Schönstatt: Begegnungen am Ursprungsort

Anfang eines konkreten Austauschs
Begegnung mit der "Scuola Abba" der Fokolarbewegung

(Michael Schapfel/mkf) Am 3. März 2000 trafen sich sechs führende Vertreterinnen und Vertreter der Fokolarbewegung und deren "Scuola Abba" – einer Gruppe von 26 Wissenschaftlern aus verschiedenen Ländern und akademischen Disziplinen, die wissenschaftliche Arbeit im Sinne des Gründercharismas Chiara Lubichs praktizieren – mit Mitgliedern des Josef-Kentenich-Instituts, das ähnliche Ziele im Sinne der Sendung Pater Kentenichs verfolgt, sowie weiteren Vertretern der Schönstattbewegung. Neben fruchtbarem Austausch bildete der Abschluss in der Gründerkapelle einen Höhepunkt dieser Begegnung. Eine Vertreterin der Fokolare betete darum, dass Pater Kentenich mit seinem väterlichen Charisma nicht nur für seine Schönstatt-Familie da sein solle, sondern als Vater für alle geistlichen Bewegungen.

Gottes Geschenke sind oft überraschend, gehen weit über das hinaus, was wir planen, uns ausdenken und erwarten. In der Sprache Pater Josef Kentenichs findet sich dazu der Ausdruck von der "schöpferischen Resultante", die sich aus den beteiligten menschlichen Kräften alleine nicht ableiten lässt. Das Josef-Kentenich-Institut hat am 3. März eine solche Erfahrung gemacht.

Anfang eines konkreten Austauschs

Es war an einem Samstag im Januar. Das Präsidium des Josef-Kentenich-Instituts war im Priesterhaus Berg Moriah in Schönstatt zusammengekommen, um die diesjährige Jahrestagung des Instituts vorzubereiten. Im Raum stand der Gedanke, das JKI solle den Besuch von Chiara Lubich und Andrea Riccardi in Schönstatt am 10.6.1999 aufgreifen – ein Vorgang, der aus dem Pfingsttreffen der Geistlichen Bewegungen 1998 und den Worten Papst Johannes Paul II an die Bewegungen und Gemeinschaften, noch mehr aufeinander zuzugehen und in der Einheit zu wachsen, hervorgegangen war.

Nachdem zunächst daran gedacht worden war, auf der Jahrestagung dieses neue Zueinander der Geistlichen Bewegungen intern und ganz aus der Sicht Schönstatts und seines Gründers zu reflektieren, ergab auf einmal ein Wort das andere: Wäre es nicht im Sinne dieses Lebensvorgangs, dass wir statt unter uns zu bleiben, nicht nur gedanklich, sondern real, lebendig aufeinander zugehen? – Könnten wir nicht jemanden von der Fokolar-Bewegung einladen? – Vielleicht mit den Fokolaren ins Gespräch kommen, ob und wie sie in ihrer Bewegung das versuchen, was das JKI als Auftrag versteht, nämlich den geistlichen Aufbruch der jeweiligen Bewegung, das Charisma Pater Kentenichs reflexiv zu durchdringen und in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen? Es wurde überlegt, einen Vertreter der "Scuola Abba", der Abba-Schule der Fokolar-Bewegung einzuladen. Über den Regens von Münster, Dr. Wilfried Hagemann, Verantwortlicher der Fokolarpriester in Deutschland, wurde Kontakt aufgenommen. Er sagte einen Referenten zu; Chiara Lubich sollte über das Vorhaben informiert werden.

Chiara Lubich maß dem Vorhaben eine viel größere Bedeutung bei, als von Schönstatt aus erwartet. Die Gründerin wolle nicht nur Dr. Hegge, der zum weiteren Kreis der Scuola Abba gehört, schicken, sondern einen weiteren Priester aus ihrer unmittelbaren Umgebung vom internationalen Zentrum der Fokolar-Bewegung. Professor Fabio Ciardi, der ursprünglich zu diesem Zeitpunkt hätte in Hongkong sein sollen, würde zur JKI-Tagung aus Rom nach Schönstatt kommen.

Was die Scuola Abba sein möchte

Am Freitag, den 3. März 2000 kamen Prof. Fabio Ciardi OMI aus Rom, Dr. Christoph Hegge aus Münster sowie die vier Hauptverantwortlichen der Fokolar-Bewegung in Deutschland, für den Norden Helga Maria Rademacher und Clemens Hachmöller, für den Süden Renata Simon und Heinz Barion, nach Schönstatt. Von Seiten der Schönstattbewegung waren außer den Teilnehmern der JKI-Tagung auch weitere Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinschaften Schönstatts in das Priesterhaus gekommen, an ihrer Spitze P. Dr. Michael J. Marmann, der Vorsitzende des Generalpräsidiums des Internationalen Schönstattwerkes.

