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Veröffentlicht am 2020-12-05 In Zeitenstimmen

„Ich bin nicht Feministin, obwohl ich katholisch bin. Ich bin Feministin, weil ich katholisch bin“.

María de los Ángeles Miranda Bustamante, Chile, Journalistin •

Cecilia Sturla, Spezialistin für Feminismus und Kirche: „ch bin nicht Feministin, obwohl ich katholisch bin. Ich bin Feministin, weil ich katholisch bin“. Die Wissenschaftlerin aus Argentinien, Mitglied des Instituts der Schönstattfamilien, hält Vorträge und schreibt Artikel über die Rechte der Frauen in der Gesellschaft und besonders in der Kirche, wo Frauen heute mehr denn je „Sitz und Stimme“ haben sollten. Heute teilen wir einen Teil des Interviews, das sie mir für das Programm „Arreglando el Mundo“ des Bistums Valparaiso, Chile, gegeben hat. —

 

Marita Miranda Bustamente

María de los Ángeles Miranda Bustamente, Journalistin

„Wenn ich wasche, kochst du“ – so lautet die Maxime im Haus von Cecilia Sturla in Salta, Argentinien, wo sie mit ihrem Mann, Doktor José María Sanguinetti, mit dem sie dem Institut der Schönstattfamilien angehört, und ihren sechs Söhnen und Töchtern lebt. Sie ist Professorin für Philosophie und Akademikerin an der Katholischen Universität von Salta, wo sie Direktorin des Instituts für Familie und Leben „Johannes Paul II“ ist. Von dort aus hat sie innerhalb und außerhalb der Bewegung Artikel geschrieben und Konferenzen über Frauen, Feminismus und die Kirche abgehalten. Sie fasst ihre Position zusammen, indem sie die feministische Theologin Marie-Therèse van Lunen-Chenu paraphrasiert: „Ich bin nicht Feministin, obwohl ich katholisch bin. Ich bin Feministin, weil ich katholisch bin“.

In ihren Forderungen verweist sie auf das „problematische Verhältnis zwischen der Kirche und dem Feminismus“ an, „weil man sich vor dem Wort Feminismus fürchtet, weil es mit einem radikalisierten Feminismus assoziiert wird, weil es mit Frauen assoziiert wird, die sich vor Kathedralen ausziehen und religiöse Bilder zerstören – aber das ist nicht „der“ Feminismus. Wir müssen über Feminismen sprechen“. Denn es gibt ebenso viele Feminismen wie Frauen, und wir dürfen nicht verallgemeinern.

Es ist wichtig, den Unterschied zwischen dem Geschlecht als der biologischen Konstitution von Männern und Frauen, und dem Geschlecht als der sozialen Konstruktion um das Männliche und Weibliche herum, zu verstehen. Warum werden gerade im Geschlecht die Rechte der Frauen im Vergleich zu denen der Männer historisch so sehr verletzt?

Weil es von Männern geschaffene soziale Strukturen gibt, an denen die Frau nicht teilhaben konnte. Wirtschaft, Politik, Gesellschaft wurden auf dem männlichen Blick aufgebaut. Frauen haben nicht über Gesetze debattiert. Der Blick wurde also einseitig maskulinisiert. Frauen wurden aus dieser Sphäre herausgelassen, obwohl es sehr wertvolle Frauen gab, sehr kämpferisch in allen Epochen, aber sie waren nicht in der Lage, diese von Männern geschaffene Struktur zu durchbrechen.

Deshalb erscheint mir der Unterschied zwischen Geschlecht und Gender sehr wichtig, denn die Gender-Perspektive erweitert den Horizont. Wenn Sie Bildung mit einer Gender-Perspektive sagen, sagen Sie damit nicht, dass es kein Geschlecht gibt. Das müssen Sie deutlich machen. Sie sagen, dass Sie mit diesen beiden Perspektiven in die Bildung gehen müssen, mit dieser Perspektive, die den Horizont für die gesamte Menschheit erweitert.

