uns vorsichtiger im Umgang mit Suchenden und solchen, die den Glauben verloren haben. Glaube ist nicht machbar. Er ist und bleibt ein Geschenk. Deshalb dürfen wir mit dem Vater des kranken und besessenen Jungen immer wieder bitten: Ich glaube Herr, hilf meinem Unglauben!



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