proceso Kentenich

Veröffentlicht am 2021-03-28 In Kentenich

Eine Reflexion über den Kontext der moralischen Integrität und des Konzepts der geistlichen Autorität des Gründers von Schönstatt

Pedro Pablo Rosso, Chile •

Kürzlich kündigte der Trierer Bischof Stephan Ackermann an, dass er anstelle einer neuen Historikerkommission (innerhalb des Seligsprechungsprozesses) eine Expertengruppe einberufen wird, zu der Psychologen, Pädagogen und Historiker gehören (außerhalb des Seligsprechungsprozesses). Wie es in der betreffenden Pressemeldung heißt, war diese Entscheidung durch die im Oktober 2020 von der Historikerin Dr. Alexandra von Teuffenbach veröffentlichten Dokumente motiviert. Durch diese Information, so Bischof Ackermann, gibt es „Anfragen sowohl bezüglich der sittlichen Integrität als auch bezüglich der Wahrnehmung der geistlichen Autorität des Gründers von Schönstatt“. Der Bischof bezog sich auf das Buch „Vater darf das!“. Seit dem 19. März 2021 dieses Jahres ist eine spanische Übersetzung dieser Monographie in einer E-Book-Version erhältlich (Amazon).

 

I Zusammenfassung des Buches

Anmerkung der Redaktion: Wir haben bereits mehrere Zusammenfassungen und Analysen des Buches veröffentlicht, haben uns aber entschieden, diesen Teil trotzdem zu veröffentlichen, weil es das erste Mal ist, dass es aus dem spanischen Sprachraum auf der Grundlage der Übersetzung des Buches ins Spanische geschieht  – und nicht abhängig von Deutschkenntnissen ( oder fragwürdigen Google-Übersetzungen oder dem Verlassen auf das, „was gesagt wird“.)

Libro El padre puede hacerlo

Tapa

Der Kern des oben erwähnten Buches sind Briefe und Aussagen von Marienschwestern, die behaupten, Opfer von Missbrauch durch Pater Kentenich gewesen zu sein. Diese Dokumente werden im Archiv der Diözese Trier und im Archiv der Gesellschaft des Katholischen Apostolats (SAC) (Pallottiner) in Limburg aufbewahrt. Diejenigen, die diese Anklage erheben, sind die Schwestern Georgia (Georgina) Wagner, Gregoria, Mariosa Boy, Elisabeth Thorbecke, Rosa Thorbecke, Agnes Möhler, Adela Elisabeth Eidt, Christa Nekes, Maria Wolter, Agnes Thröner und Elisabeth Semmelmann. Alle waren Marienschwestern, einige viele Jahre lang.

Zusammenfassung des Buches – 1: Die Zeugnisse der Schwestern

Die Zeugnisse der Schwestern stimmen in ihren wesentlichen Aspekten überein. Sie erklären, dass sie verschiedene Arten von Demütigungen, Willkür und Erniedrigungen erlitten haben, die von Pater Kentenich verübt wurden. Technisch gesehen entsprechen diese Denunziationen zum größten Teil Missbrauch: von Autorität, geistig und psychologisch, darunter auch einige in der Kategorie „Bullying“, wie z.B. in der Öffentlichkeit verunglimpft zu werden, während sie selbst anwesend waren. Außerdem erwähnen zwei der Schwestern beunruhigende und verstörende Situationen von Körperkontakt während der Beichte im Büro von Pater Kentenich, die eine sexuelle Konnotation haben könnten. In jedem Fall werden die erzählten, teilweise wiederholt erlittenen Episoden als Traumata beschrieben, die schmerzhafte Meilensteine im jeweiligen Leben markieren.

Die Zeugnisse sind schockierend. Selbst wenn man dem Angeklagten die Möglichkeit einräumt, zu glauben, dass er zu „psychotherapeutischen“ oder pädagogischen Zwecken handelte, sind die angeprangerten Handlungen unzweifelhaft missbräuchlich. Als mildernder Faktor könnte angeführt werden, dass sie in einem patriarchalischen und hierarchischen kulturellen Kontext stattfanden, der viel toleranter gegenüber dieser Art von Verhalten war als der heutige. Dennoch stellen die von den Schwestern angeprangerten Taten für ein christliches Empfinden zumindest bemerkenswerte Verstöße gegen die Nächstenliebe dar, die durch die Tatsache verschärft werden, dass der Täter Priester und gleichzeitig geistlicher Leiter und hierarchischer Vorgesetzter der Betroffenen war.

