"Ich möchte mich verabschieden von meinem Vater!"Rom weint um den Papst ... und erwartet das größte Ereignis seiner Geschichte mit über vier Millionen Pilgern |
ROM, P. Alberto Eronti. Nachdem ich neun Tage lang nicht in Rom gewesen war, war es ein Bedürfnis, wieder durch die Straßen zu gehen, die Leute zu hören, auf dem Petersplatz zu sein, diese außergewöhnlichen Tage sprechen zu lassen. Schon in Roma Termini (inzwischen Estazione Giovanni Paolo II) wird die Veränderung deutlich: mehr Sicherheitskräfte, Erste-Hilfe-Stellen, Krankenwagen, Feuerwehrleute, die Busse der Linien 40 und 64 (Termini – Vatikan) in langen Reihen hintereinander, voll mit Pilgern. Die Hauptstraßen sind praktisch frei von Autos. Die Wahlplakate der Wahl vom letzten Wochenende sind überklebt von Plakaten mit dem Bild Johannes Paul II., auf denen man Sätze lesen kann wie: "Danke! Rom weint und grüßt seinen Papst", "Ein guter Mensch", "Ehre dem Friedenspapst"... Rom, Dienstag, 5. April, nachmittags. Am Tiber wird der Verkehr umgeleitet. Polizei, Zivilschutz und Freiwillige ordnen und dirigieren den nicht aufhörenden Strom von Menschen. Krankenwagen und Erste-Hilfe-Posten, Trinkwasserverteilung, alles klappt Reibungslos. Am Beginn der Via della Conciliazione, beim Tiber, ist das mobile Medienzentrum. Ein wahrer Antennenwald, Dutzende von Übertragungseinheiten und hochmoderne Technik erlaubt den Journalisten aus aller Welt, die Bilder von hier überall zu verbreiten. Man sieht Leute jeden Alters und jeder sozialen Schicht; aber vor allem Jugendliche. Ganz Italien, ganz Europa scheint unterwegs zu sein. Die Schlange derer, die anstehen, um den Papst zu sehen, ist etwa 20 bis 25 Personen breit und reicht bis zum Fluss, gut einen Kilometer lang... Es braucht von dort etwa fünf bis sieben Stunden, um ein paar Sekunden lang beim Papst zu stehen, aber das alles nimmt man in Kauf, um den geliebten Vater zu verabschieden. Er hat gezeigt, dass eine andere Welt möglich istAuf der Via della Conciliazione stehen große Bildschirme, auf denen Telepace Bilder aus dem Innern des Petersdoms überträgt. Man hört Kirchenmusik und Texte aus der Schrift, Meditationen und Betrachtungen, es wird vor allem der Rosenkranz gebetet. Es ist kein Lärm, alles spielt sich ab in einer seltenen Ernsthaftigkeit und Gelassenheit. Ist man einen Moment lang aufmerksam, nimmt man die verschiedensten Sprachen wahr, sieht die Vielfalt der Rassen und Trachten und stellt sich vor, wie schön eine geeinte Welt voller Frieden sein könnte. Und das alles hat ein einziger Mensch bewegt. Ein Mensch mit einer spirituellen Größe, ein leidenschaftlicher Anhänger Christi, der Kirche und des Menschen. Ein Ordensmann, der eine Gruppe französischer Pilger begleitet, sagt ihnen über den Papst: "Er hat an Gott geglaubt und deshalb an das Beste im Menschen geglaubt und an seine Würde. Er hat den Menschen gekündet, dass Gott sie in Christus liebt, ohne Unterschied von Rasse, Religion oder Kultur. Um das zu künden, hat er die fünf Kontinente bereist und die Liebe Gottes gepredigt, und er hat gezeigt, dass eine andere Welt möglich ist..." In den Armen von MariaRom, 21,00 Uhr. Die Stadt ist hell erleuchtet, wie immer. Es sind viele Menschen unterwegs in den Straßen, die Busse fahren übervoll ins historische Zentrum der Stadt. Es ist kühl geworden. Auf dem Weg zum Vatikan sieht man die lange Schlange, die etwas schneller als am Nachmittag vorrückt; der Petersdom wird zwischen 2.00 Uhr und 5.00 Uhr in der Frühe geschlossen. Man sieht Gruppen von Jugendlichen, die sich darauf vorbereiten, die Nacht im Freien zu verbringen, um die ersten zu sein, wenn