Schönstatt - Begegnungen

Aus der Zeit - für die Zeit: Heiligkeit heute

Ansprache von Pater Angel Strada bei der Vigil zum Todestag Pater Kentenichs, Anbetungskirche, 14. September 2001

Am 15. September wurde im Rahmen einer Gedenkstunde zum 33. Todestag Pater Kentenichs die neue Statue vor dem Pater-Kentenich-Haus auf Berg Schönstatt der Öffentlichkeit vorgestellt.
Todesstelle und Grab Pater Kentenichs in der Gründerkapelle, Berg Schönstatt
Fotos: Brehm, PressOffice Schönstatt © 2001
DOKUMENTATION

Liebe Schönstattfamilie! Wir sind heute an dem Ort versammelt, an dem unser Vater und Gründer vor 33 Jahren heimgeholt wurde. Gestern führte uns die Betroffenheit über die schrecklichen Terrorakte in den USA hier zusammen. Wir haben Eucharistie gefeiert für die Opfer und ihre Angehörigen. Ereignisse dieser Art lassen vielfältige Fragen in uns aufsteigen. Sie machen uns neu bewusst, gerade am Beginn des neuen Jahrtausends, dass Hass und Liebe, göttliche und teuflische Mächte miteinander ringen.

Deshalb hat es einen besonderen Sinn, wenn wir uns heute Abend mit dem Thema "Heiligkeit aus der Zeit und für die Zeit" beschäftigen. In uns und in vielen Mitchristen lebt die gläubige Überzeugung, dass Pater Kentenich ein Zeichen der Gegenwart Gottes, ein Heiliger gewesen ist. Mehr noch: Er ist der Gründer einer Schule der Heiligkeit innerhalb der Kirche und für die Kirche unserer Zeit. Wir kennen hervorragende Schüler und Schülerinnen, die bei ihm in diese Schule gegangen sind, wie der selige Karl Leisner, Josef Engling, Sr. Emilie Engel, João Pozzobon, Mario Hiriart, Gertraud von Bullion, Franz Reinisch... Darüber hinaus gibt es viele andere, die durch diese Schule Großes geleistet haben. Auch wir gehören zu dieser Schule, aber bis zu einem "guten Abschluss" haben wir noch einen langen Weg und einige schwierige Examen zu absolvieren.  

In der Schule der Heiligkeit

Von Anfang an waren die Anforderungen hoch. Schon in der Gründungsurkunde heißt es: "Jeder von uns muss den denkbar höchsten Grad standesgemäßer Vollkommenheit und Heiligkeit erreichen. Nicht schlechthin das Große und Größere, sondern geradezu das Größte soll Gegenstand unseres gesteigerten Strebens sein." In dieser Schule der Heiligkeit gibt es – um im Bild zu bleiben – viele Fächer, die wichtig sind, etwa eifriges Gebetsleben, treue Pflichterfüllung, Gnadenkapital... Sie hat sich jedoch vor allem auf einen Hauptbereich spezialisiert: auf den Gott des Lebens und der Geschichte, den Gott, der seine Wünsche und Pläne in besonderer Weise durch die Zeitenstimmen offenbart. Hören wir Worte von unserem Vater selbst: "Wohl kaum eine andere Gemeinschaft aus neuester Zeit ist so stark auf Zeitenrufe als Gottesrufe angewiesen wie wir... Es mag nicht gar zu viele Menschen geben, für die gerade der Gott des Lebens so stark im Mittelpunkte des Sinnens und Minnens, des Planens und Wirkens steht wie bei uns. Damit ist beileibe nicht gesagt, dass wir den Gott der Heiligen Schrift, den Gott unserer Altäre und den Gott im Herzen des begnadeten Menschen übersehen. Das eine betonen heißt nicht, das andere übersehen. Gilt diese Grundeinstellung mehr oder weniger für uns alle, so ist sie besonders charakteristisch für die hochragenden Elitegestalten aus unseren Reihen: für die heiligmäßigen Träger unserer Familie und die verlässigen Zeugen ihres Geistes. Alle ohne Ausnahme sind Providentiakinder per eminentiam...."  