Zusammenfassung des Buches 2: Leitungsstil

Ein weiterer belastender Aspekt, den Dr. von Teuffenbachs Buch aufdeckt, ist die Beziehungsdynamik, die in der Schwesterngemeinschaft durch Pater Kentenichs anmaßende Führung und seinen Anspruch, alles zu kontrollieren und alles zu wissen, selbst die größten Intimitäten jeder Schwester, entstand. Die seine war eine Führung ohne Gegengewichte, basierend auf seinem Charisma und seinem Ruf der Heiligkeit. Diese absolute Macht fand ihren konkreten Ausdruck in einem Akt der totalen Unterwerfung, den die Schwestern in ihren Bekenntnissen bekannten. Entgegen den kanonischen Bestimmungen konnten die Schwestern nur zu Pater Kentenich zur Beichte gehen. Manchmal mussten sie die „Ölberghaltung“ einnehmen, d.h. bäuchlings auf dem Boden liegen. Der Ritus beinhaltete das „Kindesexamen“. Berichtet von der damaligen Schwester Christa Nekes, lautete die Formel für diese Prüfung wie folgt: P.K.: Was ist der Vater für das Kind? Schwester: Alles; P.K.: Was ist das Kind? Schwester: Nichts; P.K.: Wem gehört das Kind? Schwester: Dem Vater; P.K.: Was kann Vater mit dem Kind machen? Schwester: Alles. Andere Schwestern ergänzen die obigen Fragen zu solchen zum Gehören von weiblichen Körperteilen.

Zusammenfassung des Buches 3: „In Ungnade fallen“

In dieser geschlossenen, pyramidalen Struktur war die zweite Autorität Sr. Anna, Mitgründerin der Marienschwestern. Wie einige der im Buch zitierten Schwestern berichten, kam eine Zeit, in der sie den Personenkult um Pater Kentenich sowie seine „Therapien“ und Bußübungen für übertrieben hielt. Bei letzterem ist auffällig, dass einigen Schwestern befohlen wurde, sich (privat) das nackte Gesäß auszupeitschen. Als Sr. Anna begann, sich diesen Handlungen zu widersetzen und die Ankunft eines Diözesanvisitators befürwortete, „fiel sie in Ungnade“, was bedeutete, dass sie entlassen, vom Gründer öffentlich verunglimpft und später physisch entfernt wurde, indem sie in die Schweiz geschickt wurde. Ihre Behandlung wurde in einigen Aussagen als Beispiel für Pater Kentenichs Hass auf diejenigen angeführt, die seine Autorität herausforderten oder ihm nicht gehorchten.

Ein weiteres anomales Merkmal der Situation der Schwestern, das eher für eine Sekte als für ein religiöses Institut charakteristisch ist, war das absolute Verbot, mit anderen über die Geschehnisse im Haus zu sprechen, insbesondere mit den Pallottinerpatres, die – nach verschiedenen Zeugnissen aus den Archiven – von Pater Kentenich permanent abqualifiziert wurden. In dieser Atmosphäre wurden die Schwestern, die es wagten, den Visitatoren mitzuteilen, was sie dachten und fühlten, als „Verräter“ abgestempelt und mit Verachtung und Schweigen behandelt.

Zusammenfassung des Buches 4: Die Visitation

Laut von Teuffenbach würden alle oben genannten Elemente die drastische und rechtzeitige Aktion des Heiligen Stuhls erklären, Pater Kentenich von den Schwestern zu trennen und ihn nach Milwaukee zu schicken. Eine Entscheidung, die auf der Grundlage des Berichts des Visitators, Pater Sebastian Tromp (S.J.), mit Zustimmung von Pius XII. getroffen worden wäre. Dieser Historikerin zufolge hielten die Behörden in Rom Schönstatt für eine wertvolle und fruchtbare apostolische Initiative, die aber von ihrem Gründer durch kanonisch anstößige Maßnahmen und episodenhaft missgestimmtes Verhalten beschädigt zu werden begann. Aus diesem Grund musste das Werk durch einen Eingriff gereinigt und bewahrt werden, was als erste Maßnahme die Abtrennung des Leiters beinhaltete. Es ging darum, „Ordnung zu schaffen“ und die Integrität des Schönstattwerkes zu sichern. Diesbezüglich versichert Dr. von Teuffenbach, dass all diese Hintergründe in ihrem nächsten Buch veröffentlicht werden.

II Fragen und Schlussfolgerungen

Fragen I Warum hat er sich gegenüber einigen Schwestern so „unangemessen“ verhalten?

In Anbetracht des Bildes einer leutseligen und herzlichen Person, das Pater Kentenich vermittelte, und der ehrfürchtigen Zuneigung, die die große Mehrheit derer, die ihn zu Lebzeiten kannten, für ihn empfand, stellt sich die Frage: Warum hat er sich einigen Schwestern gegenüber so „unangemessen“ verhalten? Litt er an einer Art psychischem Problem? In Anbetracht seiner Kindheitstraumata und eines Aufenthalts in Dachau erscheint die Frage nicht abwegig. Dies wird wohl ein Aspekt sein, der von den von Bischof Ackermann herbeigerufenen Experten sorgfältig analysiert werden wird. Die Aussagen einiger Schwestern und Priester in „Vater darf das“, darunter auch Pater Ferdinand Schmidt (SAC), beschreiben Pater Kentenich jedoch als einen eher arroganten Menschen, der Lobhudeleien genoss und mit seinem Intellekt prahlte. Auch wenn diese Einschätzungen übertrieben sein mögen, deuten sie auf eine Persönlichkeit mit narzisstischen Untertönen hin. Dieser Eindruck gibt nicht vor, diagnostisch zu sein, sondern hält einfach eine Beobachtung fest, die mit anderen Merkmalen von ihm übereinstimmt. Besonders auffällig sind die folgenden:

