Veröffentlicht am 2018-03-19 In Kolumne - Carlos Barrio y Lipperheide, Kommunikation, Themen - Meinungen

Die Kommunikation der Wahrheit

Carlos Barrio y Lipperheide, Argentinien, Verfasser von „Die Freude an der Arbeit“ •

Kommentare zum Gebet von Papst Franziskus zum 52. Welttag der Sozialen Kommunikationsmittel (2018)—

Herr, mache uns zum Werkzeug deines Friedens.
Lass uns das Böse erkennen, das sich in eine Kommunikation einschleicht, die nicht Gemeinschaft schafft.
Gib, dass wir das Gift aus unseren Urteilen zu entfernen wissen.
Hilf uns, von den anderen als Brüder und Schwestern zu sprechen.
Du bist treu und unseres Vertrauens würdig; gib, dass unsere Worte Samen des Guten für die Welt sein mögen:
wo Lärm ist, lass uns zuhören;
wo Verwirrung herrscht, lass uns Harmonie verbreiten;
wo Zweideutigkeit ist, lass uns Klarheit bringen;
wo es Ausschließung gibt, lass uns Miteinander schaffen;
wo Sensationssucht herrscht, lass uns Mäßigung wählen;
wo Oberflächlichkeit ist, lass uns wahre Fragen stellen;
wo es Vorurteile gibt, lass uns Vertrauen verbreiten;
wo Aggressivität herrscht, lass uns Respekt bringen;
wo es Falschheit gibt, lass uns Wahrheit schenken.

Amen.

Papst Franziskus

 

Carlos Barrios

Der Mensch drückt sich durch Kommunikation aus. Alles was man tut, wird auf die eine oder andere Weise kommuniziert. Wie Watzlawick sagt: „Man kann nicht nicht kommunizieren“[1], weil „jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“ [2]

Darum drücken wir in der Kommunikation unser Sein, unsere Überzeugungen und Werte aus. Doch viele Male versuchen wir, unsere wahren Absichten durch Botschaften zu verbergen, die anscheinend etwas sagen, aber eine andere Absicht haben, die verborgen bleibt oder bleiben soll oder auch direkt und bewusst die Wirklichkeit verfälscht („Fake News“).

Was man mit diesen Falschnachrichten erreichen will, ist klar: Man möchte Aufmerksamkeit erregen und Leute für bestimmte Anliegen gewinnen, indem man bestimmte Aspekte einseitig hervorhebt und andere verbirgt.

Wir alle sind irgendwann einmal in diese Falle getappt, die wir schlicht und einfach „Manipulation“ der Botschaft nennen, die wir anderen vermitteln und die wir als Wasser auf unsere Mühlen benutzen, indem sie Verwirrung, Zweideutigkeit, Ausschluss, Sensationslust, Oberflächlichkeit, Vorurteil, Aggressivität und/oder Falschheit in dem, was wir vermitteln, schafft, wie Papst Franziskus in seinem Gebet sagt.

Jede Kommunikation beginnt im Herzen des Menschen

Darum beginnt authentische Kommunikation im Herzen des Menschen, in seiner ureigenen Intention, an dem Ort, wo Lüge keinen Raum hat, „wo die Wahrhaftigkeit regieret und Wahrheit herrscht und triumphieret“[3].

Die Wahrheit vermitteln zu wollen ist ein umfassend demütiger, harter und tiefgehender Prozess, der implizit eine Verpflichtung auf die Treue beinhaltet, das auszudrücken, was wir als Realität sehen und als wahr erkennen, in dem Wissen, dass unser Blick immer einseitig und begrenzt ist und wir Raum lassen müssen für andere Interpretationen.

Auf der einen Seite sehen wir, wie unsere Kultur, unsere mentalen Modelle und unsere Interessen uns – oft, ohne es zu bemerken – dazu bringen, einige Aspekte der Wahrheit, die wir wahrnehmen, zu betonen und/oder zu relativieren. Wie der Talmud sagt: „Wir sehen die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie wir sind.“

Auf der anderen Seite müssen wir anerkennen, dass unser Herz manchmal auch zum Bösen oder zum Egoismus neigt und wir in diesen Umständen, wenn wir kommunizieren, dies auf der Grundlage unserer kleinkarierten Eigeninteressen tun und dabei die Wahrheit bewusst verbergen.

