Himmelwärts in Fulda

Veröffentlicht am 2023-04-30 In Kentenich

Welt und Menschenherz wollen himmelwärts

DEUTSCHLAND, Maria Fischer •

Fulda vibriert. Das erste sonnige Wochenende in diesem Frühling, der irgendwie nicht in die Gänge kommt, verkaufsoffener Sonntag, Erwartung der Landesgartenschau, die Ausstellung der „Alltagsmenschen“ – 40 Skulpturen der Künstlerinnen Christel und Laura Lechner, Skulpturen von ganz normalen Menschen ohne Photoshop-Filter – entlang einer Innenstadtroute: Die Straßen und Plätze der Fußgängerzone sind voller Menschen, der Platz vor der Stadtpfarrkirche wirkt mediterran mit den vielen Tischen und Stühlen der Außengastronomie. Und das ganze fröhlich-sonnig-bunte Treiben spiegelt sich in den Glasscheiben des Windfangs der Stadtpfarrkirche, deren mächtige Holztüren weit offenstehen. Und mittendrin prangt Himmelwärts. —

Es ist Sonntag, der 23. April, und in der Stadtpfarrkirche St. Blasius, in der Zeit von 1771 bis 1785 im barocken Stil nach den Plänen des Jesuitenbruders Johann Andreas Anderjoch erbaut, findet an diesem Nachmittag die zweite Aufführung des Oratoriums Himmelwärts statt. „Gedanken und Texte aus einem Konzentrationslager“ steht als Untertitel auf dem oben erwähnten Plakat am Windfang der Stadtpfarrkirche. Passt so ganz und gar nicht in diesen leichten, sonnigen Sonntag. Oder genau? Denn auch diese locker-fröhliche Zeit, die sich um das Plakat spiegelt und die wir beim Blick aus der Kirche sehen, will himmelwärts. So jedenfalls die Überzeugung von Josef Kentenich (im Konzentrationslager Dachau) und Dr. Martin Flesch, der dieses Oratorium konzipiert hat und die Aufführung leitet.

Welt und Menschenherz wollen himmelwärts. 2023 und darüber hinaus.

Im Dialog. Begegnungen

„Als ich mir im Jahr 2016 die Frage stellte, wie die von Pater Kentenich im Konzentrationslager Dachau entworfenen Himmelwärts-Gebete auf die aktuelle Zeit hin durchlässig und wieder an Aktualität gewinnen können, stand rasch fest, dass ich sie auf dem Boden einer Klangaura im Dialog mit den Zeitenstimmen zu Wort kommen lassen muss“, so Autor und Komponist Dr. Martin Flesch. Und ein solcher Dialog ist zuerst immer ein Dialog von Menschen, ist Begegnung. Ist Begegnung schon beim Begrüßen der Mitglieder des Ensembles – das gleiche wie bei der Uraufführung sechs Monate zuvor in Schönstatt – und der weiteren Mitwirkenden, ist Begegnung mit Stadtpfarrer Stefan Buß aus der Schönstatt-Priesterliga und mit Diözesanbischof Dr. Michael Gerber, der nicht nur die Schirmherrschaft dieser Aufführung übernommen hat, sondern auch dabei ist und den Dialog, das Gespräch sucht. Wie er das Gespräch mit den Schönstattpriestern seiner Diözese sucht, wie Pfr. Stefan Buß nach der Aufführung beim Italiener erzählt, jeden Monat, mit allen.

Aber dann auch die ganz unerwarteten Begegnungen. Da stehe ich auf einmal vor zwei Studienkolleginnen, ein paar Semester unter mir, mehr mit meinen jüngeren Geschwistern unterwegs. Fast vierzig Jahre nicht gesehen und gesprochen. Was haben diesen vierzig Jahre mit uns gemacht, seit wir im Schönstatt-Hochschulkreis auf dem Kreuzberg in Bonn munter und etwas naiv die Welt verändern wollten? Haben sie auch verändert, etwas. Die beiden sind eifrige Nutzerinnen von schoenstatt.org, und so sind wir die letzten Jahre ja doch im Dialog gewesen. Kommen wir jetzt auf schoenstatt.org?, fragt Gisela. Aber sicher!