sich die Türen am Morgen wieder öffnen. Pater Ludovico Tedeschi, Pater Ferando Baeza und ich wurden von ein paar treuen Freunden eingeladen, beim Papst zu beten. Wir kommen durch alle Kontrollen und gelangen durch einen Seiteneingang in den Petersdom. Die Stille, die Konzentration, die Gebetsatmosphäre: unbeschreiblich. Wir können weit vorgehen und den Papst aus der Nähe sehen. Er ist so klein, so ruhig. In Albe und rotes Messgewand gehüllt, ruht der Hirtenstab in seinem linken Arm. Die Lederschuhe anstelle der üblichen roten Pantoffeln erregen Aufmerksamkeit. Ein Pilger, bereit zum Aufbruch. Ich kann nicht anders als an die Pietá von Michelangelo denken, die am rechten Eingang des Petersdomes steht. Ich stelle mir den Papst vor in den Armen der Gottesmutter, geborgen in ihr, der er "ganz zu eigen" sein wollte. Gibt es einen schöneren Ort als den Schoß der Mutter, und das ist Maria, in wunderbarer Weise. Kardinäle, Bischöfe, Botschafter, Ordensleute und Laien betend um Johannes Paul II. versammeltAuf beiden Seiten des aufgebahrten Leichnams sieht man Kranke in Rollstühlen; sie hatten immer einen besonderen Platz im Herzen des Papstes und dürfen nun in seiner Nähe beten. Ich konzentriere mich, verbinde mich im Geist mit Johannes Paul II., ich kann nicht für ihn bitten, sondern bete mit ihm. Ich nehme alle mit, die in diesem Moment gern hier gewesen wären um zu beten, um Gott zu danken, der Großes getan hat an diesem außergewöhnlichen Menschen. Nach einer Viertelstunde schaue ich mich um. Nahe beim Papst beten einige Kardinäle, ich erkenne Kardinal Dionigui Tettamanzi, den Erzbischof von Mailand; dabei Bischöfe und Priester der Kurie und des Vikariats von Rom, Botschafter, Ordensleute, Laien. Erzbischof Stanislaw Dziwisz, der über dreißig Jahre lang Privatsekretär des Papstes war, kümmert sich mit feiner Aufmerksamkeit um alle, die kommen. Ich gehe auf ihn zu, begrüße ihn und danke ihm für alles, was er im Dienst des Papstes getan hat, und damit für die Kirche. Er umarmt mich, möchte etwas sagen, kann aber nicht sprechen und drückt mir nur stumm den Arm, dann geht er. Rom erlebt etwas nie Dagewesenes, niemals zuvor waren so viele Menschen hier, und es sollen noch mehr werden. Die "ewige Stadt" hat verstanden, dass der Lauf der Ereignisse sie zur Hauptstadt der Welt gemacht hat, und das, weil in ihr der Stuhl Petri leer ist und es bleiben wird, bis er neu besetzt wird. Recht haben diejenigen, die sich fragen, wie der neue Papst die Herzen der Menschen gewinnen kann. Das wird sicher ein Wirken des Gottesgeistes sein müssen, und auf der natürlichen Ebene wird es gelten, nicht zu vergleichen. Ist das möglich? Während wir in Schmerz und Hoffnung trauern, bitten wir die Mutter der Kirche, uns zu bergen wie Johannes, als Lieblingsjünger in dieser Gnadenzeit. Sie warten 13 Stunden, um den Papst zu sehenRom, Donnerstag, 7. April. Gestern war ein intensiver Tag, unmöglich, sich vorzustellen, wenn man es nicht selbst gesehen und gehört hat; was die Medien zeigen, hat etwas Irreales und fordert zu Fragen heraus: Wie ist das möglich? Wie kann man eine solche Liebe zu einem Menschen erklären? Rom steht am Rand des Kollapses, und wäre nicht die Standfestigkeit und der Realismus des Leiters des Zivilschutzes, hätten wir wohl das totale Chaos erlebt in der "ewigen Stadt", die unversehens zur Welthauptstadt geworden ist. Gestern Abend wurden die Schlangen am Ende abgesperrt, keiner mehr durchgelassen, der noch den Papst sehen wollte. Diese Entscheidung hat die Umgebung des Vatikan "gerettet". Tausende von Pilgern, die zu spät gekommen sind, können sich nur noch in der