a) eine Tendenz, sich auf sich selbst in der dritten Person zu beziehen; z. B.: „Der Vater hat die Tochter verletzt.“

b) eine Unfähigkeit, den Schmerz zu erkennen, den er anderen durch seine Aussagen und Handlungen zufügte;

c) den Kult um seine Person zu fördern, indem er Riten vollzog, die seine geistige Vaterschaft symbolisierten, wie z.B. am Altar zu stehen und eine herzförmige Kerze zu halten, an der die Schwestern ihre eigenen herzförmigen Kerzen anzündeten und die Worte aussprachen: „suscipe pater, filiam cordis tui“ (Nimm an Vater, das Herz deiner Tochter);

d) die Übertreibung seiner Leistungen („Im Schatten dieses Heiligtums werden die Geschicke der Kirche und der Welt für Jahrhunderte mitentschieden“);

e) der subtile Ton der intellektuellen und moralischen Überlegenheit seiner dialektischen Aussagen, der in verschiedenen Abschnitten des „Briefes vom 31. Mai“ und der Apologia pro vita mea sehr akzentuiert ist;

f) die Übertreibung seiner Talente, wie z.B. dass er sich für einen Propheten hält und mit voller Überzeugung von seiner „prophetischen Mission“ spricht und andere Situationen, die an eine ständige Erwartung von Lob und Bewunderung denken lassen. Eine Persönlichkeitsstörung dieser oder anderer Art kann zweifelsohne abnormales Verhalten hervorrufen.

Speziell im Hinblick auf seinen Umgang mit den Schwestern stellt sich auch die Frage: Warum hat er sich nicht analog zu den Priestern oder Marienbrüdern verhalten, litt er an einer Art Frauenfeindlichkeit? Der Hintergrund einer von der Mutter getrennten Kindheit, die Pater Kentenich erlitten hat, ist sehr häufig in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sowohl verbaler und psychischer als auch physischer und sexueller Art.

Fragen II: Warum wurden die Fakten geheim gehalten?

Wenn man diesen Hintergrund kennt, werden sich viele fragen: Warum wurden die Tatsachen, die offenbar das Exil Pater Kentenichs motivierten, zumindest für die Laienmitglieder der Bewegung geheim gehalten? Kann jemand diese Frage beantworten? Ich vermute, es ging darum, die Figur des Gründers unbefleckt zu halten.

Leider gab es im Falle Schönstatts, wie ich persönlich weiß, auch eine Verdrehung der Tatsachen, die seine Verbannung als „Unverständnis Roms für die Neuerungen Pater Kentenichs“ oder „Unverständnis des Heiligen Stuhls für die väterliche und organische Verbundenheit Pater Kentenichs mit den Schwestern“ oder „als Antwort auf den Ton und Inhalt des Briefes vom 31. Mai“ erklärte.

Leider kam zu diesen Falschdarstellungen noch die Diskreditierung einiger der Opfer hinzu: „sie waren hysterisch“ oder „besessen“. Schwester Georgia Wagner, Gründerin des Hauses in Temuco und Provinzoberin der Marienschwestern in Chile, wurde von Pater Kentenich öffentlich als ein Fall von „dämonischer Besessenheit“ abgestempelt.

Schlussfolgerungen

All dies führt mich dazu, die zwingende Notwendigkeit vorzuschlagen, dass die Bewegung aus Liebe zur Wahrheit die beklagenswerten Tatsachen annimmt, die in diesen Veröffentlichungen berichtet werden, dass sie zugibt, dass eine der Ursachen für die Verbannung des Vaters und Gründers seine Irrtümer, Exzesse und Schwächen waren. Ich glaube nicht, dass dies den Zusammenbruch Schönstatts oder das Verblassen seiner Spiritualität zur Folge haben wird. Aus demselben Grund wage ich mit viel Demut und Respekt zu sagen, dass es an der Zeit ist, Entscheidungen zu treffen und zusammen mit der Entmystifizierung der Figur Pater Kentenichs, der Befreiung von der Idealisierung und der Hagiographie, die ihn heute umgeben, diese unerwarteten Umstände zu nutzen, um eine dringend notwendige Etappe der kritischen Reflexion und Erneuerung der Schönstattfamilie zu beginnen.

Überprüfen wir ihre Organisation, ihre Gliederung und Synergien, die Ausbildung ihrer Mitglieder, die leitende Gültigkeit der vielen Texte und Meinungen des Gründers, und erarbeiten wir aus diesen Schlussfolgerungen den Vorschlag der Bewegung für die kirchlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen des gegenwärtigen Jahrhunderts.


Pedro Pablo Rosso Rosso, Familienbund, ist ein chilenischer Kinderarzt und Wissenschaftler. Zwischen 2000 und 2010 war er Rektor der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile und ordentlicher Professor der medizinischen Fakultät derselben Universität. Im Jahr 2012 wurde er zum Professor emeritus ernannt.

Original: Spanisch, 25.03.2021. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

 

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