P. Elmar Busse •
Wenn man mit Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse der Kommunikationswissenschaft oder der Keyword-Recherche aus dem Marketing an die Veröffentlichungen über P. Josef Kentenich geht, dann findet man als Bildmarke oder Logo Kentenich den schneeweißen Rauschebart, als Keywords: „baldige Heiligsprechung“, „immer“, und seit 2020: „Missbrauch“. Wir möchten in der folgenden Artikelserie einen anderen Blick auf Kentenich werfen– weder den auf den Nikolaus mit Rauschebart noch den auf den Heiligsprechungskandidaten, aber auch nicht den auf den des Machtmissbrauchs oder geistlichen Missbrauchs Verdächtigten. —
Diese Texte entstanden vor circa 30 Jahren. Der lange Atem der Kirche, die in Jahrhunderten atmet, erlaubt es uns, diese Texte mit leichten Aktualisierungen wieder zur Diskussion zu stellen. Wir erhoffen uns, jenseits der gängigen Attributionen, einen neuen, lebendigen Blick auf die vielschichtige Gründergestalt zu ermöglichen und dadurch die Neugier zu wecken, sich intensiver mit ihm zu beschäftigen. Wir meinen: Es lohnt sich!
Sternekoch
Die Qualität von Hotels, Pensionen und Reisebussen kann man an der Zahl der Sterne ablesen. Wenn ein Reisebus mit Klimaanlage, Bar, Toilette und Fernsehmonitoren ausgestattet ist, dann kommen schon eine ganze Reihe Sterne zusammen. Aber auch bei Köchen der Spitzenklasse ist es üblich geworden, die Qualität der Kochkunst mit Sternen bzw. Hauben zu versehen. Internationale Wettbewerbe und eine strenge Jury entscheiden dann über das Prädikat. Auch wenn Deutschland gegenüber Frankreich in der Kochkunst aufgeholt hat — 3-Sterne-Köche bzw. -Haubenköche sind in Deutschland immer noch eine Rarität und demzufolge für Leute mit Geld und gutem Geschmack eine Attraktion. Da ich mich unterwegs oft mit Pizza, Bockwurst oder Sandwiches ernähre und viele Delikatessen nur aus den Beschreibungen der Kochbücher kenne, würde ich vermutlich die Leistungen eines solchen Koches gar nicht genügend würdigen können. Außerdem fühle ich mich in Gaststätten, wo das, was serviert wird, mehr wiegt als das zum Servieren benötigte Porzellan, wohler als in solchen Restaurants, wo neben den 3 Tellern und 4 Bestecken eigentlich nur noch die Lupe und die Pinzette für die Portionen fehlt.
Nahrung für Geist und Seele
Neben der körperlichen Ernährung brauchen aber auch unser Verstand und unsere Seele entsprechende Nahrung, damit sie nicht unterernährt sind. Schon Jesus entgegnet dem Versucher in der Wüste: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ (Mt 4,4). Und seine Jünger macht er aufmerksam: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen“ (Joh 4,34).
Doch ausgerechnet bei dieser Speise, auf die Jesus hinweist, stellen sich bei vielen „Verdauungsbeschwerden“ ein. Paulus spürt die Problematik und schreibt den Korinthern: „Vor euch konnte ich aber nicht wie vor Geisterfüllten reden; ihr wart noch irdisch eingestellt, unmündige Kinder in Christus. Milch gab ich euch zu trinken statt fester Speise; denn diese konntet ihr noch nicht vertragen. Ihr könnt es auch jetzt noch nicht; denn ihr seid immer noch irdisch eingestellt. Oder seid ihr nicht irdisch eingestellt, handelt ihr nicht sehr menschlich, wenn Eifersucht und Streit unter euch herrschen“ (1Kor 3,1-3)?
Wie sieht es heute, nach fast 2000 Jahren, aus mit dem Speisenangebot und mit den Verdauungsschwierigkeiten auf geistig-seelischem und religiösem Gebiet?
Wer in eine größere Buchhandlung geht, ist oftmals erschlagen von der Fülle des Angebotes an religiöser Literatur. Rundfunk und Fernsehen übertragen Gottesdienste und senden Vorträge zu religiösen Themen. Trotzdem müssen wir ein Sinken der traditionellen Messdaten für kirchlich eingebundene Religiosität beobachten. Die Zahlen für den Sakramenten-Empfang sinken, die Kirchenaustritte sind verhältnismäßig hoch. Andererseits erfreut sich esoterische Literatur regen Zuspruchs; und neue Sektentempel werden vielerorts gebaut.
Vage Sehnsucht nach Tiefe und Erleben
Eine vage Sehnsucht nach Tiefe und Erleben, nach Gemeinschaft und Sinnfindung geht durch unser Volk, doch die Erwartungslosigkeit gegenüber den Großkirchen, dass nämlich genau diese Bedürfnisse in der Kirche vermutlich nicht befriedigt werden, ist erschreckend. Hat sich der Geschmack verändert? Ist das Angebot schlechter geworden? Woran liegt es?
Die tatsächlich vorhandenen Ungerechtigkeiten in der Welt haben dazu geführt, dass das soziale Engagement einen hohen Aufmerksamkeitsgrad bekam. Doch Gewissenssensibilisierung auf diesem Gebiet ohne Vertiefung der Gottesbeziehung führt genau wieder in die Überforderung wie zu Beginn des Jahrhunderts, als die Verkündigung der frohen Botschaft vielfach zur Einschärfung von Ge- und Verboten verkümmert war.