Heiligkeit in heutiger Zeit und für die heutige Zeit

Unser Vater und Gründer spricht davon, dass die führenden Gestalten unserer Familie Heiligkeit in heutiger Zeit und für die heutige Zeit leben sollten. Er sagt : "Alle stehen nachweisbar in der modernen Zeit; sie sind deren vollblütige Kinder und lebensmäßige Künder; sie sind aber auch ihre tapferen und vorbildlichen Überwinder. Sie lieben ihre Zeit; sie verkörpern deren Schwächen; sie kämpfen aber auch mit unüberwindlichem Wagemut ihre Kämpfe. So wird ihr Leben eine ständige Spannung zwischen dem Geist der Zeit und dem Zeitgeist. Trotz ihres zarten Gewissens sind sie stark genug, um sich mit dem Zeitgeist kühn zu messen. Und sie steigen nicht ins Grab, bis der Geist der Zeit in ihnen den Zeitgeist überwunden hat. Als hochgemute Abenteurer der Gottesliebe und des Einsatzes für göttliche Interessen an großer Zeitenwende, versuchen sie in klassischer Weise den Heiligentyp der Zeit zu verwirklichen und vorzuleben". Pater Kentenich verweist in diesem Zusammenhang auf das Lebensbeispiel von Schwester Emilie, die an der Not und den Krisen unserer Zeit gelitten hat. Ihre eigene Angst und Ungesichertheit konnte sie durch ein wunderbar schlichtes und tiefes Vertrauen auf die Liebe des barmherzigen Vaters überwinden. Herr Pater sagt weiter: "Spannen wir ihr Leben vorübergehend in einen weiteren und größeren Rahmen, um darinnen den Atem der Zeit noch stärker einzuatmen, so dürfen wir mit großer Dankbarkeit feststellen: Die Gottesmutter hat in ihr die vielgestaltigen modernen Lebenskrisen – welcher Art sie auch immer sein mögen – glänzend überwunden; sie hat ihr getreues und bildsames MTA-Kind angeleitet, diese Krisen als Leiter zu Gott und als fruchtbares Mittel zur Gottförmigkeit und Gottinnigkeit ihres Lebens möglichst ausgiebig zu benutzen." (Studie 1955, 515 f., in: Unkel, Vorsehungsglauben 2/2, 276) Den Atem der Zeit einatmen, die modernen Lebenskrisen als Leiter zu Gott zu benutzen, sie als fruchtbares Mittel einzusetzen, um Gott intensiver zu begegnen, den Heiligkeitstyp der modernen Zeit verwirklichen, das sind wirklich neue, ungewohnte Perspektiven in der Theologie der Heiligkeit. Im II. Vatikanischen Konzil wurde diese Theologie zusammengefasst und erneuert.  

II. Vatikanisches Konzil: Berufung jedes Getauften

Erinnern wir uns an einige grundlegende Aussagen: Jeder Getaufte ist dazu berufen, treuer Nachfolger Christi zu sein. Diese Nachfolge besteht nicht in außergewöhnlichen Taten, sondern in der vollkommenen Vereinigung mit Christus durch "die irdischen Wechselfälle hindurch", jeder nach seinem Stand und in seinen eigenen Lebensverhältnissen. In den Heiligen, so heißt es in diesem Konzilstext weiter, spricht Gott selbst zu uns und gibt uns ein Zeichen seines Reiches. In ihnen zeigt Gott "den Menschen in lebendiger Weise seine Gegenwart und sein Antlitz". Sie sind unsere Vor- und Leitbilder, unsere mächtigen Fürsprecher vor Gott (LG 50). Diese Charakteristika findet man immer wieder bei Pater Kentenich. Doch er betont gleichzeitig, dass Heiligkeit einen Zeitbezug hat. Gerade dieser besondere Akzent ist sein wertvoller und entscheidender Beitrag. Es geht um Heiligkeit heute. Die Gründe dazu sind vielfältig. Drei möchte ich erwähnen: Der Zeitbezug ist die folgerichtige Konsequenz einer Spiritualität, die auf einem Bund der Liebe mit dem Gott des Lebens gründet. Er ist gleichzeitig die Konsequenz einer marianischen Spiritualität, die sich Maria als Vorbild, Mutter und Erzieherin verbunden weiß. Maria ist inmitten der alltäglichen Herausforderungen als Hausfrau, im Kreis ihrer Familie, Nachbarn und Verwandten in einem unbedeutenden und ärmlichen Dorf in Israel heilig geworden. Die Betonung des Zeitbezuges der Heiligkeit hat sich aus der ersten Zielsetzung Schönstatts entwickelt, denn die Erziehung zum neuen Menschen verlangt notwendigerweise die Ausformung eines neuen Typs der Heiligkeit. Gleichzeitig unterstreicht unser Vater, dass die Familie für die Legitimierung dieser Zielsetzung kanonisierbare Heilige braucht.  