Und dann die wortlosen Begegnungen während der Aufführung. Die Leute, die kurz in die Kirche kommen. Was erleben sie? Was nimmt das ältere Ehepaar mit, das hinten vor der Marienstatue eine Kerze anzündet? Das Pärchen in Motorradkleidung? Der Mann mit der roten Jacke und dem großen Fragezeichen im Blick?

Fulda Oratorium

Im Dialog: Ist diese Zeit noch zu retten?

Die Aufführung mitten in der Osterzeit, in dieser Kirche mit ihrer Transparenz auf das Treiben in der Innenstadt, berührt, trifft, bewegt. Keine Show mit Licht- und Farbeffekten, nur ein paar Bilder, eine Kerze, und sonst nur Worte und Klang – Harfe, Oboe, Cello, Monochord, Percussion, Gitarre, Stimme – intensiv, berührend, wie nie zuvor gehört.

Kommt es nur mir noch intensiver vor als vor einem halben Jahr in Schönstatt? Klaus Glas als Stimme Pater Kentenichs und Frank Breitenstein als Stimme der Zeit – mit den Aphorismen aus Peter M. Behnckes „Golgotha-Gedichten“ aus dem Jahr 1985 – entwickeln eine Spielfreude sondergleichen. Im hämischen Lachen der „Zeit“, die gleich zu Beginn die Osterkerze in der Hand von „Kentenich“ ausbläst, klingt die ganze verzweifelte Sehnsucht der Zeit wieder, jeder Zeit, auch dieser Zeit 2023 zwischen Ukrainekrieg und Missbrauchsstudien, die die Zedern des Libanon fallen lassen. In diesem harten Lachen schwingt alle Enttäuschung, aller Zweifel mit, den das Frühlingswetter draußen nicht vertreiben kann. Angekommen.“ Das Thema des Straf- und Umerziehungslagers ist uns weltweit – bedauerlicherweise – nicht aus den Augen geraten. Wir finden diese Lager gegenwärtig in Russland, in China, in Weißrussland, früher in Guantanamo und Abu Graib, aber auch überall dort, wo die Todesstrafe immer noch vollzogen wird“, sagt Dr. Martin Flesch einleitend. Und nicht nur dort… Man lese nur das neueste Buch des Autors „Die Betroffenen“.

Härte trifft auf „Himmelwärts.“ Hämisch-verzweifeltes Lachen auf das Lied von der Würde in uns, Schlagzeug auf Harfe, Cello und Oboe. Rotes Licht fällt auf das Marienbild links vom Altarraum und das kleine Bild der Pilgernden Gottesmutter darunter.

Ist diese Zeit noch zu retten? „Was ich trage und ertrage… schenk ich dir… „ So hat man das bekannte Gebet von der Guten Meinung noch nie gehört. Die Melodie klingt nach Sieghaftigkeit, nach Freude.

„Gott schuf etwas“, sagt die Zeitenstimme, „und mit der Zeit verselbständigte sich das Etwas gewordene Nichts und erklärte sich zu Gott.“ Und die Antwort, leiser, aber nicht weniger stark: Das Ideal soll vor uns schweben und formen unser ganzes Leben…

Ist diese Zeit noch zu retten?