 

Was die Strömungen im Feminismus betrifft, so gibt es Simone de Beauvoir, die 1949 „Das zweite Geschlecht“ veröffentlichte, in dem sie sagt, dass Männer und Frauen nicht verschieden, sondern gleich seien und die Gesellschaft, das Gender-Geschlecht, sie unterschiedlich gemacht habe. Auf der anderen Seite gibt es den Feminismus der Differenz, der besagt, dass Männer und Frauen unterschiedlich, aber von gleicher und gleichwertiger Natur sind, und es sei die Gesellschaft, die diese Unterschiede in Ungleichheiten verwandelt. Mit welcher dieser beiden Ansichten identifizieren Sie sich am meisten?

Ich nehme von allen Feminismen. Ich bin von einem ungeheuren Synkretismus. Wir stehen auf den Schultern von Giganten. Ich spreche hier dank des Feminismus der ersten Welle (Ende des 18. Jahrhunderts, für die Rechte der Frauen und Bürger, im Rahmen der Französischen Revolution) und der zweiten Welle (von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre für das Frauenwahlrecht). Es gibt Dinge, mit denen ich nicht einverstanden bin, denn ich würde nicht sagen, dass wir so gleich sind, dass es keine Unterschiede gibt und dass sexuelle Unterschiede keine Unterschiede sind. Denn dadurch entstand die dritte Welle (ab den 1960er Jahren, für sexuelle und reproduktive Rechte). Und was ist deren Kritik? Wenn Sie sagen, dass wir absolut gleichberechtigt sind, dann bedeutet das, dass Frauen kein Recht haben, Urlaub für Schwangerschaft oder Stillzeit zu beanspruchen. Und eine schwangere Frau ist nicht dasselbe wie ein Mann, der nicht schwanger wird, wenn es um die Arbeit geht. Der Anspruch der Frauen der dritten Welle an die Frauen der zweiten Welle ist also genau das. Wir sind verschieden, wir müssen den Unterschied respektieren, aber seien Sie vorsichtig, denn der Unterschied muss aus Chancengleichheit und Verteilungsgleichheit, der Theorie von Nancy Fraser, abgeleitet werden.

Und wie steht es mit der heutigen vierten Welle des Feminismus? Was sind seine Forderungen?

Es ist sehr interessant, was der Feminismus der vierten Welle sagt. Weil die sozialen Medien entstanden sind, sind auch globale Auseinandersetzungen entstanden (…). Einige sagen, dass es keine Welle ist, sondern ein Tsunami, weil die sozialen Medien diese Explosion provoziert haben, und dieses Bedürfnis, einige Themen zu kennen, mit denen wir lateinamerikanischen Länder nicht umgehen können.

Es sind Forderungen aller Art: für das Recht auf Abtreibung, für Löhne, für die Frauenquote. Das hängt vom jeweiligen Land ab (…). Aber es ist ein Kampf, der kulturübergreifend ist, der Grenzen überschreitet.

Papst Franziskus spricht in seiner ersten Enzyklika Evangelii Gaudium von der Bedeutung der Frau in Kirche und Gesellschaft: Ist es möglich, Ideen des Feminismus in die Lehre der Kirche zu integrieren, um die Menschenrechte zu respektieren?