Johannes Paul II.: Betonung der Person und ihrer konkreten Geschichte

Bei Johannes Paul II. findet man ebenfalls eine deutliche Betonung der Person und ihrer konkreten Geschichte. Er spricht von der "Pädagogik der Heiligkeit" und sagt: "Die Wege der Heiligkeit sind vielfältig und der Berufung eines jeden angepasst" (NMI 31). Es sind ganz persönliche, originelle Wege mit individuellen Rhythmus und verschiedenen Etappen. Natürlich ist allen eines gemeinsam: Sie weisen auf ein und dasselbe Zentrum hin oder besser gesagt: auf dieselbe Person, Jesus Christus. Denn die Heiligen sind vor allem deswegen heilig, weil sie Christus radikal geliebt haben. Sie sind von der Liebe zum Herrn total ergriffen. Aber Lieben – das ist eben etwas ganz Persönliches. Jeder hat eine eigene Art, eben seine Art, Liebe zu schenken und zu empfangen. Und weil jeder in seinem konkreten Umfeld, in seiner konkreten Zeit und von einer konkreten Kultur geprägt ist, ist auch seine Liebe von diesen äußeren Bedingungen mitbestimmt. Immer waren die Heiligen große Gaben Gottes für Kirche und Welt. Für jede Zeit waren sie leuchtende Zeugnisse einer unbedingten Christusnachfolge und gerade deshalb großartige Beispiele engagierter und hochherziger Liebe zu den Menschen. Auch heute schenken uns die Heiligen Licht auf unserem eigenen Weg; das Licht Christi strahlt durch sie in unsere Zeit.

Ein Mensch, durch den die Sonne Christi scheint

Das hat auch der kleine Tobias erlebt. Er ging mit seiner Mutter einkaufen. Auf dem Weg zum Markt kamen sie an einer großen Kirche vorbei. Tobias schaute an der Kirche hoch und sagte zu seiner Mutter: "Guck mal, wie dreckig die großen Fenster sind. Die sehen aber nicht mehr schön aus!" Die Mutter sagte gar nichts, sondern ging mit Tobias in die Kirche hinein. Tobias staunte, als er jetzt die großen Fenster sah. Denn von innen sahen sie gar nicht dreckig aus. Denn die Sonne schien direkt durch die Fenster, so dass alle Farben wunderschön leuchteten. Auf einem Fenster war ein Heiliger zu sehen. Und Tobias fragte seine Mutter: "Wer ist das?" "Da vorne", antwortete seine Mutter, "das ist der heilige Martin". Und die Mutter erzählte Tobias dann noch einmal die Geschichte vom heiligen Martin. Sie berichtete, wie gut der Heilige Martin zu den Menschen war und wie er so ihr Leben heller gemacht hat. Einige Tage später saß Tobias in der Schule. Der Religionslehrer fragte auf einmal: "Wer von euch kann mir sagen, wer ein Heiliger ist?" Da war großes Schweigen in der Klasse angesagt, bis sich Tobias wieder an die Kirchenfenster und an die Geschichte vom heiligen Martin erinnerte. Er zeigte auf und sagte: "Ein Heiliger, das ist ein Mensch, durch den die Sonne scheint!" Ja, ein Heiliger ist ein Mensch durch den die Sonne Christi scheint. Doch sie scheint nicht in einen luftleeren Raum hinein, außerhalb des Weltgeschehens. Die Heiligen sind keine außerirdischen Gestalten! Sie sind "Schicksalsgenossen unserer Menschlichkeit", sagt das Vatikanische Konzil (LG 50). Sie leben in einer bestimmten Zeit, in einem konkreten Volk, in einer lokalen Kirche und Umgebung. Damit sind sie nicht nur in einen historischen Rahmen eingebunden, vielmehr sind die jeweiligen zeitbedingten Zusammenhänge gottgewollt und Wege der Heiligung.  