Bei der herzlichen Begrüßung – zum Teil trafen sich alte Bekannte – überbrachte P. Fabio Ciardi Grüße von Chiara Lubich. P. Fabio, Professor für Spirituelle Theologie und Mitglied des innersten Kreises der Abba-Schule stellte zunächst die Entstehungsgeschichte der Scuola Abba dar. Diese ist in den persönlichen spirituellen Erfahrungen Chiara Lubichs verwurzelt. Als sie 1949, bald nach der Gründung ihrer Bewegung im 2. Weltkrieg, mit ihren ersten Gefährtinnen eine Zeit der Erholung in den Bergen verbrachte, erlebte sie eine besondere Gnadenzeit und starke innere Erleuchtung über ihr Werk. Ein wichtiger Aspekt während dieser Zeit in den Bergen war, dass die Gnaden gemeinschaftlich erlebt wurden, nicht nur von Chiara allein. Eine große Rolle spielt von Anfang an das "Wort des Lebens", ein Wort der Heiligen Schrift, das als lebendiges Wort Gottes das Leben transformiert; in ihrer Erfahrung ging es dabei um das Sich-Wegschenken, das Sich-Entleeren aus Liebe, bis nur noch Gott, Christus in ihnen lebt. Wer so ganz entleert ist, der kann sich ganz von Gott erfüllen lassen.

Zu einem besonderen Ereignis dieser Zeit wird die Begegnung mit Igino Giordani, einem bekannten Politiker und Schriftsteller. Chiara schlug ihm einen "Pakt der Einheit" vor – einen radikalen Pakt gegenseitiger Unterstützung und Liebe auf der Basis des Leer-Seins. Als Chiara am anderen Tag betete, kam ihr nur das Wort "Abba" auf die Lippen – sie war leer geworden, Christus betet in ihr, und er betet zum Vater. Chiara hält in diesen Monaten ihre geistlichen Erfahrungen in Notizen fest.

Gründercharisma - Wie ein Brunnen mit einer mächtigen Fontäne

Ciardi zeigte auf, dass Chiara nach der Ausgründung des Werkes um 1990 das Bedürfnis hatte, die Erfahrungen von 1949 fest zu halten und aufzuarbeiten. Prof. Klaus Hemmerle, der 1994 verstorbene Bischof von Aachen, erkannte in diesem Gut wichtige theologische Gedanken und regte das Studium darüber an. So entstand die "Scuola Abba", benannt nach dem ersten Wort, das sich Chiara bei jener besonderen Erfahrung in den Bergen auf die Lippen drängte.

Zunächst bestand die Abba-Schule aus vier Mitgliedern, die Zahl wuchs bald, heute gehören zum engeren Kreis der Scuola Abba 26 Personen. Sie ist international zusammengesetzt (u.a. aus Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien, England, Brasilien, USA), die Mitglieder kommen aus verschiedensten Disziplinen (u.a. Theologie, Philosophie, Ökonomie, Recht, Mathematik, Soziologie, Physik). Das zuletzt berufene Mitglied ist ein deutscher evangelischer Theologe. Die meisten bleiben Dozenten und sind weiterhin intensiv in ihrer Wissenschaft tätig. Die Mitglieder dieses Kernkreises wohnen in Rom und Umgebung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen findet jeden Samstag eine ganztägige Sitzung zusammen mit der Gründerin statt.

Zu Beginn jedes Treffens wird gemeinsam der "Pakt der Einheit" erneuert, ein radikaler Pakt der gegenseitigen Liebe. Jeder versucht, ganz leer von sich zu werden. Es geht nicht darum, "Theologie über Jesus" zu betreiben, sondern die Theologie von Christus selbst machen zu lassen. Der fundamentale Aspekt der Methodologie lautet: so weit wie möglich mit den Augen Jesu den Vater und alle Wirklichkeit sehen lernen. Nach der Erneuerung des Paktes wird ein Text, vorzugsweise aus Chiaras Aufzeichnungen, gelesen, dann von ihr und den anderen kommentiert. Alle haben auch die Möglichkeit, Chiara zu befragen. Die Sätze von damals werden angereichert, kommentiert durch Zitate der Kirchenväter, aus der Heiligen Schrift, von Heiligen, von Theologen. Ciardi illustrierte mit einem Bild, was Abba-Schule und Gründercharisma füreinander bedeuten: Das Charisma ist wie ein Brunnen mit einer mächtigen Fontäne in der Mitte, die Mitglieder sind wie kleine Fontänen, die, bereichert durch ihre Fachkompetenzen, das reine Wasser der Fontäne aufnehmen und "gefärbt" weitergeben. Maria ist die "forma", Methode und Modalität. Marianisch sein heißt für die Fokolare: aufnehmen können, pflegen, wachsen lassen.

