Familien als Schnittstelle zwischen Ansprüchen, Anforderungen und Verantwortung- Familien als Träger der Pastoral -Maria-Theresia und Hubertus Brantzen, Vortrag Freitag, 30.04.2002 |
1. Perspektiven des KongressesWenn wir in diesen Tagen einen Europäischen Ehe- und Familienkongress hier in Schönstatt abhalten, beinhaltet bereits diese Tatsache verschiedene Perspektiven:
Mit Papst Johannes Paul II. möchten wir aber betonen: "Die Ehe und die Familie können nicht einfach als Produkt historischer Umstände angesehen werden oder als ein Überbau, der von außen der menschlichen Liebe aufgezwungen wird" (Zenit, 26.2.2004). Wir wagen in aller Gelassenheit die Prognose: Wenn dieser Wertewandel in unserer Gesellschaft wieder zur Ruhe kommen wird, werden Ehe und Familie um so deutlicher hervorgehen als leuchtende und beglückende Modelle des Zusammenlebens.
2. Familie als erster Ort der SozialisationEine erste Vergewisserung: Was in Kirche und Gesellschaft eine Rolle spielen soll, muss zuerst in der Familie eine Rolle spielen. Jeder Mensch lebt einerseits in seinem Privatraum, hat eine Intimsphäre, ist Individuum. Andererseits lebt er im öffentlichen Raum der Gesellschaft. Würde er sich in seinen Privatraum verkriechen, wäre er isoliert. Würde er nur nach außen gekehrt in der Öffentlichkeit und für die Öffentlichkeit leben und sich dieser Öffentlichkeit anpassen, würde er sich selbst verlieren. Die Familie ist eine Vermittlungsinstanz. Hier lernt der Mensch, Balance zu halten zwischen Privatraum und Öffentlichkeit, er lernt sich anzupassen. Aber er lernt auch, sich selbst, seine Identität zu bewahren. Man könnte darum Familie als "balancierter Sozialisationsraum" bezeichnen. In der Familie lernt das Kind in vielfältiger Weise, wie diese Balance zwischen Innen und Außen gelebt wird.
3. Anspruch, Anforderung, VerantwortungFamilie ist also der erste und wichtigste Ort der Sozialisation. Familie ist der Ort, an dem ausschlaggebend gelernt wird, wie Menschen als Menschen miteinander leben. Ein hoher Anspruch, eine grundlegende Anforderung an die Familien also, eine umfassende Verantwortung, die die Familie trägt. In der gegenwärtigen Diskussion, etwa im Zusammenhang mit der Pisastudie, wird hervorgehoben, dass die Familie diesen Anforderungen nicht genügend gerecht werde. Man zieht staatlicherseits die Konsequenz, das Schulsystem zu reformieren. Das ist jedoch nur die eine Seite. Die andere, notwendige Seite ist, die Kraft und Erziehungskompetenz der Familie zu stärken. Das genau ist unser Anliegen: Familien so zu fördern, dass sie Profil gewinnen, Modelle gelungener Partnerschaft zu zeigen, Familien so zu unterstützen, dass sie dem Anspruch immer gerechter werden, Grundzelle für Staat, Gesellschaft, Kirche, für Europa zu sein. Im Folgenden geht es nun darum, aus diesem sehr umfassenden Thema einige Aspekte herauszugreifen und zu vertiefen. Am gestrigen Tag stand im Vordergrund das Ehe-Team. Heute geht es besonders um die Vermittlung von Lebenssinn in der Familie. Folgende Fragen stellen sich:
Diese Fragen weisen darauf hin: Die Familien sind nicht einfach Betreuungsobjekt des Staates. Die Familien sind auch nicht nur Objekt der Seelsorge der Kirche. Sie sind für Staat und Kirche lebendige Bausteine, sie sind handelnde Subjekte, sie sind grundlegend aktiv in der Gestaltung der größeren Lebenseinheiten. Im Blick auf die Kirche kann man formulieren: Die Familien sind Träger der Pastoral. Die formulierten Fragen sollen nun nicht theoretisch erörtert, sondern anhand von gelebtem Leben beantwortet werden. Wir schauen hinein in das Leben von Familien, die aus christlichem Geist leben. Wir möchten sehen: Wie wird hier konkret Lebenssinn gelebt. Wir schauen hinein in Familien der internationalen Schönstatt-Familienbewegung, um zu entdecken: In welchen Formen und in welcher geistigen Haltung kommt hier Lebenssinn im Alltag vor? 4. Lebenssinn – konkret gelebtDie