Bischof Dr. Michael Gerber

Bischof Dr. Michael Gerber hatte die Schirmherrschaft übernommen

Im Dialog: Dein Heiligtum strahlt aus in unsere Zeit

„Dein Heiligtum strahlt aus in unsere Zeit…“ Eine musikalisch-textliche Verdichtung des Schönstätter Stundengebetes aus Himmelwärts auf die Kernbotschaft: Dein Heiligtum strahlt aus in unsere Zeit… Dein Heiligtum. So intensiv gesungen, dass es zum Leitmotiv wird, zu einer fast spontanen Antwort auf die Schreie und Anklagen der Zeit. Dein Heiligtum. Und dabei war das steinerne Heiligtum so weit weg vom Konzentrationslager Dachau. Und doch: Dein Heiligtum. Und: Lass, Mutter, Christus heller in uns scheinen, in heiliger Gemeinschaft uns vereinen. Dein Heiligtum…

Halten wir die Stille aus, in der nichts geschieht? Die Stille, die furchtbar laut wird, wenn die verloren gegangene Frage nach Gott aufbricht? Sprecher und Musik modulieren den Übergang von Häme und Suche. „Sage deinem Sohn wie einst in Erdenzeiten, als er half in Nöten und Verlegenheiten: Herr, sie haben keinen Wein und keine Speisen…“

Am schlimmsten sind die milden Schläge, die erst nach Jahren weh tun. Wieviel stummer Schrei schwingt in dieser Zeitenstimme. Und wieder: Dein Heiligtum… Holen wir die verwundete Zeit, die Verwundeten der Zeit, in ihr Heiligtum?

Mit dem Text von der “weißen Taube Frieden“, die sich niederlässt auf dem Dach des 21. Jahrhunderts, kommt der Durchbruch. Die Taube, die keinen Frieden bringt und keinen Frieden findet, die sich müde zu Füßen des Gekreuzigten niederlässt, und mit einem Ölzweig und einem Lächeln nach oben fliegt. „Und voll Vertrauen will nur ich schauen des Vaters Willen treu zu erfüllen… Er wird mich leiten durch Dunkelheiten…“ Genau in diesem Moment läuten die Glocken. „Ich danke dir, will ewig dankbar sein…“

Und dann redet die „Zeit“ nicht mehr gegen oder neben der Stimme Himmelwärts, sondern mit ihr, greift das Motiv auf vom Segen, der heut floss wie ein großes „Gnadenmeer“. Die Osterkerze brennt wieder.

Welt und Menschenherz wollen himmelwärts

Welt und Menschenherz wollen himmelwärts…

Das letzte Wort: Welt und Menschenherz wollen himmelwärts

Und das ist das letzte Wort, als Zeitenstimmen und Himmelwärts zum eindringlichen Lied gemeinsam herausgehen: Welt und Menschenherz wollen himmelwärts wir in alle Weisen mit zum Vater reißen…“ Bis das Lied verklingt im allerletzten Wort: Welt und Menschenherz wollen himmelwärts.

Ja, sie wollen himmelwärts.

Resonanzen

Bischof Gerber spricht ein kurzes Dankes- und Deutungswort. Resonanz, sagt er, welche Resonanz weckt dieser achtzig Jahre alte Text aus dem Konzentrationslager heute im persönlichen Leben? Wie entsteht Resilienz, wie geschieht Wachstum in schweren Bedingungen? Diese alten Texte können einen neuen Klang entfachen in einem Klima, das nicht unbedingt wachstumsfördernd ist. Der Schreiber der Texte, Heinz Dresbach – Josef Kentenich diktierte ihm -, habe dieses Wachstum erfahren, so stark, dass er später selbst Wachstum fördern konnte, wie Gerber persönlich in Begegnungen von Heinz Dresbach mit seiner Familie erlebt hat.

Resonanz findet dieses Oratorium bei den Teilnehmern, die noch beim Herausgehen aus der Kirche „dein Heiligtum“ im Blick haben, und bei den Mitwirkenden beim Nachkosten bei Pizza und Wein.

Eine Aufführung in Dachau ist angedacht.

Welt und Menschenherz wollen himmelwärts. 2023 und darüber hinaus.

Oratorium Himmelwärts

Video

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