Ich glaube, dass die Kirche früher oder später einige der Annahmen des Feminismus übernehmen wird. Sie muss sie annehmen, um geheilt zu werden. Unsere Kirche ist ebenso heilig wie sündig, und zu ihrem sündhaften Zustand gehört die Unmöglichkeit in einigen ihrer Strukturen, Frauen einzubeziehen. Da muss man sehr kritisch hinsehen. Sie als Chilenen wissen es besser als jeder andere. Die Kirche in Chile ist hart geschlagen. Die Sache mit dem Missbrauch ist grauenvoll. Und ich sage Chile, weil es in Argentinien nicht so heftig ist, wenigstens nicht so wie in Chile. Aber bei diesem Thema haben wir Frauen viel zu sagen. Der Fall des Missbrauchs, der Klerikalismus, der auf der patriarchalischen Figur eines allmächtigen Priesters, eines allmächtigen Bischofs basiert, ohne Beteiligung der Laien… In einer Bischofskonferenz ist 50% der Weltbevölkerung nicht vertreten! Man sagt, wow, wie cool, was die Bischöfe sagen. Aber wo sind die Frauen? Man muss aus der Angst herauskommen. Man muss mit einem Bischof auf Augenhöhe reden. Wenn der Bischof genauso Gotteskind ist wie du, genauso Kind der Kirche wie du! Das Einzige, was passiert, ist, dass der Bischof eine Diözese leitet.

Was könnte die Kirche tun, um die Anerkennung der Frauenrechte voranzubringen?

Es gibt einen Weg, den Papst Franziskus vorgezeichnet hat, nämlich den der Synodalität, den man mitgehen, gemeinsam gehen soll. Es scheint mir, dass dort eine Synergie erreicht werden kann, dass Frauen innerhalb einer Diözese, innerhalb der Pastoral einer Kirche, eine Stimme und ein Stimmrecht haben. Für mich ist der Weg Synodalität, Diskussion, Zusammenarbeit, Zusammenbringen von Zielen. Es gibt viele Dinge, in denen wir enorm viel Gutes getan hätten, wenn wir zusammengearbeitet hätten. Dass die offizielle Stimme der Kirche ein Priester oder ein Bischof ist, wirkt kontraproduktiv. Und heute mehr denn je. Das nimmt die Glaubwürdigkeit.

Manchmal hören wir in katholischen und auch schönstättischen Gruppen den Begriff Gender-Ideologie. Dieser Begriff existiert in der feministischen Theorie nicht, sondern wurde von kritischen Gruppen geprägt, um einige Ideen zum Feminismus zu bezeichnen. Was halten Sie von der so genannten „Gender-Ideologie“?

Es gibt eine Verwirrung, die, wenn sie nicht geklärt wird, viel Lärm und viele Streitigkeiten erzeugt (…).“Gender“ ist für mich ein Begriff, der als Kategorie dient, um soziologisch die Sterotypen zu analysieren, die man der Frau zugeschrieben hat. Doch der Begriff „Ideologie“ wird dem Denken eines Teils des Feminismus zugeschrieben, das sich aus dem Postulat ableitet, dass Gender eine kulturelle Kategorie und  (biologisches) Geschlecht (ebenfalls) nur eine kulturelle Kategorie sei. Folglich gibt es kein Geschlecht, ist Geschlecht einfach nur eine kulturelle Konstruktion und ist für deine persönliche Entfaltung irrelevant. Das ist eine Theorie, die aus dem Neostrukturalismus von Foucault, Judith Butler usw. hergeleitet wird. Es ist eine Dekonstruktion des Geschlechts. Diese Positionierung eines Typs von Feminismus wird innerhalb der katholischen Kirche (und nur dort!) als „Ideologie“ bezeichnet, weil es keine wissenschaftliche Grundlage dafür gibt, dass Geschlecht irrelevant ist.

Abtreibung wird als das Recht der Frau dargestellt, aber es gibt auch das Recht des Embryos auf Leben. Wie kann man Feministin sein und gegen die Abtreibung?

Ich bin Feministin und ich bin nicht für die Abtreibung. Junge Frauen stellen mir diese Frage sehr oft. Für mich ist Abtreibung ein Kryptomachismus. Sie ist Folge einer verdeckten maskulinisierten Struktur. (…) Es ist eine Gesellschaft, die weder Frauen noch Schwangerschaften berücksichtigt. Und das ist für mich sehr schmerzhaft.

