Veröffentlicht am 2017-03-15 In Themen - Meinungen

Ein Fastenvorschlag: ernsthaft nach der Wahrheit suchen

Von Sarah-Leah Pimentel, Kapstadt, Südafrika •

Dieser Tage erinnerte ich mich an eine Geschichte: Ein böser König wollte den Glauben seines Volkes an Gott zerstören. So rief er seine weisesten Ratgeber zu sich und fragte sie, wo sie die Wahrheit über die Existenz Gottes so verbergen könnten, dass die Menschen ihn nie mehr finden würden.

Der erste Ratgeber sagte: „Verstecke die Wahrheit über ihren Gott auf dem fernsten Stern, wo sie ihn nie finden können.“

„Nein“, sagte der zweite Ratgeber. „Eines Tages werden sie fliegen lernen und finden ihren Gott. Es wäre besser, die Wahrheit unter den Tiefen des Ozeans zu verstecken. Dort werden sie ihn niemals finden.“

„Das wird auch nicht gelingen“, sagte der dritte weise Ratgeber. „Eines Tages werden sie lernen, bis auf den Grund des Ozeans zu schwimmen und ihn finden. Verstecke vielmehr die Wahrheit über ihren Gott in der Tiefe ihres Herzens, denn der Mensch wird niemals lernen, Gott in seinem eigenen Inneren zu suchen.“

Die Moral der Geschichte ist: Wenn wir die Wahrheit finden, finden wir Gott. Unser Gott, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, lebt in uns. Aber oft jagen wir so eifrig nach Interpretationen der Wahrheit oder nach Fälschungen, die als Wahrheit gemalt werden, dass wir die wirkliche Wahrheit nicht erkennen, die in uns lebt.

Pilatus Suche nach der Wahrheit

Diese Suche nach Wahrheit verfolgte Pontius Pilatus. Als Botschafter Roms war Pilatus ein mächtiger Mann. Ihm lag die Welt zu Füßen. Er besaß allen Luxus, den er erträumte. Es fehlte ihm an nichts. Doch tief innen erkannte er seine tiefe geistige Armut. Er erkannte, dass die Realität, die er um sich herum geschaffen hatte, nur ein Schemen der Wahrheit war. Er wusste tief drinnen, es war nicht die ganze Wahrheit.

Als er Jesus begegnete – geschlagen und gebrochen – rührte sich das Herz des Pilatus, und eine große Last wurde von seinen Schultern genommen, als er Jesus fragte: „Was ist Wahrheit?“

In dem Abschnitt der Heiligen Schrift antwortet ihm Jesus nicht, sondern schwieg. Aber ich frage mich, ob es in dem Augenblick ein tiefes Gespräch der Seelen gab – zwischen dem Herzen Jesu und dem Herzen des Pilatus.

Ein Teil von uns möchte, dass Jesus dem Pilatus eine direkte Antwort gibt. Warum kann Jesus ihm nicht sagen, dass er der Sohn Gottes ist? Vielleicht ist das der Grund, dass Wahrheit etwas ist, dass im Herzen entdeckt wird und nicht nur mit der Kraft des Geistes. Ja, Wahrheit benutzt unseren Verstand und Intellekt, aber sie ist zuerst eine spirituelle Erfahrung, die nicht verdreht und versklavt werden kann durch kluge und gut artikulierte Argumente.

Leben in einer Zeit, die ihre eigene „Wahrheit“ herauspickt und auswählt

Unsere Zeit kämpft mit der Erkenntnis der Wahrheit, gerade weil wir versucht haben, sie unter unseren Willen zu beugen. Wir haben die Wahrheit an unsere Denkweise angekettet und sie zu unseren verschiedenen Weltanschauungen geformt. Die jüngsten politischen Ereignisse in Europa, Amerika und Afrika haben gezeigt, dass es gerade nicht die Wahrheit ist, die weiterhin zählt; stattdessen werden Versionen von Wahrheit („alternative Fakten“)  oder gar glatte Lügen Teil der politischen Agenden. Und es liegt an jedem von uns, unsere Agenda oder „Wahrheit“ herauszupicken.

Wir sehen das gleiche Spiel bei fundamentalistischen Gruppen, die die Religion benutzen, um ihre politischen und ideologischen Ziele zu fördern. Ihre Botschaft steht im Widerspruch zur Liebe Gottes, aber sie haben es geschafft, dass sich  Bruder gegen Bruder wendet – wie Jesus es vor seinem Tod vorausgesagt hat, – indem sie Elemente der Wahrheit genommen und mit Angst vermischt haben (vgl. Mk 13,12).

Das Ergebnis ist, dass der moderne Mensch so misstrauisch gegenüber der Wahrheit geworden ist, dass wir aufgehört haben, danach zu suchen. Daneben gibt es eine Art Erschöpfung, weil wir zu müde und zu beschäftigt sind, um aktiv nach der Wahrheit zu suchen. Es ist ja auch viel einfacher, die Fassungen der Wahrheit in unseren Facebook-Posts oder in der Bildzeitung zu konsumieren. Es ist ja auch leichter, mit dem Strom zu schwimmen oder in den Komfortzonen unserer eigenen Echoräume zu bleiben, die uns eine Wahrheit anbieten, die uns nicht herausfordert.

