Panama-Kanal

Veröffentlicht am 2023-01-19 In Kentenich

Ein anderer Blick auf P. Kentenich: Arzt

P. Elmar Busse •

Wenn man mit Methoden der qualitativen Inhaltsanalyse der Kommunikationswissenschaft oder der Keyword-Recherche aus dem Marketing an die Veröffentlichungen über P. Josef Kentenich geht, dann findet man als Bildmarke oder Logo Kentenich den schneeweißen Rauschebart, als Keywords: „baldige Heiligsprechung“, „immer“, und seit 2020: „Missbrauch“. Wir möchten in der folgenden Artikelserie einen anderen Blick auf Kentenich werfen– weder den auf den Nikolaus mit Rauschebart noch den auf den Heiligsprechungskandidaten, aber auch nicht den auf den des Machtmissbrauchs oder geistlichen Missbrauchs Verdächtigten. —

Diese Texte entstanden vor circa 30 Jahren. Der lange Atem der Kirche, die in Jahrhunderten atmet, erlaubt es uns, diese Texte mit leichten Aktualisierungen wieder zur Diskussion zu stellen. Wir erhoffen uns, jenseits der gängigen Attributionen, einen neuen, lebendigen Blick auf die vielschichtige Gründergestalt zu ermöglichen und dadurch die Neugier zu wecken, sich intensiver mit ihm zu beschäftigen. Wir meinen: Es lohnt sich!

Der Panama-Kanal und die Malaria

William Crawford

William Crawford Gorgas | Quelle: Wikimedia

Als in den 80er Jahren des vorletzten Jahrhun­derts die Franzosen unter der Leitung des Ingenieurs Lesseps den Panama-Kanal bau­en wollten, starben täglich vierzig bis fünfzig Arbei­ter an Seuchen, vor allem an Malaria und Gelbfieber. Als noch Fehlspekulationen und Betrügereien dazukamen, mussten die Franzosen den Kanalbau abbrechen und verkauften um ein Butterbrot die Rechte zum Kanalbau an die USA.

Diese beauf­tragten den Militärarzt William Crawford Gorgas mit der Bekämpfung der Seuchen in diesem Gebiet. Aufbauend auf den For­schungsergebnissen des Italieners Grassi über die Malaria und aufgrund eigener For­schungen 1898 bei der Gelbfieber-Epidemie in Kuba wusste er um die Gefährlichkeit der Ägyptische Tigermücke (Gelbfieber) und der Anopheles-Mücke (Malaria).

Als er 1904 den Auftrag bekam, die bei­den Seuchen in der Panama-Kanalzone zu bekämpfen, ließ er sämtliche stehenden Ge­wässer, vom unscheinbaren Tümpel und Graben bis zu Sümpfen, den Lieblingsbrut­plätzen der Moskitos, mit einem Gemisch aus Petroleum, Asphaltöl und Karbolsäure, das die Mückenlarven nach dem Ausschlüpfen tötete, besprühen. Trinkwasser durften die Kanalarbeiter nur aus Wasser­leitungen entnehmen, die eilends gelegt wurden. Auch den Bau einer sanitären Abwasserkanalisation setzte Gorgas bei der amerikanischen Regierung durch. Schließ­lich ließ Gorgas, die am Anfang und Ende des Kanals gelegenen vor Schmutz und Nässe triefenden Städte Colon und Ciudad de Pana­ma gründlich reinigen, schlammige Stra­ßen pflastern oder aufschütten, die überall herumliegenden übelriechenden, Fäulnis ­bergenden Kehrichthaufen beseitigen, die Krankenhäuser und öffentlichen Gebäude mit Moskitonetzen ausstatten und auch die Wohnungsfenster und Türen im gesamten Kanalbereich mit dünnmaschiger Drahtga­ze versehen. Nach Sonnenuntergang, wenn die Mücken zu stechen beginnen, hatte sich jedermann in seinen Drahtkäfig zu bege­ben, wo er zwar in frischer Luft, aber doch sicher vor dem Zugriff der Mücke war. Dok­tor Gorgas‘ Bemühungen waren erfolg­reich. Schon nach einem Jahr waren die Ma­laria und das Gelbfieber in der Kanalzone so weit bezwungen, dass wieder mit dem Bau der Wasserstraße begonnen werden konnte.

