Veröffentlicht am 2009-09-29 In Themen - Meinungen

Wenn wir heute die Erzengel Gabriel, Raphael und Michael feiern, dann feiern wir damit auch den Umgangsstil Gottes mit seiner Schöpfung.

EngelP. Elmar Busse. Wenn ich einen Katalog über Bücher und Geschenke durchblättere, dann finde ich Engelkalender, Engelfiguren aus Bronze, Speckstein oder Holz, es gibt Nachbildungen der beiden Engelchen von Raffael auf dem Bild der Sixtinischen Madonna, Schlüsselanhänger mit Engelmotiven und jede Menge Bücher über Engel. Es ist wie in einer barocken Kirche: da wimmelt es nur so von Engeln.

Wenn ich mich zurück erinnere an mein Theologiestudium, dann waren die Engel ein Paragraph in der Vorlesung über die Schöpfungslehre – also ein unbedeutendes Thema, das vor den großen Themen über die Erlösung und die Gotteslehre verblasste. Die Wichtigkeit der offiziellen religiösen Themen und die Beliebtheit der Engel – das sind zwei verschiedene Welten. Nun hat sich die Volksfrömmigkeit noch nie groß darum gekümmert, was Theologen diskutierten und für diskutierenswert hielten. Aber es ist tatsächlich auffallend, wie vielfältig und vital die Beschäftigung mit Engeln – auch über den Kreis der Christen hinaus – geworden ist. Ja, wenn man gewissen Umfragen Glauben schenken darf, dann soll es Menschen geben, die fest an die Existenz von Engeln glauben aber an der Existenz Gottes zweifeln.

In diesem verwilderten Garten eines Folklore-Christentums, wo Wildkräuter und Nutzpflanzen munter nebeneinander gedeihen, ist es vielleicht angebracht, sich einmal ganz bewusst die katholische Lehre über die Engel zu vergegenwärtigen, um dann in einem zweiten Schritt zu prüfen, was denn an diesem Massenphänomen Engelsfrömmigkeit mit unserem Glauben vereinbar ist.

Wenn wir in den großen Katechismus der katholischen Kirche schauen, dann wird klar gesagt:

  1. Es gibt geistige, körperlose Wesen, die von der Hl. Schrift „Engel“ genannt werden.In ihrem ganzen Sein sind die Engel Diener und Boten Gottes. Weil sie „beständig das Antlitz meines Vaters sehen, der im Himmel ist“ (Mt 18,10), sind sie „Vollstrecker seiner Befehle, seinen Worten gehorsam“ (Ps 103,0) [329]
  2. Als rein geistige Geschöpfe haben sie Verstand und Willen; sie sind personale und unsterbliche Wesen. Sie überragen alle sichtbaren Geschöpfe an Vollkommenheit. Der Glanz ihrer Herrlichkeit zeugt davon. [331]
  3. Bis zur Wiederkunft Christi kommt die geheimnisvolle, mächtige Hilfe der Engel dem ganzen Leben der Kirche zugute. [334]
  4. Wenn wir Liturgie feiern, vereinen wir uns mit der himmlischen Liturgie d.h. mit den Engeln, um den dreimal heiligen Gott anzubeten. [335]
  5. Von Kindheit an bis zum Tod umgeben die Engel mit ihrer Hut und Fürbitte das Leben des Menschen. „Einem jeden der Gläubigen steht ein Engel als Beschützer und Hirte zur Seite, um ihn zum Leben zu führen“, sagt schon der Kirchenlehrer Basilius. Schon auf dieser Erde hat das christliche Leben im Glauben an der glückseligen Gemeinschaft der in Gott vereinten Engel und Menschen teil. [336]

 

Gott ist kein Gott der Sparsamkeit

EngelImmer wieder komme ich mit Christen ins Gespräch, die ein ganz lebendiges unkompliziertes Verhältnis zu ihrem Schutzengel haben. Dann wiederum gibt es Christen, die damit überhaupt nichts anfangen können. Wenn ich so im Nachhinein diese Gespräche analysiere, dann beschleicht mich der Verdacht, dass diese Christen irgendwie von einer Rationalisierungsmentalität geprägt sind. Es ist klar: Wenn ich im Betrieb die Arbeitsabläufe effektiver gestalten soll und die Arbeitproduktivität erhöhen soll, dann werde ich Arbeitsplätze wegrationalisieren. Und wenn ich damit von Montag bis Freitag beschäftigt bin, dann prägt das mit der Zeit mein Denken. Wichtig ist dann für solche Christen die Gottunmittelbarkeit – also der unmittelbare Zugang zu Gott im Gebet. Alles andere ist überflüssig.