Die Interessenperspektive

Wenn wir kommunizieren, müssen wir unsere Interessenperspektiven im Blick haben, das heißt, jene Aspekte, die unsere persönliche Struktur ausmachen, und die Situation oder die persönlichen Lebensumstände, Interessen, Wünsche und Bedürfnisse, die jeder von uns hat und verfolgt. Kentenich sagt, unsere Natur habe eine sehr eigene Sicht, eine Perspektive, und diese Perspektive werde von meinen Interessen, meinem Leben bestimmt. Unsere Natur sei so eingestellt und suche eine Antwort. Das nennt Kentenich die „Interessenperspektive“ [4]

Sofort fallen mir die verschiedenen Sichtweisen ein, die sich aus den Interessenperspektiven ergeben, etwa ob wir Inhaber oder Angestellte eines Unternehmens sind oder ob wir einem Wirtschaftsverband oder einer Gewerkschaft angehören.

Das Hören auf die Interessenperspektive spiegelt unsere Wünsche und Bedürfnisse und die der anderen, manche bewusst und andere nicht.[5]

Nur ausgehend vom Bewusstsein für diese Schwierigkeit, die wir alle damit haben, objektiv zu sein in unseren Urteilen, sind wir in der Lage, die Wahrheit zu entdecken.

Unsere Interessenperspektive evangelisieren

Wie mir neulich Pater José María García in einem Gespräch sagte, ist eine der großen Herausforderungen für uns heute, unsere „Interessenperspektive zu evangelisieren und sie so mit Wert zu füllen und ihr so neuen Sinn zu geben.

Wenn etwa in der Arbeitswelt ein Unternehmer eine verkürzte und eingeschränkte Sichtweise aus seinen eigenen Interessen heraus hat, dann wird er vermutlich die Interessen der Angestellten nicht in seine Perspektive hineinnehmen und sie darum weder verstehen noch gebührend berücksichtigen. Ähnlich ist es aber auch, wenn der Mitarbeiter das Verständnis seiner Interessenperspektive nicht ausweitet auf die Interessen des Unternehmers, dann kann er diesen nicht verstehen und die Problematik, die dieser durchlebt, nicht begreifen.

Die Interessenperspektive des anderen berücksichtigen und in meine eigene integrieren bildet nach meinem Verständnis eine der großen Herausforderungen sowohl für die Kommunikation wie für die Unternehmen.

Kentenich war sich sehr wohl der Spannungen im Leben der Gesellschaft und in allen Organisationen bewusst und zeigte Wege auf, diese zu überwinden, und zwar durch eine „schöpferische Spannungseinheit“[6], in der die gegensätzlichen Pole sich nicht voneinander unabhängig machen, sondern sich integrieren in der Entdeckung, dass es sich um die gleiche organische Wirklichkeit handelt.

Auf dieser Linie können wir sagen, dass es kein Unternehmen ohne Kapital, aber auch keines ohne Arbeit gibt. Beide Aspekte müssen in einer Interessenperspektive integriert werden, die sie einander anpasst und beide umspannt, statt sie zu isolieren, zu polarisieren und in destruktiver Weise gegeneinander zu stellen.

Wenn es nicht glückt, eine schöpferische Spannungseinheit aufzubauen, dann entsteht eine zerstörerische Spannungseinheit. Und das geschieht leider sehr oft als Folge des Zwangs, den eine der beiden Parteien in Spannung aufgrund ihrer äußeren Macht auf die andere ausübt. Wir sehen diese fehlende Verknüpfung der beiden Spannungspole Tag für Tag in Hungerlöhnen, die oft gerade von marktführenden Unternehmen gezahlt werden wie auf der anderen Seite in nie endenden Streiks, bei denen es nicht darum geht, einen Konflikt zu überwinden, sondern ihn zu verlängern. Das sind zwei typische Beispiele, bei denen die Kommunikation aufhört und eine destruktive Spannungseinheit zwischen den Parteien entsteht.

Nur aus einer spannungsüberwindenden Synthese können wir mit unserem Papst Franziskus beten: „Lass uns das Böse erkennen, das sich in eine Kommunikation einschleicht, die nicht Gemeinschaft schafft.“

Urheber und Ursprung überquellenden Lebens werden

Diese Gemeinschaft darf nicht zur einer spannungsfreien Uniformität führen, sondern zum Gelingen dieser schöpferischen Synthese,[7], die uns erlaubt, die Lebensströmungen wahrzunehmen, mit denen wir zu tun haben. Um diese zu erkennen, müssen wir eine authentische Führungsfähigkeit entwickeln, die uns dazu bringt, „Urheber quellenden Lebens“[8] zu werden, wie Kentenich betont. So stark und herausfordernd ist die Führungsfähigkeit, die er empfiehlt!

