Schönstatt - Begegnungen

"Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!"

Ansprache von Pater Heribert Niederschlag SAC am 21. Aug. 2001 anlässlich des Todestages von P. Franz Reinisch

Pater Heribert Niederschlag SAC
Foto: Fischer, PressOffice Schönstatt © 2001

Am Todestag von Pater Franz Reinisch sprach Pater Heribert Niederschlag, SAC, bei der Gedenkfeier am Urheiligtum.

Wir veröffentlichen hier den Wortlaut des Vortrags als autorisierte Widergabe des gesprochenen Wortes.

Dokumentation

Am 20. August 1942 muss der zum Tod verurteilte Franz Reinisch seine Schlappen vor seine Zellentüre stellen, - sicheres Zeichen der Gefangenen, dass die Hinrichtung unmittelbar bevorsteht. Er ist – wie Dietrich Bonhoeffer – 39 Jahre alt. Um 3.30 Uhr wird er mit anderen Todeskandidaten in den Keller des Zuchthauses geführt. Um 5.00 Uhr wird ihm noch einmal die Verurteilung verlesen. Um 5.03 Uhr fällt das Beil.

Heute abend will ich an seinen Entscheidungsweg erinnern und an seine Vision von der Kirche der Zukunft.

1. Der Entscheidungsweg von P. Franz Reinisch –Berufung auf das Gewissen

Wer den Petersdom besucht, wird auf seinem Rundgang – in unmittelbarer Nähe des Grabes von Pius X – auch an dem Denkmal von Papst Johannes XXIII vorbeikommen, ein Werk aus Bronze von Emilio Greco. Das Gesicht des Papstes zeigt nicht sein optimistisches väterliches Lächeln, sondern ist ernst und voller Sorge ob der schweren Probleme, die die heutige Welt plagen. Eine junge Mutter hält dem Papst ihr Kind hin, damit er es segne. Doch das Kind, Sinnbild der neuen Generation, wendet sich schroff ab. Es will den Segen nicht. Hinter dem Papst ist ein Kardinal dargestellt, der die Züge von Montini, der als Paul VI Johannes dem XIII im Papstamt nachfolgte, trägt. Dieser Kardinal zeigt mit der Hand auf das Herz. Die schweren Probleme können nur gemeistert werden, wenn wir uns ihnen mit ganzem Herzen stellen und wieder lernen, auf die Stimme des Gewissens zu hören, die – wie es das Vat II andeutet – die Stimme Gottes sein kann. Sollte die Stimme des Gewissens mit guten Gründen tatsächlich als die Stimme Gottes in uns geglaubt werden, ist dieser Stimme zu gehorchen, selbst wenn sie anders klingt als die Stimme meines Obern oder meiner Freunde. Dieser Stimme ist zu gehorchen, selbst wenn es mein Leben kosten sollte.

Das in der heutigen Zeit verständlich zu machen, ist nicht leicht. Das Leben ist für den, der nicht an das Leben mit Gott glaubt, der für uns Schuld in Segen zu wandeln vermag und Tod in Leben, der höchste, der wichtigste Wert. Für Franz Reinisch war das Leben ein wichtiger, ein fundamentaler aber nicht der höchste! Die Treue zu Gott verlangte von ihm die klare und eindeutige Distanz von denen, die Gottes Gebote mit Füßen traten und das Christentum umfunktionieren und schließlich ausmerzen wollten. Eid bedeutete für Reinisch, sich freiwillig in Pflicht nehmen lassen vom Antichristen. Um vor sich bestehen zu können, blieb ihm nur die Verweigerung.

Pater Franz Rheinisch SAC
Foto: ARCHIV

Wer sagt mir, ob ich im Gewissen die Stimme Gottes wahrnehme oder eine andere Stimme?

Für den Pallottinerpater Franz Reinisch ist der Gehorsam Gott gegenüber wichtiger als der Gehorsam gegenüber menschlicher Autorität. Der Staat fordert von ihm, den Fahneneid auf Hitler zu leisten. Franz Reinisch sagt Nein. Er ist der einzige katholische Priester, der diesen Eid verweigert. Sein Oberer versucht, ihn umzustimmen. Auch der katholische Militärbischof schaltet sich ein. P. Reinisch bleibt bei seiner Entscheidung. Das Reichskriegsgericht verurteilt ihn dafür am 7. Juli 1942 zum Tode. Am 21. August 1942 wird er durch das Fallbeil hingerichtet.