Grundlage für das, was christliche Ehepaare und Familien an Sinn aus ihrem Leben und aus ihrer Lebensform gewinnen, ist die Sakramentalität der Ehe. Die Kirche sagt ihrer kleinsten Lebenseinheit zu: Die Ehe ist ein lebendiges und wirkliches Zeichen der Nähe Gottes. Gott ist letztlich der umfassende Sinn des Lebens – und als solcher ist er gegenwärtig in der Liebe zwischen Mann und Frau. Das Sakrament ist der innere Kern der Ehe, das Sakrament ist die unsichtbare Innenseite der Ehe. Was innerlich Frau und Mann sakramental verbindet und prägt, wird in Symbolen und Zeichenhandlungen ausgedrückt. Besondere Zeichen sind beispielsweise die Eheringe. Geschenke zeigen: Du bist mir wichtig. Die körperliche Zuwendung, vom Abschiedskuss am Morgen bis hin zur ehelichen Vereinigung, ist Zeichen der Liebe, die letztlich von Gott kommt. In der Praxis der Schönstattfamilien haben sich Zeichen und Rituale herausgebildet, die jene Innenseite der Ehe und Familie in besonderer Weise zum Ausdruck bringen. 4.1 Ein heiliger OrtWenn man die Wohnung oder das Haus einer unserer Familien betritt, trifft man in einem Raum auf das, was wir "Hausheiligtum" nennen. Hier finden sich all jene Zeichen und Symbole, die uns als Christen wichtig sind: ein Kreuz, ein Marienbild, eine Kerze. Hier finden sich Zeichen, die typisch sind für die Spiritualität der Schönstattbewegung: das besondere Marienbild, ein Krug, das Bild des Gründers. Hier finden sich Fotos aus der jeweiligen Familiengeschichte, gemalte Bilder unserer Kinder, Briefe mit Anzeigen über Geburt, Hochzeiten, Todesanzeigen. Etwas, was uns wichtig erscheint, etwa den Prospekt des Europäischen Ehe- und Familienkongresses, legen wir an diesen Ort. Wir schauen ihn an, wir sprechen über den Kongress, wir beten für den Kongress, wir spüren: Dieser Kongress wird langsam für uns wichtig. Strömungspädagogik nennt Pater Kentenich einen solchen Vorgang. An einem Ort ist also all das zusammengefügt, was unser Leben ausmacht. Dieser ist uns heilig. Dieses "Hausheiligtum" ist sozusagen der "Sinnraum" unserer Wohnung und unseres Hauses. Hier können wir den Sinn unseres Lebens mit unseren Sinnen erfassen. Hier können wir das anschauen und meditieren, was unser Leben trägt. Es macht einen Unterschied, ob ich wichtige Lebenszeichen, Gegenstände, die mir heilig sind, irgendwo in einer Schublade oder einer Kiste aufbewahre oder ob ich ihnen einen solchen Ort zuweise. In der amerikanischen Psychologie gibt es den Begriff der Ortsidentität. Die Verhaltensforschung spricht von einer territorialen Identität. Jeder benötigt für sein körperliches und seelische Wohlergehen Orte, von denen er sagt: Hier ist gut sein. Hier fühle ich mich wohl. Das Hausheiligtum ist ein solches Identitätszentrum, wohl das entscheidende für diese Ehe und Familie. 4.2 Ganzheitliches ErlebenZeichen und Symbole werden also bewusst einem Platz in der Wohnung, der uns heilig ist, zugeordnet. Zeichen und Symbole regen unser Leben als Ganzes an. Sie wirken ganzheitlich. Über Zeichen, Symbole oder einen bedeutungsträchtigen Raum erfassen wir intuitiv viel mehr, als wir in Worte fassen können. Wir verstehen viel mehr, als wenn wir nur intellektuell, mit dem Verstand, etwas begreifen wollen. Hier haben wir es mit einer Höchstform von Symboldidaktik zu tun. Das, was etwa im Religionsunterricht mühsam erarbeitet werden muss, z.B. das Thema Gebet, erleben wir als Erwachsene und besonders unsere Kinder als alltäglichen Vorgang. Es ist ein Vorgang, der das Leben beeinflusst, der das Denken und Fühlen, die Emotionen und die Motivationen prägt. SpurensucheEin anderer Vorgang, oft im Hausheiligtum erlebt, ist das, was wir in Schönstatt "praktischer Vorsehungsglauben", "Spurensuche", "geistliche Tagesschau", "Realitätenschau" nennen. Frau und Mann, Eltern und Kinder erzählen sich abends gegenseitig Ereignisse des Tages. Sie tragen ihre Erfahrungen des Tages vor Gott. Sie