Die Scuola Abba spricht auch Einladungen an externe Persönlichkeiten aus, so z.B. an anglikanische Bischöfe, reformierte Kirchenführer, andere katholische Theologen sowie an Politiker. In "Nuova Umanitá", einer wissenschaftlichen Zeitschrift der Bewegung, werden Artikel und Papiere, die in der Scuola entstehen, publiziert. Es existiert ein weiterer Kreis von etwa dreihundert Personen in vielen verschiedenen Ländern, die erweiterte Schule. Ciardi gab nicht nur Theologie und Methodologie weiter - an diesem Nachmittag wurde viel vom inneren Leben der Scuola Abba und damit auch vom Geheimnis der Fokolar-Bewegung spürbar. Es wurde deutlich, wie sehr die Abba-Schule aus dem Ursprungscharisma der Gründerin lebt und arbeitet, wie der mystische "heiße Kern" der Bewegung wissenschaftliches Arbeiten bestimmt, inspiriert und formt.

Wegen der knappen Zeit kam es bei dieser ersten Begegnung zwischen den beiden Institutionen noch nicht zu einem Austausch im eigentlichen Sinn. Es würde sich sehr lohnen, noch viel intensiver miteinander ins Gespräch zu kommen über die jeweilige Art des Philosophierens, der Begegnung von Wissenschaft und Gründercharisma, nicht zuletzt über die geistliche Haltung als Voraussetzung wissenschaftlichen Arbeitens im Geist Josef Kentenichs bzw. Chiara Lubichs. Die Schönstätter nahmen aus dem Nachmittag wertvolle Anstöße mit. Nicht, um eine solche Abba-Schule zu kopieren, sondern um sich vielleicht zunächst selbst zu vergewissern, wie in den viel föderativer strukturierten verschiedenen wissenschaftlichen Initiativen innerhalb der Schönstattbewegung mit ihrem schon verewigten Gründer gelebt und gearbeitet wird. Ein Reflexionsprozess scheint angestoßen, was denn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Schönstattbewegung bei einer Tagung der Fokolare referieren würden über schönstättische Methodologie, über die zu Grunde liegende geistliche Haltung, über ganzheitliches wissenschaftliches Arbeiten, in der Sprache Kentenichs "organisches Denken, Lieben und Leben".

Begegnung in der Gründerkapelle

Der Nachmittag mit der Scuola Abba mündete in das gemeinsame Beten und Singen im Heiligtum. Eine Heilig-Geist-Vesper bildete den liturgischen Rahmen für eine Zeit freien Dankens und Bittens. Nach dem anschließenden Abendessen gingen alle in die Gründerkapelle, die ehemalige Sakristei der Dreifaltigkeitskirche auf Berg Schönstatt, wo Pater Kentenich am 15. September 1968 in die Ewigkeit gerufen wurde, wo Tausende von Menschen die Begegnung mit ihm suchen und wo seine sterblichen Überreste ruhen. Es ist der Ort, wo am 10. Juni 1999 die Gründer der drei Bewegungen einander begegnet sind und an dem Chiara Lubich zum Abschluss ihres Besuches in Schönstatt den weiteren gemeinsamen Weg der Geistlichen Bewegungen der Dreimal Wunderbaren Mutter von Schönstatt anvertraut hat. Eine sehr dichte Zeit zunächst stillen und dann freien Betens folgte. Ein Vertreter der Fokolare brachte zum Ausdruck, dass er bisher nur in Assisi eine vergleichbare Liebe zum Gründer gefunden habe wie heute hier in Schönstatt. Eine andere betete darum, dass Pater Kentenich mit seinem väterlichen Charisma nicht nur für seine Schönstatt-Familie da sein solle, sondern als Vater für alle geistlichen Bewegungen. Die Begegnung schloss mit dem Gebet, das Chiara Lubich im Jahr zuvor dort gebetet hatte, der Erneuerung der Weihe an die Gottesmutter und der Bitte um den Segen für die Bewegungen auf der ganzen Welt.

(Der vollständige Artikel erscheint in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift REGNUM 2/2000.)





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Letzte Aktualisierung: 28.03.00, 19:35
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