Doch sind wir auf dem Holzweg, wenn wir Gott tiefer verstehen wollen, und meinen, er wäre ein Gott des Sparsamkeitsprinzips. Denn dann müsste er konsequenterweise sagen: „Geht mal alle weg! Keiner kann alles so gut wie ich. Deshalb brauche ich Euch nicht!“ – Dass es überhaupt diese Welt in ihrer Vielfalt und Buntheit gibt lässt sich nur verstehen, wenn wir Gott als einen liebenden Gott begreifen, der seine Allmacht und Phantasie in den Dienst seiner Liebe stellt und aus dieser Motivation heraus die sichtbare und die unsichtbare Welt geschaffen hat. Und weil er selber die Liebe ist und das Glück der Liebe in sich zwischen Vater, Sohn und heiligem Geist genießt, wollte er dass seine geschaffenen Wesen auch aufeinander bezogen sind und voneinander abhängig sind.

Im Konzentrationslager Dachau

In der lieblosen und hasserfüllten Welt eines Konzentrationslagers hat der Gründer der Schönstatt-Bewegung, Pater Josef Kentenich, eine Credo-Meditation verfasst in Reimform: Daraus möchte ich einige Strophen zitieren:

Wir sind so arm und schwach und bloß;
Du machst erhaben uns und groß
Zu des verklärten Herren Glied,
der als das Haupt zu dir uns zieht.

Du Gott erhöhest unser sein,
ziehst in die Seel‘ als Tempel ein,
wo mit dem Sohn und Heiligen Geist
du dich als Dauergast erweist.

So sind wir über alle Welt
Ins Göttliche hineingestellt,
sind mehr in deinen Augen wert
als ohne uns die ganze Erd‘.

Die Werke jeglicher Kultur
Sind wie ein kleines Stäubchen nur,
gemessen an der Herrlichkeit,
die deine Liebe uns verleiht.

Du hast uns deinen Sohn geschenkt,
der still für uns am Kreuze hängt;
du sendest uns den Heiligen Geist,
der uns erzieht und unterweist,

gibst einen Engel uns zu Seit‘,
der uns zu schützen ist bereit,
und eine Mutter voller Güt‘,
die liebreich sich um uns bemüht.

Mit Heiligen und der Engel Schar
Kreist unser Herz um den Altar;
Es schlägt für den, der dort verhüllt
Der Liebe heißes Sehnen stillt. (Dachaugebetbuch „Himmelwärts S.24ff)

Das sind einfache Knittelverse, die sich aber schnell auswendig lernen ließen. Und das war für die Häftlinge, die ja zunächst an keine religiösen Bücher herankamen, eine große Hilfe. Denn genau die fest formulierten Texte sind gerade in Zeiten der Müdigkeit und Erschöpfung eine Hilfe, gleichsam ein Geländer, an denen sich die Seele entlang ziehen kann, weil keine eigenen Worte mehr aus der Seele aufsteigen können. Diese ganze Meditation ist darauf angelegt, den Häftlingen die abgesprochene Würde wieder zurück zu geben bzw. die Häftlinge gegen die entwürdigenden Praktiken des Wachpersonals seelisch zu immunisieren.

So einen Luxus erfindet nur jemand, der uns Menschen so sehr liebt

Um die innere seelische Dynamik noch mal auf den Punkt zu bringen: Wir dürfen groß von uns denken. Unsere Würde kann uns niemand rauben, weil sie uns unmittelbar von Gott geschenkt ist. Und ein Beweis dafür, wie wichtig wir Gott sind, ist die Tatsache, dass er jedem einzelnen von uns extra einen Engel zur Seite gestellt hat. – So einen Luxus leistet sich kein vom Rationalisierungsgedanken besessener Stellenabbauer. So einen Luxus erfindet nur jemand, der uns Menschen so sehr liebt, der so kreativ und so mächtig ist und der so unbegrenzte Ressourcen hat, dass er keinen Rotstift ansetzen muss.

Auch wenn wir heute nicht in Konzentrationslagern leiden müssen, so gibt es doch für viele von uns jede Menge Faktoren, die an unserem Selbstwertgefühl nagen. Sei es die Arbeitslosigkeit, sei es die Ohnmacht, bei politischen Gestaltungsprozessen doch nur eine Wahlstimme zu haben, sei es das Gefühl, als Eltern versagt zu haben, weil die heranwachsenden Kinder ganz andere Wege gehen, als wir erhofft hatten, und sie sich nichts mehr sagen lassen.