empfehlen sie Gottes Sorge und Liebe. Die Erfahrungen des Alltags werden auf das Wirken Gottes in unserem Leben hin durchsichtig gemacht. Wir suchen den Gott des Lebens mitten in unserem Leben und möchten seine Spuren entdecken. Eine der wichtigsten Frage ist: Ist das, was wir täglich erleben oder auch erleiden, sinnvoll? Wir sehen uns am Abend im Fernsehen Nachrichtensendungen an, erhalten dort einen Überblick über die Ereignisse des Tages in der großen Welt der Politik und Wirtschaft. Hinzutreten die vielen kleinen, mehr oder weniger bedeutsamen Ereignisse unseres persönlichen Lebens. "Was bedeutet das?" "Was soll das für einen Sinn haben?" Das sind Fragen, die wir uns im Blick auf die globalen wie persönlichen Erfahrungen stellen. Der Praktische Vorsehungsglaube, die "Spurensuche" stellt die großen und kleinen Ereignisse des Tages in den Zusammenhang mit Gott. Wir gehen davon aus: Alles besitzt im Plan Gottes mit der Welt und in seinem Plan mit mir persönlich einen sinn-vollen Platz. Neben der psychologisch reinigenden Wirkung wird das Bewusstsein gepflegt: "Unser Leben mag nicht immer glatt verlaufen. Es gibt Höhen und Tiefen. Doch alles ist geborgen in der Hand Gottes." Eine große Sinnstruktur umfasst unser Leben. Wir haben an diesem Morgen bereits erlebt, welche Bereicherung und Vertiefung es bedeutet, sich auf den Weg zu machen, um die Spuren Gottes in unseren Erfahrungen zu entdecken. Der KrugIn vielen Hausheiligtümern steht ein Krug. Ausgehend vom Schönstatt-Heiligtum in Wien hat dieses Symbol einen regelrechten Siegeszug angetreten. Der Krug erinnert an die Geschichte im Johannesevangelium 2: Den Brautleuten geht während der Hochzeitsfeier der Wein aus. Maria drängt Jesus "Sie haben keinen Wein mehr!" Jesus reagiert nicht sofort: "Meine Stunde ich noch nicht gekommen." Maria sagt den Dienern: "Was er euch sagt, das tut!" Und Jesus spricht tatsächlich mit Blick auf sechs Wasserkrüge zu ihnen: "Füllt die Krüge mit Wasser." Als dem Hochzeitsmanager eine Kostprobe gereicht wird, ist das Wasser zu Wein geworden. Der Krug, ein Zeichen menschlicher Ohnmacht, besonders gegenüber Schicksalsschlägen, Zumutungen des Lebens, Leid, Tod. Der Krug zugleich aber auch Zeichen der Hoffnung, dass alles in den Händen Gottes aufgehoben ist. Und das ist der Vorgang: Wir sitzen in unserem Hausheiligtum. Wir überdenken das, was uns bedrückt, was uns einengt, was uns schwer fällt, was uns Sorgen und Not bereitet. Wir schreiben es auf einen Zettel. Wir falten den Zettel zusammen und legen ihn in den Krug. Wir schenken Gott unsere Anliegen und unser Beten als Gaben der Liebe. Wir bitten um Wandlung für das, was wir bedrückend empfinden oder nicht ändern können. Wir bitten, im Bild gesprochen: "Großer Gott, lass aus dem Wasser unseres Lebens köstlicher Wein werden!" Was geschieht in dieser Symbolhandlung:
Die Religionssoziologie sagt, die erste und wichtigste Aufgabe von Religion sei die Bewältigung von Leid und letztlich vom Tod. Das geschieht in den großen Riten und Ritualen der Kirche, beginnend vom Sonntagsgottesdienst bis hin zum Beerdigungs-Ritus. In der Eucharistiefeier werden Tod und Auferstehung Jesu Christi gegenwärtig und verkünden: Leid, Not, Sorgen und Tod sind nicht das letzte Wort im Leben der Menschen. Was hier im großen Rahmen der christlichen Gemeinden gefeiert und verkündet wird, geschieht im alltäglichen Leben in der Familien. Es geschieht etwa durch die "Spurensuche" und den Krug-Ritus. Hier findet ein intensiver Umgang mit Sinn statt, hier suchen wir intensiv, zuversichtlich und religiös nach Sinn. Es bedarf keiner großen Worte, um zu verdeutlichen, welche Bedeutung diese Vorgänge für die Familien besitzen. An keiner Ehe gehen Leiderfahrungen vorbei. Für keine Familie bleiben Leid und Sorgen ausgespart. In der Erziehung stoßen Eltern immer an Grenzen. "Spurensuche" und Krug sind Lebenshilfe und Sinnangebote, die eine große, positive