Veröffentlicht am 2019-11-15 In Themen - Meinungen, Zeitenstimmen

Die Gewalt in Chile

CHILE, Patricio Young •

Wir sind bestürzt über die Gewalt, die in unserem Land mit der Brandstiftung in U-Bahn-Stationen, Rathäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen sowie mit Plünderung und Niederbrennung von Supermärkten, Einkaufszentren und kleinen Ladengeschäften auftritt. —

Einige erklären, dass dies eine Manifestation der so lange aufgestautenWut ist, andere, dass es seben typisch sei für „Sack und Pack“, und wieder andere sehen dahinter um eine organisierte Aktion von Anarchisten und Systemgegnern. Die Plünderungen, sagt man,  sind Aktionen des Pöbels, wie bei den nachfolgenden Verhaftungen beobachtet wurde, von Leuten, die die Gunst der Stunde nutzten.

Doch die Gewaltspirale dreht sich. Nun gab es Menschenrechtsverletzungen und sehr gewalttätige Handlungen von Polizisten.

Aber lass uns tiefer gehen. Diese ausgeprägte Gewalt ist auch das Ergebnis institutioneller Gewalt, die in der großen sozialen Ungleichheit zum Ausdruck kommt. Es stimmt, dass das Land gewachsen ist und die Armutsquote deutlich gesenkt hat, im Jahr 2018 lag der Index bei 8,6% der Bevölkerung. Aber die Ungleichheit wächst. Die CEPAL errechnete für 2017, dass 1% der Bevölkerung 26,5% des Reichtums besaßen, während 50% der Haushalte mit niedrigem Einkommen 2,1% davon hatten, und 10% der Bevölkerung 66,5% des Reichtums des Landes auf sich vereinen; und in diesem Segment finden wir die überwältigende Mehrheit der Schönstätter Chiles.

Diese institutionelle Gewalt drückt sich in einer schlechten Gesundheitsversorgung, mangelnder Bildung und miserablen Renten aus. Dazu kommt ein Staat, der seit Jahren erst nach Barrikaden und Reifenbränden und dann kaum einmal im Dialog auf soziale Konflikte reagiert. Kurz gesagt, wir lebten in einer gewalttätigen Gesellschaft, die nicht tragfähig war.

Wir lassen sie jahrelang allein

Erzbischof Fernando Chomali von Concepción sagt in Blick auf die Gewalt der Plünderer: „Diejenigen, die heutzutage die Supermärkte plünderten, sind Teil unserer Gesellschaft: Sie studierten an den Schulen und Hochschulen und, einige von ihnen, sehr verschuldet, an den Universitäten, die die öffentliche Politik hervorgebracht hat. Wahrscheinlich warten ihre Großeltern (in vielen Fällen die Säule ihrer Familien) seit Jahren auf eine Operation und viele sind inzwischen gestorben. Unsere Plünderer haben das Gefühl, dass sie Chile nichts als Not und Erniedrigung schuldig sind. Wir  haben sie jahrelang allein gelassen. Das sollte uns in beschämen.“

In einem weiteren Absatz des Dokuments werden wir selbst hinterfragt: „Lasst uns keine Heuchler sein, wir haben die Plünderer geschaffen, sie gehören zu uns, und es wird lange dauern, die Situation umzukehren. Es ist an uns, unsere eigene Schuld in dem Bereich, den wir zu verantworten haben, zu übernehmen, um Vergebung zu bitten und das verursachte Übel zu beheben, ebenso wie es an der Zeit ist, wieder von Tugend, Sparsamkeit und Einfachheit zu sprechen“.

Kurz gesagt, niemand kann wegschauen, ganz zu schweigen von uns Schönstättern. Durch Tun oder Unterlassung waren und sind wir für diese Situation verantwortlich, wir alle.

All dies kann Wut und Gewalt erklären, aber auf keinen Fall rechtfertigen.