Die Theologie sagt uns, dass Gott weder Mann noch Frau ist. Aber er wird in der Regel als Mann mit Bart dargestellt und noch mehr in Haltungen, die männlichen Stereotypen entsprechen. Feministische Theologinnen behaupten, dass sich dies oft in Macho-Doktrinen kristallisiert, die Heiligkeit nach dem Bild und Gleichnis von Gott-Mann gebieten. Was denken Sie über das Geschlecht Gottes?

Gott hat kein Geschlecht. Was passiert, ist, dass die Männer ihn an sich gerissen haben (sie lacht). Ich bewundere feministische Theologinnen. Es gibt Dinge, die von einer Schönheit und Tiefe sind, die ich liebe. Gott ist weder ein Mann noch eine Frau, und es wäre gut, den fraulichen Teil zu zeigen, den Gott hat, der in der Heiligen Schrift steht;  wir wissen nur oft nicht, wie man die Bibel liest. Gott liebt wie eine Mutter (…). Mir gefällt die Pluralität von Gottesbildern, aber es stimmt, in der Regel sind es eher einseitig maskulinisierte  Bilder.

TSie haben in Ihren Vorträgen gesagt, dass Jesus ein Feminist war. Was bringt Sie darauf?

Der Blick Jesu auf die Frauen ist zu seiner Zeit absolut revolutionär. Wenn wir Jesus in seinen historischen Kontext stellen, in eine jüdische Gesellschaft, in der Frauen reine Fortpflanzerinnen waren, stellt dieser Blick Frauen und Männer auf die gleiche Stufe. Es gibt mehrere Szenen (…). Zum Beispiel die der Frau, die in flagranti beim Ehebruch ertappt wurde. Sie werden sie steinigen, sie werden sie töten. Halt! Ehebruch  passiert ja wohl zu zweit, oder begeht die Frau ihn allein? Was geschah mit dem Mann, wohin hat man ihn gebracht? (…) Deshalb sagt Jesus, als sie ihn finden und er in den Sand schreibt: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“. Das heißt, wenn die Frau eine Sünderin ist, ist der Mann genauso ein Sünder. (…) Es ist ein Gesetz des Moses, dass Jesus hier bricht. Jesus bricht das Schema (…)

Und was passiert dann? Die Apostel waren ihrer Kultur verhaftet und hatten nicht den inklusiven Blick Jesu. Und dann kam Konstantin und dann wurde die Kirche hierarchisch und dann … sind wir da, wo wir sind.

Und im Fall v0n Maria, welche feministischen Züge sehen Sie bei ihr?

Maria wurde es nicht leicht gemacht. Sie glaubt, dass sie schwanger wird, ohne verheiratet zu sein.  Joseph wollte sie verleugnen. Sie muss sich einer Gesellschaft stellen.
Maria ist nachdenklich. Bei der Verkündigung fragt sie den Engel: „Wie kann das sein?“ Mir gefällt das Bild von der Hochzeit zu Kana. Jesus hat keine Ahnung, er steckt nicht im Detail und die Frau schon. (…) Maria sagt: „Sie haben keinen Wein mehr“. Und Jesus sagt: „Frau, was geht mich das an?“ Und Maria sagt: „Macht, was er nachher sagt.“ Sie ist eine proaktive Frau, und sie respektiert nicht einmal, dass Jesus indirekt Nein zu ihr sagt. Sie ergreift Maßnahmen. Diese Darstellung von Maria mit rosa Wattewölkchen, mit einem Gesicht wie ein geschlachtetes Kalb,  das ist nicht Maria. Maria hat einen unglaublichen Mut. Am Fuße des Kreuzes erhob sie sich gegen das Römische Reich. Alle Jünger waren zu Tode erschrocken und gingen laufen. Die einzigen, die dort waren, waren Johannes und die Frauen. (…) Maria ist nicht ausschließlich ein Modell der Frau, sondern ein Modell des Menschen.

Original: Spanisch. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

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