Ist es nicht riskant, sich auf das Gewissen zu berufen? Können sich nicht hier auch die Stimmen Satans oder die Stimmen meiner Ängste und Leidenschaften hören lassen? Wer sagt mir, ob ich im Gewissen die Stimme Gottes wahrnehme oder eine andere Stimme, der nicht zu trauen ist.

Anders als P. Kolbe sieht P. Reinisch niemanden, für den er sein Leben opfert. Er muß sogar damit rechnen, daß seine Entscheidung nicht nur seinem Leben schadet. Die Verweigerung des Fahneneides ist ein offener und öffentlicher Protest. Wird damit nicht der Gestapo ein willkommener Vorwand geliefert, um noch energischer gegen katholische Priester und besonders gegen die Pallottiner und die Schönstatt-Bewegung vorzugehen und sie wie Freiwild zur Strecke zu bringen? Nach Ida Friederike Görres war die gemeinsame Kraft, die die Schönstattbewegung und die Gemeinschaft der Pallottiner ausstrahlte, die stärkste Bastion der kath. Kirche gegen die Nazis. Die Gestapo schien auf eine günstige Gelegenheit zu warten, ob unbarmherzig zuzuschlagen.

Ferner: Wenn P. Reinisch mit seiner Entscheidung rechthaben sollte, wie ist dann die Entscheidung all jener zu werten, die den Eid geleistet haben? Viele katholische Priester lehnten den an die Person Hitlers gebundenen Fahneneid innerlich ab, nahmen ihn aber in Kauf, um sich so die Möglichkeit offen zu halten, den Soldaten an der Front und später in der Gefangenschaft beizustehen. Als Sanitäter sind sie auch im Kreuzfeuer unter Lebensgefahr den verwundeten und sterbenden Soldaten beigesprungen und haben in den Seuchenbaracken der Gefangenenlager Hilfe geleistet, oft genug unter Einsatz ihres Lebens. Franz Reinisch wäre sicher auch Soldat geworden, wenn er nicht auf einen Verbrecher hätte den Fahneneid ablegen müssen. Diese Hürde kann und will er nicht überspringen.

"...und ich fühle mich berufen zu diesem Protest"

Seine Freunde und die für ihn verantwortlichen Oberen bedrängen ihn. Sollte er nicht doch auf sie hören und den Eid leisten? Noch in der Zeit nach seiner Verurteilung zum Tode macht sich P. Reinisch erneut Gedanken, ob seine Entscheidung richtig ist. "Ich weiß, daß viele Geistliche anders denken als ich; aber sooft ich auch mein Gewissen überprüfe, ich kann zu keinem anderen Urteil kommen. Und gegen mein Gewissen kann und will ich mit Gottes Gnade nicht handeln. Ich kann als Christ und Österreicher einem Mann wie Hitler niemals den Eid der Treue leisten. Denken Sie, was dieser Mann unserer Kirche und was er Österreich angetan hat. Einem solchen Menschen Treue geloben, das kann ich nicht. ... Es muß Menschen geben, die gegen den Missbrauch der Autorität protestieren; und ich fühle mich berufen zu diesem Protest." Franz Reinisch kann und will seinen Entschluss nicht zurücknehmen.

Prophetischer Protest

Reinischs Widerstand ist ein prophetischer Protest, motiviert von dem Wissen, daß man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen und daß die Seele nicht Schaden leiden dürfe, selbst wenn man die ganze Welt gewinne. Der letzte Grund seiner Verweigerung ist nicht politischer, sondern religiöser Art. Ähnlich wie Dietrich Bonhoeffer sieht er sich von die Alternative gestellt: Christ oder Nationalsozialist. Man kann nicht beides zugleich sein. Jedes Taktieren mit einem "Sowohl - Als auch" wäre bereits ein Paktieren mit dem Unrechtsstaat. Mit prophetischer Sicherheit erkennt er den dämonischen Charakter des Hitlerregimes, der in der grundsätzlichen Verachtung des Völkerrechts und in der Kirchen- und Rassenpolitik unverhüllt zutage trat, und den er persönlich mit dem Entzug seines Predigt- und Redeverbots im ganzen Deutschen Reich zu spüren bekam. Hier ist kein Kompromiß möglich! Darum darf der Christ nicht weniger eindeutig und radikal sein als der überzeugte Nationalsozialist.