Wirkung entfalten können. Das Bild der Hl. FamilieIm Heiligtum der Familien in Schönstatt befindet sich eine Statue der Heiligen Familie, Jesus, Maria und Josef. In vielen Hausheiligtümern unserer Familien hängt ein Bild dieser Statue, in einzelnen Häuser stehen sogar kleine Nachbildungen. Eine Nachbildung soll als Zeichen unserer Familiengemeinschaften in das neue Internationale Schönstattzentrum in Rom. Welcher pädagogischen Gewinn für Familie und Erziehung aus der Betrachtung der Heiligen Familie gezogen werden kann, müsste im Einzelnen untersucht werden. Was in jedem Fall gilt und was von höchster Bedeutung ist: Gott wird in Jesus Christus Mensch, und zwar in einer Familie. Erlösung der Menschen geschieht nicht irgendwie theoretisch oder weltabgehoben. Erlösung geschieht in dieser konkreten Welt. Gottes Sohn wird "von einer Frau geboren und dem Gesetz unterstellt" (Gal 4,4). Die Kindheitsgeschichten im Matthäus- und Lukasevangelium entfalten dazu eine jeweils eigene Theologie. Damit erhält die Familie eine hohe Würde. Wenn wir die Statue der heiligen Familie anschauen, werden wir an den Vorgang der Menschwerdung, der Inkarnation, erinnert. Indem wir uns diese heilige Familie sozusagen ins Haus holen, weisen wir uns selbst darauf hin: Wir dürfen in Familien leben, wie Jesus in einer Familie groß geworden ist. Entgegen allen gesellschaftlichen Strömungen hat Familie darum eine bleibende Würde und einen bleibenden Beitrag zur Menschwerdung in einem umfassenden Sinn zu leisten. Einbringen von Erfahrungen in die KircheAls Kirche im Kleinen, als "Hauskirche", lebt die Familie christliche Werte und Ziele nicht isoliert. Sie lebt sie in der Gemeinschaft aller Getauften und Gefirmten, in der Gemeinschaft der Gemeinde, in der communio der ganzen Kirche. Alle Lebens- und Glaubensvorgänge in den Familien sind in sich wertvoll. Sie sind aber immer zugleich auf die größere Gemeinschaft der Kirche bezogen. In einer Systematisierung könnte man Familie einerseits und Gemeinde, Ortskirche und Gesamtkirche andererseits aufeinander beziehen.
Diese Übersicht macht deutlich, wie sehr Gemeinde und Kirche auf Familie bezogen sind und umgekehrt. Der große Teil der Gläubigen lebt in irgendeiner Weise in familialen Beziehungen. Daraus kann man zweierlei Konsequenzen ziehen:
Was bedeutet das im Einzelnen? Die Kirche fördert die FamilieDas bedeutet zuerst, dass die Kirche die Familie fördern muss. Papst Johannes Paul II. sagt von sich selbst, dass er gerne als Papst der Familien in die Geschichte eingehen möchte. Er formuliert in der Enzyklika "Familiaris consortio" (Nr. 49) die Aufgabe der Kirche gegenüber den Familien folgendermaßen:
Familie bringt sich in die Kirche einDie christliche Familie ist ihrerseits "zum Dienst am Aufbau des Reiches Gottes in der Geschichte berufen, indem sie am Leben und an der Sendung der Kirche teilnimmt" (FC 49). Sie ist "dazu berufen, aktiv und verantwortlich an der Sendung der Kirche mit einem besonderen und eigenen Beitrag teilzunehmen, indem sie sich selber mit ihrem Sein und Handeln als innige Liebes- und Lebensgemeinschaft in den Dienst an Kirche und Gesellschaft stellt." (FC 50) Nach den vorangegangenen Überlegungen können diese allgemeinen Grundsätze mit Leben gefüllt werden. Was die Familien konkret leben, zeigt, was gemeint ist:
Zusammenfassend dürfen wir formulieren: Das, was Kirche im Großen lebt und wirkt, das lebt und wirkt die christliche Familie im Kleinen. Das lebt die Familie als häusliches Heiligtum. Familie ist die erste Gemeinde und Kirche für den Menschen, in der er die Schritte des Glaubens laufen lernt. Familie ist damit wesentlicher Träger der Seelsorge. Die Pastoral der Kirche, so können wir noch einmal sagen, steht also auf zwei Beinen: der christlichen Gemeinde und der Familie. Wir kommen zum Ende unserer Überlegungen. Unser Gedankengang war:
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