Wenn wir die Baugeschichte des Panama-Kanals betrachten, dann wird deutlich, dass nicht die technischen Schwierigkeiten der Bauausführung das Hauptproblem waren, sondern das mörderische Klima, ge­nauer: die Krankheitserreger, die in die­sem Klima gedeihen konnten. Nachdem dieses Problem gelöst war, konnte man auf die alten Pläne zurückgreifen.

Moskito

Moskito

Die Diagnose des Seelenarztes Kentenich

Wir können Pater Kentenich auch als Erforscher und Bekämpfer eines Krankheits­bazillus bezeichnen. Immer wieder wurde er mit Gläubigen konfrontiert, die trotz umfangreichen religiösen Wissens in ihren religiösen Lebensvollzügen, das heißt im Glaubenkönnen, Vertrauenkönnen, Liebenkönnen, seltsam unbeholfen und kraftlos wirkten. Dieselben Leute hatten häufig auch große Probleme, einen persönlichen Zugang zu Maria zu finden. Als Vorbild konnten sie sie verehren und akzeptieren, aber zu ihr beten, sie bitten, ihr Beiträge zum Gnadenkapital schenken — da beka­men sie Angst, Christus könne zu kurz kommen.

Für einen seelisch gesunden Menschen, der in einem Netz herzlicher personaler Beziehungen aufgewachsen ist, ist diese Fragestellung nicht nachvollzieh­bar. Sagt doch Christus selbst: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Das heißt doch, dass Christus jede Liebe, die wir einem Menschen, also auch Maria, schenken, so betrachtet, als würde sie ihm geschenkt. Wenn Christus selbst darin kein Problem sieht, ja im Gegenteil, uns ge­radezu dazu auffordert, die Menschen zu lieben und dadurch unsere Liebe ihm zu zeigen, warum machen dann Gläu­bige, oft auch Priester und Religionslehrer, daraus ein Problem?

Schon frühzeitig auf­merksam geworden auf diese Problematik, sprach Pater Kentenich häufig darüber, wie Wissen zum Lieben werden kann, wie der weite Weg vom Kopf zum Herzen ge­gangen werden kann. Erst auf seinen Welt­reisen nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er im Vergleich mit anderen Kulturen den seelisch-geistigen Krankheitsbazillus näher bestimmen und sprach seitdem vom „mechanistischen Denken“.

In einem Brief an die deutschen Bischöfe 1949 gebraucht er einen drastischen Vergleich: Er schrieb von der „Atombombe im Reich des geistig-sittlich-religiösen Lebens“. Was verstand er darunter? Mechanistisches Denken trennt zwischen Gott und Welt, zwischen Gott und Wissenschaft, zwischen Sonntagsglaube und Alltagsleben, zwischen Denken und Fühlen. Es kann Lebensprozesse nicht in ihrer Ganzheit und Lebendigkeit erfassen.

Zwei entgegengesetzte Mentalitäten

Der Gegensatz zwischen den vom mechanistischen Denken befallenen Theoretikern und Ideologen und dem Gründer Schönstatts, dem es um die ehrfürchtige Beob­achtung und Unterstützung von Lebens­prozessen ging, ist ähnlich krass, wie sich einmal der französische Insektenforscher Jean-Henri Fabre (*1823, + 1915) im Ver­gleich mit seinen Kollegen beschrieb. Er selbst stöberte, bewaffnet mit Knotenstock und Lupe, bei sengender Hitze in der Landschaft herum, hockte vor Erdlöchern, um mit grenzenloser Geduld die erstaun­lichen Verhaltensmuster der Insektenwelt zu beobachten. Er urteilt über seine Kolle­gen und deren Methoden in den Laborato­rien: „Ihr weidet das Tier aus, und ich stu­diere es lebend; ihr macht aus ihm ein Ding des Schreckens und Mitleids, ich ma­che, dass man es liebgewinnt; ich arbeite unter freiem Himmel, beim Gesang der Zi­kaden; ihr unterwerft die Zelle und das Protoplasma den Reagenzien; ihr erforscht den Tod; ich erforsche das Leben.“