Wir wissen, dass Gewalt eine Spirale ist, die keine besseren Situationen erzeugt als die, die sie zu lösen versucht. Wenn wir jedoch der Gewalt ein Ende setzen wollen, müssen wir die Realitäten und sozialen Strukturen überwinden, die sie hervorbringen.

„Leider fehlt es in unserer Zeit, die so reich ist an zahlreichen Errungenschaften und Hoffnungen, nicht an Mächten und Kräften, die letzten Endes eine Wegwerf-Kultur, eine Kultur der Ausgrenzung hervorbringen, und diese neigt dazu, eine weitverbreitete Mentalität zu werden. Opfer dieser Kultur sind gerade die schwächsten und verletzlichsten Menschen – die ungeborenen Kinder, die Ärmsten der Armen, die alten, kranken Menschen, Schwerstbehinderte … –, die Gefahr laufen, »entsorgt« zu werden, ausgestoßen zu werden aus einem Räderwerk, das leistungsfähig sein muss um jeden Preis. Dieses falsche Modell des Menschen und der Gesellschaft bringt einen praktischen Atheismus in Anwendung, der faktisch das Bibelwort leugnet, das sagt: »Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich« (vgl. Gen 1,26).“ (Papst Franziskus, 12.7.2013).

Wenn diese Gewalt strukturell ist, dann ist es aus genau diesem Grund notwendig, das Modell und insbesondere die Verfassung, die es unterstützt, zu überarbeiten. Darin gibt es zum Beispiel Aspekte, die die soziale Teilhabe betreffen, die Volksabstimmungen nicht zulassen, die Subsidiarität des Staates, der es ihm erlaubt, nur das zu tun, was Menschen und Initiativen nicht können, das präsidiale System, das für viele in ein semi-präsidentielles umgewandelt werden sollte, und vieles.

Teilhabe mit der Hoffnung auf Wachstum

Aber diese Krise ist sehr hoffnungsvoll, denn Krisen gehören zum Wachstum. Da das Land über großen Reichtum verfügt, muss es lernen, ihn besser verteilen kann. Zu diesem Zweck gibt es viele, die sich einen „Wohlfahrtsstaat“ wünschen, der jedem ein Mindestmaß an Qualität in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Renten garantiert.

Im Land sind spontan selbst einberufene Räte entstanden, um die Bedürfnisse und Vorschläge der Bürger zu erheben. Heute, mit der Zustimmung der Regierung. Dort müssen wir alle mitmachen und dabei sein. Andernfalls haben wir morgen nicht das Recht, uns zu beschweren, wenn uns etwas nicht gefällt.

Ich will keine Ungleichheit unter meinen Kindern

All das begann am 18. Oktober, was für ein klares Zeichen. Gott und unsere Gottesmutter sprechen mit der Stimme von Millionen von Chilenen zu uns: Ich will diese große Ungleichheit unter meinen Kindern nicht! Hier ist heute unsere Aufgabe, dazu beizutragen, Bedingungen für mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

“Möge ein jeder Mut fassen, auf den Grund seines Gewissens zu schauen und auf jene Stimme zu hören, die sagt: Komm heraus aus deinen Interessen, die dein Herz verengen, überwinde die Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen, die das Herz gefühllos macht, besiege deine Todesargumente und öffne dich dem Dialog, der Versöhnung: Schau auf den Schmerz deines Bruders – ich denke an die Kinder, allein an sie… – schau auf den Schmerz deines Bruders und füge nicht weiteren Schmerz hinzu, halte deine Hand zurück, baue die Harmonie wieder auf, die auseinander gebrochen ist – und das nicht mit dem Zusammenprall, sondern mit der Begegnung! ” (Papst Franziskus, Gebetswache für den Frieden, 7.9.2013).

Es ist nicht die Konfrontation, die Perspektiven der Hoffnung auf die Lösung von Problemen bietet, sondern die Fähigkeit zur Begegnung und zum Dialog.“ (Papst Franziskus, 25.8.2013).

Frieden ist die Frucht von Gerechtigkeit und Dialog.

 

Foto: iStock Getty Images, ID 1065178846, Hydromet

 

Original: Spanisch. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

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