Ein Führer ist für ihn jemand, der fähig ist, „lebendige Fühlung mit seinen Mitarbeitern zu halten“[9] , das heißt zu wissen, „in all den Meinigen steckt Leben.“.[10] Deshalb wird der Führer derjenige sein, der aufmerksam die Realität beobachtet und wahrnimmt, um zu entdecken, wo die Lebensströme sind, um sie zu  verstärken, sie zu entwickeln und sie dann durch alle zu verbreiten. [11]

Ich möchte zwei Fälle aufführen, die gegensätzliche Pole in Führungsqualität wie Kommunikation repräsentieren, einer orientiert an Lebensströmungen, der andere in sich verschlossen und daher destruktiv.

Dem ersten bin ich in dem peruanischen Sicherheitsdienstunternehmen Liderman, gegründet von Javier Calvo Pérez, begegnet.

Die Tätigkeit von Wachleuten galt in Peru als eine der gesellschaftlich am schlechtesten angesehenen Berufe, als Calvo Pérez in diesem Bereich seine Tätigkeit begann. Die Wachleute wurden verspottet, galten als einfache Leute ohne Ausbildung und ohne Ahnung. Calvo Pérez gab ihnen ihre Würde zurück.

In seinem Buch „Das Ohr auf dem Boden“ [12] schreibt er: „Unser Bemühen von Jahren war auf die Wiedererlangung der Würde der Menschen, die im Bereich der privaten Sicherheit arbeiten, vor allem in Lateinamerika“, ausgerichtet[13]. Damit taten sie das, was Franziskus in seinem Gebet anregt: „Wo Aggressivität herrscht, lass uns Respekt bringen.“

Er weist auch auf den Schlüssel zum Erfolg seines Unterfangens hin: „Nur mit ethischen Personen und Firmen arbeiten, welche die gleichen oder ähnliche Werte haben wie wir, die sich für die Menschen einsetzen, für die Gesellschaft und die Umwelt.“[14]  Von dieser Perspektive aus setzte er um, was Franziskus meint, wenn er sagt: „Wo es Falschheit gibt, lass uns Wahrheit schenken.“

Ein weiterer zentraler Aspekt seiner im Unternehmen angewandten Prinzipien besteht darin, dass die Führungskraft „das Ohr auf dem Boden der Organisation haben muss, um so weit wie möglich nach unten zu hören, auch auf die Leute, die normalerweise von niemandem beachtet werden und denen auch niemand die Offenheit entgegenbringt, über ihre Empfindungen zu reden.“ [15] Auf diese Weise macht Pérez Calvo zum Unternehmensprinzip, was Franziskus sagt: „Wo Lärm ist, lass uns zuhören

Der Fall Volkswagen

Den zweiten Typ von Führung und Kommunikation, den ich mechanistisch und ausschließlich profitorientiert und ohne jedwedes Interesse am Gemeinwohl nenne, können wir geradezu exemplarisch in der bewussten Desinformation von Volkswagen und Toyota gegenüber den Behörden in den USA sehen.

Volkswagen gab zu, zwischen 2009 und 2015 gut 11 Millionen in aller Welt verkaufte Dieselfahrzeuge mit einer Software ausgestattet zu haben, welche die Schadstoffabgabetests von Dieselmotoren gefälscht hat.

Als Ergebnis dieses Betrugs hatten ihre Motoren erfolgreich die Standards der US-Umweltbehörde E.P.A. bestanden. Die betreffenden Fahrzeuge haben einen vierzigfach höheren Ausstoß von Stickoxyden, wodurch berechtigte Zweifel daran bestehen, dass die Dieselmotoren des deutschen Unternehmens wirklich sauberer sind als seine Benzinmotoren.