Diese zwei grundverschiedenen Mentalitä­ten und Denkstrukturen finden nur schwer zueinander. Pater Kentenich beobachtete, dass das mechanistische Denken auf dem Weg war, zum beherrschenden Lebensgefühl in Deutschland und in Europa zu wer­den. Und er musste gleichzeitig feststellen, dass die offizielle Kirche diese Probleme weder in ihrer Tragweite sah noch in ihrer Pastoral genügend berücksichtigte. Die Warnung Pater Kentenichs brachte keine Wende in der Seelsorge. Während seiner bald folgenden vierzehnjährigen Trennung von seiner Gründung entwickelten sich die Verhältnisse in Deutschland so, wie es Pater Kentenich befürchtet hatte. 1961 schrieb er in einer Studie:

„Wer in seinem Leben zumal in Kindheit und Wachstumszeit, viel Liebesmangel und Liebes­hunger aushalten musste, wird für gewöhnlich das ganze Leben hindurch an Liebesfähigkeit krank bleiben. Nicht umsonst spricht man heu­te allenthalben von der Kontaktnot, Kontakt­schwäche oder der Kontaktunfähigkeit des mo­dernen Menschen. Sie ist nicht nur eine an­steckende Krankheit gewöhnlicher Art, sie muss als eine schreckliche Seuche gebrandmarkt wer­den, die sich nicht nur im Verkehr der Men­schen untereinander, sondern auch im geheilig­ten Schoss der Familie einnistet und überall Unheil anrichtet. Wie häufig muss man geste­hen, dass heutige Eltern bereits Kinder von lie­besgestörten Eltern sind. Da braucht man sich kaum zu wundern, wenn ihre eigenen Kinder in der strömenden Tiefe ihres Wesens nicht mehr liebesmächtig sind, sondern oft nur noch die rührend unbeholfenen Gebärden der Liebe versuchen. … Gewiss gibt es noch zahlreiche Ehe- und Familieninseln, wo die Verhältnisse günstiger gelagert sind.“

Mechanistisches Denken

Die Therapie des Seelenarztes Kentenich

Joseph Kentenich mit dem Kreuz der Einheit

Joseph Kentenich mit dem Kreuz der Einheit

Pater Kentenich blieb nicht bei der Di­agnose stehen. Er selbst hatte als Jugendli­cher unter seiner Kontaktnot und unter der Sucht, alles bis ins Letzte sezieren und anzweifeln zu müssen, gelitten. Er hatte aber auch an sich selbst erfahren, wie heil­sam die Bindung an die Gottesmutter, den ganz heilen Menschen, war. Die Weihe an sie war der Ausweg aus der Sackgasse des Zweifelns und Grübelns.

Was er selbst als heilsam erfahren hatte, das gab er weiter, als er 1912 die Verantwortung für die geist­liche Entwicklung der Jungen übernahm, die sich in Schönstatt auf das Priestertum vorbereiteten. Im seelischen Wachstum der Schüler konnte er beobachten, dass sein persönliches Schicksal keine Ausnahme war. Auch bei den Schülern konnte er ei­nen engen Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Marienliebe und der positi­ven Entwicklung ihrer Persönlichkeit be­obachten.

Als Josef Engling, einer dieser Schüler, als Soldat in Frankreich am 4. Oktober 1918 durch eine Granate getroffen stirbt, ist das für Pater Kentenich wie eine göttliche Bestätigung seines neuen-alten Weges: Bindung an die Gottesmutter macht heil und führt zur Heiligkeit. Dieser Qualitätsbeweis des neuen Weges der Chri­stusnachfolge, den er aufzeigt, ist für Pater Kentenich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten eine Stütze angesichts der vie­len Zweifel und Verdächtigungen, die sei­nem neuen Weg vor allem aus traditionel­len kirchlichen Kreisen entgegengebracht werden.