Zeichen neuen Lebens können wir in den Gemeinden beobachten, wo es zwischen dem Bemühen um eine vertiefte Gottesbeziehung in Liturgie und Gebet sowie dem sozialen Engagement eine gewisse Ausgeglichenheit gibt. Dort gibt es auch Jugendliche und Erwachsene, die dazugehören wollen und sich taufen lassen wollen.
In diesem sehr grobkörnigen Bild der geistigen Landschaft suchen wir den Bereich, in dem Schönstatt anzusiedeln ist.
Welche geistig-seelische Nahrung hat es anzubieten? Was ist die Spezialität des Chefkochs Joseph Kentenich? Da fällt zunächst die Reichhaltigkeit seiner Speisekarte auf: er verstand es, seelisch Kranken entsprechende Diätkost zu geben; seelisch Gesunde und Belastbare konnte er für großartige Ziele begeistern, und er scheute sich auch nicht, ihnen den zur Verwirklichung notwendigen Preis aufzuzeigen. So heißt es z.B. in dem Gründungsvortrag vom 18.Oktober 1914:
Jeder von uns muss den denkbar höchsten Grad standesgemäßer Vollkommenheit und Heiligkeit erreichen. Nicht schlechthin das Große und Größere, sondern geradezu das Größte soll Gegenstand unseres gesteigerten Strebens sein. Sie werden verstehen, dass ich eine solche außergewöhnliche Forderung nur in Form eines bescheidenen Wunsches vorzutragen wage.“
Kostbares in einfache Sprache
In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts kamen jährlich Tausende nach Schönstatt, um seine Vorträge zu hören und im seelsorglichen Einzelgespräch einen väterlichen Erzieher zu finden, der genau das zu geben verstand, was man gerade brauchte. In Dachau gelang es ihm bei manchem seiner Mithäftlinge, die seelischen Widerstandskräfte gegen die persönlichkeitszersetzenden Torturen des Lageralltags zu mobilisieren. Zum Christsein gehört die Bejahung des Kreuzes. Dass die Erfüllung des unbegreiflichen Willens Gottes gerade in Dachau zur lebenserhaltenden Speise werden konnte — Pater Kentenich lebte es vor und erschloss diese Überlebensstrategie auch anderen. So wurde dank des Einflusses des Häftlings Kentenich der Glaube in so manchem Mithäftling nicht gebrochen, sondern tiefer. 1950/ 51 waren es wieder Scharen von religiös und pädagogisch Interessierten, die nach Schönstatt zu seinen Tagungen kamen.
Bei all seinen Vorträgen verwendete er eine einfache Sprache, sodass man kein Doktor der Theologie sein musste, um ihn verstehen zu können. Eher konnte es passieren, dass ein lebensfremder Intellektueller die beobachtende, forschende denkerische Leistung Pater Kentenichs unterschätzte, weil dieser seine Ergebnisse in solch schlichtem sprachlichem Gewand vorstellte.
Und immer frisch zubereitet
In Einem waren sich die Zuhörer einig: Was ihnen Pater Kentenich servierte, war immer frisch zubereitet, wenn auch manche seiner Beispiele so häufig auf den Teller kamen wie in Süddeutschland die Spätzle und im Norden die Kartoffeln.
Vorträge und Predigten, die wie altbackene Brötchen wirkten, mutete er keinem zu. Man hatte auch nicht den Eindruck, hier hat einer ein bisschen Instant-Pulver aus einer Handreichung ins Wasser gegeben und einmal umgerührt.
Eine Zuhörerin, die ihn in den 60er Jahren in Milwaukee erlebte, meinte: „Er verstand so zu predigen, als ob er gerade vom lieben Gott gekommen wäre und uns jetzt seine Erfahrungen weitergeben wollte.“
Sein ausgeprägter Geschmack am Göttlichen und für das Göttliche führte auch dazu, dass er sich am 20. Januar 1942 entgegen allen Erwartungen und Bemühungen seitens der Schwestern und Patres gegen die Möglichkeit entschied, Dachau doch noch zu vermeiden.
Die gute Nase für das Wirken Gottes ließ ihn auch im Sommer 1914 persönliche Konsequenzen aus der Lektüre eines Zeitungsartikels ziehen, in dem über die Entstehung eines italienischen Marien-Wallfahrtsortes nur durch Gebete und Opfer eines Rechtsanwaltes berichtet worden war. Andere konsumierten damals diesen Artikel und dachten höchstens für sich: „Was in Italien alles möglich ist?!“ Bei Pater Kentenich wurde dieser Artikel zum Impuls, zu fragen: Warum nicht auch hier?
Am 15. September 1968 starb dieser „Drei-Sterne-Koch“ für geistig-seelische Nahrung. Sicher bereiten wir ihm die größte Freude, wenn wir es ihm nachmachen und den Menschen um uns Nahrung geben, die ihrer Seele guttut, damit sie wieder hoffen können.
Aber geben wir den Leuten keine Brühwürfel zum Kauen, sondern machen wir erst eine schöne Suppe daraus mit dem frischen Grün eigener Erfahrungen! Lassen wir alles, was wir sagen wollen, zuerst durch unser eigenes Herz gehen. Kochen wir mit Liebe. Schließlich sollen die anderen mit Freude das genießen können, was wir ihnen zubereitet haben. Und Appetit kommt beim Essen. Hoffnung wächst dort, wo Menschen ihren seelischen Hunger stillen können.
Auf den göttlichen Instinkt, auf den göttlichen Geschmack, auf die göttliche Ganzhingabe.
Der göttliche Instinkt legt überall die rechte Wertskala an;
der göttliche Geschmack lässt uns überall Gott suchen und ’schmecken‘;
die göttliche Ganzhingabe lehrt uns, dass wir uns Gott so hingeben, wie er sich uns hingibt.“