Franz Reinisch ist seit 1938 in Schönstatt bei Vallendar in der Jugend- und Männerseelsorge tätig. Seine Predigten und Vorträge finden begeisterten Zuspruch. P. Reinisch bestärkt Jugendliche und Erwachsene auf ihrem Weg zu selbständigen und festen Persönlichkeiten. Die Ermutigung zur freien Entscheidung ist den Gleichschaltungs- und Vereinnahmungstendenzen der totalitären Nazi-Ideologie zuwider. Hitler versteht sich als Befreier der Menschen von den Ansprüchen einer Freiheit und persönlichen Selbständigkeit, deren nur wenige gewachsen sind. Der christlichen Lehre von der unendlichen Bedeutung der Einzelseele und der persönlichen Verantwortung setzt er "die erlösende Lehre von der Nichtigkeit und Unbedeutendheit des einzelnen Menschen und seines Fortlebens in der sichtbaren Unsterblichkeit der Nation gegenüber. An die Stelle eines göttlichen Erlösers tritt das stellvertretende Leben und Handeln des neuen Führergesetzgebers, das die Masse der Gläubigen von der Last der freien Gewissensentscheidung entbindet."[1] Vor dem Hintergrund der tödlichen Konfrontation "Christentum - Nazi-Ideologie" ist die unbeugsame Haltung Franz Reinischs zu verstehen. "Hier Christus - dort Belial."[2] Das Dritte Reich ist für ihn das Reich des großen Widersachers. Darum formuliert er als Ziel seines Ringens. "Ein lebendiger Protest gegen die antichristliche Macht des NS-Nationalbolschewismus. Ein lebendiges Bekenntnis für Christus!"

Eine Entscheidung, bei der alles auf dem Spiel steht

Der Behauptung, es sei sinnlos, so leichtfertig sein Leben hinzuopfern, da er viel als Sanitäter für die Kameraden tun könnte, setzt er die Antwort entgegen: "Gott verlangt einmal von mir, diesen Weg zu gehen." Dieser Weg ist ihm nicht leicht gefallen. Die Freiheit wird für P. Reinisch zu einer schweren Last. Er weiß, was er sich und anderen abverlangt. Er ist mit seiner Entscheidung auf sich gestellt, ohne auf die Ermutigung und Anerkennung von Seiten der Oberen hoffen zu können. Die Kraft zu seiner Entscheidung erwächst aus seinem Vertrauen, von Gott selbst auf diesen Weg gerufen zu sein. Sein Oberer drängt ihn auf einen anderen Weg. P. Reinisch gehorcht der Stimme seines Gewissens, die er als Gottes Anruf glaubt. In dem Gewissen erfährt er eine Art Kompass, die ihn unabhängig von den Strömungen des Zeitgeistes und den möglichen inneren Ängsten in eine Richtung führt, die ihm einerseits Freiheit verheißt, ihn andererseits auf Leben und Tod einfordert. Beides erfahren wir im Gewissen: den Ruf in meine Freiheit, und die unbedingte Verpflichtung zum Gehorsam. Lassen wir uns von diesem Anruf treffen, spüren wir, daß alles auf dem Spiel steht. In der sittlichen Entscheidung können wir uns verlieren, wenn wir gewinnen wollen, und wir können gewinnen, wenn wir zu verlieren bereit sind. Reinisch setzt alles auf die Karte seiner Berufung. Für ihn gilt nur der Wille Gottes, selbst wenn es sein Leben kosten sollte. Hier duldet er keinen Kompromiß.