Pater Josef Kentenich: "Heiligentyp der Zeit"

Die Zeit prägt die Gesichter ihrer Heiligen entscheidend. Deswegen spricht Pater Kentenich mit vollem Recht vom "Heiligentyp der Zeit". Damit greift er eine Folgewirkung des Geheimnisses der Menschwerdung Christi auf. Christus tritt in unsere Geschichte ein. Christus, der Herr der Zeit, erfüllt alle menschlichen Zeitmaße – Stunden, Tage, Jahre, Jahrhunderte – mit der Gegenwart Gottes und seinem Heilswirken (TMA, 7 u. 16). Die Gegenwart Gottes ist von der Zeitlichkeit der Menschen nicht zu trennen. Wie könnte er ein Gott des Lebens und der Geschichte sein, wenn er sich nicht im konkreten Leben und in der konkreten Geschichte der Menschen offenbaren würde? Ja, er offenbart sich so konkret, dass daraus - je nach Epoche - verschiedene Typen der Heiligkeit entstehen. Es gibt tatsächlich eine Art Geschichte der Heiligkeit. Schauen wir ganz kurz auf einige ihrer Etappen: In den ersten Jahrhunderten der Kirche waren die Märtyrer die großen Vorbilder. Die erste bekannte Aussage über die Blutzeugen stammt aus dem Jahr 156 n. Chr. und erzählt das Martyrium des Hl. Polykarp, Bischof von Smyrna. Es heißt dort: Der Nebenbuhler veranlasste, den Prokonsul zu ersuchen, er möge den Leib von Polykarp nicht herausgeben, "damit sie nicht den Gekreuzigten verlassen und diesen anzubeten anfangen". Der christliche Berichterstatter kommentiert diesen Sachverhalt weiter: "sie begreifen nicht, dass wir Christus niemals verlassen werden und dass wir keinen anderen anbeten können. Denn ihn beten wir an, weil er der Sohn Gottes ist. Den Märtyrern aber erweisen wir als Schülern und Nachahmern des Herrn gebührende Liebe wegen ihrer unübertrefflichen Zuneigung zu ihrem König und Lehrer. Möchten doch auch wir ihre Genossen und Mitschüler werden!" Als später die Christenverfolgungen aufhörten, hat man das Beispiel solcher Menschen hervorgehoben, die durch einen herben asketischen Lebensstil und heroisches Kämpfen für den Glauben eine Art geistiges Martyrium durchlitten haben. Das waren vor allem die Mönche, die in der Wüste die vollkommene Vereinigung mit Christus gesucht haben. Jahrhunderte später waren es hauptsächlich die Mönche in den Klöstern. Abgeriegelt von der Welt haben sie durch Gebet und Arbeit nach Heiligkeit gestrebt. Franz von Sales hat dann im 17. Jahrhundert eine andere Art von Heiligkeit, die Werktagsheiligkeit, gelebt und gekündet. Unser Vater definiert diese Werktagsheiligkeit als "die gottgefällige Harmonie zwischen affektbetonter Gott-, Werk- und Menschengebundenheit in allen Lagen des Lebens." Jede Zeit braucht ihre Heiligen und prägt eine arteigene Modalität. Kein Heiligentyp hat ein Monopol auf Heiligkeit! Keine Epoche kann das Geheimnis Christi in vollem Licht sehen und es vollständig erfassen, immer sind es Fragmente eines Ganzen. "Die katholische Wahrheit ist symphonisch", hat Urs von Balthasar gesagt. Das gilt auch für die katholische Heiligkeit: verschiedene Töne, verschiedene Melodien innerhalb eines Konzertes. Die Heiligkeit, die heute gefragt ist, sollte eine zeitgemäße Heiligkeit sein. Sie muss aus unserer Zeit sein und sie muss für unsere Zeit fruchtbar sein. Denn das Wirken des Heiligen Geistes offenbart durch die Zeit und für die Zeit immer wieder "neue Implikationen des Wortes" (Urs von Balthasar), d.h. es eröffnen sich neue Perspektiven, andere Zugänge zum Reichtum des Geheimnisses Christi. Zugleich fällt vom Evangelium her Licht auf die Probleme und Anliegen der Zeit. Die Heiligen, betont Urs von Balthasar, sind "die Antwort von oben auf die Fragen von unten!" So hat etwa der Hl. Benedikt mit seiner Ortsgebundenheit eine Antwort auf die damalige Völkerwanderung gegeben. Franziskus und Dominikus haben eine feudalistisch erstarrende Kirche durch radikal gelebte Armut und Einfachheit erneuert. Das Konzil von Trient brachte durch den Einsatz von Karl Borromäus, Ignatius von Loyola, Theresia von Avila neues Leben in die Kirche.  

