Rad

Veröffentlicht am 2021-08-04 In Leben im Bündnis

Vom Kilometerfresser zum Wallfahrer und Netzwerkpfleger

ÖSTERREICH, P. Elmar Busse •

Wallfahrten sind in. Viele Wallfahrtsleiter bestätigen, dass die Fußwallfahrten und die Fahrradwallfahrten zunehmen, während die früher beliebten Buswallfahrten, die eher an eine Kaffeefahrt mit religiösem Sahnehäubchen erinnern, weniger werden. Sich selbst ausprobieren, an die Grenzen kommen, sich selbst überwinden, sich vom gesteckten Ziel motivieren lassen – es ist ein ganzes Bündel an Motiven, das Menschen auf die Straße bringt, nicht erst seitdem Hape Kerkeling das Buch über seine Compostela-Wallfahrt „Ich bin dann mal weg“ veröffentlicht hat. —

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Anlässlich meines 40jährigen Priesterweihejubiläums im Juni 2020 wurde ich zu einer Fahrradwallfahrt (E-Bike) quer durch die Diözese Graz-Seckau von Hausheiligtum zu Hausheiligtum eingeladen. Dann machten der eigene Herzinfarkt im September und Corona einen Strich durch die Rechnung. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Der pensionierte Religionslehrer Charly Brunner hing sich ans Telefon und klärte die Stationen ab.

Maria auf der Almhütte und Josef im Garten

Am 23.7. kam ich mit vierstündiger Verspätung (Staus auf der A3) nach Krieglach, wo ich schon sehnsüchtig von einigen Ehepaaren erwartet wurde. Wir feierten eine Messe im Hausheiligtum. Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Auto auf die neu gemietete Almhütte von Familie Stellnberger, wo wir das „Almhüttenheiligtum“ einweihten. Die Gottesmutter bekam den Ehrentitel „Maria am Traibach“.

Am Nachmittag starteten wir von Krieglach nach Kapfenberg. Dort zelebrierte ich die Sonntagvorabendmesse in der Kirche zur hl. Familie. Übernachten konnte ich bei Familie Russ, bei der ich während meiner Wirkungsphase in Österreich (1992 bis 2003) öfters eingekehrt war. Ehepaar Russ hatte vor kurzem eine Josefsstatue aus Kunstmarmor in Spanien bestellt, die am Tag vorher geliefert worden war. So ergab sich am Sonntagmorgen noch ein ungeplanter Programmpunkt: Segnung der Josefsstatue, die ihren Platz im Garten der Familie Russ finden wird.

Das Schönstatt-Materl bei Graz

Schönstatt MaterlDann begann die zweite Etappe über Bruck nach Pernegg, wo wir die Familie eines ehemaligen Schülers und späteren Kollegen von Charly Brunner „überfielen“ und der Familie erklärten, was es mit dem Hausheiligtum und unserer Wallfahrt auf sich hatte.

Auf dem malerischen Mur-Radweg ging es zum nächsten Etappenhalt in Peggau bei Familie Reisner. Wir saßen gemütlich beim Mittagessen zusammen, als Familie Russold mit ihrem Besuch, Ehepaar Schaufler aus Wien (alte Facebook-Freunde von mir), vorbeikam. Russolds wussten von der geplanten Radwallfahrt, für Schauflers war die Begegnung die Überraschung des Tages. Endpunkt der Etappe war das Haus der Familie Lanz in Gratkorn. Nach einer erfrischenden Dusche und einem aufmunternden Kaffee fuhren wir mit dem Auto (eine angenehme Abwechslung – allein schon wegen des breiten Sitzes!) in die unweit gelegene „Dult“ zum Schönstatt-Materl (für Nicht-Österreicher = Bildstock), ein beliebter Treffpunkt am 18. Eines Monats für die Schönstätter rund um Graz.

In der Hauskapelle der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul konnten wir die Eucharistie feiern. Die Oberin, Schwester Roswitha, übernahm den Sakristeidienst. Im Haus war es um etliche Grad kühler als draußen. Nach der Messe, zu der ca. 25 Schönstätter gekommen waren, erneuerten wir das Liebesbündnis und stärkten uns mit den mitgebrachten Speisen und Getränken.

Schönstätter vernetzt

Vor Jahren hatten die Verantwortlichen der österreichischen Schönstatt-Bewegung als Jahresmotto entwickelt: „Wir bauen am Netzwerk der Häuser der hl. Stadt.“ Was ich an diesem Abend erlebte, verlieh der Wallfahrt eine besondere Note: Bei der Wallfahrt von Hausheiligtum zu Hausheiligtum waren nicht so sehr die Endstation das erstrebte Ziel und die Begegnungen unterwegs von oben gesteuerte „Zufälle“, aus denen sich vielfach Freundschaften entwickeln, sondern auf dieser Wallfahrt wurde ein bestehendes Netzwerk gepflegt.