Aus diesem Grund möchte ich am Fest der Erzengel Gabriel, Raphael und Michael im Jahr 2009 besonders auf diesen Zusammenhang wert legen: Die Existenz der Engel und vor allem der Schutzengel kann uns neu helfen, die Glaubenswahrheit in ihrer ganzen Schönheit neu zu entdecken, dass jeder von uns mit Recht sagen kann: Ich bin die Lieblingsbeschäftigung Gottes.

Wer mit Nützlichkeitskategorien im Hinterkopf Gott und seiner Schöpfung begegnen möchte, der manövriert sich immer wieder neu in eine Sackgasse. Denn dann ist alles überflüssig, weil wir den direkten und unmittelbaren Zugang zu Gott haben.

Aber wer dem allmächtigen Gott zutraut, dass er auch und gleichzeitig der liebe Gott ist, dem fällt es leicht, Gott auch die Erschaffung einer Fülle von Geschöpfen zuzutrauen, die im gegenseitigen Austausch mit anderen Geschöpfen und im Dienst füreinander ihre Erfüllung finden und so füreinander zum Segen werden.

Ein Engel an der Seite

Auch EngelNun möchte ich noch auf ein Phänomen zu sprechen kommen, das auch weit verbreitet ist: Der übertragene Sprachgebrauch des Wortes „Engel“. Dominik Brunner wurde für die Kinder, die von gewalttätigen Jugendlichen bedroht wurden, zum Schutzengel und musste diesen Dienst mit dem eigenen Leben bezahlen. In einer Reha-Einrichtung für drogenabhängige junge Männer bekommt jeder neu Eingewiesene einen Schutzengel an die Seite. D.h. er bekommt einen Mann zur Seite, der schon länger in dieser Einrichtung ist, der selber drogenabhängig war, der die Qualen des Entzugs selber durchgemacht hat und der ein neues Leben anfangen will. Diesen darf er zu jeder Tages- und Nachtzeit ansprechen. Oft sagen die Neueingelieferten, dass sie so etwas noch nie erlebt haben, dass sich jemand ausdrücklich für sie interessiert und an ihrem Befinden Anteil nimmt. Und allein diese Erlebnisse, die damit verbunden sind, können so manche seelische Wunde heilen, die durch den Mangel an persönlicher Zuwendung entstanden ist.

Als damals in der Anfangszeit Schönstatts die älteren Theologiestudenten als Soldaten an die Front mussten, da organisierte Pater Kentenich Briefpartnerschaften: Jedem Soldaten wurde ein jüngerer Student, der noch in Schönstatt lernen durfte, zugewiesen. Natürlich nahmen nicht alle Schüler diese Aufgabe so ernst, wie es notwendig gewesen wäre. Demzufolge fühlten sich auch manche Soldaten ziemlich im Stich gelassen. Andere dagegen, die sich an der Front als Kanonenfutter missbraucht erlebten, konnten ihr Selbstwertgefühl wieder aufbauen durch das ehrliche mitfühlende Interesse ihrer daheim gebliebenen Mitstudenten. Pater Kentenich regte zusätzlich den brieflichen Austausch unter den Soldaten selber an: Jede persönliche Zuwendung per Brief tat einfach gut. Und so wurden die Briefschreiber füreinander zum Schutzengel – auch, um in den Wirren des Soldatenalltags nicht die Ideale alle über Bord zu werfen, sondern treu zu bleiben.

Heute haben wir viel schnellere und bequemere Möglichkeiten, um uns auszutauschen und in Verbindung zu bleiben, aber die Herausforderung bleibt: Kann ich mich wirklich öffnen und dem anderen Anteil an meinen wahren Erlebnissen, Träumen und Ängsten zu geben? Äußere Fakten sind schnell hin und her gesimst. Aber wenn wir den Mut aufbringen, andere in unser Herz hinein zu lassen und sie durch unsere Seelenlandschaft zu führen, dann entsteht seelische Nähe.

Nicht der einsame Cowboy

Gott hat seine Geschöpfe nicht erschaffen, damit sie in beziehungsloser Unabhängigkeit vor sich hin vegetieren. Selbst die Planeten und die Sonne beeinflussen sich durch die Gravitationskraft, wobei diese Kraft die geheimnisvollste Kraft ist, denn man weiß wohl, dass es sie gibt, aber wie sie wirkt – das ist nach wie vor ein Rätsel.

Diese Kraft kann uns zum Symbol werden für das Miteinander von uns Menschen. Eine alte Regel der Kommunikationswissenschaft lautet: Wir können uns nicht nicht verhalten. Wir können nicht nicht kommunizieren. D.h. auch wenn wir die Kontaktaufnahme verweigern, dann ist das noch einmal eine Botschaft an das Gegenüber.