Heiligkeitsprofil Pater Kentenichs: die Hand am Puls der Zeit, das Ohr am Herzen Gottes

Zum Heiligkeitsprofil Pater Kentenichs gehört wesentlich seine Grundeinstellung: "Die Hand am Puls der Zeit und das Ohr am Herzen Gottes." Der Gott, der ihn in einem langen Gnaden- und Lebensprozess geheiligt hat, ist der Gott des Lebens und der Geschichte. Unser Vater hat den Anruf Gottes gehört und in konkreten, oft schwierigen Situationen seiner persönlichen Biographie und seiner geschichtlichen Zeitsituation eine Antwort in Freiheit und Liebe gegeben. Die Zeit ist für ihn zugleich Gabe und Aufgabe. Seine zeitgemäße Heiligkeit ist im wesentlichen gekennzeichnet durch Zeitnähe, Zeitüberwindung und Zeitgestaltung. Diese drei Elemente bilden eine Einheit.  

Zeitnähe

Für die Heiligkeit unseres Vaters ist die Zeitnähe typisch. Wir haben von ihm das Wort gehört, dass es für die "heiligmäßigen Träger unserer Familie und die verlässigen Zeugen ihres Geistes" – und das gilt an erster Stelle für Herrn Pater selbst – folgendes Merkmal gibt: "sie lieben ihre Zeit; sie verkörpern deren Schwächen; sie kämpfen aber auch mit unüberwindlichem Wagemut ihre Kämpfe". Seine Hilflosigkeit, die Hilflosigkeit der Familie und der Kirche – sogar der Gottesmutter - so hebt unser Vater am 31. Mai 1949 hervor, lassen ihn gegenüber den großen Herausforderungen der Zeitenwende nicht in Ruhe. Er sagt: "Persönliche Jugendkämpfe weisen nach derselben Richtung. Sie ließen mich durchkämpfen, was das heutige Abendland bis in die tiefsten Wurzeln erschüttert. Mit der Krankheit durfte ich auch die Heilmittel am eigenen Leibe in reichem Maße erfahren..."(Ansprache zum 31. Mai 1949) Dieser Anteil an den Kämpfen und Schwierigkeiten der Mitmenschen und seiner Zeit geben dem Wort und dem Beispiel unseres Gründers eine besondere moralische Autorität. Er ist nicht ein Heiliger aus vergangenen Jahrhunderten. Aus persönlicher Erfahrung kennt er die akuten Probleme unserer Zeit. Weil er die Vaterlosigkeit erlebt hat und weiß, was sie für Leib und Seele bedeutet, konnte er ein so guter Vater für viele werden und so überzeugend von der göttlichen und menschlichen Vaterschaft sprechen. Weil es in den Jugendjahren so schwierig für ihn war, Gott und Welt in Einklang miteinander zu bringen, konnte er später über die Einheit zwischen Jenseits und Diesseits so eindrücklich predigen. Weil er selbst Bekanntschaft mit autoritärem Handeln gemacht hat, konnte er so heroisch freimütigen Gehorsam leben und eine glaubwürdige Autorität verkörpern. Weil er so viele Jahre auf seine äußere Freiheit verzichten musste, konnte