Messe am Freitagmorgen vom Papst verabschieden. Insgesamt 1.400.000 Menschen sind am aufgebahrten Papst vorbeigezogen... Mich beeindrucken die Kommentare und die Gesichter der Jugendlichen in ihrer angespannten Erwartung, den Papst zu sehen; gestern schon waren es 14 Stunden Wartezeit in der Schlange. Ich habe eine junge Journalistin gesehen, die eine Gruppe von jugendlichen Pilgern interviewte, und einen fragte: "Seit wann stehst du in der Schlange?" Der Junge schaute sie fest an und antwortete: "Ich stehe nicht in der Schlange, ich bin auf dem Weg, um den Papst zu sehen." Das ist der Unterschied, und der Junge bringt es auf den Punkt. Die Antworten der Jugendlichen, so hart das für manchen Papstkritiker kommt, stimmen überein in einem Punkt: "Ich komme, um mich von meinem Vater zu verabschieden." – "Ich bin auf die Welt gekommen, als Johannes Paul II. schon Papst war, er war ein Licht auf meinem Weg, wie sollte ich da denn nicht kommen, um ihm zu danken?" Aber nicht nur Jugendliche, auch Erwachsene und alte Menschen zeigen ihren Dank und ihre Liebe zu diesem "Gottesmann". Wie viele werden sich einmal erinnern an Hans Küng, Reyes Mate, Leonardo Boff...?Die Zeitungen bringen immer noch vereinzelte Artikel über die Schwächen und möglichen Irrtümer des Papstes Wojtyla. Von dem, was ich gelesen habe, ist das härteste Urteil von Hans Küng. Was soll ich sagen? Hätte Johannes Paul II. nie geirrt, wäre er Gott gewesen. Und das war er nicht. Aber ich erinnere mich an eine Geschichte, die hier passt. Als Johannes XXIII. starb, sagte ein Kardinal in den Medien: "Wir werden fünfzig Jahre brauchen, um in Ordnung zu bringen, was dieser Papst in fünf Jahren durcheinander gebracht hat." Was für einen Humor hat Gott und was für einen Dünkel die Menschen: von diesem Kardinal redet niemand mehr, aber Johannes XXIII ist seliggesprochen und Tausende beten an seinem Grab. Wie viele werden sich einmal erinnern an Hans Küng, Reyes Mate, Leonardo Boff...? Wie viele weinen um diese, wenn sie sterben? Es ist einfach so: eine Sache sind die Fehler, die ein Mensch begehen kann, eine andere die Fähigkeit, zu lieben und geliebt zu werden. Das ist der entscheidende Punkt. Der Papst, der die Welt verändert hatDer Journalist Marco Politi von der Zeitung "La Republicca" (linksgerichtet und sehr bekannt), hat einen für ihn typischen brillanten Artikel geschrieben zum Phänomen Johannes Paul II.; er hat mir sehr geholfen beim Nachdenken und darum erlaube ich mir auch, einige seiner Gedanken zusammen mit den meinen hier zu verwenden im Blick auf das, was Kirche und Welt in diesen Tagen erleben: Papst Johannes Paul II.
Sein Erbe in den Händen der JugendSechsundzwanzig Jahre, die das Bild des Papsttums in den Augen der Welt verändert haben. Mit ihm hat das Papsttum aufgehört, nur Bezugspunkt der Katholiken zu sein, es ist Bezugspunkt der Welt, jedes Menschen "guten Willens" geworden. Es sind die Jugendlichen, denen er sein Erbe, sein Lebensprogramm vermacht hat. "Habt keine Angst, auf die Straßen, auf die Plätze der Städte und Dörfer zu gehen. Es ist nicht die Zeit, sich des Evangeliums zu schämen. Habt keine Angst, die bequemen Formen eine bequemen Lebens zu zerbrechen. Jugendliche der Welt, enttäuscht Christus nicht, in euren Händen tragt das Kreuz, auf euren Lippen das Wort des Lebens..." Worte reichen nicht aus, alles heute Erlebte zu schildern. Ich denke an das, was der Gründer Schönstatts als "fundamentale Bedeutung der Vorbilder" bezeichnet hat. Ohne anziehende Vorbilder, haben die Jugendlichen und die Menschheit keinen Kompass. |
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