Am nächsten Tag schlossen sich uns Norbert Lanz und Ernst Körbler an. Von Gratkorn gings nach Graz zu Familie Fraißler, die viele Jahre Diözesanleiterfamilie der Schönstatt-Familien-Bewegung war und seit vielen Jahren die Grazer Kurse der Akademie für Familienpädagogik leitet.

Karl Fraißler ist außerdem der Obmann vom DKO (Diözesankomitee katholischer Organisationen – auch eine typische Vernetzungsaufgabe); ein paar Hundert Meter weiter wohnt Familie Fürböck. Christoph Fürböck ist vielleicht dem einen oder anderen bekannt als Webmaster vom Europatag, der am 8.Mai als Zoom-Konferenz in Graz vorgefeiert wurde. Seit dem Pfingstfest 1998 knüpfte Chiara Lubich am ökumenischen Netzwerk der geistlichen Bewegungen und Initiativen, aus dem die Weggemeinschaft des „Miteinander für Europa“ (wer mehr wissen will: https://www.miteinander-wie-sonst.org/miteinander-wie-sonst/) gewachsen ist.

Der letzte Tagesabschnitt führte uns zu Familie Habith nach Unterpremstätten. Franz Habith wurde im Frühjahr zum ständigen Diakon geweiht. Dort feierten wir eine Hausmesse. Nach dem Abendessen stürmte und schüttete es kräftig, so dass sich Ernst Körbler entschloss, doch nicht mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren, sondern sich von seinem Schwiegersohn mit dem Auto abholen zu lassen.

Die längste Etappe

Am nächsten Morgen starteten wir zur längsten Etappe – von Unterpremstätten nach Hartberg. Auch da gab es wieder Zwischenstationen.

In Pischlsdorf lebt Familie Prem. Frau Prem hatte sich vor Jahren bereit erklärt, die Schriftführerin des Kapellenrenovierungsvereins zu werden. In dieser Aufgabe hatte sie Hilde Brunner gewinnen können, ein Glasfenster mit dem Motiv des Barmherzigen Jesus für die dorfzugewandte Stirnseite der Kapelle zu gestalten. An dieser Kapelle trafen wir uns. Ein gesundes Mittagessen auf dem hochgelegenen Grundstück der Familie Prem stärkte uns für den Rest der Reise.

Ehepaar Peheim, die viele Jahre die Hausgespräche in der Diözese Graz-Seckau promotet und koordiniert hatte, war unser nächstes Ziel. Mit den letzten Amperestunden des Akkus erreichten wir Familie Gamperl in Siebenbrunn bei Hartberg. Andere Familien aus Hartberg, die im Urlaub waren und nicht kommen konnten, meldeten sich telefonisch als Zeichen der Verbundenheit.

Hausgespräch

Von Hartberg ging es am nächsten Morgen über Ilz mit Kaffeepause bei Verwandten von Charly Brunner, in die Oststeiermark nach Gnas. Sieben Kilometer vor Gnas erwartete uns eine durchtrainierte Radfahrergruppe und eskortierte uns über ihre Wohnhäuser (immer mit Erfrischungen!) nach Tien zu Familie Fruhwirth. Dort feierten wir in der renovierten Dorfkapelle die Messe. Fruhwirths erzählten uns die Geschichte der Renovierung. Beeindruckend war, wieviel Kräfte wach werden, wenn so ein Projekt die Herzen begeistert und die Kapelle zum Identifikationssymbol des kleinen Ortes wird. Mein Vortrag zum Thema „Erwachsene Kinder – Freude und Sorge“ im Stil der Hausgespräche schloss sich an. Da für den Ortskaplan das Format Hausgespräche neu war und er es kennenlernen wollte, war er mit einem Theologiestudenten ebenfalls zu dem Abend gekommen. Eine Tuschelrunde, in der jedes Paar für sich über das Gehörte redet, und eine Erfahrungsaustauschrunde schlossen sich an.

Goldene Hochzeit

Der 29. Juli war der letzte Tag unserer Fahrradwallfahrt. Von Gnas führte der Weg über die Familien Kern und Scheucher nach Leibnitz. In der Kirche der Kapuziner hängt seit vielen Jahren ein gemaltes MTA-Bild, Anziehungspunkt für die südsteierischen Familien jeweils am 18. eines Monats.

