Veröffentlicht am 2015-09-17 In Schönstätter

Chile bebt

CHILE, Carmen María Rogers •

16. September.

Es ist Frühling, Die Straßen sind ausgesprochen schön unter wolkenlosem Himmel, mit ihren blühenden Bäumen und fahnengeschmückten Gebäuden. In den Supermärkten, an den Geldautomaten, auf den Ausfallstraßen von Santiago, den Tankstellen… herrscht die freudige Betriebsamkeit voller Erwartungen vor einem ganz besonderen langen Wochenende: es ist vor dem Nationalfeiertag, und am 17. werden die meisten höchstens noch bis mittags arbeiten, und alle sind damit beschäftigt, das Festessen, die Reise, die Feier vorzubereiten.

Man kommentiert die politische Situation, die nächste Woche in Den Haag mit der Entscheidung im Streit mit Bolivien über den Zugang zum Meer; man spekuliert fröhlich darauf los, mit wem die Präsidentin die traditionelle Cueca zur Eröffnung der Feiern tanzt (üblicherweise der Bürgermeister von Santiago, aber das ist ebenfalls eine Frau; deren Sohn … na ja…), man redet über das unglückliche Zusammentreffen der offiziellen Operngala am 18. September mit dem Stück „I due Foscari“, dessen Handlung um die schwierige Entscheidung eines Vaters geht, seinen Sohn mit Exil zu bestrafen, und man redet vom „Terremoto“, vom „Erdbeben“, dem beliebtesten Getränk zu diesem Fest, man kritisiert, kritisiert, kritisiert … während der Kongress dabei ist, die Abtreibung zu legalisieren, mit Unterstützung der Christlich-Demokratischen Partei.

Im siebten Stock, den wir in Chile den „achten“ nennen, weil der erste bei uns das Erdgeschoss ist, ist meine Mutter von fast 90 Jahren schon im Bett, meine Schwester mit etwas, das sich für mich wie Rotavirus anfühlt, nach Hause gekommen, und ich bei den letzten Arbeiten an einem Projekt, das ich am 17. abgeben muss, obwohl da niemand arbeitet.

Und dann beginnt es zu beben. Und bebt weiter. Und hört nicht mehr auf.

Wir können nicht weg vom Bett meiner Mutter. Es bebt noch immer, als ich über Mail – solange es noch funktioniert -, an Maria, unsere Koordinatorin von schoenstatt.org, in Deutschland schreibe. Es ist die erste Nachricht vom Erdbeben, die dort ankommt, lange nach Mitternacht Ortszeit.

Ich spreche mit meiner Schwägerin am Telefon, schicke Whatsapps … und ese einen Apfel, während ich beobachte, dass die Stehlampe nicht aufhört, hin und her zu schwanken.

Der Fernseher läuft noch, es gibt Strom, Internet und selbst die Smartphones funktionieren!

8,4 auf der Richterskala. Gebäude sind eingestürzt, Tsunamiwarnung an der gesamten Pazifikküste, und bisher 10 Tote.

Die Zerstörung ist enorm, wenn auch nicht vergleichbar mit der vom 27. Februar 2010, denn damals traf es eine 400 Km lange dichtbesiedelte Gegend.

Und wir kommen ins Guiness-Buch der Rekorde mit dem stärksten Erdbeben des Jahres 2015 weltweit.

Doch „weil hier ja nichts passiert“, laufen wir Gefahr, es zu vergessen, wie wir die Syrer vergessen, die Verfolgten und die Verfolger und so viele, unendlich viele andere, die leiden.

Die Tsunamiwarnung ist aufgehoben, das letzte spürbare Nachbeben eine Stunde her und ich bin bereit für einen neuen Tag. Viva Chile, viva 18. September!

Im solidarischen Bündnis – und technologischem, wie Susana Stanley aus unserem Team gestern schrieb –

Carmen María Rogers

Das Erdbeben von Illapel 2015 begann am Mittwoch, 16. September um 19.54 Uhr Ortszeit und erreichte einen Wert von 8,4 auf der Richter-Skala. Das Epizentrum befand sich 42 km von Canela Baja und 46 km von Illapel in der Region Coquimbo. Es war in weiten Teilen Chiles zu spüren, ebenso in einigen Gegenden von Argentinien und Brasilien.  Das traditionelle Fest der „Pampilla“ von Coquimbo, das jährlich am Nationalfeiertag begangen wird, wurde abgesagt. Der Schulunterricht fiel überall zwischen Atacama und Los Lagos aus.

Beten wir für alle, die von diesem Erdbeben betroffen sind, im solidarischen Bündnis in der Erwartung des 18. September.

Fotos

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