er ein Künder wahrer Freiheit sein. Er hat den Atem der Zeit feinfühlig wahrgenommen, er hat Hoffnungen und Freuden ebenso wie Sorgen und Probleme der Menschen solidarisch geteilt, miterlebt, mitgetragen. Er hat nicht in einer abgekapselten, isolierten Welt gelebt, nicht Weltflucht praktiziert oder gepredigt, sondern die Heiligung des Alltags inmitten der Welt. Er ist weder ein Zuschauer gewesen, noch ein distanzierter Deuter. Er war in seiner Zeit verwurzelt. Aus der Zeit heraus vernahm er die Anrufe Gottes. In den dreißiger Jahren, einer schwierigen Etappe für die Kirche und das deutsche Volk, dankt er Gott für diese Zeit, auch für ihr Durcheinander. Diese Worte von damals gewinnen zusätzlich an Bedeutung, wenn wir an die aktuellen, furchtbaren Ereignisse in den USA denken. "Besonders dankbar müssen wir sein, dass wir in einer Zeit tätig sein dürfen, die so furchtbar aufgewühlt ist. Nicht das Durcheinander sehen, sondern was Gott dadurch will!. Wie viel gewaltige Antriebe bekommen wir durch die Zeit! Überlegen Sie: Wie wären wir schon alt geworden, lendenlahm, hätte nicht das Leben, hätten nicht die stürmischen Winde des Lebens uns immer wieder lebendig erhalten! Und dafür Dank von Herzen!". (Vollkommene Lebensfreude, Oktober 1934, 313). Die Zeitnähe, sich immer wieder neu von den Anrufen Gottes in der Zeit antreiben lassen, macht jung und verhindert das geistige Altwerden, vor allem die Alterung des Herzens.  

Zeitüberwindung

Es gibt eine zweite Dimension: Die Zeitüberwindung. Der Zeitbezug der Heiligkeit Pater Kentenichs bedeutet auch die kritische Distanz zu Erscheinungsformen des Zeitgeistes. Unser Gründer folgt weder der herrschenden Meinung noch Modeerscheinungen. Er lässt sich nicht von immer neuen Experimenten beeindrucken und auch nicht von rapidem Erfolg. Der Heilige Geist schenkt ihm in reichem Maße die Gabe der Unterscheidung der Geister. Er selbst sagt, dass für ihn am Anfang die Deutung der Zeitenstimmen nicht leicht war, aber im Laufe der Jahre ist sie für ihn zu einer Art zweiten Natur geworden. Dieser Gabe verdanken wir seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus oder seiner Verurteilung einer separatistischen Denk- und Lebensform in Kirche und Gesellschaft. Seine prophetische Botschaft hat er weder in der Form einer naiven Schwarzmalerei der Zeitsituation noch als Untergangsprophet verkündet. Für ihn war es wichtig, die Zeit von Idolen, negativen Tendenzen und falschen Ideen zu befreien. Es war eine weitere Form seines Dienens, damit die Menschen dieser Zeit den Weg zum Haus des Vaters ungehindert finden.