Massenmenschentum des 21. Jahrhunderts

Das ist Massenmenschentum. Wir denken, was die Gesellschaft uns zu denken vorgibt. Wir verhalten uns nach den Trends und Ideen von heute. Und wenn die sich ändern, ändern wir uns mit ihnen.

Ich staune immer wieder, wie Pater Kentenich das in den frühen 1960er Jahren so klar sehen konnte. Als er zur Gemeinde in Milwaukee sprach (s. Predigt vom 28. Oktober 1962) [1], beschreibt er die Eigenschaften eines Menschen, der von Vermassung erfasst ist.  Der Massenmensch, so Pater Kentenich

  • hat verlernt, in geistige Welten sich selbstständig hineinzudenken
  • denkt nicht selbst, der denkt das, was und weil andere das so denken
  • hat keine Kraft, keine Fähigkeit, selbständig erforschen zu können
  • hat keine Fähigkeit, einen Schluss zu ziehen, selbständig einen Schluss zu ziehen und diesen Schluss durchzuführen.

Berufen, neue Menschen in neuer Gesellschaftsordnung zu sein

Ja, wir sind berufen, der neue Mensch in der neuen Gesellschaftsordnung zu sein. Der neue Mensch ist das Gegenteil zum Massenmenschen. Der neue Mensch ist eine feste, freie, priesterliche Persönlichkeit. Der neue Mensch ist nicht gefesselt durch die jeweilige Mode der Zeit. Der neue Mensch ist berufen, einen Standpunkt einzunehmen.

Pater Kentenich fordert uns auf, uns nach dem Beispiel Marias zu formen, der Frau, die „alle diese Worte im Herzen bewahrt – also nicht einmal nur im Verstand, auch im Herzen – und immer wieder neu überlegt: Was sagt das, was besagt das alles?“ Maria hat nicht immer verstanden, was Gott von ihr verlangt hat. Der Plan wurde erst in seiner Entfaltung klarer. Maria konnte wahrscheinlich nicht genau verstehen, wie sie durch die Kraft des Heiligen Geistes schwanger werden würde. Sie mag die Worte des Propheten nicht verstanden haben, der gesagt hat, dass „dieses Kind dazu bestimmt ist, der Grund zu sein, dass viele in Israel zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden“. Aber Maria hat verstanden, dass alles zu gegebener Zeit offenbar würde, wenn sie nur ihr Vertrauen auf Gott setzte. Und bis dahin dachte sie über die Ereignisse in ihrem Leben und im Leben ihres Sohnes nach.

 

Die Wahrheiten der Welt mit den Augen des Glaubens interpretieren

Das ist genau die Haltung, zu der Pater Kentenich uns aufruft, sie zu übernehmen. Er drängt uns, die Ereignisse der Welt mit den Augen des Glaubens zu sehen. Und die Ereignisse der Welt im Zusammenhang mit der übernatürlichen Wirklichkeit zu sehen:

„An sich müsste mein Glaubenswissen ein überaus lichtvolles sein, ein überaus sicheres sein und ein überaus zusammenhängendes Wissen, Glaubenswissen sein. Wie ist das aber praktisch? Ich glaube, es wird wohl niemand von uns Widerspruch erheben, wenn ich beifüge: Ja, das Glaubenswissen des Massenmenschen ist alles andere denn lichtvoll, denn klar, eindeutig klar. Nicht wahr, wie müsste an sich mein Glaubenswissen sein? Wenn ich das sogleich anwenden darf auf unsere eigene seelische Haltung, zumal wie wir die heute haben sollten, dann müsste der Glaube ein Licht sein, dann müsste der Glaube eine Lichtatmosphäre um mich verbreiten(ebd.)

Eine Herausforderung in der Fastenzeit

Vielleicht können wir, wenn wir durch diese Fastenzeit gehen, um die Gaben des Glaubens und der Unterscheidung bitten.

Diese vierzig Tage sind eine gute Zeit, die Frage des Pilatus an uns selbst zu stellen: Was ist Wahrheit? Vierzig Tage lang lasst uns viele Wahrheiten ignorieren, die die Welt uns zu verkaufen sucht. Stattdessen lasst uns nach der Wahrheit suchen. Lasst uns die Wahrheit finden, die zu Gott führt und die in uns lebt.

Und lasst uns Pater Kentenichs Herausforderung aufgreifen, zu sehen und zu erkennen, wie die ewige Wahrheit zu dem passt, was uns verschiedene Gruppen in der Gesellschaft als Wahrheit verkaufen wollen. Sehe ich Gottes Wahrheit in meiner Weltanschauung? Falls nicht, verlangt das meinerseits vielleicht eine Änderung meines Denkens, sodass ich wirklich den starken Glauben von Persönlichkeiten, die durch eine einzige Idee geformt sind, teilen kann.

 

[1] Niehaus, J (ed.). 2012. Exchange of Hearts: The Transforming Power of Consecration to the Immaculate Heart of Mary by Fr. Joseph Kentenich. Schoenstatt Fathers. Deutsch: KENTENICH, Joseph, Aus dem Glauben leben. Predigten Milwaukee 4, Vallendar-Schönstatt 1970, S. 37-50

 

Original: Englisch. Übersetzung: Ursula Sundarp, Dinslaken, Deutschland/mf

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