Der Politikwissenschaftler Jeremy Rifkin hat in seinem Buch „Der europäische Traum“ sehr deutlich herausgearbeitet, dass in den USA das Symbol des einsamen Cowboys, der stark ist und schnell reiten und schnell schießen kann, nach wie vor das Leitbild für mögliche Sicherheitsstrategien ist. In Europa dagegen hat man nach dem 2. Weltkrieg durch die gegenseitige Abhängigkeit der kriegswichtigen Industrien ein Netzwerk geschaffen, aus dem dann später die Europäische Union geworden ist. Sicherheit durch gegenseitige Abhängigkeit – das bezeichnet er als den europäischen Traum. Und er räumt ihm eine größere Zukunft ein als dem amerikanischen vom einsamen Cowboy.

Jeremy Rifkin hat damit auf gesellschaftspolitischem Gebiet gegriffen, was der Schöpfergott in die ganze Schöpfung gelegt hat: Alle geschaffenen Wesen sind aufeinander bezogen und verwirklichen erst dann ihre gottgewollte Berufung, wenn sie sich von Gott in den Dienst genommen begreifen und für andere da sein wollen.

Das Zueinander von Gott, Engel und Menschen

Wenn wir heute die Erzengel Gabriel, Raphael und Michael feiern, dann feiern wir damit auch den Umgangsstil Gottes mit seiner Schöpfung.

Die Tatsache, dass Gott jedem von uns einen Engel an die Seite gestellt hat, kann uns neu unsere Würde bewusst machen und kann so manche Ängste von uns nehmen. Und was die Engel uns vormachen, das können wir ebenfalls erstreben: Nicht in der einsamen Unabhängigkeit liegt unsere Vollendung sondern in der freiwilligen Entscheidung, sich von Gott für die Mitmenschen in Dienst nehmen zu lassen.

Im Rückblick auf die drei schweren Jahre als Häftling im KZ Dachau und auf all das, was dort im Untergrund an Segensreichem gewirkt worden war, schrieb Pater Kentenich im Oktober 1949 aus der Schweiz einen langen Brief nach Deutschland. Für das Jahr 1950 wurde die Seligsprechung von Vinzenz Pallotti erwartet, dem Gründer der Pallottiner. Pater Kentenich – selber Mitglied dieser Gemeinschaft – zeichnete in diesem Brief ein geistiges Profil des Gründers und nennt ihn eine geschichtsschöpferische Persönlichkeit. Und er weist auf die Ähnlichkeit zum Erzengel Michael hin. Hier der Textausschnitt:

„Die historische Aufgabe geschichtsschöpferischer Menschen wird dadurch eindeutig klar. Sie stellen sich Gott zur Verfügung – willenlos und wagemutig, wie das einst Sankt Michael getan hat [vgl. Offb 19,11-21], um Gottes Schlachten hier und jetzt zu schlagen, um sein Reich mit allen Mitteln aufzurichten und den Teufel und sein Reich in der konkreten Gestalt der Zeitsituation zu überwinden. Niemand kann in diesen gigantischen Kampf schöpferisch und führend eingreifen, der nicht ähnlich wie Jakob mit Gott siegreich gerungen, der nicht den Todessprung für Verstand, Wille und Herz gewagt hat und sich dadurch selbst losgelassen und Gott und seinen Wünschen bedingungslos ausgeliefert hat.“ (Oktoberbrief 1949, S.23)

Wenn wir heute das Fest der drei großen Engel feiern, dann möchte ich Sie bitten, nicht nur sich zu freuen, dass es die drei in ihrer Größe gibt, sondern auch das Zueinander von Gott, Engel und Menschen in den Blick zu nehmen mit gläubigem Herzen.

Genau das Zueinander kann uns neu in Staunen versetzen, was Gott in seiner Liebe alles geschaffen hat und warum er es so und nicht anders getan hat. Wir dürfen auch weiterhin in übertragenem Sinne von Engeln reden und damit Menschen ehren, die für uns zum Segen geworden sind. Aber dieser übertragene Sinn darf nicht dazu führen, dass wir das Wort „Engel“ nur für ein „als ob“ halten und die biblischen Aussagen über die Engel auf reine Symbole reduzieren. Sie sind wirkliche, von Gott geschaffene Wesen, mit Verstand und Wille ausgestattet, um uns Gottes Aufträge und Botschaften zu überbringen und uns besonders zu schützen.

Das ist ein Grund zur Freude.

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