Es war ein glückliches Zusammentreffen, dass Familie Tropper an diesem Abend ihre Goldene Hochzeit nachfeiern wollte. Ca. 50 Mitfeiernde hatten sich in der Kirche eingefunden. Im Anschluss an die Messe lud Familie Tropper noch in den Innenhof des Klosters ein. Gröbachers servierten ihren guten Wein und Troppers ihre belegten Brote. Spät am Abend verabschiedete ich mich von meinem Guide Charly Brunner, der das Rad, mit dem ich unterwegs war, wieder zu seinem großzügigen Ausleiher brachte. Ich fuhr mit Familie Körbler nach Leutschach. Bergauf mit 50 oder 70km/h bequem sitzend zu fahren – das war eine ganz neue Quelle des Genießens.

Von Hausheiligtum zu Hausheiligtum

RadVon Hausheiligtum zu Hausheiligtum zu wallfahren und dabei das Netzwerk pflegen – es ist ein Veranstaltungsformat, das nach Wiederholung – durchaus in Variationen und Modifikationen – schreit. Die Intuition von Pater Kentenich, der 1948 von Santa Maria in Brasilien den Familien in Deutschland anlässlich der ersten Familientagung überhaupt einen Brief geschrieben hatte, gilt als „Gründungsurkunde für das Hausheiligtum. Darin schrieb er:

„Wer das heutige Leben kennt, wer weiß um die furchtbaren Katastrophen, denen Welt und Kirche entgegengehen, ist tief davon überzeugt, dass die ganze Schönstattfamilie, sowohl als Ganzes, wie auch in ihren Teilen, ihre Aufgabe nicht lösen kann, wenn nicht alle Wasser und Kräfte letzten Endes ein- und ausmünden in heiligen Schönstatt-Familien-Inseln, die sich mehr und mehr miteinander vereinigen zu einem gemeinsamen Familienwerk.

Manchesmal scheint es ruhiger Überlegung ein undurchdringliches Rätsel, warum der Heiland dreißig Jahre in der Einsamkeit einer Familie sich aufgehalten, während die Welt um ihn herum dem Untergang entgegenraste. Unwillkürlich fragen auch wir uns, was hätte er nicht alles fertiggebracht, wenn er frühzeitig seine göttlichen Kräfte der Welt zur Verfügung gestellt. Des Rätsels Lösung ist immer nur die eine Antwort: »Das, was dem Vater wohlgefällt, tue ich allezeit.« »Ich rede die Worte die er mir auf die Lippen gelegt, und tue die Werke, die er mir aufgetragen.« Damit verschiebt sich sofort die Frage und wendet sich an die Adresse des Himmelsvaters. Die Antwort ist uns nicht unbekannt. Der Vater wollte in unmissverständlicher Weise den unermesslichen Segen sichern, der von echten christlichen Familien ausgeht.

So möge denn die Gottesmutter in ihrem Coenaculum [=Pfingstsaal] den Heiligen Geist auf Sie alle herabrufen, damit Sie die große Bedeutung Ihrer gottgeschenkten, freigewählten, freigewollten neuen Lebensaufgabe richtig erfassen, eine brauchbare Familien-Aszese und -Pädagogik sich zu erarbeiten, bewährte und beseelte Familienbräuche zu verewigen und so Behälter zu werden, aus dem alle Gliederungen der Gesamtbewegung ständig gespeist und erneuert werden.
Wir alle, ohne Ausnahme, sind an diesem neuen Pfingstwunder interessiert. Darum vereinen wir uns und bitten und betteln mit großer Inbrunst um ein wirksames neues Wandlungswunder.

Nehmen Sie das Bild der Gottesmutter mit und räumen Sie ihm einen Ehrenplatz in Ihren Wohnungen ein. So werden diese selber zu kleinen Heiligtümern, in denen das Gnadenbild gnadenwirkend sich erweist, ein heiliges Familienland schafft und heilige Familienglieder formt.“

Das Netzwerk wird erlebbar

Ich werde vermutlich nicht nach Santiago de Compostela pilgern, aber diese Form der Wallfahrt von Hausheiligtum zu Hausheiligtum werde ich bestimmt noch öfters unternehmen. Ich bin davon überzeugt, dass das Format zukunftsträchtig ist. Natürlich habe ich als Priester und Referent noch mehr Möglichkeiten (z.B. Messe feiern), aber dieser Vorgang der Netzwerkpflege ist mir ein ganz wichtiger Vorgang, der allen Schönstättern offensteht. Solange die radfahrenden Schönstätter nicht als herannahende Heuschreckenplage gefürchtet werden, sondern es nur ein paar Mal im Jahr vorkommt, scheint das ein frohes und belebendes Element für das WIR-Gefühl zu sein. Das Netzwerk wird erlebbar.

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