Volkswagen gab zu, dass „Dieselgate“ dem Unternehmen 18,2 Milliarden Dollar gekostet habe.
Toyota wurde vier Jahre lang von den US-Behörden untersucht, um herauszufinden, ob der Autohersteller seine Kunden und die Behörden mit den Problemen der plötzlichen Beschleunigung seiner Autos betrogen hatte. Schließlich wurde Toyota wegen der Verdeckung der Mängel an seinen Fahrzeugen verurteilt, das heißt, weil man wissend die Falschaussage gemacht hatte, dass das Problem behoben worden sei. Die Mängel an den Fahrzeugen hatten den Tod von über zwanzig Menschen verursacht. Eric Holder, ein Mitglied des Justizministeriums benutzte sehr scharfe Worte, als er das Verhalten als „skandalös“ bezeichnete, weil Toyota „eher die Marke als das Leben ihrer Kunden schützen wollte.“

Diese Fälle sprechen von einer Kultur des Betrugs und der Lüge, jeglicher Lebensströmung entgegengesetzt. Mehr noch, ich nenne dies rundheraus Todesströmung, denn sie sind nicht auf Betrug aufgebaut, sondern kosteten Menschenleben und vergifteten die Umwelt.

Wir müssen wieder den wirklichen Sinn des Unternehmens entdecken, denn es ist, wie Enrique Shaw sagt, „nicht nur eine Zelle des Wirtschaftslebens, sondern muss auch eine Lebensgemeinschaft werden“”[16], die dazu beiträgt, dass die Arbeiter „Eigeninitiative entwickeln und mit einem ungeahnten Fluss kreativer Fantasie beitragen…“[17] und sich „angeregt fühlen, mit Freude zu arbeiten.“”[18]

So können wir die Interessenperspektiven aller Teilnehmer und unternehmerischer Wertschöpfer integrieren und auf unserem Weg Lebensströmungen schaffen.

Nur durch eine Unternehmens- und Menschenführung, die sich als Dienst am Leben versteht, können wir das Vertrauen des Menschen und in den Menschen zurückgewinnen sowie die Freude, die aus einer sinnerfüllten Arbeit kommt und eine gesunde Kommunikation schafft, um so mit Franziskus zu beten: „Du bist treu und unseres Vertrauens würdig; gib, dass unsere Worte Samen des Guten für die Welt sein mögen.“

 

Carlos E. Barrio y Lipperheide, carlosebarrio@gmail.com, 17. 2. 18

Botschaft von Papst Franziskus zum Welttag der Sozialen Kommunikationsmittel 2018

[1] P. Watzlawick, J. Beavin Bavelas y D.D. Jackson, “Teoría de la Comunicación humana. Editorial Herder (1997), Seite 52. Deutsch: Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien, Hans Huber-Verlag, 1972
[2] P. Watzlawick, J. Beavin Bavelas y D.D. Jackson, “Teoría de la Comunicación humana. Editorial Herder (1997), Seite 50. Deutsch: Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien, Hans Huber-Verlag, 1972
[3] Josef Kentenich. „Himmelwärts“, Vers 604
[4], siehe Horacio Sosa, “El Desafío de los Valores. Aportes de José Kentenich a la pedagogía actual”. EDUCA (Ediciones de la Universidad Católica Argentina). Jahr 2000, Seite 263
[5] Juan Pablo Berra sagt: „Alle Empfindungen sind Energien, die als Ergebnis eines Wunsches oder eines erfüllten oder nicht erfüllten Bedürfnisses entstehen“. Juan Pablo Berra. “Los 7 niveles de la Comunicación”. Editorial SB. Juli 2009, Seite 89.
[6] Josef Kentenich. “Mi filosofía de la educación”. Editorial Schoenstatt (August 1985), Seite 11. Deutsch: J. Kentenich, What is my philosophy of education?, in: Philosophie der Erziehung. Prinzipien zur Formung eines neuen Menschen und Gemeinschaftstyps. Bearbeitet von Herta Schlosser, Vallendar 1991, 39-89
[7], ebenda.
[8] Ebenda, Seite 46
[9] Josef Kentenich. “Textos Pedagógicos”. Editorial Nueva Patris (Herbert King) – 2005-, Seite 304. Deutsch: Joseph Kentenich, ein Durchblick in Texten, Bd. 5: Pädagogische Texte
[10] Ebenda, Seite 304 und 305.
[11] Ebenda, Seite 306
[12] Javier Calvo Pérez. “La oreja en el piso”. Editorial Aguilar (2012).
[13] Ebenda, Seite 15
[14] Ebenda, Seite 28
[15] Ebenda, Seite 38
[16] Enrique Shaw “… y dominad la tierra”. Editorial ACDE (2010), Seite 29.
[17], ebenda.
[18] Ebenda, Seite 30

 

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