Ein Signal wider die freundliche Unverbindlichkeit

Wir wissen, daß es oft nur geringer Anstrengung bedarf, um Schwierigkeiten zu entgehen. Ich kann mich aus der Affäre ziehen, wenn ich eine kleine Konzession an die Unwahrheit mache. Was wäre schon geschehen, wenn Reinisch die Eideszeremonie, auch ohne innerlich beteiligt zu sein, hätte über sich ergehen lassen? Der Drang, nur ja nicht aufzufallen und gruppenkonform zu bleiben, kann zur Tyrannei gegen die Wahrheit werden. Die menschlich, allzu menschliche Neigung , sich beliebt zu machen, gut anzukommen, in der Wahl der Worte und in den Formen des Umgangs gruppenkonform zu sein, wird immer dann die innere Reifung behindern und sogar ein dumpfes Gefühl des Versagens zurücklassen, wenn nicht die offene Wachsamkeit und die wachsame Offenheit für die Wahrheit auch in unseren alltäglichen Entscheidungen je neu eingeübt wird. Franz Reinisch entdeckt als seine Pflicht die Verweigerung des Eides auf einen Verbrecher und er stellt sich dieser Pflicht. Er setzt ein Signal wider die freundliche Unverbindlichkeit. Für seine Überzeugung und für den christlichen Glauben ist er bereit, seinen "Kopf" hinzuhalten.

2.   Vision von der Kirche der Zukunft

Franz Reinisch hat sich zu der Urteilskraft und lebendigen Überzeugung durchringen können und ist auf diesem Weg zu einer Persönlichkeit herangewachsen, die ihm als Ideal vorschwebte, seit er mit der spirituellen Welt Schönstatts in Berührung gekommen ist. Freimütig weist er auf Fehler hin und bekennt, daß die Kirche in der Vergangenheit der Originalität der Einzelnen zu wenig Rechnung getragen und zu sehr von oben den Gleichschritt befohlen habe. Für die Zukunft erhofft sich P. Reinisch, daß die Einzelinitiative stärker zum Zuge käme. Er ist sich jedoch der Gefahren der Berufung auf den individuellen Weg bewusst: "Was früher im katholischen Leben durch zu große Vermassung bei Ausschaltung der Einzelinitiative gefehlt wurde, das kann in Zukunft durch allzu starke Betonung der Einzelinitiative bei Ausschaltung der Gemeinschaft gefährdet werden.

Freiheit, soweit als möglich, Bindung, soweit als nötig

Trotz alledem gilt wohl für die Zukunft: Freiheit, soweit als möglich, Bindung, soweit als nötig". Reinisch ersehnt die Kirche als Hort der Freiheit, in dem selbständige Persönlichkeiten ihren Lebensraum finden. Freiheit aber kann zu einer unerträglichen Last werden. Sie nimmt in Pflicht, nur das Beste an sich herankommen zu lassen und fähig zu bleiben das, was ich als gut und richtig erkenne, einzulösen, selbst wenn es mein Leben kosten sollte."

Das Beispiel des zwölfjährigen Jesus

Reinisch weiß, was er sich und anderen abverlangt, wenn er von freier oder von vollkommener Persönlichkeit spricht. Er ist mit seiner Entscheidung auf sich gestellt, ohne auf die Ermutigung und Anerkennung von Seiten der Oberen hoffen zu können. Die Kraft zu seiner schweren Entscheidung erwächst aus seinem Vertrauen, von Gott selbst auf diesen Weg gerufen zu sein. Diese Überzeugung kann und will er nicht verraten. Hier widersteht er sogar seinem Oberen. Dennoch weiß er sich eingebunden in die umfassende Gemeinschaft des "Corpus Christi mysticum": "Man steht nicht allein! Es wird mehr als früher, oft zum größten Kreuz der Vorgesetzten, das Geheimnis vom zwölfjährigen Knaben im Tempel eintreten, d.h., daß Gott einzelne ruft, ihnen eine persönliche Sendung anvertraut"[3]. Reinisch erinnert an eine Szene, die das Lukasevangelium überliefert (2,41-52). Jesus verhält sich bereits mit zwölf Jahren wie ein Volljähriger. Ohne seine Eltern zu fragen, trifft er die Entscheidung, im Tempel zu bleiben. Selbst wenn er seinen bisherigen "Vorgesetzten" nicht mehr rechenschaftspflichtig gewesen wäre, so wäre es doch ein Zeichen "guter Erziehung" und des Taktes gewesen, seine Eltern zu informieren. Jesus unterlässt jeglichen Hinweis und entscheidet, ohne auf seine Eltern Rücksicht zu nehmen. Er entschuldigt sich auch nicht, als Maria und Josef ihn nach langem und schmerzlichen Suchen endlich im Tempel finden, sondern weist lediglich auf Jenen hin, auf Den er hört, und Dessen Willen zu tun seine Sendung ist: auf den Vater. "Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?" (Lk 2,49).

 



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Last Update: 12.10.2001 14:25 Mail: Editor /Webmaster
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