Zeitgestaltung 

Ein drittes Element des Zeitbezuges ist die Zeitgestaltung. Der Gott des Lebens erwartete von unserem Gründer – und deswegen auch von uns – nicht nur Zeitnähe und Überwindung des Zeitgeistes, sondern auch die Gestaltung der Zeit. Gilt es nicht für ihn an erster Stelle, was er über die "heiligmäßigen Träger unserer Familie" sagt, nämlich "als hochgemute Abenteurer der Gottesliebe und des Einsatzes für göttliche Interessen an großer Zeitenwende, versuchen sie in klassischer Weise den Heiligentyp der Zeit zu verwirklichen und vorzuleben?" Das Streben unseres Vaters nach Heiligkeit wurde getrieben und beschleunigt durch sein waches Stehen in der Zeit, durch seinen erklärten Willen, den Menschen zu dienen und die Kulturen dieser Zeit mitzugestalten und zu Gott zu führen. Ihm war bewusst, "der heutige Mensch möchte Gott und Göttliches inkarniert sehen im Menschen". (Vollkommene Lebensfreude, Oktober 1934, 40) Viele haben in ihm diese Inkarnation erlebt und dadurch Mut bekommen für das eigene Streben nach Heiligkeit. Er war zutiefst davon überzeugt, dass die Quelle seines Heiligkeitsstrebens die Wirksamkeit der Gottesmutter vom Heiligtum aus – nicht nur für ihn allein oder nur für seine Schönstattfamilie da war. "Im Schatten dieses Heiligtums werden die Geschicke von Kirche und Welt mitentschieden". Deswegen seine Parole nach dem Konzil: weder Weltflucht, noch Weltsucht, sondern Weltdurchdringung! Seine Gründung soll zur Seele der Welt werden. Eine Seele zeigt sich als Lebensprinzip nur, wenn sie in einem Körper inkarniert ist.  

Nur die Heiligen heilen die Welt

Wenn wir das Heiligkeitsprofil unseres Gründers betrachten – und das gilt auch für die heiligmäßigen Gestalten unserer Familie, dann steigt in uns Bewunderung, Dankbarkeit und Freude auf. Doch für uns haben auch die Worte des Heiligen Vaters anlässlich der Seligsprechung zweier italienischer Ordensgründer eine große Bedeutung: "Das, liebe Brüder und Schwestern, sind die beiden Vorbilder, die der Herr in eurer Mitte erweckt hat, zwei Zeugen eures Glaubens, zwei Modelle für den Einsatz, der in der gegenwärtigen Zeit eure Sache ist" (Johannes Paul II.. Predigt bei der Seligsprechung von zwei italienischen Ordensgründern, 17. April 1988). In unserer Mitte hat der Herr die Heiligkeit unseres Vater erweckt. Er ist ein glaubwürdiger Zeuge. In ihm haben wir ein Modell für den Einsatz, der in der gegenwärtigen Zeit von uns gefragt ist. Unsere Fassungslosigkeit angesichts der Terroranschläge in den USA sollte unsere Einsatzbereitschaft nicht lähmen, sondern verstärken. Wenn Hass und Gewalt so viel Unheil hervorbringen, müsste dann nicht die Kraft der Liebe fähig sein, umso mehr Heil zu bringen und eine menschlichere Welt zu schaffen? Heiligkeit heute ist der Anruf Gottes, gerade auch in dieser Stunde. Mit den Worten eines Dichters könnten wir sagen: Nur die Heiligen heilen die Welt. Durch die Hassenden wird sie zerstört, die Gott Dienenden segnen die Zeit. Dich zu beteiligen bist du bestellt, tritt zu den Heiligen, heile die Welt. (Gerhard Kuhofka) Inspiriert vom Beispiel unseres Gründers fragen wir uns, wie wir den Anruf Gottes heute wahrnehmen und beantworten, wie wir die Nähe zur Freude und Trauer der Menschen, ihren gegenwärtigen Fragen und ihrem Suchen pflegen können. Wir fragen uns, wie wir die negativen Tendenzen und Erscheinungsformen des Zeitgeistes überwinden können, wo und wie wir den konkreten Raum unserer persönlichen und sozialen Geschichte gestalten können. Von der Gottesmutter erflehen wir die Kraft, damit wir aus unserer Zeit und für unsere Zeit nach Heiligkeit streben können.

 

 



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