Den tiefen liegenden Grund, war­um Maria so segensreich wirken kann, fin­det er in der Glaubensaussage: Maria ist ohne Erbsünde empfangen. Sie ist der ein­zige vor- und voll erlöste und deshalb ganz heile Mensch. Deshalb hat sie auch keine Kontaktnöte weder zu ihrem eigenen In­nern noch zu den Mitmenschen noch zu Gott.

Das Liebesbündnis mit ihr und das tägliche Leben aus diesem Liebesbündnis machen uns ihr ähnlich. Auf dieser Grundla­ge des Liebesbündnisses entwickelt Pater Kentenich in den folgenden Jahren eine Spiritualität, die großes Gewicht auf die ganzmenschliche Bindungs- und Bezie­hungsfähigkeit legt: Werktagsheiligkeit ist die gottgefällige Harmonie zwischen ganzheit­licher Gott-, Werk- und Menschengebun­denheit in allen Lagen des Lebens.

Und so ist es ihm ein wichtiges Anliegen, dass sich die Menschen an das kleine Kapellchen binden können, dass es für sie zur Heimat wird. So ist er offen, dass sich die Menschen an ihn persönlich binden können bis in die kleinsten Fäserchen ihres Herzens.

Einer­seits ist er ein Mann der großen Pläne, der kühnen Träume, des weiten Horizontes, aber er weiß und fühlt, dass die Verwirkli­chung aus vielen kleinen und kleinsten Schritten besteht. Deshalb widmet er den Kleinigkeiten so viel Aufmerksamkeit, ohne dabei ein Kleinigkeitskrämer zu wer­den. So schafft er die Voraussetzungen auf der zwischenmenschlichen Ebene, dass Kontaktnot, die Unfähigkeit zu lieben, die seelische Behinderung, sich nicht genü­gend auf andere einzulassen, mangelndes Vertrauen, mit einem Wort, der Krankheits­bazillus des mechanistischen Denkens überwunden werden können. Ist der Mensch seelisch gesund, dann ist er auch offen für Gott, dann kann er sich auch für das Reich Gottes engagieren, dann ist er auch belastbar.

Kommen wir auf unser Anfangsbild zu­rück: Die Verdienste des Arztes William Crawford Gorgas lagen nicht darin, dass er den Panama-Kanal gebaut hat, sondern dass er die Ursachen für das mörderische Klima richtig diagnostizierte und Lebens­bedingungen schuf, unter denen sich der großartige Traum vom Kanal zwischen den Ozeanen verwirklichen ließ. Die Amerikaner verehren ihn als den „größten Praktiker der Tropenmedizin“.

Großartige Pläne für die Erneuerung der Kirche sowie für die Beseelung und Ver­menschlichung der Welt durch die Kirche hat es in den letzten Jahrzehnten genug ge­geben. Sie scheiterten häufig, weil sie für den mechanistisch angekränkelten Men­schen eine Überforderung darstellten. Der Praktiker — nicht der Tropenmedizin — aber der Christusnachfolge, Joseph Kentenich, hat eine Bewegung ins Leben gerufen, die in einem marianischen Klima vom mecha­nistischen Denken befreien kann.

Gründerwort
Unsere Bindungspädagogik bricht die Vorherr­schaft der Idee und bewahrt vor willkürlicher Gedankenkonstruktion, vor fixen Ideen, vor seelischem Zwang und Zerfaserung. All diese Funktionen werden noch besonders betont und verstärkt durch die Bündnispädagogik, die sich immer Gott als dem großen persönlichen Du konfrontiert weiß und die Erziehungsmacht der Erzieherpersönlichkeit als Transparent Gottes sichert und steigert.

P. Joseph Kentenich, Aus dem Amerikabericht von 1948, zitiert nach Herta Schlosser, Der neue Mensch – die neue Gesellschaftsordnung, S. 193.

 

Schlagworte: , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert