Nachrichten - News - Noticias
 published: 2005-02-22

"Das eigentliche Problem hat doch keiner angesprochen"

Anhörung zur Spätabtreibung im Deutschen Bundestag bringt keine wirklichen Ergebnisse

Los representantes de la iniciative contra el aborto tardío, en Berlin

The representatives of the initiative against late term abortion, in Berlin

Die Vertreter der Initiative gegen Spätabtreibungen, in Berlin

Foto: POS Fischer © 2005

 

DEUTSCHLAND, Volker Resing/mkf. Durch die großen Scheiben des kreisrunden Sitzungssaals blitzt der baby-blaue Bundestags-Kindergarten herein. Ein guter Hintergrund für die Experten-Anhörung im Familienausschuss des deutschen Parlaments. Doch zunächst ist der Inhalt von Formalitäten umstellt. 120 Minuten stehen zur Verfügung für das Thema Spätabtreibung, erklärt die Vorsitzende, Kerstin Griese von der SPD. Erst kriegt jeder der zehn Fachleute fünf Minuten für das Eröffnungsstatement, dann erhalten die Fraktionen streng nach ihrer Größe ein Minutenkontingent für Fragen.

Den Anfang macht Marion Brüssel und bringt fast den ganzen Betrieb durcheinander. Sie ist Hebamme, mit ihrem Urteil habe sie sich nicht leicht getan, sagt sie. "Das Dilemma ist von der Pränataldiagnostik nicht zu trennen." Und diese neuen Untersuchungsmethoden betreffen nicht ein paar wenige, sondern über 700.000 Familien. Sie fordert: PND muss raus aus der Routineuntersuchung und es braucht einen Qualitäts-Check. Dann bedankt sie sich noch für die Einladung, schließlich dürfe sie zum ersten Mal im Bundestag reden. Kerstin Griese schaut auf die Uhr. "Sie haben noch Zeit", sagt sie. Die fünf Minuten sind noch nicht um, aber Frau Brüssel will nichts mehr sagen. "Das haben wir hier nicht oft", sagt die Vorsitzende und lacht. "Vielleicht liegt es daran, dass sie aus der Praxis kommen." Dann kommt der nächste an die Reihe.

"Kinder werden abgetrieben, nur weil sie behindert sind"

Die Anhörung läuft mechanisch ab, in das Schema könnte jedes Thema eingepasst werden. Das irritiert vielleicht einige der vielen Besucher an diesem Nachmittag. Die Tribüne über dem Tischrund ist voll besetzt. Im Sitzungssaal selbst haben sich einige Gäste die überzähligen Stühle der Abgeordneten an den Rand geschoben, um noch einen Platz zu haben. Nach der Anhörung sagt eine Zuhörerin verärgert: "Das eigentliche Problem hat doch keiner angesprochen." Das eigentliche Problem? "Kinder werden abgetrieben, nur weil sie behindert sind."

Doch für Grundsatzreden gibt es in den Fachausschüsse keine Zeit. Um die "eigentlichen" Dinge geht es in der Politik oft nicht, sondern ums ganz Konkrete. Soll die Beratung verpflichtend sein oder nicht? Soll eine Bedenkzeit von drei Tagen eingeführt werden? Lässt sich durch eine Änderung im Arzthaftungsrecht etwas bewirken?

Eine wichtige Stimme aus dem katholischen Bereich fehlte bei der Anhörung. Dr. Walter Bayerlein, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, war im Schnee stecken geblieben. In seiner schriftlichen Stellungnahme fordert er den Gesetzgeber zum Handeln auf: Ein Kind darf nicht als Schaden angesehen werden und deswegen darf nach der Geburt eines behinderten Kindes keine Möglichkeit bestehen, den Arzt auf Unterhalt oder Schmerzensgeld zu verklagen. Dazu muss, laut Bayerlein, das Zivilrecht geändert werden, nicht aber der umstrittene Strafrechtsparagraf 218. Sein Beitrag wird übers Protokoll nachgereicht, sagt Frau Griese.

"Ich glaube auch, dass nur das Volk hier etwas in Gang setzen kann. Wundern wir uns noch über irgendeine Entwicklung in unserem Land, wenn das Befassen mit einem Thema, in dem es um Leben oder Tod der kleinsten Menschen unserer Gesellschaft geht, im Minutentakt abgewickelt wird?", fragt Ulrike Eichenberg von Lichtzeichen e.V. "Wo bleibt der Aufschrei einer ganzen Nation? Ich hatte mir gewünscht, diese Anhörung miterleben zu können und jetzt packt mich schon beim Lesen des Berichtes darüber das blanke Entsetzen..."

Am selben Tag, als die Berichte über die Anhörung in der Redaktion von schoenstatt.de eingehen, kommt dort eine erschütternde Gebetsbitte an: "Der Sonnenschein unserer Familie, das Licht unseres Lebens darf nicht sterben, bitte, bitte, helft uns beten!" Der Sonnenschein, das ist ein 18-jähriger Junge mit Down-Syndrom, bei dem kurz nach seinem Geburtstag Leukämie festgestellt wurde. "Wir können uns unser Leben ohne ihn nicht vorstellen. Die 18 Jahre mit ihm waren ein einziger Segen für uns alle," so schreibt seine Mutter. Geht es nicht bei der Frage der Spätabtreibungen um Kinder wie ihn?

Wie lässt sich die Zahl der Spätabtreibungen verringern?

Die entscheidende Frage blieb unbeantwortet: Wie lässt sich wirksam die Zahl der Spätabtreibungen verringern? Im Familienausschuss des Bundestages wurden Fachleute, darunter Ärzte, Juristen, Hebammen, Wissenschaftler und Beraterinnen, um ihre Stellungnahme zum Thema gebeten. Fast alle bestätigten den Politikern, dass die gegenwärtige Situation unbefriedigend ist, doch welche Maßnahmen tatsächlich den gewünschten Erfolg bringen, da mochte keiner Garantien abgeben. Die CDU fordert in ihrem Antrag eine obligatorisch vorgeschriebene Beratung für die betroffenen Frauen, darin sieht die SPD hingegen eine Gängelung und meint, dass mehr Beratung und Information zwar nötig sind, dies aber nicht mit Zwang geschehen dürfe.

Die Experten sind in dieser Frage uneins. Selbst in christlichen und kirchlichen Kreisen herrscht deutliche Uneinigkeit darüber. Gaby Hagmans vom Sozialdienst Katholischer Frauen sprach sich im Bundestag ausdrücklich gegen eine vorgeschriebene Beratung aus. Die Frauen stünden unter Schock. "Eine Verpflichtung könnte in dieser Situation zusätzlich Druck bedeuten und die Entscheidung gegen das Kind befördern." Anders sieht das demgegenüber Rita Klügel vom Verein "Donum Vitae". Hilfe sei für die Paare in der Situation "unverzichtbar", deswegen befürwortet sie eine "obligatorische Beratung". Gegenwärtig würden die Angebote zur psycho-sozialen Beratung von zu wenigen Frauen in Anspruch genommen, deswegen muss sich etwas ändern in der Informationshaltung auch der Ärzte, sagte sie. Ein besseres Zusammenspiel von Ärzten und Beratern sei im Zusammenhang mit der Pränataldiagnostik dringend erforderlich.

Die Initiatoren der Unterschriftenaktion "Gegen Spätabtreibungen – für das Leben" werteten es als positives Signal, dass nahezu alle Fachleute angesichts der gegenwärtigen Situation einen Handlungsbedarf sehen. "Jetzt muss seitens der Politik endlich auch etwas geschehen", sagte Christoph Braß, Vorsitzender des Speyerer Katholikenrats. Ein Kind dürfe juristisch gesehen nicht als Schaden gelten können. "Hier ist eindeutig der Gesetzgeber gefragt." Braß kündigte an, dass die Unterschriftenaktion fortgesetzt wird. Bisher konnte das Bündnis aus Verbänden, Gremien und Medien bereits knapp 150.000 Unterschriften sammeln.

Die Fronten bleiben auch nach der Anhörung die gleichen: Die Bundesregierung sieht keine Notwendigkeit zur Gesetzesänderung, das bestätigte Familie-Staatssekretärin Christa Riemann-Hanewinckel (SPD) nach dem Termin. Prof. Maria Böhmer, stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende, hofft noch auf eine Aufhebung des Fraktionszwangs im Bundestags, um auf diese Weise Stimmen aus dem Regierungslager für den CDU-Antrag zu gewinnen. Gut stehen die Chancen nicht. Nach Ostern wird das Thema im Bundestag zur Abstimmung stehen.

Auch außerhalb des Bundestages geht die Debatte inzwischen weiter. Die Evangelische Kirche in Deutschland fordert eine rechtliche Neuregelung für Spätabtreibungen. Der Familienbund der Katholiken meint, die derzeitige Praxis widerspreche dem Grundgesetz.

Die Initiative "Lichtzeichen e.V." sammelt mit der Schönstattbewegung und den Verbündeten aus Bistumszeitungen, Gremien und Verbänden weiter Unterschriften gegen die Spätabtreibung. Noch ist Zeit, die Stimme zu erheben.

Die UNO hat sich am 18. Februar (!) nach jahrelangem Stillstand zum Thema für ein weltweites Verbot von therapeutischem und reproduktivem Klonen von Menschen ausgesprochen. Es ist möglich, etwas zu bewegen...



Zurück/Back: [Seitenanfang / Top] [letzte Seite / last page] [Homepage]

Last Update: 22.02.2005 Mail: Editor /Webmaster
© 2005 Schönstatt-Bewegung in Deutschland, PressOffice Schönstatt, hbre, All rights reserved, Impressum